DER KUSS
sand
mitgift
und freude
der dohlen
öffnungsrituell
zweier austern
aneinander
(ohne zitronensaft)
reibung
hoffnung
der gärten
il bacio
der vorname franz
zwischen den zähnen
und darüberliegendem
klimt gold
ganz leicht beschlagenes
(süß beschlagenes)
wie das der
schuppenpferde
fischleibartig glitzernd
schmatzendes
wegziehen
woran noch ein
silberfaden hängt
zerbeiß ihn nicht
mon ami
ah!
er schleift am kies
kies
in einem garten
oder
terrarium
fette ihn ein
speichel mit speichel
und spiel
gitarre darauf
rote lippen
soll man
……
Elfriede Jelinek
Bis in unsere Tage grassiert, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Lyrik-Anthologien die Unsitte, nur jeweils fünf bis höchstens zehn Prozent Gedichte von Autorinnen aufzunehmen. Erst in den letzten Jahren sind gleich mehrere Anthologien mit Texten erschienen, die ausschließlich von Frauen verfaßt sind, so etwa Unbeschreiblich weiblich, herausgegeben von Anna Rheinsberg und Barbara Seifert, Wenn die Nacht den Tag umarmt, herausgegeben von Gudula Lorez, Körper Liebe Sprache, herausgegeben von Anna Tüne. Diese Sammlung mit Frauengedichten zum Thema Liebe und Erotik, die vom 19. Jahrhundert bis in unsere Tage reicht, liefert eine längst ,fällige‘ Information.
Während der Arbeit an dem Buch ergab es sich, daß von allen Möglichkeiten der Gliederung als befriedigendste Lösung die alphabetische Reihenfolge übrigblieb. Es erschien nicht wünschenswert, die Autorinnen nach Geburtsdaten zu ordnen, da es sonst willkürliche Generationstrennungen gegeben hätte. Auch wollte ich keinen Friedhof mit verstorbenen Autorinnen einrichten. Die Lebensdaten finden sich im biobibliographischen Anhang. Vermeiden wollte ich ebenso, daß Lesbentexte oder eindeutig Sexuelles im Buch ein Eigenleben führen. Also blieb das Alphabet als einzige Möglichkeit. Bei wenigen, vielleicht etwas zu harten Zäsuren in der Aufeinanderfolge der Texte bitte ich um Verzeihung. Aber auch in gelungenen Liebesnächten gehen Hymnen und Zoten bisweilen auf Hautfühlung. Das Dichtbeieinander von Gegensätzlichem soll auch unser Band widerspiegeln. Es bleibt zu hoffen, daß die ausgewählten Texte einander ergänzen, vielleicht sogar hier und da in Aussage und Wirkung verstärken. Natürlich kann so eine Auswahl immer nur unvollständig sein.
In Liebesgedichten von Frauen, auch aus unserer Zeit, wird der männliche Körper selten beschrieben oder gar besungen. Jedenfalls nicht so, wie Männer Frauenkörper beschreiben. Frauen haben, vielleicht aus Rücksichtnahme, nicht die Neigung, ihr Liebesobjekt zu idealisieren. Sie kennen nur zu gut die Kehrseite solcher Idealisierung des Partners, die zur Geißel werden kann. Sie wissen, wie dadurch Komplexe und Verunsicherung überhandnehmen können. Sicherlich sind aber auch noch Vorurteile, Hemmungen bei Autorinnen abzubauen, um, wenn wünschenswert, dem männlichen Körper in Liebesgedichten einen Stellenwert einzuräumen, der bisher höchst selten in Frauengedichten Eingang fand. Auch die Diskriminierung der Partnerin, wie sie männliche Autoren öfter betreiben, bleibt bei den Texten der Autorinnen aus. Sie diskriminieren (von wenigen Ausnahmen abgesehen) ihre Partner nicht.
Im 19. Jahrhundert und bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts haben Autorinnen äußerst selten die Lust am Beischlaf, vorwiegend und nur am Beischlaf, in Texten artikuliert. Die Autorinnen von heute dagegen schreiben meist unbekümmert über ihre Lustempfindungen. Die Frauenbewegung, sicherlich auch die Pille haben dies mitbewirkt. Bis in die sechziger Jahre haben Schriftstellerinnen immer wieder die Motive Tod und Geburt in die Liebesgedichte aufgenommen. Manchmal hatte ich beim Lesen solcher Texte den Eindruck, daß diese Themen eingebracht wurden, um den Eros zu entschärfen. Die körperliche Beziehung zum Partner wurde vollends ausgespart. Kein Wunder, die Gesellschaft wollte es ja nicht anders. Auch Trennung und Abschied ebenso wie Liebe als „passives Erleiden“ füllen die Liebesgedichte der Frauen dieser Zeit bis zum Übermaß.
Im Gegensatz zu ihnen schreiben die Autorinnen von heute sehr viel selbstbewußter über Enttäuschung und Trennung vom Partner. Es scheint, als könnten sie im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen negative Erlebnisse besser verkraften. Vielleicht haben die heutigen Frauen wirklich mehr Kraft, oder, was entscheidender sein dürfte, sie sind nicht mehr finanzieller Abhängigkeit vom Mann, von der Familie ausgeliefert.
Erotische Gedichte an Frauen von Frauen beanspruchen in der Gegenwartsliteratur endlich ihren wohlverdienten Platz. Auch in dieser Anthologie.
Natürlich spielt die käufliche Liebe so gut wie keine Rolle in Frauengedichten. Und wenn doch, dann überwiegt das Mitgefühl mit den Frauen, die es für Geld tun, alle anderen Aussagen. Wie anders verhält es sich dagegen bei Männern, die zum gleichen Thema schreiben. Ein Pendant zur „käuflichen Liebe“ steht den Autorinnen bis heute nicht zur Verfügung, und dies ist wohl auch gut so.
Gut wäre es, wenn die Leserinnen dieser Anthologie durch die Gedichte mehr über sich selbst erfahren würden. Und wünschenswert wäre es, wenn männliche Leser nach der Lektüre des Bandes mehr Verständnis für Frauen im allgemeinen, und insbesondere für die Frau, die sie lieben, aufbrächten.
Aldona Gustas, Vorwort
Nachtrag: Es ist mir ein Bedürfnis, der Lektorin des Verlages, Dr. Andrea Wörle, für manche Anregung und verständnisvolle Unterstützung bei der Arbeit an der Gedichtauswahl herzlich zu danken.
Das Liebesgedicht ist wohl eine der ältesten literarischen Formen, individuelle Gefühle zu artikulieren. Während Männer darin neben höchster literarischer Sublimierung immer schon konkrete sinnliche Erfahrungen zum Ausdruck gebracht haben, war dies den Frauen meist verwehrt. Aus der so reichhaltigen antiken Liebesdichtung kennen wir doch nur den Namen einer einzigen Frau, Sappho, und im Mittelalter spielen Frauen in der weltlichen Dichtung keine Rolle und wagen, wie Hildegard von Bingen, erotische Ausdrucksformen nur zu wählen, wenn sie religiöse oder mystische Inhalte darstellen. Die Neigung zur Sublimierung und metaphorischen Verkleidung ist bis in die Gegenwart erhalten geblieben, aber heute sprechen auch immer mehr Frauen immer offener und unbekümmerter über ihre Empfindungen. Die vorliegende Sammlung umfaßt deutschsprachige Gedichte aus einem Zeitraum von etwa 200 Jahren. Sie beginnt mit Marianne von Willemer und Karoline von Günderode und führt über große Namen des 19. und 20. Jahrhunderts wie Ricarda Huch, Nelly Sachs, Gertrud Kolmar und Ingeborg Bachmann bis in die Gegenwartsliteratur, die naturgemäß den größten Raum einnimmt.
Deutscher Taschenbuch Verlag, Klappentext, 1985
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