LE MORTE DU TEMPS
Raum und Zeit
Dunkel der Anfang, dunkel auch das Ende,
Ein Doppelgänger ist es, sonderbar.
Im Ur des Jägers Kopf, Magie der Hände,
Falscher Bewegung Folge, katastrophenklar.
Und ein und aus und immer sind es beide
Wie Tag und Nacht gefangen im Dual,
Daß jeder an des andern Schicksal leide,
Sind sie ein Paar, gefesselt an die Zahl.
Sie gehen fort und jeder seinen Gang
Hindurch durch alle Muster, die es gibt,
Und lassen sich nicht los, den Weg entlang
Ganz gleich wie jeder haßt, wie jeder liebt.
Bis sie sich treffen endlichen Gesichts.
Sie löschen aus sich gegenseitig. Nichts.
− A.R. Penck schreibt Sonette. −
Der heute zwischen Dublin und Köln eilig weltreisende Maler A.R. Pneck ist nicht nur – was bereits sehr viel ist – ein beeindruckender Maler, sondern auch ein tatsächlicher Dichter – ein Urteil gesprochen ganz ohne Prominenten-Bonus und Augenzudrückerei.
In Gerhard Wolfs Verlag Janus press legt Penck – illustriert von eigener Hand – einen Band Sonette vor, die schlagkräftig reimend und ideenstark reflektierend in 31 Abteilungen ein Lied von der Erde anstimmen. Der Gesang hebt in den Urgründen an, um bald heutige Kopf- und Körperwelten zu beschreiben.
Penck dichtet so zupackend wie subtil. „Du bist die alte Kraft, der Erde, Feuer, / Du bist die Waffe selbst, mir lieb und teuer“, schickt er seinen lyrischen Doppelgänger auf die Bahn, der faustisch ausschreitet zwischen den Winkeln des Alltags und den Weiten des Kosmos. Am Ende findet er sich in einem „Land, das keinem andern gleicht“ – dies ist Penck-Land, ein Ort, wo sich Kunst und Leben tatkräftig vereinen.
ceg, Mitteldeutsche Zeitung, 22.12.1997
„Der Mensch ist lauwarm. Tod, der macht ihn kalt / Das bisschen Chaos in ihm wird nicht alt“ – A.R. Pencks Sonette sind handschriftlich und hemdsärmlig, meistens deutsch, manchmal englisch, selten reimt sich gar nichts, und immer besteht ein Penck-Sonett aus drei Vierzeilern und einem Zweizeiler. Und zu jedem gibt es eine Zeichung. Das Ganze hat seinen Charme, auch wenn Penck mitunter allzu hausbacken und holzschnitthaft daherreimt. Ein spät eintrudelnder Nachsendeantrag hin zur „Menschheitsdämmerung“: „Reif war diese Zeit für schrille Töne, / Für grunzen, meckern, schreien, quietschen, krachen.“
DMG, Basler Zeitung, 20.2.1998
A.R. Penck, geboren als Ralf Winkler 1939 in Dresden, gilt als einer der bedeutenden Bildhauer und Maler der Moderne. Penck, der sich nach Abrecht Penck nennt, einem Eiszeitenforscher des 19. Jahrhunderts, schreibt außerdem Gedichte, spielt Schlagzeug und Klavier. Die Vielseitigkeit seines künstlerischen Schaffens läßt eine Edition aus dem Verlag Gerhard Wolf Janus Press ahnen: 33 witzige und provokante, düstere und von unbändigem Lebenswillen bestimmte Zeichnungen und fast ebenso viele Sonette Pencks sind in einer achthundert Exemplare umfassenden Edition zusammengebracht.
Die Arbeiten des Malers sind von bekannter Eigenart, als Zeichen deutlich und doch verschlüsselt. Sie sind ansprechend auf den Aufschlagseiten in Szene gesetzt und hervorragend gedruckt, geben der Edition ihr Gesicht, geben ihr Gewicht. Eine Überraschung sind die Gedichte. Und dies nicht, weil ihre grafische Gestaltung so gut mit den Zeichnungen korrespondiert. Mit Versen wie
Ich hab’s geschafft, hab festes Land erreicht.
Die Wasserwelt vorbei. Ich steh am Strand.
Das ist das Land, das keinem andern gleicht,
so wie die Linien in meiner Hand…
spricht der Dichter vom immer neuen Erkunden menschlicher Pflicht und von Möglichkeiten des Seins. Deutlich, sehr unaufwendig und immer konkret bekennt er sich zu Veränderung und dialektischer Weltsicht.
… Reif war diese Zeit für schrille Töne,
Für grunzen, meckern, quietschen, krachen.
Reif für’s Gebrüll der wilden Höllensöhne,
Für’s Chaos, das uns machte, das wir machen…
(aus „Free Jazz“).
All dies ist Gegenwart, die bei dem Dichter A.R. Penck in der tradierten Form des Sonetts einherkommt, in sehr realer und dabei überhöhter Sprache Brücken zur Vergangenheit schlägt.
Ulrike Grohmer, Neues Deutschland, 6.3.1998
− Zu a.r. pencks Sonetten. −
Der heutzutage die Welt wiederzugeben trachtet, findet sich in ständigem Zwist mit ihr, ihr anheimgegeben, ausgeliefert und Schöpfer gleichermaßen inmitten unübersehbarer irdischer und kosmischer Konstellation zwischen Vergangenheit und Zukunft, hier in der sich widerstreitenden, janusköpfigen Gegenwart.
Vielleicht geht dieser Zwiespalt durch kein Werk so elementar, extensiv und empirisch, signifikant und paradox in einem großen Vollzug, wie durch das von penck, wenn er Leinwände bemalt, Figuren entwirft, Materialien martialisch bearbeitet, herkulisch seine nun weithin bekannten Zeichen setzt. Stand-art-Modelle, Strichmänner, archetypisch und sgraffitipopulär, wie der Mann, der mit nackten Sohlen auf brennendem Steg über den Abgrund geht, und man weiß nicht, ob er die rettende Klippe, das fremde Land, den anderen Erdteil wirklich erreicht. Das Dilemma dieser Zeit ins einleuchtende Bild gebracht, ganz einfache und gültige Chiffre für unsere Existenz.
Penck hat sich oft und freimütig über sein vielseitiges Tun und Denken ausgesprochen, hat unverblümte Texte, Verse, Romane geschrieben, bekenntnishaft und arabesk, vorbehaltlos und sophisticated wie sein rastloses Schaffen als Zeichner, Maler, Radierer, Lithograph, Bildhauer, Objektemacher, Musiker – und Poet dazu.
Von seinen Schriften haben es mir besonders seine ungewöhnlichen Sonette angetan, weil in ihnen – in vorgegebenem Rahmen – all seine diskrepanten Emotionen und Überlegungen, Ideen und Visionen aufeinandertreffen, wenn er sein doch immer über tradierte Formen und Maße ausuferndes Talent zwingt, sich einem klassischen Strophenkanon anzuvertrauen und waghalsig auszusetzen, manchmal selbst überrascht, was dabei alles geschieht. Will er sich auch bis aufs Silben- und Taktzählen im vorgeschriebenen Muster konzentrieren – bei ihm folgt wie beim Shakespeare-Sonett den drei Quartetten wie Paukenschlag das akzentuiert abschließende Duo – so provoziert es ihn doch ständig, aus den braven Metren, den Vers- und Reimbindungen auszubrechen, sie zu sprengen, Abstürze nicht zu scheuen und, wie es eben seine Art ist, über die Stränge zu schlagen; sich den Teufel um reine syntaktische Folgen der Verse und Reime zu scheren. Honni soit qui mal y pense. Penck hat sich manches dabei gedacht.
Neben Augenblicksmomenten auf europäischen und US-amerikanischen Schauplätzen, die er sinnlich frisch und sich erinnernd in Versen einfängt und festhält – sie treten zu Skizzen, die er mit dem Pinsel aufs Blatt wirft, in spannende Korrespondenz – spekuliert und reflektiert er angeregt über sein Leben und seine Kunst; gibt Einblicke in sein spontan-zupackendes, zwischen Realität und Abstraktion hin- und widerspielendes außergewöhnliches Talent, sich aus dem Chaos dieser Welt, dem er sich ausgesetzt sieht, immer erneut kreativ und schöpferisch zu befreien – ständiger Balanceakt eines genialen Künstlers.
Im Diskurs mit der Dichterin Elke Erb wird darüber lebhaft debattiert. Im Sonett über den Entwurf zu einer seiner vieldeutigen Gestalten gerät er unmittelbar in mythologisch-philosophische Bereiche. Das vielarmige, vielbeinige Monster ohne das den Körper beherrschende Haupt – wie es die Skizze nachzeichnet – wurde als große Skulptur bisher nicht realisiert; sie existiert nur als vorläufiges kleinformatiges Bronzemodell. Die ungestaltete, zerklüftete Figur erinnerte mich an Ernst Blochs Parabel vom Kyklopen, aus dessen Haft sich die Gefangenen Menschen zu befreien suchten, indem sie dem tierischen Ungeheuer ein menschliches Gehirn einoperierten, dem Polyphem humanes Fühlen und Denken einzupflanzen. Das Experiment mißlingt, der geistlose Körper bemächtigt sich wieder des Kopfes, die Ungestalt triumphiert.
Bloch nannte seine Parabel mit politischem Aspekt Ein russisches Märchen?, und setzte dazu das Fragezeichen. Pencks künstlerisches Projekt einer Skulptur läßt über naheliegende, historische Paradigmen hinaus über den ewigen Zwiespalt von Kopf und Körper, Mensch und Tier, Geist und Materie, menschliches Schöpfertum und golemhaften Zerstörungswillen nachgrübeln. Darstellung von einem Wesen
Wenn es von Zeit zu Zeit zum Himmel schreit,
Fühlt jeder seine Unvollkommenheit.
Pencks Sonette wollen im Kontext mit ihren Zeichnungen mit solchen Blicken und Assoziationen erfaßt werden. Sonette eines ungestümen Dichters, der Formen wie Gefäße benutzt, sie zu handhaben, sie aufzubrechen, weil sich in seiner Kunst Leben nicht in logischen Regeln und Maßen erschöpft.
Gerhard Wolf, 1997 aus: Peter Böthig (Hrsg.): Die Poesie hat immer recht, Janus press, 1998
ZEICHNUNG VON PENCK
Ach aus Dresden, meines Freundes
Irre Krakelzeichnung. Soll ich etwa
Längst gelöste Rätsel lösen?
Seht den Bösen! Seht den Guten:
Ja, er nennt den Bösen böse
Und das macht den Bösen böse
Sind die Mörder nun die Opfer?
Gibt es nicht mehr falsch und richtig?
Ist die höhere Wahrheit Lüge?
Gibts kein Oben? gar kein Unten?
Sollen wir die Feigheit wagen?
Soll ich Nein und Amen sagen
Ist vor lauter Kompliziertheit
Jedes klare Wort gevierteilt?
Sind hier noch die Mörder Mörder?
Sind geworfne Steine Steine?
Ratten Ratten? Deutsche Deutsche?
Wein ich, wenn ich weine?
Wolf Biermann
Thomas Claus: Er nannte sich Y – Der unbekannte A.R. Penck
Gespräch Martin Rögener mit A.R. Penck – „Wenn ich nicht wär, wär die DDR längst leer.“
Lukas Lessing interviewt A.R. Penck – „Für mich war die Stasi nicht nur negativ“
Asteris Kutulas interviewt Wolfgang Opitz zu Ralf Winkler alias A.R. Penck und zur dresdner Künstlergruppe Lücke.
es wird auf der Frankfurter Buchmesse 1991 gewesen sein. Penck kam völlig verzückt an den stand des Druckhaus Galrev, am gürtel eine geflochtene messerscheide, in der hand ein messer mit verziertem griff und ein stöckchen, an dem er wild herum schnitzte. er hatte das messer vor den messehallen einem kolumbianischem oder bolivianischem indio abgekauft. Penck hatte keinen blick für irgendeine der neuerscheinungen oder überhaupt für literatur. mit einer kindlichen begeisterung zeigte er jedem homme de lettres sein neues messer und war völlig fixiert. diese reine und kindliche freude eines erwachsenen, und dazu noch wohlhabenden erwachsenen, ist mir unvergesslich. plakat oder nicht, Penck war ein guter.
Henryk Gericke auf Facebook