− Zu Christoph Meckels Poem „Jasnandos Nachtlied“. −
CHRISTOPH MECKEL
Jasnandos Nachtlied
ein Poem
Now I blessed the condition oft the dog and toad, yea,
gladly would I have been in the condition
of the dog are horse, for I knew they had no soul to
perish under the everlasting weight of Hell.
Ein Nachtmittag aus Schnee, von Eisenbahnen dröhnend
wenn ich den Aufstieg such aus meiner Wohnung
und eintauch in die Städte, wohin Zufall
und Kälte mich verschlug; Unruhe, die auf Straßen
das Weite sucht aus diesem Zwinger voll von
fortwährendem Entsetzen, Hurerei und Hunger
nach einem Nichts, das auslöscht mein Gedächtnis;
Welt, zugeteilt auf Zeit und auf Verderben,
New York in einer Glocke Rauch, und Londons Städte
an einem Tag aus Kognak und aus Winter.
*
Von Wahrheit ist die Rede, seit ich hör und denke,
altes Lied und alte Leier: dass es
schwer ist, Wahrheit unter Menschen zu verbreiten.
Allerdings, was mich betrifft, ich hab mich
befreit von Wahrheit jeder Art und Herkunft
und der Götter entledigt. Ich für mein Teil
mach Schluss mit Hoffnung und was sonst mich hinhält
und leiste unversöhnlich mir Gesellschaft.
Hab doch erfahrn, dass Wahrheit bloß ein Wort ist
und weiß doch, dass sich die (falls überhaupt was dran ist
was für unsereinen in Frage kommt)
dem Umgang wie Gebrauch durch Menschen entzieht
es sei denn für den, der sie missbraucht, zu seinem Vorteil.
Der Mann wär wohl der einzige, der ihr begegnet.
Was mich betrifft – wie schon gesagt, ich hab
so was wie Wahrheit nirgendwo je vorgefunden
noch eigentlich gebraucht, doch dies
kann eines Menschen Unglück nicht vergrößern.
Könnt ich sie finden, Wahrheit, und sei es
um den höchsten Preis: der Liebe jener, die mir beiwohnt
könnt ich ihr pfeifen, meine alte Hure
könnt ich sie herstelln mittels Treu und Glauben
was wär denn die – ein Gängel, gut fürn Fußtritt.
Nein, von Wahrheit weiß ich überhaupt nichts
von dem Ding will ich besser nicht mehr reden.
Es zeugt auch, denk ich, von mehr Anstand
Lügen aus der Hand zu lesen fürn Trinkgeld
als zu behaupten, es sei die Wahrheit
unter Menschen getreten, unsichtbar.
Wenig weiß ich sicher, doch ich weiß
dass der Mensch gut ohne Wahrheit auskommt
dass die Nacht kommt weiß ich, und dass die Liebe
einfach ist wie ein Habicht. Kalte Nacht
wenn die Dächer rasseln vom Sturz der Vögel im Schneewind
und Kälte und Finsternis wahrer sind als Wahrheit.
*
Wenn Entsetzen dich zu mir treibt, oder Liebe
an einem Abend, da ich die Erde wie einst
und immer bestehn weiß jenseits meiner Wohnung
mit Herbst und Dandelionstagen, da dein Atem
auf meinen Kerzen fackelt und atemlos, leicht
zu Mardern und Schaben in den Moder dringt.
Deine Küsse wie von Karpfenmäulern
Haut, nach Blättern duftend, und Ambra, Salz
oder Eisblumenblüte des frühen Wintertags
Haar, das Flocken des Windes und Asche von Sonnen
bewahrt für mich, meine Lippen und Nüstern
wenn du hereintrittst, zögernde Schritte
im Gegentalk fallenden Wassers im Tropfsteinflur
oder wenn du heiter von draußen herabsteigst
zu Kerzenstümpfen. grünbärtigem Rauch, meine Wohnung
die tief und dunkel ruht auf Trümmern des Lichts
und du bleibst entkleidet und hell im Bereich meiner Hände
die sich klammem an deine Brüste, rauchig
und dunkel, und trunken von dir und was an dir haftet:
Arom des Lichts und der Erde, die mehr als du
mein Hunger ist. Ich hör deinen Atem
und seh dir beim Ankleiden zu – du gehst
schweigsam, Spuren von Rauch in Haar und Stimme
lächelnd wie Hekate, freudlos
mit kupfernen Zähnen, die schimmern im Zwielicht.
Verflucht, dass du kommst
und senkrecht verflucht, dass du gehst.
Und dass du wiederkommst, dass dein Atem wie einst
und immer meine dunklen Kerzen verspottet.
*
Kälte, unnennbares Dunkel kann gut sein
für den, der nichts anderes fraß zuvor
als Entsetzen und Unglück; doch an kühlen Abenden
auf einem Hotelbett liegen und sich unkäuflichen
Fleisches erfreun, das sich hingibt in Wollust
duftend, dunkel, und warm, und lachend
unkäufliche Hure – ist dreimal besser
als versaufen im Dunkel; ich wünsch nichts andres
als schlafen mit einer, die Persephone ähnelt
danach den Hut ziehn und fortgehn im Regen.
Was ich weiß von Glück gehört mir über Tod
und Leben hinaus, denn ich hab es bezahlt
mit Hunger, Treubruch, Verrat, mit Schweiß
Schleim, Eiter, Mist, Erbrechen und was sonst
wahr oder wirklich ist. Ja, Götter- und Menschenwelt
durchgestanden zu haben, und gut zu heißen
die Erde oder hinzunehmen als Hölle
− Versenkung, darin die Liebe verschwindet
lebendigen Leibes in Aas und Elend −
kann genug sein für den, der vom Tod nichts andres
erfuhr als Hekates frostige Küsse.
*
Eh ich auf deiner Party rumsteh, und so gottverdammt
redselig nett zu deinen Leuten bin, und mich
mit den verschiednen Herren über deine
Vorzüge unterhalte, die auch mir bekannt sind, mach ich
dass ich hier wegkomm. Draußen der Wind
ist besser, die kalte Nacht, das dünne Bier
in den abessinischen Kneipen ist besser, die Bars
und Wellblechpuffs, der offensichtliche Dreck
dort unten, die Huren am Westend-Boulevard
sind besser als deine Leute, dein Lächeln, und besser
selbst als dein Bett in unsern besten Nächten.
*
Nichts, nur die Nacht, Wind, Eis – Erinnerung
an Zeit und wieder Zeit, die mich zurücksetzt, dorthin
wo Güterzüge durch das Wildgras fuhren (und
mit Rauch beladen tauchten in Azur und Winde)
Ebenen, endlos, Staub, wo ich noch immer herkomm,
Highways – Wanzenspur im blauen Dunst – und Jahre
barfuß rennend durch Prärie und Sommer,
Pferdeschwemmen, Flüsse im Schnee – und jetzt:
Columbus-Square, ein Tag aus Haifisch-Rosa,
Ruß, Winter, Eis, wo ich mich hingestellt hab
im scharfen Wind, und meine Zigarette rauche.
Hier schlag ich mich durch, von Abend zu Abend, hier
ist meine Zuflucht, mein Zwinger, mein Limbo,
hier werd ich gelebt haben, Nacht für Nacht, mein kaltes
Brautbett, Babylon-City, meine Stadt,
hier sprech ich mit mir selber, hier kratz ich zur Not
mein leben zusammen, hier stoß ich von mir
Zweifel, Bitternis, und Hochmut, und Hoffnung.
Ja hier werd ich gelebt haben, spurlos, schnell
und rastlos unterwandernd die zurechtgemachte Welt,
Kopfpreise, Hymnen, Lügen, Untergang in Chrom,
Schrott, Auswurf, Blech und Qualm verbrannten Fetts
aus Suppenküchen an den Docks, Getöse
der Lemmingwelt, Columbus-Square – ein Tag
aus Haifisch-Rot. Die Fähren nölen, wo
die Flüsse Slums durchqueren, Wasser ölig
und grün nach Süden rutscht, und Eisenbrücken
krebsbeinig in den Nebel sich zurückziehn. Wo ich einst
zu Fuß hierher kam, in die Städte: Highway
sprüht grau von Flutlicht und zermalmtem Eis.
Nacht. Erebos. Moloch. Qualm. Abende aus Schnee,
dahinter die Erinnerung ab sinkt in den Graben
aus Eis und Dunkel. Eis und Dunkel. Eis
und Dunkel, und nichts weiter, und nichts weiter.
*
Am Ende hast du zu lange hier unten gelebt
in Löchern am Westend-Square, rund um die Hölle, taumelnd
zwischen Jobs und Konservengesichtern, du bist hier
regelrecht hängengeblieben, stehst aus Gewohnheit
an BABYLONS BAR und trinkst zu viel Kognak
wenn die Abende kommen und gehn, die Güterzüge
über die Brücken pfeifen, das Eisen tost
der Nebel zieht dir Schleim aufs Gesicht, und du
drehst deine Runde und sprichst mit dir selber.
Wenn sich das Licht mischt, pfefferheiß
aus Benzindunst und Glasstaub an einem Morgen, machst du
dass du rauskommst auf die Straßen; in deinem Buick
klapperst du die Gegenden ab, überquerst
Flüsse, die schwer wie verschütteter Leim sich wälzen
durch Industrie, fährst durch Wälder und buchstabierst
Landschaften, lernst auswendig die unerhörten
Winde und erkennst, was vergessen war, wieder:
Kraniche, Gürteltiere, die ausgestorbenen
Bahnhöfe der Pazifiklinien und was dir
bekannt war, bevor du abstiegst in die Versenkung
und an Plätzen lebtest, wo das Licht nicht hinkommt
und die Schöpfung eine Sage ist, die an klaren Tagen
über Mauern und Feuerleitern auf Wolken vorbeizieht.
Aber hier draußen, im Licht der Mittage: Meer,
wo das Gras an den Schaum stößt, Donner und Salz, du reißt
Horizonte an dich und atmest den Wind ein, fährst
in den vogelflimmernden Glanz, und quer durch das Licht
das für dich gemacht ist! Später, an einem Morgen,
weißt du: dies ist es nicht, was du suchtest, an allen
Tagen, schlaflos in allen Nächten, es ist nicht,
nach allem, das Universum, es ist nicht, am Ausgang der Hölle
ein Sommertag oder ein Wind, es ist nicht die Erde
und was schön ist, gerecht und strahlend außerhalb
von Zeit und Menschenwelt, jenseits deines Hungers.
Und du fährst weiter an hellen Tagen, zurück
in die Städte – Moloch, dein Verbraucher, Menschenfutter
im hohlen Zahn; du tauchst tiefer unter das Licht
wo sich wie einst und immer für dich
der Limbo bereithält – in dem du, unerbittlich
lebend und nichts sonst, zuhaus bist, dein Abgrund: Welt,
fortwährende Erniedrigung, dein Zorn – und Hunger
der dein Faustrecht ist und sein wird, wo immer du
reingelegt von Hoffnung und schweigend am Ende
untertauchst um zu leben und nichts sonst. Du fährst
weiter, von Abend zu Abend, und wirfst dich, alleine,
in ein Hotelbett am Wegrand, gelassen
den Morgen erwartend und das unmögliche Licht.
*
Erschöpft von Furcht und Schweiß unablässigen Sterbens,
nackt, ohne Hut oder Schweißtuch, hinter mich schmeißend
ausgebranntes Glück, Abschiede, Trümmer, Fäulnis
bestehender Ordnung, mit abgehäuteten Lippen
komm ich zurück und gesell mich zu denen, die nachts
an BABYLONS BIERTISCH haufenweis rumstehen,
Plutos Häscher, Hooligans, meine Komplizen
und lass mir erzählen, und lass mir sagen, was ich
verdammt schon weiß: dass diese Handvoll Leben
billig zu haben ist und von selbst zu dem kommt
der den Vögeln nachsieht im kälter werdenden Sommer.
Mein Faustrecht auf das Licht! Mein verhungerndes, starkes
erstes und letztes Wort FREIHEIT,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadas sich hinter mir herschleppt
und durch verlassne Träume lahmt; mein Faustrecht
auf einen festen Platz im Nichts! Bevor ich weiterzieh
meld ich Besitzrecht an auf das Wort Nacht,
auf das dunkelste Wort, auf ein mit Frost und Hohn
und Finsternis endgültig beladenes Wort,
taubstummes Wort Nacht – dafür ich lebend und nichts sonst,
Schatten sammelte an allen Tagen, Kälte,
jedermanns Sterben, Cantinas, erschlagene Fliegen,
Weltteile, Straßenecken, ein Sprung in die Sonne,
und Schweigen, bittre Vergeudung
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaain allen Städten, durch die ich
kam auf meiner Wandrung nach Babylon-City
und Punt, und weiter, über alle Worte hinaus.
Nacht, mein erstes und letztes Wort, für das ich
lebend und nichts sonst, Schatten sammelte an allen Tagen,
Zeit und Liebe, abgeworfene Kleider,
Stimmen meiner Toten und ein ganzes Leben.
*
Wenn ich dran denke: nächtlich unter mir
dein helles Fleisch, das ich verführen, küssen
genießen, wälzen, schieben, atmen kann
die Schenkel offen, und dazwischen tief
feucht dunkel ruhelos dein Angebot
und mein Begehr, und beider Sättigung
dein Hand und Mund, und Haut und Haare, und
was immer Lust macht. Deine Brüste hingen
wie Trauben warm und schwer in meinen Mund
wie Trauben warm und schwer, wenn ich dran denke.
Das waren gute Nächte. Du entsinnst dich
des langen Frühjahrs gern und ich begreif nicht
dass dies ein Ende haben muss. Dein Atem
ist noch in meinem Mund und dein Gesicht
kommt wie der Mond aus meiner Nacht hervor,
ich hör den Wind, der die Gardinen schlug,
die Abende Anis in jenem Land
wenn ich dran denke, und dass du wie einst
hell, schön, begehrlich, doch abwesend bist −
shut up. Ein andres Bett und andre Leiber.
*
Von Leben schmutzig, ausgebrannt von Zorn, tagtäglich
zurückgestoßen in Verrat, Krieg, Wahnsinn und Geschrei
von Zukunft, Ausgleich, Fortschritt und Gesellschaft,
Geheul nach Geld und Göttern, Prämien, Illusion
hock ich in meiner lebenslangen Vorstadt, kalte Wohnung
(stygischer Schwamm zerfrisst die Wand) und ranzig
altbillig, tückisch, kopflos seh ich alles Leben
mit Gähnen, Schmerzen, Rebellion in eng gedrücktem Kreis gehn
und stell, fernab von Nachbarschaft und Unterhaltung −
SEIN ODER NICHTSEIN – wiedermal die ausgetretne Frage.
Nein, zur Tragödie fehlt mir die Bequemlichkeit.
Ich bin gebrannt, gehäutet, ausgespuckt von Anbeginn,
hab mir den Kopf zerbrochen erst, zerschlagen später
und restlos eingerannt, ich habe alle Wörter
die hier die Welt bedeuten, durchgefilzt, bis in
Verramsch und Hohlheit alle Ordnungen durchlöchert.
Denn da ist nichts, was Leben möglich macht. Ich mach mir
auf diese Kälte einen Vers aus Frost, und fahr dabei
gut oder schlecht wie sonstwer. Ich beruf mich nicht
auf irgendeinen alten Hamlet, und den Fetzen
Licht, den ich brauch, bezieh ich nicht aus Hoffnung
und Weltgeschichte von erprobter Machart, sondern
steck ich mir selber auf in diesem Dunkel
aus Angst, Gewalt, Wahn, Schwachsinn, und ich denk damit
noch eine gute Strecke Wegs zurückzulegen.
*
Niemand erfährt, wer er ist im Dunkeln, allein
mit seinen Fingernägeln, mit seiner Zunge.
In Gesellschaft eines Messers allein. Bis auf Weitres
allein mit Gin, Tabak und verbrauchter Liebe,
vor schmutzigen Tellern in Babylons Bar, unteilbar allein ohne Datum,
Geschenk und Wortlaut. Allein
im Smoking, im Hemd unterm Smoking,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaain der Haut unterm Hemd.
Allein mit einem Telefonbuch. In einer Nacht
des nördlichen Winters voll scharfer Essenzen. Allein
auf der Autobahn, die sich hinzieht, westwärts
durch oktobernen Regen und Laubnacht. Unaufschiebbar
allein, unverzichtbar allein mit dem Tod und dem baren
Vorschuss: von Grund auf zu sterben an einem Stück.
Niemand erfährt, wessen Namen er runterschluckt, schlaflos.
Niemand erkennt ihn an seinen Fingernägeln. Keiner
vergleicht ihn mit seinem Abbild. TAGE DES SOMMERS!
IN KORKWÄLDERN GEGEN MORGEN
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaSEH ICH DEN HABICHT UND HÖRE
DEN WIND, DER MIR ZUWIRFT DEN HIMMEL,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaDASS ICH ATME!
Bis auf Weiteres. Bis er wiederkommt. Bis er verschwindet.
In seiner Höhle riecht es nur nach ihm.
Allein. Allein. Die Welt hat keine Umgebung.
*
Winde des Sommers und Licht. Ein Morgen aus Salz
und Azur liest dich auf, du wirfst das Gesicht in den Wind
wo der Albatros Abschied nimmt von Ozean und Erde
und verschlungen von Luft eine alte Sonne abrollt
(und das Auge fliegt durch den Tag und das Hirn zerfließt
im Wind, für einen Augenblick des Vergessens).
Und du hängst dich ans Telefon
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaund hörst durch ein Dröhnen die einzige
Stimme von jenseits des Schweigens:
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaRauch, Sandkorn und Honig
unfassbare Stimme, niemalen, unmöglich, verloren
geliebt und verschwendet, wortlose fast, ein Geflüster
aus abgestiegener Nacht, leerlautend von Abschied
und Abwesenheit, zerschrammte aus Schmirgel und Glocken
Persephones Stimme, die dein Gedächtnis noch immer
sucht in der widerhallenden Höhle, wo Niemandes
Stummsein sich mischt mit Geknister von Rauschgold
und hustender, heiserer Dohle, Robben-Gelächter
weitspottend aus Zonen des Lichts und dergleichen mehr
verhallend in deinem Gehirn, betört und unbrauchbar.
Du horchst und legst auf. Du hast dein Erinnern
verwüstet für immer. Du hast dein Vergessen verloren.
*
Wovon die Rede ist, weil es fehlt oder umbringt.
Wovon der Geruch zurückbleibt, die Freude, der Hunger.
Was er runterschluckt, langsam, allein, weil es kalt macht
und vor die Hunde geht, grausamer als vergeblich
schön, bitter, unhaltbar: eine Frau natürlich.
Aber an jenem Morgen, ihre Leute und er
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaals hätten sie ein Bordell verlassen
und keine Rede von Frauen, kein Wort mehr von Liebe
(sie standen an der Bar vor den Spiegeln, wunschlos
und rauchend, in herrlicher Ruhe über den Gläsern).
*
Eine Nutte, und keine Schönheit; aber in Babylons
Schrott und Tanznacht lebte er besser
mit ihr als mit mancher strahlenden Diana
die mit ihm teilte, in anderen Ländern
Brot, Bett und Gelächter. „Und heute noch denk ich
beim Anblick verschiedener Frauen vor meinem Spiegel
(Häute und Lippen aus Rahm, Konfetti und Seide)
denk ich an ihr Gesicht aus Wein und Schweigen
an die unzerstörbare Leere ihrer Augen.“
*
Eine Frau, der nichts fehlt. Gelegentlich liebst du
ihre Augen aus Marmor und Kohle, wenngleich dir
nichts Passendes dazu einfällt. Du betrachtest
ihr gerechtes Profil in entsprechender Umgebung
du triffst sie zum Tee und spielst mit ihren Fingern.
Eine Frau, mit der man nicht schläft. Und du lässt sie
die Liebe zugrunderichten am eigenen Leib, du lässt sie
lachen, falls sie das kann, und du lässt sie kaputt gehn
in ihren Nächten, schön für sich selber. Und falls sie
weint – du lässt sie weinen und tröstest sie nicht.
*
„Es war eine andere Nacht, und ich kannte mich aus
auf ihren Lippen, in Augen voll Finsterwasser
und Augen voll Salz, ihre sterblichen Augen im Licht
eines Wintertags ohne Schnee, ich kannte mich aus
mit Haut und Haar und Nacht und verwunschenen Namen
doch die Jahre vergehn −.“
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaWer redet hier? Ein Clown
mit eingedrückter Schläfe? Ein nüchterner Baal?
Er ohne das Finsterwasser. Er ohne das Salz.
Er ohne den Zauber. Es ist eine andere Nacht −
*
Wo immer du bist: was von dir zurückbleibt
an den Plätzen der Liebe ist ein Bett das kalt wird
sind Rasierklingen in einem Schubfach, Schlüssel und Meersalz
Arom von Gin und Ysop und verregneten Haaren.
Wo immer du bist: Zigarettenkippen und Asche
und abermals Asche, die auffliegt in einem Husten
kalt über Nächten und Städten, gelöschten Namen
begraben alle in einem Schrei ohne Wortlaut.
Was übrig bleibt außer dir ist die Luft und der Abfall
und was übrig bleibt für dich ist ein Schlaf, wenn der Morgen
aufkommt lässig, meerhell- und spurlos geraubt wird
von einem Tag ohne Anschrift, wo immer du hintrittst.
Spuck aus. Pack ein. Zieh ab. „− und häufig: denk ich
an helle Kleider auf ungemachten Betten
an geöffnete Koffer und Fenster, Windstöße in Zimmern
um Stöckelschuh schleifendes Laub, eine weiße Gestalt
vor französischen Fenstern – Schönheit im Reisejackett
bereit zurückzulassen ein ganzes Leben
oder was dafür gilt, bevor der Atem sich einlässt
auf einen einzigen, unwiderruflichen Laut
der entreißt, zerreißt, was immer die Liebe festhielt.“
*
TIME WILL SAY NOTHING. Ich erkenne dich wieder
an der Zeit in deinem Gesicht, an verbrauchter Hoffnung
die manche Nacht in den Augen zurückließ. Haare
und Fingernägel sind schön im dreißigsten Jahr,
der Mund ist nicht billig zu haben, die Haut
wird allerhand kosten den nächsten, der dir hinstellt
Bett und Tisch. Und von alten Sommern zu sprechen
an einem Morgen im Winter, aufzuzählen
Namen von Squares und Hotels, Telefonnummern, Nächte
Meer und Himmel aus einer anderen Zeit: das ist
keine Gegenwart, wenn auch der Morgen hallt von Glocken
und Autobussen wie ehmals. Es ist ein Hotel
eine Nacht, ein Bett, ein Schlaf, ein Erwachen, es ist
dein Name (ein Name) mein Name (ein Name) es ist
deine Brust (eine Brust) dein Mund (ein paar fremde Lippen)
deine Haut voll Schlaf (ein Stoff für andere Hände)
es ist der Tag, an dem wir uns sterben sehn, sprachlos.
Unsre Augen kommen nicht wieder, die Schönheit zu kennen.
*
Landschaften, die sie durchfahren, gemeinsam und ohne
besondres Gepäck; an Wintertagen im Buick
auf steigenden Ebenen: Mexikos Horizonte
klar, und leuchtend, und raumlos, und unentrinnbar
der Staub und die Glocken, im Abend der Regenzeit
und weiß gebautes Gebirge im Wind, in der Luft.
(„Erinnerst du dich? Wir durchquerten den Kiesfluss
langsam umfuhren wir den toten Skunk auf der steinigen
Straße nach Zacatecas, Stadt des Staubs und der schmutzigen
Apotheken – und immerwieder zurück
an die Küste, immerwieder in irgendein altes
Encantanda-Hotel, das wir kannten
von früher her, aus einer bessren Beleuchtung –“)
Reisen, Fluchtwege endlos und ohne Halt.
Unerlöstheit, treibende, fliehende, friedlos.
Die Ziele sind schön, doch nicht notwendig zu erreichen
für herumgeschobenes Fleisch, das zweimal
heillos da ist. Dies ist die unmögliche Tour
durch Magnetfelder ohne Pol, nicht unterscheidbar
von Honigmond und Tourismus. Es ist eine Nacht
eine Nacht und nichts sonst, es ist eine seltsame Nacht
und was das Auge von draußen hereinträgt
ist Verlassenheit der Erde, und Abschied, und Fremdheit.
Es ist das Wort Nacht, von Anfang her, und in ihm
ist weder Besitz noch Ruhe. Der Traum ertappt sich
beim Kreisen mit frierenden Fingern in seiner Höhle
aus Staub und Azur. Wo im Dunkeln die Zähne
schimmern, fallen die Küsse hin, zerplatzend
auf harten Lippen. Es kommt keine Antwort irgend
zu ihnen, Gespräche beendend. Es ist ein Verzehren.
Es ist eine Nacht, unteilbar, und einzig.
*
Nichts ist von Bedeutung und nichts passiert ihm.
Aber ihr Gesicht, weiß hinter dem Kragen des schwarzen
Regenmantels, ist endlos zugrundegegangen
in seinem Gedächtnis. Ihr einziges, letztes
Gesicht schlägt Augen auf in seiner Nacht, Hekates
unversöhnliche Augen, hart, farblos und trocken.
Mit ihren Augen zieht er herum, durch die Zeit
durch Betäubung und Betten, ihr eines Gesicht
schlohweiß, untröstbar und hungrig, trägt er
durch alles Lachen, ihr ruheloses durch alle
die sind und sein werden: gottgleich, satt und beruhigt.
Im Buick durchfuhren sie Nacht. Durch Tiefland führte
die Straße zurück nach Babylon-City. Scheinwerferlicht
schob Gold in halboffene Wälder. An der Scheibe
zerklatschte der Rest des Sommers, Libellenflügel
und Totenkopf der Motte, Rotlaub in Wirbeln
aus Staub und Benzinqualm. Ihr Handschuh hielt Feuer
vor seinen Mund und er rauchte. Ihr Gesicht
fiel seitwärts in halbes Dunkel, und sie schlief.
Nichts ist von Bedeutung, aber er sah sie schlafen
mit ruhigem Atem, aber ihr Schlaf war sein Reichtum.
Ihr Schlaf neben ihm ist sein Alibi, in allen
Nächten, auf allen Straßen, sein Ausweis für Freude
sein Überfluss, sein Grundrecht, und unbeweisbar
sein Glück, zuständig für nichts als leidlose Ruhe.
Nichts ist von Bedeutung und nichts passiert ihm – aber
ihr letztes Gesicht und ein Kuss aus der Haut gerissen
während der Motor lief und die Autotür zuschlug.
Sprachlosigkeit. Über sie. Über ihn. Über alles.
*
Was ihn betrifft: er weiß Bescheid mit seiner Menschlichkeit.
Er fängt erst an zu reden, wenn die andern aufhörn.
Er tritt nicht hin und redet: Elend, Elend, aber
ich leb mich noch ein, ich arrangier mich
mit Kälte Falschglück Macht Rechtlosigkeit und Liebe.
Er ist nicht von der Sorte, die Zigarren rumreicht
und mit Weltbildern schachert.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaEr steht nicht im Wohlstand der Weisen.
Er kennt das Glück der andern bis auf Haut und Knochen,
setzt den Fuß zwischen Tür und Angel und macht sich
auf die Socken wenns nett wird auf der Party.
*
An kalten Abenden Schnee und Flutlicht, eisgrau
Tünche des Himmels, wenn nichts mehr zu leben da ist
und die Hoffnung im Stich lässt den,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaader ein Recht hat auf Hoffnung
und Aufruhr, Freude, Gelächter, Bejahung des Atems
an kalten Abenden, wenn Gasrauch der Städte
abzieht über Flüssen, die Licht und Gestein verschieben
und Erinnerung bunt wird über Sommertagen
und Namen von Ländern und Frauen, verschollenen Straßen
und Flugplätzen an der Küste, dunkel
an Wintertagen Hotels und Strände, wenn
das Gelächter verbraucht, der Tabak verbraucht ist
stehst du, Frost im Genick, auf BabyIons Brücken
und schüttelst ab Geduld und Gewähren, darunter
Verzicht auf Leben dich aushöhlt dein Lebtag
und die Liebe sich abmüht mit erfundenen Namen. Es ist
Zeit, den Schmerz zu zerschlagen, einzureißen
die Grenze des Zorns und fluten zu lassen Geheul
über das Verharren in Ohnmacht und falschem Erbarmen
und über dies Menschenbild: öffentlich, vollfett, blutleer
gewaltsam gemästet, käuflich, getäuscht und zerbrochen
und über dich selber, der einen Anfang macht, endlos
mit Hunger und Durst eines jeden Tages. Du setzt
deinen Wortschatz zusammen aus Nein und Niemals, Nein
und Niemals, während es immer kältere
Abende gibt und Entsetzen am Anfang der Zukunft.
*
Wo keine Ausflucht ist, bewegt sich sein Leben. Jenseits
von Traum und Zufall bildet sich sein Gesicht.
Nichts ist ihm vertrauter am Ende als Zeit, die sucht
in ihm nach Schlaf und verlorenen Knochen. Nacht
und Tag und was folgt, die Nacht und was folgt, der Tag
und was dazwischen liegt, Dunkel des Morgens und Dämmrung
Fledermauslicht und Abend im Fluten und Scheuern
der Winde von West, und Schnee, und senkrechter Regen
der auf Flusswasser steppt, wenn Schleppkähne winterlang
Wein und Kohle durch BabyIons Vorstädte ziehn.
Zeit und abermals Zeit schleift ihn ab, zerbeißt ihn
samt Schlaf und Knochen. Scharren hört er magnetisch
Zähne an seinem Geweb und Fels, das Ohr wird schon taub
und der Mund – er hat schon getrunken, er hat schon
geküsst und geschrien. Sein Auge – es hat schon die Sonne
gelöscht und verschlungen. Sein Fleisch – es hat schon
geliebt und Kleider zerrissen und Blut verschüttet
es hat schon Verwesung aufgenommen und ist schon
verbrannt von Fieber, es hat schon die Schöpfung verloren.
Und Schlaf – er hat schon geträumt, er hat schon geschlafen.
Und Tod – er hat schon gelebt, er steht schon im Sterben.
Die Nacht ist ihm gleich, und das Zwielicht des Morgens
fließt über sein Auge, das Dunkel der Abende, endlos.
*
Es ist der Wind auf den Brücken, der Qualm und die Kälte.
Es ist die Tiefe des Wassers, es ist die Dämmrung
die einreißt den Himmel und wegsinkt in Eisnacht
November und rußigen Regen. Es ist der frühe
Abend des Winters, es ist das Alleinsein mit fiebernden
Augen und lockeren Knochen, es sind die Bars und es ist
der Kognakrausch, das Schweigen, und BabyIons Leute
es ist das Sägmehl auf dem Boden der Bar, der Spucknapf
und das Blut im Spucknapf, es ist das Blut im Sägmehl
auf dem Boden der Bar, es ist der Schlagring, es ist
das Gelächter von BabyIons Leuten, das Geld, und der Hunger.
Es sind die Städte an öligen Flüssen, es ist
der Vogelflug über den Brücken, der Qualm, die Windnacht
und Wintergewitter vierteilend den Himmel, es ist
in Hunger zu viel und ein Obdach zu wenig, ein Leben
zu viel und ein Leben zu wenig, es ist die Kälte
der dröhnende Limbo, ein Sterben zu viel und ein Sterben
zu wenig. Es sind die Toten, die das Gedächtnis
aufnahm für eine Zeit, und es sind die Toten
die das Vergessen aufnahm für immer. Es ist
die Zeit und die Zeit danach und der Jubel am Ende
der lange Abschied, der Schlaf, und die tiefe Ruhe
Zorn über so viel und so wenig, und ist sein Leben.
*
Beginnender Morgen, erhabenes Licht, wenn es hell wird
in unserer Wohnung, die überall immer nach hinten
aaaaaaaaaaaaaarausgeht, auf Babylons Küsten und Horizonte
und auf irgendeinen Columbus-Square, immer denselben.
Wenn ein heilloser Schlaf von uns abfällt, wenn wir
die Frauen nach Hause bringen, von neuem allein
mit uns und unserer Revolte,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaVerneinung des Lichts und der Zukunft
allein ohne Jubel und Pathos, einverstanden
mit unserer Abwesenheit, mit unserer Erschöpfung, bereit
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaauszusteigen, zustimmend dem letzten
Ende aus Schlaf oder Rausch und Zerstörung des Atems
aber nicht gründlich genug, um zu sterben. Gegen Mittag
sehn wir uns wieder, unter Brüdern, und reden
von Vorteil, Nachteil, Gewohnheit, und dass es uns gut geht
von Welt und Glück und was übrig bleibt von der Erde,
was übrig bleibt von uns und woher wir das Leben
beziehn für Stimmen und Knochen und was uns bevorsteht
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaan einem Tag ohne Ausweg und Antwort.
Wir kennen uns und fragen nicht weiter, wovon hier
die Rede ist. Was nach uns lebt ist nicht Inhalt
unsrer Gespräche. Was nach uns zu Wort kommt, wird freudlos
in unsrer Asche stochern. Was nach uns sein Glück sucht
ist klüger nur um unsere Pleiten und ein paar
aaaaaaaaaaaahimmelschreiende Shanties aus unserer Musikbox.
Jahre der Unbrauchbarkeit und Jahre des Aufruhrs.
Jahre der Traumlosigkeit und der schnellen Zerstörung.
Nett sind wir alle und machen Geschäfte. Schön ist das Licht
eines Wintertags auf den Kanälen, gut schmeckt der Gin
am frühen Abend in einer Hotelbar. Schön ist, zu trinken
ohne Gespräch, und schön ist die Hoffnung der andern.
Schön ist die Zukunft von Ländern, die wir nicht kennen
noch jemals bewohnen. Aber wie leben wir hier −
aaaaaaaaohne Geduld und Gewissheit, erschöpft und verwundbar
unter Bonzen und Ledernacken. Nichts Sichtbares freut uns.
Der Zorn ist vollkommen und reicht für uns alle.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaSchön ist der frühe
Abend in einer Bar, doch wir ruhn uns nicht aus
in solcher Schönheit. Wir stiften nicht Schönheit noch Ruhe.
Der Aufruhr reicht für uns alle, und hilft uns nicht.
*
Dies ist sein Tag, und die Zeit gehört ihm, und die Nacht
bis er sie zerstört hat, rastloser Erbe der Hoffnung
Kind und Gevatter der Zukunft, Chef der Verwüstung.
Doch der Untergang lässt ihn im Stich, die Verwüstung zieht sich
noch etwas hin, und sein Hunger lebt weiter vom restlichen
Fett der geschlachteten Schöpfung. Sein vorletztes Lachen
hustet zurück in einen brüchigen Himmel (das letzte
flattert weg ohne Schall oder Schönheit). Er hat noch genug
er hat noch immer genug. Er hat noch die Macht
sich selber groß zu verkünden, und er hat noch den Witz
Kotau zu machen vor seinem Schlagring. Er kennt noch
den Schrei, seine Ohnmacht zu löschen mit Wut. Er hat
seinen Schlaf, seine Nahrung. Er hat noch die Zeit, einen letzten
halben Gott zu errichten aus seinem Abfall. Er steht
in der Schuld seiner Zeugung für immer. Das Ende verlangt ihm
sein Werkzeug ab, sein Gefolge, zuletzt das Gedächtnis.
Ihm bleibt noch Zeit, sich selbst zu verschlingen, restlos.
Geschrieben 1967-1984 in Berlin, New York, Texas, Ohio, Mexico, Israel, Paris, Suzette, Remuzat, Florenz, Bacchereto und wieder Berlin
− Zu Christoph Meckels Poem „Jasnandos Nachtlied“. −
Das Poem „Jasnandos Nachtlied“ von Christoph Meckel, bestehend aus 26 Gedichten, geschrieben zwischen 1967 und 1984 auf drei Kontinenten, ich würde es nicht empfehlen. Empfiehlt man einem, sich selbst, das eigne Entsetzen in dem eines Dichters wiederzufinden? Wollen wir es so groß, so verderblich, so unmissverständlich? Halten wir das aus? Gibt es nicht – ein Blick in die Landschaft – eine Menge niedlichen Denkens in Versen ringsum? Und das wollen wir doch, das lesen wir doch, das tritt uns aus den internationalen Lyrikkalendern, aus den wahrlich schönen Crux-Büchern aus all den mutigen Crux-Verlagen, aus den fragilen Papieren, welche mit Gedichten bedruckt werden, entgegen, ist es nicht so, clevere Gedichte, gekonnt Gemachtes. Doch dass sich einer der Nacht überantwortet und den Schrei formt? Dass einer die unaufgeräumten Zimmer des Tango verlässt, die Hand um den Messergriff legt, zusticht, das Messer in der eigenen Brust dreht, einsam im Auftakt, einsam in den Bars, einsam in den öden Gegenden in einem Gedicht-Buick, einsam auf der Party, einsam beim Beischlaf, wechselnd von Jamben auf Trochäen, wenn er hingeht und mit dem Blut des Flamenco schreibt, das sein babylonisches Wintermärchenblut ist? Biss der Hekate, Fußtritt Persephones, das Ganze ein Gebet an die Weiße Göttin. Man wird mir das ankreiden. Man wird sagen, ach der schon wieder, im hohen Ton noch höhere Töne fordernd… Da muss doch wenigstens ein Spaß dabei sein, ein Erkenntnisgewinn, das Lexikon der Aktualitäten muss doch mitsummen. Sonst will ich doch nichts vom Gedicht, als dass es klug und anregend mit gewissen, verlässlichen Paradoxien und Irrationalismen neben der Zeitung zu liegen kommt. Doch bitte nicht diesen dunklen Dunst aus Ich, der mich womöglich herausreißt aus dem flotten Alltagsgeschäft. Verse, die konsumierbar sind, sollten gebastelt sein aus frischer Theorie und nachvollziehbarem Zufall, gern auch den etwas feineren Urlaubs- und Hörsaal-Tritt an sich haben, vor oder nach der Anspannung aufgezeichnet, bewahre, nicht mittendrin, vom tomographischen Abbild des Schädels her durchdenkend ein Gefühl, wenn dramatisch, dann im Duktus der Sportnachrichten etc. pp.? Nö, sage ich, und abernö! Die Erfahrung, von der Rilke sprach, die dem Schreiben einer guten Zeile vorangeht, die ihre Zeit braucht, die einer sich nicht einfach so vom Baum pflücken kann, für die er leben und sterben und wieder leben muss, Tollhaus und Alltag und Kakerlaken auf der Lippe spüren und nach der Liebe weiterleben und nicht mehr auf Liebe hoffen…, hier hat sie einer aufgeschrieben. Nicht der erste, nicht der letzte. Aber einer der großen, einer, der eine Symphonie formen kann, wo anderen wieder einmal nur der Kloß im Hals stecken bleibt. Wir wissen nicht, ob der Dichter nur eine der Erfahrungen selbst gemacht hat. Wollen das auch gar nicht vermuten. Wir sehen ja, lesen ja, stimmen in dieses Entsetzen ein mit aller gebotenen Stummheit, mit aufklaffendem Maul, weil es das eigene Entsetzen ist, weil die eigenen, weil meine Unterwelten aufbrechen. Der das geschrieben hat, weiß auf eine Art Bescheid, die nur wenigen zuteil wird, er hat durchdacht, was andere dumpf durchleiden, und er hat das Leiden in Poesie verwandelt, ohne dass es ein Gran weniger Leiden wäre und so, dass es Poesie ist ohne Wenn und Aber. Wie hat er das gemacht? Ein Kollege mit weniger Mut, mit weniger Fähigkeit, immer wieder Spannung aufzubauen, hätte möglicherweise dem Narrativen mehr Raum gegeben. Im langen Gedicht ist das gut möglich, mehr als erlaubt der Übergang ins Epische. Meckel gibt davon nur Aspekte. Er nimmt seinen Leser mit an reale Orte, gleich anfangs nach New York und Landon, wenn er die Namen auch aufruft als die großer Städte schlechthin. Später geht es ganz real im Auto auf „Mexicos Horizonte“ zu. Doch auch hier ist das realistische Detail zum Allgemeinen umgeformt. Die Verschiebung entsteht einfach, durch den Plural, und schon wird aus dem Blick durch die Windschutzscheibe eine Metapher. (Dieses Stilmittel findet sich immer wieder.) Dass in der nachgestellten Notiz die Orte aufgezählt werden, an denen das Gedicht im Laufe der Jahre geschrieben wurde, verstärkt eher den Eindruck des Weltgedichts als dass es zu touristischem Nachvollziehen einlädt. Die Spuren des Autors changieren, verwischen sich durch die Vielfalt der Orte ebenso wie die seines Alter Egos im Gedicht. Und seine fiktiven bis archetypischen Locations bekommen zunehmend etwas von Brechts „Mahagonny“ oder von Gotham City. Bei Meckel sind es „Babylon City“ oder „Babylons Bar“, die ihren leicht zugänglichen Assoziationshof entfalten, sind es – wiederum an Brecht erinnernd – die „Squares und Hotels“. Es ist sogar ein Schuss Mickey Spillane darin, etwas vom Auftritt desillusionierter Menschen im Krimi („hard-boiled“), wenn Jasnando unter Huren an „Babylons Biertischen“ steht. Gängige atmosphärische Klischees aus dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert klingen an. Dass sie tragen, dass sie ohne Aufwand Atmosphäre evozieren, starke Bilder auslösen, darauf kann sich das Gedicht verlassen. Literatur-, Theater-, Kunst und Filmgeschichte sind mit uns. Tom Waits, „abgefuckt“ am Anfang von „Down by Law“. Gleich wird man ihn wegen der Leiche im Kofferraum verhaften. „Gelinkt“ ist auch der Held des Gedichts (hieß er nicht Jasnando? seltsamer Name), gelinkt allerdings von der Liebe, die wie ein „Habicht“ ist. Wir dürfen sogar an Hoppers „Night Hawks“ denken. Die Wahrheit jedenfalls ist schon am Anfang gestorben, um Wahrheit geht es nicht mehr, die ist „für den Kulturkreis“ (Benn) erledigt. Eine Trennungssituation oder noch eine, einen konkreten Anlass können wir vermuten oder einen anderen Auslöser – was geschieht nicht alles in Jahren, wie viele Stränge hat ein Leben, die den Motor des großen Gedichts antreiben? Die Frage ist interessanter, wie sich immer wieder Spannung herstellt, wo wir doch keiner Handlung folgen und wo doch die Theorie sagt (mit größter Autorität Edgar Allen Poe in „The Philosophy of Composition“), jenseits von einhundert Versen gehe dem Gedicht der Atem aus, da beginne dringend das Epische. Hier nicht. Was also hält uns bei der Stange, erregt den Herzschlag des Lesers über die Länge immer aufs Neue? – „Jasnandos Nachtlied“ (wagen wir es, den Namen als Programm zu deuten? Es ist ja nur einer der vielen Kunstnamen von Christoph Meckel – siehe ders. Die Kerle haben etwas an sich, Münchner Rede zur Poesie, 2007 −, vielleicht handelt es sich um eine latinisierende, hispanisierende Ableitung von gemeinslawisch „jasno“ = hell, in unserem Zusammenhang besser: klar; dann hieße der Protagonist, der Sprecher des Gedichts „der Klärende“ oder „der Klarsprechend“) gewinnt seine Spannung aus der Kraft immer neuer Auftritte, immer neuer „Anrufungen“, aus Stilmitteln der Tragödie: „Nein, von der Wahrheit weiß ich überhaupt nichts…“; „Ja, hier werd ich gelebt haben, spurlos, schnell…“; „Erschöpft von Furcht und Schweiß unablässigen Strebens…“; „Von Leben schmutzig, ausgebrannt von Zorn…“; „Was ihn betrifft: er weiß Bescheid mit seiner Menschlichkeit…“; „Dies ist sein Tag, und die Zeit gehört ihm, und die Nacht / bis er sie zerstört hat, rastloser Erbe der Hoffnung…“ – Klingt es nicht an die tragischen Helden der Antike, an die Verzweiflung Shakespeare’scher Figuren und an Zustände des Doktor Faust an? Und könnte man nicht an den Rat des Alten denken, der auf Zarathustras Abstieg vom Berge nur meint, der solle nicht zu den Menschen gehen, sondern zu den Tieren? Und staunt nicht Zarathustra, dass dieser heilige Alte noch nicht von Gottes Tod erfahren habe? Es sind Theatereffekte, dramatische Anrufungen, die uns mit ihrer Wucht aufschrecken und im Gedicht halten. Weichen wir dem nicht aus, lassen wir uns ein, wird eine Tiefe der Reflexion ausgelöst, ein Blick in den Spiegel gestattet, wie ihn nur große Kunst bietet.
Wenn du „Jasnandos Nachtlied“ liest, meinetwegen in der Nacht, meinetwegen einsam oder während du vor dem Frühstück sitzt und nichts anrührst, wann und wo auch immer – in diesem Hotelzimmer, Freundchen, da! −, allein oder während dein Geliebter oder deine Geliebte gerade im Bad ist und du dies hier auf dem Nachtkästchen zu liegen hast, diese verhängnisvolle Zeitschrift…, wenn du dies liest und nicht weglegen kannst, gehörst du ihm an. Dann gehörst du zu diesem Gedicht und der ihm eingeschriebenen Art des Lesens, die mit Vorsicht zu genießen ist. Denn mit ihr klafft die Türe auf, die Falltür, die große Absage, das allerfetteste Nein in der verführerischen Sprache dichterischer Affirmation, die einen solchen Zustand lustvoll macht. Wenn du also liest, was geschrieben steht, wirst du hellwach auf dem Loch, das unter dir wartet wie es schon immer gewartet hat, wie es mit der Schülerliebe unter deinem Leben justiert wurde oder schon vorher. Und das Loch saust hörbar unter deinem Hintern mit seinem Todessog. Schau vorsichtig nach, wenn da noch etwas grünt, ist es der Wermut. Sonst ragen nur die Krallen der Göttin, die von unten kommt, dir nach dem Geschlecht greift und im selben Nu dein Gesicht zeichnet, deine Maske, deine Persona. Es scheint dir der entsetzliche Mond. Es pisst dich der blaue Himmel an. Ich kann es nicht empfehlen.
Uwe Kolbe, März 2012
Die Texte wurden entnommen aus: die horen, Heft 246, Wallstein Verlag, 2. Quartal 2012
Hallo, evtl. kann mir ein mit Meckels Werk vertrauter weiterhelfen. Ich habe in den 80ern ein geniales Gedicht gelesen. Bin ziemlich sicher, dass es von Meckel stammt. Hatte auf Souterrain getippt. Nix. Habe Zeit darauf verwandt, es in seinem Werk wiederzufinden. Vergeblich. Könnt Ihr mir evtl. helfen?
Es schildert das Gefühl des Verlassenwordenseins aus der Perspektive des Verlassenen und endet auf “… und friere.”.
Ihnen Dank vorab und einen herzlichen Gruß,
Michael