NORDEN
Auf der Landkarte ein weißer Fleck
ganz und gar durchleuchtet und darum unsichtbar.
Die Bewegung des Schattens suchte der Mensch
schon in uralten Märchen schwarz glänzte am meisten.
Das helle nordische Auge wird nicht aufgeschlagen
lieber schaut man dorthin, wo es ständig blinzelt.
Mehr als leer ist das Speicherzimmer
bei dessen Licht man vergessen hat, daß es noch brennt.
In der Ödnis bewegt sich nichts, nur des Lichtes Königswasser
schwer und reglos von Horizont zu Horizont.
Übermäßiges Lichtei das ein arktischer Vogel legte
und das unbebrütet blieb.
Langsam fault es
wird zu glanzloser Dunkelheit, die sich auch nicht bewegt.
zu denken, daß der Schriftsteller ein Prophet sein sollte. Für mich persönlich bedeutet der Mensch am meisten, die Psyche des Menschen. Das Verhalten des Menschen interessiert mich unendlich. Der Dichter gibt sein Gedicht – sich selbst – durch die Aussage darüber, wie die Menschen sich betragen.
Aila Meriluoto in einem Interview
Die finnische Schriftstellerin Aila Meriluoto wurde 1924 in Pieksämäki (Mittelfinnland) geboren. Nach eigenen Angaben schrieb sie mit fünf Jahren ihre ersten Gedichte. Bereits 1943 war sie in der Anthologie Nuoret runoilijat (junge Dichter) vertreten. Nur drei Jahre später wurde sie mit dem vom Verlag Werner Söderström QY ausgeschriebenen Preis für die beste Gedichtsammlung ausgezeichnet. Ihr Gedichtband Lasimaalaus (Glasmalerei) von 1946 war eine Sensation. Plötzlich war Aila Meriluoto eine Dichterin. In Kollegenkreisen wurde sie gerühmt. Und mit ihren zweiundzwanzig Jahren genoß sie diesen Zustand. Es folgte 1952 der Gedichtband Sairas tyttö tanssii (Krankes Mädchen tanzt); 1958 in Pahat unet (Böse Träume) machten sich stilistische Veränderungen bemerkbar. Der Endreim ist kaum mehr anzutreffen. Aila Meriluoto hatte sich inzwischen mit der Lyrik ihrer Zeitgenossen auseinandergesetzt. Natürlich gab es inzwischen andere etablierte Schriftsteller wie um nur einige Namen zu nennen, Sirkka Selja (*1920), Eila Kivikkaho (*1921), Anja Vammelvuo (*1921) und Eeva Liisa Manner (*1921). Auffällig ist die große Anzahl weiblicher Namen in der finnischen Literatur. Ein Grund dafür war der Krieg zwischen Finnland und der Sowjetunion und der sogenannte Fortsetzungskrieg im Winter 1942/43. Der Krieg bedeutete auch für die Literatur einen Einschnitt. Die Väter waren entweder gestorben, oder bei vielen von denen die überlebten, war das schriftstellerische Schaffen versiegt. Man suchte in den 50er Jahren nach einer Neuorientierung.
Aila Meriluoto studierte Literatur, Kunstgeschichte und Psychologie in Helsinki und bekam ein Stipendium für einen Aufenthalt in Zürich. Hier kam sie zum ersten Mal mit der Dichtung Rilkes in Berührung, für die sie gerade aufnahmefähig war. Sie übersetzte seine Lyrik und entdeckte den Dichter für Finnland. Man wartete geradezu auf Anregungen aus dem Ausland. Es verwundert nicht, daß man zu dieser Zeit Rilkesche Töne in Meriluotos Werk findet. Zugleich bildete sich ihre eigene dichterische Sprache und Sicht aus. Besonders deutlich wird das an dem Text „Säilymätön“ (Unbeständig) von 1961. Nichts ist beständig, kein Gegenstand, alles ist nur Bewegung. Fast beschwörend die Wiederholung: Ich glaube nicht daran.
In den 60er Jahren veröffentlichte Meriluoto vier Gedichtbände. Es waren produktive Jahre. Sie lebte von 1962 bis 1974 in Schweden und schrieb teilweise auf schwedisch. Während dieser Zeit hielt sie jedoch engen Kontakt zu Finnland und blieb in der finnischen Literaturlandschaft präsent. In den 70er Jahre erschienen ihre Lyrikbände Elämästä (Vom Leben) und Kootut runot (Gesammelte Gedichte). Aila Meriluoto wurde mehrfach mit dem Staatspreis für Literatur ausgezeichnet.
Die finnische Sprache weist eine starke Bildlichkeit auf, die aus dem engen Bezug zur Natur herrührt. Die Meinung, daß Naturmetaphern ausschließlich einer Romantisierung dienen, widerlegen die Gedichte der Meriluoto; bei ihr wird Natur im Vorgang des Abstrahierens dargestellt, wird Außenwelt zu Gedankenmustern umgebildet, die sich ablegen, um sich zu verändern. Nichts bleibt fest. Alles ist Vorstellung, bildet sich, ist einem ständigen Wechsel unterworfen. Beispielhaft dafür ist „Talvikaupunki“ (Winterstadt) von 1980. Bei Meriluoto wird das Gesehene vor dem inneren Auge abgebildet, es ist Anlaß zu etwas Weitergehendem, Veränderbarem. Zum Vergleich sei auf „Van Gogh“ aus Rusuujen sota (Der Rosenkrieg) von 1988 verwiesen. Das Sehen der Farbe im Gemälde ist beschwert. Es wird beklagt, im „Spinnennetz der Bedeutungen“ gefangen zu sein, Empfindung ist nicht mehr möglich. Die Farbe erstirbt zu „todesgelb“. Das Festgefügte lebt nicht.
Bei Durchsicht des Werkes stößt man auf Motive oder Polaritäten. Abgesehen von den Jahreszeiten, die verschiedene Interpretationen erfahren („Trockener Sommer“ oder „Noch“, beide aus Silmämitta, 1969), kommen Variationen von Licht und Schatten häufig vor; auch der Vogel, das Auge und der Wind. Es stehen sich Glaube und Unglaube gegenüber, Starre und Beweglichkeit. Das wird aber erst auf den zweiten Blick deutlich. Die dargestellte Welt ist immer zerbrechlich. Sie ist ein Gebäude mit einer räumlichen Ordnung von oben und unten („Norden“, aus Asumattomiin, 1963). Die Vögel nehmen den Raum als Vermittler zwischen Himmel und Erde ein. Sie haben eine ähnliche Funktion wie das Auge, das seine Wimpern aufschlägt und den Raum für sich umgreifen kann, das Auge als Seelenspiegel, der oft genug zersplittert.
Marianne Ullmann
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