Robert Creeley: Fenster

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Robert Creeley: Fenster

Creeley-Fenster

VERSEUCHT

Wenn aus der Welt eine Pest geworden ist,
eine Ansteckung, finster, unerklärlich,

wenn Männer, Frauen, Kinder
in keinem Sinn verstanden sterben, im

Nu für nichts mehr Zeit, ein
Einwärts-Stürzen, schmerzhaft, isoliert –

wie als ich Kind war die Aus-
sätzigen, allein, verstoßen, scheinbar so

fern, an der nächsten Ecke waren,
hinter versperrten Schuppen, geschloßnen Türen –

keiner sprach mit ihnen, keiner
hielt sie mehr, keiner wartete

was als nächstes geschah – wie
wir denken jetzt beginnt der neue

Tag, wie wir nach der schwachen Sonne schaun,
wie sie noch da sind, hoffen wir, und wir kommen.

 

 

 

How now

– Nachbemerkung des Übersetzers. – 

Robert Creeley ist immer ein Meister der Rhythmen und Klänge gewesen. Man kann den Ton verschlagen, wie den eines Gongs, wenn man beim Lesen, zumal beim Lautlesen, ohne das die Gedichte nur Partitur bleiben, den Punkt nicht trifft, von dem aus – und auf den hin – das Material sich entwickelt, und statt dessen nach syntaktischen Zusammenhängen gruppiert. Gewiß haben die frühen und mittleren Gedichte oft einen – episodischen – Anlaß, auch einen Witz, die die „Form“ als ein schieres Gestaltungsmittel erscheinen lassen mögen. Aber schon dort war das ganze Register hörbar, von der unteren Grenze des Dahingesprochenen, des Kolloquialen, bis zur oberen der Auflösung in Musik.
Die späten Gedichte, von denen hier eine Auswahl aus den letzten beiden Bänden, Windows (1991) und Echoes (1994), nach den Möglichkeiten des auf deutsch (allenfalls) Machbaren vorliegt, nähern sich vollends Klangereignissen. Der Bezug zu einem außerhalb dieser Gedichte liegenden Anlaß ist oft nur noch in Spurenelementen sichtbar, wie ferne Echos, wie eine begrabene Geschichte, von der vielleicht nur ein Wort, ein Ton unverloren blieben. Es sind Stimmen, von denen das dichtende Ich heimgesucht wird, längst vergangene und ganz nahe, Stimmen, die sich vermischen in der Gegenwärtigkeit des gedichteten Augenblicks. Die Sparsamkeit der Satzzeichen erlaubt oft den syntaktischen Anschluß an das Davor oder Danach, was in einer flexionslosen Sprache wie dem Englischen möglich ist, gibt dadurch den Versen ihr eigentümlich Schwebendes – wie Traumsequenzen Huschendes – und stellt den Übersetzer vor kaum lösbare Schwierigkeiten. In einer Spannung zu diesem Gleiten stehen die vielen Einsilber in den Zeilen, die oft ohne Artikel verwendeten Nomina, wodurch ein pochender, schwertoniger Herzrhythmus entsteht, in dem jede Silbe gleiches Gewicht erhält – auch dies ein Ritt über den Bodensee im Übergang von einer mono- zu einer polysyllabischen Sprache.
Creeley gebraucht keine privilegierten, sozusagen „lyrischen“ Wörter. Die Wörter kommen – kamen immer – aus der Alltagsrede, dem flüchtig, wie beiseite Gesagten und werden Poesie durch ihre Anordnung in der Zeile, durch den Zeilenbruch, durch den oft lang gezogenen Bogen auf einen Satzschluß zu. Gebraucht in diesem Sinne werden auch die auf den ersten Blick kaum poesieverdächtigen Abstrakta, weil sie ebenso zur gesprochenen Sprache gehören wie die Dinge und weil sie nicht weniger und nicht mehr Bewußtseinstatsachen sind wie die, denen man es nicht ohne weiteres ansieht, also wie Blume, Baum und Stein. Freilich verwendet das Englische solche Wörter müheloser als das Deutsche, weil es dort auf Grund der doppelten Herkunftsfamilie keine Fremdwörter gibt. Hier muß der Übersetzer sich etwas einfallen lassen, um den Duktus des Selbstverständlichen nicht zu stören. Denn diese Gedichte sind ja da – wie eine Landschaft, eine Jahreszeit, eine Melodie –, als wären sie immer schon dagewesen, und nur wir, wir sähen, fühlten, hörten sie zum erstenmal, verwundert, daß wir sie nicht längst kannten.
Das am häufigsten in diesen Gedichten gehörte Wort ist „Echo“. Es sind nicht nur die Stimmreste, die nach einem langen Leben im Ohr geblieben sind, es ist auch der Nachhall der großen Wörter, die einmal für die Welt galten („Liebe“, „ich“, „du“) und die in veränderter Tonart fortzusingen sind, bis sie gewesen sein werden. In anderem Sinne sind auch die Übersetzungen Echos – was bleibt, wenn die Entfernung von einer Sprache zur anderen zurückgelegt ist, was kommt, vielleicht, hinzu? Man übersetzt, so ähnlich hat Benjamin das gesehen, nicht für diejenigen, die der anderen Sprache nicht mächtig sind, sondern gerade für die, die es sind. Daß den Übersetzungen die Originale gegenübergestellt sind, dient auch nicht nur der Forderung der Überprüfbarkeit, dem Vergleich von Leinwand und Abbildung, Partitur und Klavierauszug. Die Gegenüberstellung soll zugleich die Fragen in Gang setzen, was, warum und wie etwas sich – manchmal auffällig – anders ausnimmt. Vielleicht bildet sich so, im Zwischenraum zwischen den Texten, etwas Drittes heraus, das von beiden, wie von Tangenten, nur berührt wird. 

Klaus Reichert, Nachwort

 

Was erwarten wir von einem Gedicht?

Alles, alles. Und was wird es uns bieten? Sich selbst, sein Leuchten, den Text.
Viel Zeit hat das Gedicht nicht. Nach ein paar Wörtern schon muß Welt da sein. Die ersten Takte, ein leichtes Schaukeln, schon zieht das Boot dahin. Eine Linie für den Horizont, die Farben der Tageszeit, als wäre alles ganz einfach.
Was es natürlich nicht ist. Aber es gehörte immer schon zu dem Wunderbaren an Robert Creeleys Gedichten, daß sie bisweilen so aussahen, als habe sie jemand einfach nur so dahergesagt, ganz mühelos, ganz selbstverständlich. Es ist die Evidenz der Eingebung, das Gefühl, daß sich die Sache, um die es geht, umstandsloser, knapper und direkter nicht sagen läßt.
Und weil es eine sinnliche Rede ist und ein immer ganz eigener Rhythmus, spürt man in Creeleys Gedichten jedesmal den Herzschlag, der immer dann entsteht, wenn Literatur Sprache und Erfahrung ist.
Klaus Reichert geht seit Jahrzehnten mit Creeleys Gedichten um, und viele haben nach der großen Anthologie von 1988 auf eine neue Auswahl gewartet. Hier ist sie.

Residenz Verlag, Klappentext, 1997

 

Beitrag zu diesem Buch:

Clemens Eich: Als hinge ein Echo in der Luft
Die Zeit, 12.12.1997

Wulf Segebrecht: Luftfracht für vier Wände
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.12.1997

 

REGEN

Es regnet, Robert Creeley
schrieb ein Gedicht, während
es regnet, übersetze ich:

Die Worte sind klar aber
zweifelhafter als die
Vogelstimmen, die laut

aus den Wiesen kommen –
Es ist vorbei und wir
wissen was in den Briefen steht,

die für morgen versprochen sind.
Das Gefühl ist ein klares
Fenster, nur die Umgebung

anhaltend trüb. In den ungewissen
Augenblicken danach, auf
dem leeren Kopfsteinpflaster, da

man im Echo höchstens
seinen Namen rufen hört, schnappen
wir uns die Kirschen, rot

aus den übervollen Zweigen, und
die Gefahr scheint gebannt, der
Schlaf willkommen.

Jan Volker Röhnert

 

 

Frauke Hamann: „Wörter, ihr seid immer bei mir“. Lesung von Robert Creeley am 30.1.1995 in Hamburg.

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + IMDbKLfG + PennSound +
MAPS 1, 2 & 3Internet Archive + Poets.org + Kalliope
Porträtgalerie
Nachrufe auf Robert Creeley: Tagesspiegel ✝︎ NZZ

 

Robert Creeley liest sein Gedicht „After Lorca“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00