BEIM ÜBERSETZEN VON KASSANDRA
Gefecht der Worte gegen die Vernichtung
Bei Tageslicht in Halbtrauer
Während ich, voranschreitend zur Verwüstung Trojas
Immer schneller die Seiten häufe
Seher der Kälte und der Sintflut
Verliert der Vogel Federn und Stimme
Lautlose Kugel, die mich aus einem Auge beobachtet
In der Zeit, da die Bäume noch leben
Übersetzung Volker Braun
von Geburt Franzose, seit Jahrzehnten vertraut mit den deutschen Verhältnissen (Ost und West), berichtet in beeindruckenden Gedichten und Prosastücken von seinen Lebensstationen und Auseinandersetzungen, vom Spannungsfeld zwischen heimatlichen Städten und Kontinent-Reisen, etwa der erneuten Begegnung mit dem Iran, seinem einstigen „Bewährungsland“. Die mitunter surreal getönten Texte überzeugen durch ihre poetische Kraft, besonders da, wo sie scheinbar nichts als Tatsachen wiedergeben.
Edition Cornelius, Klappentext, 2013
Angela Sanmann: „Des Verfassers Gefährte“: Volker Braun als Übersetzer von Alain Lance
ER ZÄUMT DIE SPRACHE AUF
Für Alain Lance
Er ist, vom Namen her, ein Kriegsgerät: die Lanze.
Jedoch womit er kämpft, ist seine Federspitze.
Er sticht, es fließt kein Blut. Es rinnt in schmaler Ritze
die Tinte auf das Blatt Papier: Das ist das Ganze.
Doch was für ein Gewinn: Statt Elegie Romanze!
Ein wahres Feuerwerk: Statt Zünden der Haubitze
im hellen Funkenflug entflammter Geistesblitze
formieren elegant die Wörter sich zum Tanze.
Ich habe lang gewebt an den Gedankensäumen,
ich habe lang gestrebt, die Sprache aufzuzäumen,
schreibt Alain Lance gereimt in einem Weltgedicht.
Dort wo ein kluges Wort statt einer Kugel fliegt,
da hat die Poesie das Kriegsgerät besiegt.
Wer seine Wörter schärft, der braucht die Lanze nicht.
Ludwig Harig
Alain Lance Rückkehr des Echos im Gespräch mit Volker Braun und Richard Pietraß im Literaturforum im Brecht-Haus am 3.11.2021.
Schreibe einen Kommentar