KUNSTZIEL
Der Mensch
Ist das Maß aller Dinge,
sagt Protagoras.
Der Mensch,
Vom Weibe geboren,
Lebt nur kurze Zeit und ist
Voller Unruhe,
Steht
In der Schrift.
Allzuleicht
Könnte hier stehn
Die langwierige Frage: Was
Ist der Mensch?
Menschen,
Verbissen in Stalingrads Gräben,
Erstickt
In den Kellern von Dresden –
Ich seh sie:
Das letzte Stück Brot
Verteidigend gegen
Ihresgleichen.
In Liebe verbissen
In ein Weib, im Haß
Ihre Zähne schlagend in
Ihre Feinde,
Das Flugzeug erfindend,
Den Bruder zu töten,
Das Atom spaltend,
Sich auszurotten,
Das Mehl mahlend,
Ihresgleichen verhungern zu lassen.
Menschen.
Das sind sie,
Die ununterbrochen
Sich angreifen,
Die sich verzehren
In Liebe, Not, Angst,
Die sich flüchten
Im letzten Moment
In ihre Zuflucht:
In sich.
Sie sind das Ziel unsrer Wünsche,
Heiß
Spinnen sie ein
In ihre Grammatiken,
Formeln,
Den Schweiß: sich.
Daß sie am Morgen aufstehn
Nach schlecht durchschlafener Nacht
Und ihr Tagewerk fortsetzen:
Daß sie sich wecken
Nach schlecht durchschlafener Nacht und sich sagen:
Es ist Tag, Mensch!
Rüdiger Ziemann: Versuch poetischer Weltsicht
Neues Deutschland, 6.12.1967
Manfred Jendryschik: Zu Lande, zu Wasser
Sinn und Form, Heft 5, 1968
Richard A. Zipster: DDR-Literatur im Tauwetter Stellungnahmen
Jens Bisky: Vom Nichts begleitet
Süddeutsche Zeitung, 7.2.2005
Beatrix Langner: Schreiben im eigenen Schatten
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