DICHTUNG UND WÜSTE
– Vorwort zum ersten Band einer „Anthologie der arabischen Dichtung“. –
I.
Diese Anthologie der arabischen Dichtung erteilt Antworten auf Fragen, die ich mir gestellt habe und die ich mir immer noch zur Situation der Dichtung stelle. Als ich sie erarbeitete, war mein Vorsatz nicht, eine gelehrte Arbeit vorzulegen oder gar eine literaturhistorische Sichtung vorzunehmen. Ich bin wie ein Dichter vorgegangen; Ausgangspunkt war meine Überzeugung, daß diese Dichtung von beachtlicher Wichtigkeit ist, wenn sie heute auch verkannt wird. Selbst wenn anerkannt ist, daß die poetische Macht die erste schöpferische Kraft des Arabischen darstellt und daß es äußerst schwierig ist, die extreme Mannigfaltigkeit, den Überfluß und den Reichtum des Vermächtnisses unserer Vorfahren zu überblicken, enthielt bis heute unsere poetische Bibliothek keine Anthologie, die unter wirklich neuen Gesichtspunkten zusammengestellt worden wäre.
Um lebendig zu bleiben, muß die arabische Dichtung wie auch jede andere Poesie der Welt immer wieder im Lichte der Gegenwart neu bewertet werden. Das Vakuum, das diese Anthologie ausfüllen möchte, indem sie eine allgemeine Auswahl aller arabischen Dichtkunst vorlegt, betrifft nicht nur die Quellen dieser Poesie; es handelt sich vor allem um ein künstlerisches Vakuum. Diese Anthologie ist der erste Versuch einer Neubewertung der Vergangenheit unter heutigen Gesichtspunkten. Alles, was auf diesem Gebiet bisher vorgelegt wurde, waren – mit Ausnahme von zwei Bänden des Abu Tammam mit dem Titel „Enthusiasmus“ – nichts anderes als traditionelle „Sammlungen“, die der Gewohnheit und dem Geschmack der Zeit zugeeignet waren. Die vorliegende Arbeit erhebt nicht etwa den Anspruch, definitiv zu sein, ganz im Gegenteil sollte sie zu anderen Versuchen gleicher Art anregen, die mit der gleichen Ambition, aber unter anderen Gesichtspunkten unternommen werden müßten. Die Neubetrachtung der Vergangenheit ist in dieser Zwischenepoche, in der unsere Poesie sich zwischen den antiken und den modernen Werten zögerlich verhält – ebenso übrigens wie zwischen der natürlichen Schönheit und der, die eine Schöpfung des Menschen ist –, von großer Dringlichkeit.
Diese Dringlichkeit, ein solches Forschungsprogramm in Bewegung zu setzen, hat auch mit der Notwendigkeit zu tun, die Poesie bei den Arabern wieder in ihre Rolle als fundamentalen, schöpferischen Impuls einzusetzen. Tatsächlich wird die Wichtigkeit der Poesie in deren Leben immer geringer, sie ist heute nicht mehr auf der Höhe der Mission, die sie in unserer Gesellschaft eigentlich zu erfüllen hat. Welches auch immer die Gründe hierfür sein mögen, ob sie nun politisch oder religiös sind oder aber mit der historischen Epoche zu tun haben, die wir gerade durchschreiten, sie dürfen uns nicht davon abhalten, diese zu erkennen und zu studieren versuchen, um dann ein Mittel ihrer Überwindung zu finden.
Das Museum eines „Kulturerbes“, das wir hier vorlegen, soll vor allem unsere tiefe Überzeugung bestärken: daß wir an die Notwendigkeit der Veränderung und an die Geburt neuer Werte glauben. Es soll auch erlauben, die zu überholen, die sich nur an das Erbe halten, um es voller Ergebenheit zu imitieren, indem sie unablässig die alten Werte wiederkäuen, ohne irgend etwas authentisch Neues zu produzieren.
Diese Anthologie wird insbesondere nachweisen, daß die arabische Poesie sich nicht etwa vollständig durch den Prozeß des Versbaus definiert, sondern daß das Wichtigste immer noch ist, sich den Launen und der Freude am Talent zu überlassen und die Freiheit, die eigene Erfahrung, in Anspruch zu nehmen, um die Form zu erwählen, die ihr entspricht – abseits jeden Zwanges und Vorurteils. Die Dichtung ist eine Kraft, eine Bewegung, man darf ihr vor allem kein feststehendes Maß zuteilen.
Auf der anderen Seite hat eine lange Tradition die literarische Sensibilität der Araber halbwegs korrumpiert und ihren Entwurf der Poesie entstellt. Diese Tradition ist der Kampf um die Macht, die Vorstellung vom Staat und allem, was in der arabischen Welt damit zusammenhängt. Sie mißt die Poesie mit einer doktrinären Elle, an der Übereinstimmung mit den Prinzipien der Religion und an der Wirksamkeit im Dienste der Macht. Diese Form der Beurteilung wiederholt sich durch die Generationen und bestimmt auch heute noch in hohem Maße die Einschätzung der Autoren der Vergangenheit. Die vorliegende Anthologie ist auch der Versuch, den heutigen Leser ohne Zwischenglied die Schönheit der eigentlichen Poesie entdecken zu lassen, womit diejenige Dichtkunst gemeint ist, welche die großen arabischen Dichter erprobt haben, und zwar außerhalb aller Einflüsse, die etwa die religiösen Autoritäten, der Kalif oder Stamm, ausgeübt haben könnten. Sie wird den Beweis erbringen, daß die arabische Dichtung keine Poesie ist, die ein Echo auf äußere Umstände darstellt oder sich didaktischen Zwängen unterwirft, und daß das angemessene Kriterium, ein Gedicht einzuschätzen, nicht sein doktrinärer Inhalt ist und es auch nicht unter politischem Blickwinkel zu beurteilen ist. Diese Anthologie enthält eine Poesie, die keinerlei System dient, keinerlei Doktrin und keinem Staat, überhaupt keiner Person, die nur unseren wahren poetischen Ruhm darstellt.
Aus vielen Gründen treibt es mich, zur Auferstehung unserer Poesie beizutragen. Die einen wie die anderen, ob sie nun Traditionalisten sind oder zum gegenteiligen Lager gehören, kennen diese Poesie nur ungenügend. Was wir mit Renaissance, der „Nahdah“, bezeichnen, die auf eine lange Zeit von tausend Jahren sogenannter „Dekadenz“ folgte, hat nichts anderes getan als eine rigorose Imitation der Modelle aus dem Erbe vorzunehmen. Diese Imitation hatte mit dem Geist dieser Modelle nichts zu tun – dagegen wäre ja nichts einzuwenden gewesen –, sondern nur mit ihrer Form, und selbst dieser Aspekt der Form wurde lediglich von linguistischem Standpunkt aus betrachtet. Aus diesem Grunde ist die „Renaissance“ des XIX. Jahrhunderts, wenn man sie überhaupt so bezeichnen will, nichts als eine Wiedereinführung der Ausdrucksmittel antiker Sprache. Es war normal, daß diese Bewegung zur gleichen Zeit die literarischen Vorbilder wiedererweckte, die früher von der Ausdruckskraft der Sprache und ihrer Authentizität zeugten. Aber diese Wiedereinführung ist nicht vom Genius der arabischen Sprache durchdrungen. Ihre Betrachtungsweise konzentriert sich auf Syntax und Morphologie und nicht auf poetischen und schöpferischen Inhalt. Deswegen hat sie den Geist der Sprache überhaupt nicht begriffen.
Die arabische Sprache ist eine Sprache der Ausstrahlung und der Explosion. Sie ist nicht die Sprache der Logik oder des rationalen Zusammenhangs, sondern eine Sprache, in der die Erleuchtung des Bewußtseins vorherrscht – eine ins Menschliche ausgedehnte Magie der Geheimnisse, die der Natur innewohnen. In jedem großen arabischen Gedicht existiert noch ein zweites Gedicht, welches die Sprache selbst ist. In dieser magischen und rituellen Sprache und nicht in der Sprache der Syntax und der Morphologie hat der arabische Dichter gedacht. Dieses Denken ist die Frucht des Gefühls, das der arabische Dichter der Beängstigung und der fortschreitenden Vernichtung der Welt gegenüber empfindet, die ihn umgibt. So läßt er die Sprache ihren Weg nehmen und diese Welt wiederaufbauen und zerstören, wie es ihr gefällt. Das erste und wirkliche Wesen ist die Sprache und nicht die Welt; in ihr ergibt sich das Wesen, nicht in den Dingen. Daher kommt es, daß die Sprache für den Jahiliten1 im besonderen eine blendende Magie darstellt und für den Araber im allgemeinen eine Gabe Gottes ist.
Daß es der sogenannten „Renaissance“ unmöglich sein mußte, zu unterscheiden zwischen dem, was erhaltenswert war und was nicht, lag unter anderem daran, daß sie eine rein formale Konzeption hatte, die authentisches Schöpfertum ausschloß, ebenso wie ihr die wahre Realität des poetischen Erbes entgehen mußte. Diese Renaissance hat von unserem poetischen und literarischen Erbe lediglich Werke zu erhalten versucht, die auf der einen Seite traditionelle Weisheit vermittelten oder aber erzieherischen Charakter hatten bzw. Politisches enthielten, auf der anderen Seite auch solche, die entweder lobenden Charakters oder von satirischer Art waren. Negiert wurden Werke, in denen die Persönlichkeiten der Dichter hervortraten, ihre Erfahrungen, deren jede individuell und unersetzbar war, um Werke vorzuziehen, die sich den Gewohnheiten der Gesellschaft unterwarfen, die ihre Traditionen und ihren Konformismus zeigten – Hervorbringungen, die untauglich waren, zu einer Wiedergeburt der arabischen Dichtung in der Gegenwart beizutragen.
Mit einer so schlechten Auswahl von Augen muß man der Jugend, der heranwachsenden Generation, verzeihen, wenn sie uns vorwirft die arabische Dichtung sei platt und monoton sei unfähig zu ergreifen oder zu bewegen, geschweige denn zutiefst umzuwälzen. Sie wurde ihnen ja wie ein festgelegtes Repertoire oder Vokabular beigebracht, wie eine Gruppe von Themata, in traditionellem Versmaß und mit unbeweglichen Regeln; so ist es unvermeidlich, daß sie ihnen trocken und von weither, um nicht zu sagen, ohne jeden künstlerischen Wert erscheint. Diese Klagen über die arabische Dichtung sind schon Allgemeingut geworden und haben ein solches Ausmaß erreicht daß diese nicht mehr gelesen wird, weil man sie als eine tote Sache betrachtet, auf die man besser nicht mehr zurückkommt.
Auch die Kritik hat dazu beigetragen, diese Ablehnung oder Gleichgültigkeit zu verstärken. Sie hat sich nur zu oft damit zufrieden gegeben, sich den Regeln der vorgestrigen Kritik zu unterwerfen und deren Urteile zu kopieren, die sich vor allem mit der Form der Dichtung befaßten, mit Gestalt und Maß, ohne jemals eine vertiefte Untersuchung dessen vorzunehmen, was das Leben mit einem Gedicht gemacht hatte, ohne Hintergründe zu erforschen. Auf diese Weise beginnt die wirkliche Renaissance der arabischen Dichtung erst in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts. Erst zu dieser Zeit begannen die Schriftsteller, Denker und Dichter zu versuchen, ihre Zeit zu verstehen, unser Erbe im Lichte der radikalen Veränderung poetischer Sensibilität im XX. Jahrhundert zu untersuchen und so die alten Regeln und Werte einem kritischen Blick zu unterwerfen, sprich: in Frage zu stellen.
Als Adonis nach einer schweren Haftzeit 1956 nach Beirut kam, war die erste Nummer der Zeitschrift Shi’r; der bedeutendsten Literaturzeitschrift in der arabischen Kultur der Gegenwart, gerade in Druck. In dieser Publikation sollte Adonis später neben Yusuf al-Khal (1917–1988), dem Gründer und Inhaber des Periodikums, eine zentrale Rolle spielen.
Im Schlußteil jenes ersten Heftes war in kleinen Lettern folgende Notiz zu lesen:
Dieser junge Dichter [Adonis] bildet nicht nur die Vorhut einer neuen Generation, sondern er ist eine dichterische Kapazität, die, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, imstande ist, zu Weltniveau aufzusteigen (Shi’r, Nr. 1, 1957).
Das war nicht der erste und sollte auch nicht der letzte Hinweis auf die Bedeutung von Adonis als Dichter sein. Der hier zitierte ragt deswegen heraus, weil er von der Redaktion von Shi’r kam, womöglich von Yusuf al-Khal selbst, der in Adonis vielleicht eine Art Double oder Alter ego sah.
Ali Ahmed Said Asber, so Adonis vollständiger bürgerlicher Name, ist 1930 in dem Dorf Qasabin in der Nähe der westsyrischen Hafenstadt Latekia geboren. Lesen und Schreiben lernte er bei seinem Vater, auf den auch seine Liebe zur Poesie und Literatur zurückgeht. Als Adonis vierzehn Jahre alt war – er hatte bereits früh mit dem Gedichtschreiben begonnen –, besuchte der damalige syrische Präsident Schukri al-Quwatli (1891–1969) den Nordwesten des Landes. Der kleine Ali Ahmed Said legte barfuß und in Lumpen eine weite Strecke zurück, um in Gegenwart des Präsidenten ein Gedicht vorzutragen. Obwohl die Beamten ihn daran zu hindern suchten, bekam er tatsächlich Gelegenheit, seinen Text aufzusagen. Daraufhin rief der Präsident ihn zu sich und fragte ihn, was er sich wünsche. Der Junge wollte nur eines: die Schule besuchen. Dieser Wunsch wurde erfüllt.
Später studierte Adonis dann an der Universität Damaskus Philosophie und war in den Reihen der Partie Populaire Syrien politisch aktiv. Er begann, seine Gedichte unter einem Pseudonym zu veröffentlichen: Der Name „Adonis“ ist phönizischen Ursprungs und geht auf das Wort „Adon“ zurück, das „Herr“ bedeutet. Der Dichter blieb bei diesem Pseudonym. Danach ließ er sich in Beirut nieder und heiratete seine Studienkollegin Khalida Saleh, die heute eine angesehene Literaturkritikerin ist. Einige Jahre später nahmen beide die libanesische Staatsbürgerschaft an.
Adonis’ Weg als Autor kann mit Fug und Recht als umstritten bezeichnet werden, und das war er von Beginn an. Dieser Autor hat der arabischen Poesie zu grundlegenden Neuerungen verholfen, was den irakischen Dichter Badr Shakir as-Sayyab (1926–1964) in einem Brief zu der Feststellung veranlaßte, Adonis sei „wahrhaft ein großer Dichter“.
Sein Wirken begann mit der erwähnten Zeitschrift Shi’r, es umfaßt einzigartige dichterische Werke, ferner Übersetzungen französischer Poesie, und zudem initiierte er eine neue Sichtweise in Bezug auf die arabischen kulturellen Überlieferungen, die in zwei Standardwerken niedergelegt ist: Anthologie der arabischen Poesie (3 Bände, 1964–1968) und Das Statische und das Dynamische (4 Bände, 1974–1978). Die Einleitung zur Anthologie gilt heute als grundlegend zum Verständnis der arabischen Dichtung, vor allem, wenn man sie im Zusammenhang mit den theoretischen Texten in Das Statische und das Dynamische sieht. Hinzu kommen Interpretationen alter arabischer Texte, ausgewählter Prosa und Lyrik aus der Feder bedeutender Intellektueller der arabischen Renaissance, die er zusammen mit seiner Frau herausgegeben hat.
Adonis wurzelt zum einen tief in der arabischen Welt, eine Beziehung, die auf der genauen Kenntnis dieser Welt beruht. Damit ist nicht nur das Wissen um das arabische Kulturerbe gemeint, sondern auch die Kenntnis all dessen, was ihr historisch vorausging. Andererseits aber unterhält Adonis enge geistige Verbindungen zur übrigen Welt.
1968 begann der Dichter mit der Herausgabe der Zeitschrift Mawaqif, einem Blatt, das sich für Ausdrucksfreiheit, Kreativität und Veränderung einsetzte. Es erschien von einigen durch den libanesischen Bürgerkrieg bedingten Unterbrechungen abgesehen bis vor wenigen Jahren.
Vor allem zu Beginn spielte Mawaqif eine zentrale Rolle in der arabischen Kultur. Die Zeitschrift war für die gesamte arabischsprachige Welt eine Art Sprachrohr der literarischen und kulturellen Revolte, ja des politischen Anarchismus. Auch in Bezug auf den kreativen Inhalt und die Popularität der Publikation zählt diese Anfangszeit zu ihren goldenen Jahren. Trotz aller Verbote, die über sie verhängt wurden, fand sie den Weg in die meisten arabischen Länder.
Der früheste bekannt gewordene Gedichtband, der von Adonis erschienen ist, trägt den Titel Erste Gedichte und wurde 1957 publiziert. Es handelt sich um eine Auswahl älterer Texte, die in zwei getrennten Bänden veröffentlicht wurden und denen neue Gedichte beigefügt waren. Diese Sammlung und die nachfolgenden dokumentieren die Bedeutung von Adonis’ dichterischen Anfängen, sie sind ein Beweis seiner künstlerischen Reife und Zeugnisse seines Ruhms.
Charakteristisch ist die Knappheit der Texte, ihre Dichte, die Konzentration auf Bilder, nicht zu reden von der Schönheit der Sprache und des Rhythmus. Und nur selten gab es damals einen Dichter, der Adonis’ Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion besaß. Letzteres trug wesentlich zum Bekanntwerden des Dichters im arabischen Sprachraum bei, nachdem er zuvor nur in bestimmten syrischen und libanesischen Kreisen auf sich aufmerksam gemacht hatte, insbesondere im politischen Milieu, was mit seinen Kontakten zur Partie Populaire Syrien zusammenhing. Später brach er übrigens mit dieser politischen Organisation.
Adonis’ Interesse an der Mystik, seine gründliche Kenntnis der arabischen Poesie, seine frühe Beschäftigung mit den Werken Baudelaires und Rilkes sowie sein Paris-Aufenthalt Anfang der 60er Jahre – all das spielte bei der Sensibilisierung und Entwicklung seines dichterischen Geschmacks eine Rolle, zumal in einer Zeit, in der im arabischen Raum ein literarisches Klima herrschte, in dem Authentizität gar nicht möglich war.
Der größte Teil der arabischsprachigen Poesie jener Zeit ist simple, durch das Metrum geformte Allerweltssprache, die stilistisch schwach und deren Botschaft eine propagandistische und damit ephemere ist.
Adonis’ Beherrschung des klassischen Arabisch gestattete es ihm, nicht nur Texte zu schreiben, die zahllose Leser fasziniert haben, sondern auch, die alte und die neue Poesie mit ganz anderen Augen zu sehen, neue Sichtweisen anzubieten, die als wichtige Grundlage für alle späteren Neudeutungen gelten dürfen.
Adonis’ Altersgenossen brachten nur einen schwachen Abklatsch dieser neuen Sichtweisen zustande oder reagierten lediglich auf sie. Jüngere hingegen sahen in ihnen einen Schritt nach vorn, der es wert war, bedacht zu werden.
Adonis neue Art, die Dinge zu sehen, gab zu zahllosen Diskussionen Anlaß und provozierte heftige Attacken auf ihn, um die ihn wohl niemand beneidet. Nicht nur zweifelten manche an seinen dichterischen Fähigkeiten, auch seine literaturtheoretischen Abhandlungen gerieten ins Feuer der Kritik. Keiner seiner Widersacher war jedoch zu einer ernstzunehmenden Antwort auf seine Theorien imstande.
Die meisten Angriffe waren bloße von ideologischer Blindheit bestimmte Hetze oder Parteigeschrei. Eine andere Gruppe von Kritikern spielte die Karte der religiösen Spaltung, indem sie auf Adonis’ Zugehörigkeit zum alawitischen Glauben abhob. Da jede seriöse Kritik seiner Publikationen ausblieb, kam ein wirklicher Dialog eigentlich nie zustande – ein Phänomen, dessen Folgen zur Genüge bekannt sind.
In einer seiner wöchentlichen Kolumnen in der arabischen Tageszeitung al-Hayat hat Adonis den Zustand der gegenwärtigen arabischen Kultur mit den Worten Ezra Pounds beschrieben, der einmal bemerkte:
Es gibt drei Sorgen, die alle Menschen gemeinsam bewegen: Geld, Sex und die Zukunft.
„Diese Sorgen“, so Adonis Kommentar zu Pounds Satz, „bewegen auch die Araber, außer der letzten. Nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit treibt die Araber um.“ Hier deutet Adonis auf den wunden Punkt, an dem sich die heutige Krise der arabischen Kultur festmachen läßt, eine Krise, die der Dichter hautnah erlebt hat und immer noch erlebt.
Khalid Al-Maaly, die horen, Heft 198, 1. Quartal 1998
Reportage von Axel Reitel: Wer war Siegfried Heinrichs?
Dichter Adonis wird 80
n-tv.de, 1.1.2010
Adonis: Syrischer Dichter feiert 80. Geburtstag
sarsura-syrien.de, 31.12.2010
Tilman Krause: Dichter Arabiens: Adonis wird 80 Jahre alt
Die Welt, 31.12.2009
Stefan Weidner: Ewige Wiederkehr
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.1.2020
Adonis liest seine Gedichte auf dem Prager Schriftstellerfestival 2009.
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