Alexander Blok: Des Himmels lichter Rand

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Alexander Blok: Des Himmels lichter Rand

Blok-Des Himmels lichter Rand

Und Wesen sind und Sein in Harmonie.
Ins Ewigliche groß die Stille weist,
Ob teilnahmsvoll, ob teilnahmslos – doch sieh:
Der Kosmos in mir glühend kreist.
Ich weiß, ich glaube und ich fühl,
Indem ich selbst in Flammen steh wie du,
Den Seher rührt kein Mitgefühl,
Da er mit gleichen Feuern brennt wie du.
Doch weder Kraft noch Schwäche sind mehr da,
In mir sind Zukunft und Vergangenheit,
Denn alles Wesen, alles Sein sind ja
Erstarrt in lautloser Berufenheit.
So bin ich angelangt, von Prophetie erhellt,
Ich überschritt die Grenze hin zum All,
Um zu entfliehn in eine andre leere Welt,
Erwart ich nur das mir verkündete Signal.

Nachdichtung von Adelheid Christoph

 

 

 

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Der Dachsbau

… Blok empfand eine geschichtliche Liebe, eine geschichtliche Objektivität zur häuslichen Periode der russischen Geschichte, die im Zeichen der Intelligenz und der Volkstümler stand. Die schweren dreisilbigen Takte Nekrassows waren für ihn erhaben wie Hesiods Werke und Tage. Die siebensaitige Gitarre, die Freundin Apollon Grigorjews, war für ihn nicht weniger heilig als die klassische Lyra. Er nahm die Zigeunerromanze auf und machte sie zur Sprache der Volksleidenschaft. Es scheint, als wehe von der hohen mathematischen Stirn der Sofia Perowskaja im gleißenden Licht Blokscher Erkenntnis der russischen Realität schon die Marmorkühle wirklicher Unsterblichkeit.
Man kann sich nicht genug wundern über Bloks geschichtlichen Spürsinn. Schon lange bevor er uns beschwor, die Musik der Revolution zu hören, hörte er die unterirdische Musik der russischen Geschichte dort, wo selbst das angestrengteste Ohr nur eine synkopische Pause vernahm. Aus jeder Zeile der Gedichte über Rußland sehen uns Kostomarow, Solowjow und Kljutschewski entgegen, Kljutschewski besonders, der gute Geist, der Hausgeist, der Beschützer der russischen Kultur, neben dem jedes Unheil, jede Prüfung ihre Schrecken verlieren.
Blok, ein Mann des 19. Jahrhunderts, wußte, daß die Tage seines Jahrhunderts gezählt waren. Gierig weitete und vertiefte er seine Welt in der Zeit, wie der Dachs in der Erde wühlt und seinem Bau zwei Ausgänge gräbt. Das Jahrhundert ist ein Dachsbau, der Mann des Jahrhunderts lebt und arbeitet im knapp bemessenen Raum, strebt fiebernd seine Besitzungen zu erweitern und schätzt nichts so sehr wie die Ausgänge aus dem unterirdischen Bau. Getrieben vom Instinkt des Dachses vertiefte Blok seine Kenntnis der Poesie des 19. Jahrhunderts. Englische und deutsche Romantik, die blaue Blume Novalis’, Heines Ironie, eine fast puschkinsche Gier, die glühenden Lippen in der labenden Reinheit der Quellen der europäischen Volksdichtung zu kühlen, der englischen: französischen, deutschen – von jeher quälte sie Blok.

Ossip Mandelstam übersetzt von Fritz Mierau, in: Ossip Mandelstam: Hufeisenfinder, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1978

 

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A. A. Blok in Moskau

 

Die erste Begegnung mit dem Dichter

Ich erinnere mich: im Januar 1904, einige Tage, bevor der Tod von M.S. und O.M. Solovjov sich jährte, an einem vor Kälte klirrenden und funkelnden Tage, schellte die Hausglocke. Man rief mich in den Flur; ich kam und sah: dort stand ein junger Mann und war im Begriff, seinen Studentenmantel abzulegen; er war groß, gut gewachsen, breitschultrig und mit schmaler Taille; hinter seinem Rücken knöpfte eine junge, gut angezogene Dame ihren Pelz auf; das war Aleksandr Aleksandrovitsch Blok, der mit seiner Frau Ljubov Dmitrijevna einen Besuch bei mir machen wollte.
Blok überraschte (schon auf den ersten Blick) – durch seinen Stil: korrekt und weltmännisch. Alles an ihm bezeugte den guten Ton: ein ausgezeichnet geschnittener Rock, gutsitzend und mit hohem Kragen, der jedoch nicht stutzerhaft wirkte; als ich in den Flur trat, hielt er gerade seine weißen Fausthandschuhe in der Hand, die er verlegen irgendwo unterbringen wollte; er wirkte ausgesprochen förmlich; die Gattin des Dichters, mit ausgesuchter Sorgfalt gekleidet, stand hinter ihm; Aleksandr Aleksandrovitsch und Ljubov Dmitrijevna waren ein wunderschönes Paar: fröhlich, jung, elegant, Parfümduft verbreitend. Die nächste Überraschung an Blok war sein Teint: gleichmäßig gebräunt, rosa angehaucht, gesund; und dann die gelassene Stattlichkeit seiner Gestalt, die etwas Militärisches hatte, oder an den „kühnen Helden“ des Märchens erinnerte. Das federnd Sparsame der wenigen Bewegungen entsprach in keiner Weise dem freundlich-verlegenen, zur Seite geneigten Gesicht, das mir zulächelte (er war größer als ich), mit hilflosen, sehr großen, sehr schönen blauen Augen, die so aufmerksam auf mich gerichtet waren, daß kleine angestrengte Fältchen sich in den Winkeln einnisteten; das Gesicht kam mir bekannt vor: später, ich erinnere mich, habe ich Blok gesagt, er habe etwas von Gerhart Hauptmann (mit der Zeit fiel die Ähnlichkeit mit Hauptmann nicht mehr auf).
Dieser erste Eindruck weckte die Frage: Wo hast du ihn schon einmal gesehen? Die Antwort schien auf der Hand zu liegen:

Ich sah ihn im Geiste, in seinen Gedichten.

Aber nein, jenes Bild, das mir aus den Gedichten entgegenkam und unauslöschlich in meinem Bewußtsein sich einzeichnete, war ein anderes: eine kleingewachsene Gestalt, untersetzt, mit einem kränklichen, weißen und schweren Gesicht, mit kleinen Füßen und in einem schlotternden Rock, die schmalen Lippen des kleinen Mundes fest zusammengepreßt, den glühenden wachen Blick stetig nach dem Horizont gerichtet, sehr zerstreut im Gespräch; selbstverständlich hatte ich mir Blok mit zurückgekämmtem Haar vorgestellt; ich hatte nicht erwartet, daß er so aussehe, wie er mir jetzt gegenüberstand; ein anderer trat mir beim Lesen dieser Zeilen entgegen:

Ach, die Nacht ist tot, bis zum Morgen dauert es noch lange,
Wie eine Kette von Morgenmessen.
Ach, und ich selber bin bleich, wie der Schnee,
Ein unabweisbarer Gedanke hat mein Herz aufgezehrt.

Nein, dieser Schopf von dichten, rötlich schimmernden, lockigen weichen Haaren, die kluge Stirn – groß, offen, von einer feinen Falte gezeichnet, der freundlich mir entgegenlächelnde Mund, die Augen – durchaus nicht in die Ferne gerichtet, sondern ein wenig verlegen und kindlich, die Größe und Stattlichkeit – nein, alles das war nicht der Blok, den ich seit langem in mir trug, der Blok der intimsten Briefe, der Blok meiner Lieblingsgedichte, die ich seit zwei Jahren vor mich hinsprach. Ich will noch weitergehen: der Eindruck von dem realen Blok, der mitten im Flur meiner Moskauer Wohnung stand (ich sah Blok stets vor dem Hintergrund einer Abendröte, vor einer Kulisse von Wäldern, an einem Berg) – dieser Eindruck brachte mich in Verlegenheit; in mir regte sich etwas, was einer Enttäuschung gar zu ähnlich sah; und das vergrößerte meine Verlegenheit; überstürzt begrüßte ich den Gast und seine Gattin und legte eine viel größere Eilfertigkeit an den Tag, als es angebracht gewesen wäre; mir war nicht wohl zumute, und mein Zustand, das fühlte ich, teilte sich Blok mit: auch er wurde plötzlich liebenswürdig, und indem er, verwirrt durch meine Verwirrung, im Flur sich zu schaffen machte, verriet er seine eigene Verlegenheit; ich spürte das alles ganz deutlich. An der Garderobe entstand ein Hin und Her: ich versuchte seinen Mantel aufzuhängen, und zu gleicher Zeit versuchte Blok, seine Fausthandschuhe in die Manteltasche zu stopfen. Nur Ljubov Dmitrijevna blieb von der Verwirrung unberührt; elegant, mit einem kecken Pelzmützchen, wartete sie gelassen auf das Ende der Begrüßungszeremonie.
Mit einiger Verzögerung betraten wir das Wohnzimmer, wo ich, soweit ich mich erinnere, Blok und seine Frau meiner Mutter vorstellte – und dann saßen wir zu viert da. Ich war überrascht von der Feinfühligkeit, mit der Blok den Eindruck registrierte, den er bei mir hervorgerufen hatte; dieser Eindruck spiegelte sich in seiner ganzen Gestalt wider, alle Bewegungen seiner festen und stattlichen Figur wurden linkisch; er trat innerlich von einem Fuß auf den anderen, weil er sich nicht mehr zu geben wußte und nichts mehr zu sagen hatte; Ljubov Blok setzte sich schweigend abseits und beobachtete uns ganz ruhig; ich fühlte, daß Blok mit erwartungsvoller Neugierde mir gegenübersaß: auf Worte, Gesten, auf Ungezwungenheit?
Dabei wartete er nur, bis die Spannung, die uns gefangen hielt, sich wieder löse; ich erinnere mich, wie steif wir in den alten abgenutzten Sesseln unseres olivfarbenen Wohnzimmers (in meiner „Epopee“ ist die Farbe der Sessel beschrieben) saßen; hier, in denselben Sesseln, vierzehn Jahre früher, hatte der Großvater Bloks, A.N. Beketov, mit den Professoren Ljubimov und Imscheneckij gesessen: weißhaarig, wohlwollend, mit einem unendlich langen Bart und bis auf die Schultern wallenden Locken, hatte er nach mir sich umgesehen, mir über den Kopf gestrichen und mich schließlich auf seinen Schoß genommen.
Dieser klare frostige Tag ist mir unvergeßlich geblieben; unvergeßlich geblieben ist mir auch der schräge, rosaleuchtende Sonnenstrahl; und das rosa-goldene Lichtgewirk, das zwischen den Gardinen eindrang und Bloks Gestalt einhüllte, sein rötlich schimmerndes Haar, seinen geneigten Kopf, die erstaunten blauen Augen, das gezwungene erstarrte Lächeln, den Arm, der fest auf die abgeschabte Lehne des altmodischen Sessels gestützt war, während die Hand mit der Zigarette Rauchschlingen in das Nachmittagslicht hineinzeichnete: der Worte, die damals gewechselt wurden, entsinne ich mich nicht mehr; aber ich entsinne mich, daß wir von sehr einfachen, alltäglichen Dingen sprachen, über Blok selbst, über Moskau, über Bekannte, über den Skorpion, über den Grif, über Brjusov, der uns immer noch zuredete, nicht mehr für Grif zu schreiben; und wir sprachen, soweit ich mich erinnere, darüber, daß wir viel Grundsätzliches zu besprechen hätten; sogar über das Wetter sprachen wir – da lächelten wir alle drei plötzlich über unseren konventionellen Ton, darüber, daß wir uns noch nicht darauf verstanden, zusammen zu sein; das Eis begann zu tauen, und nun beeilte ich mich – völlig verfehlt –, unsere Stimmung zu analysieren: wir hätten Schwierigkeiten, nach unserer Korrespondenz den richtigen Ton zu treffen; jeder von uns habe einen Schwarm von Gedanken dem anderen mitzuteilen – und dieser Schwarm verdecke die unmittelbare Sicht. Hier sei es bemerkt: sicherlich dachte Blok von mir etwas anderes; mein „blödes“ Gehabe entsprach nicht dem Eindruck meiner Briefe; in den mir gewidmeten Versen schrieb Blok, daß es „Jemand“ gegeben sei, auf einem goldenen Rechenbrett die Gesetze der Zeit zu errechnen und das Dunkel zu erleuchten; und meine Wenigkeit sollte dieser „Jemand“ sein; im Augenblick saß dieser „Jemand“ Blok gegenüber und begrub und verschüttete durch sein Gehabe sein wahres Wesen. Das Zusammensein wurde erschwert durch unsere Gegensätzlichkeit, die sich als frappierend herausstellte (der Melancholiker Blok und ich, der Sanguiniker); durch das verschiedene Verhalten Menschen gegenüber; wir beide litten, weil unsere inneren Biographien mit den äußeren so eindeutig divergierten: wir beide wurden gezwungen, uns zu verstellen. Blok liebte seine Mutter, sein Stiefvater dagegen, ein ausgezeichneter, hochgesinnter Mann, war ihm fremd; ebenfalls fremd stand er seinen Verwandten gegenüber, der Universität, der Familie seiner Frau und dem Stil der Offizierskreise, der bis zu einem gewissen Grade sein äußeres Leben bestimmte: Blok lebte in der Dienstwohnung seines Stiefvaters, eines Obersten. Und ich war ebenso einsam (mit Ausnahme der Familie Solovjov). Etwa bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr hatte ich niemand; und ich entwickelte mich – „verstohlen“. Das brachte später eine besondere Schwierigkeit im Umgang mit Menschen mit sich; unsere Hoffnungen, Gedanken, Gedichte reiften im Kellerloch, von uns ängstlich behütet; unsere Umgebung setzte sich Schicht für Schicht an uns ab und wurde zur Maske; ist das nicht auch ein Grund, weshalb die Maske in der Dichtung Bloks so häufig erscheint? Einmal als eine unirdische, einmal als die Schneemaske; auch ich habe um diese Zeit über „Masken“ geschrieben. „Maske“ heißt die Überschrift eines Artikels, den ich damals verfaßt hatte, und ich warne darin vor der „Maske“, die unter uns auftaucht.
Wir gingen maskiert; bei unserer Begegnung trugen wir eine Maske, maskiert saßen wir uns gegenüber.
Ich konnte um jene Zeit an Blok eine ganz besondere Art des Umgangs mit Menschen beobachten: den Griff nach der „Wurzel“, nach dem Letzten, und zugleich – Mißtrauen, Scheu, Angst vor der Taktlosigkeit, die in jedem verborgen liegt; ja, allem „Vorletzten“, wo das konkrete Leben, mit Abstraktion durchsetzt, zur subjektiven Maja wird, brachte er Widerwillen entgegen und trug den Schild seines Stils als Natürlichkeit des „sehr guten Tons“ abwehrend vor sich her; so hüllt sich der Rhythmus in die Metrik; so entfaltete sich die Dichtung Bloks, nachdem sie den Jambus sich zueigen gemacht hatte, im Anapäst; mein Stil zeigte sich in der Vorliebe für die sehr schroffen Amphibrachen; den Jambus beherrschte ich noch nicht. Meine Art hatte einen anderen Takt und einen anderen Ton: überstürzt war ich und gesprächig, immer übersprudelnd; im Inneren empfand ich mich still und nicht als Theoretiker; in meinem äußeren Gebaren gab ich mich unruhig und stand in deutlichem Kontrast zu dem sehr beherrschten Blok, der wohlwollend spöttisch und skeptisch gegenüber der Maja sich zeigte, was ihn zu einer eindeutig distinguierten Erscheinung machte.
Beim ersten Blick würde jeder über mich gesagt haben:

Hier haben Sie einen Vertreter der Moskauer Intelligenz, einen Optimisten mit einer Spur Repetilov darin, aber ein Repetilov, der in den Kreisen von Stankevitsch und unter den ,Symbolisten‘ verkehrt und ,symbolisiert‘ (auf die gleiche Weise, wie man bei Stankevitsch hegelianisiert hatte) – kurz, einen typischen Moskowiten, ein wenig komisch und ein wenig taktlos, jedenfalls ohne jegliche Selbstbeherrschung.

Und bei dem ersten Blick auf Blok:

Ein Petersburger, ein Mann aus den ersten Kreisen; Intelligenzler? Nein – am ehesten Adliger mit progressiver Einstellung, der einen seelenvollen Seufzer unter einem gelangweilten Lächeln zu verbergen versteht, alles in allem: eine gute mitleidige Seele, liebevoll, entgegenkommend…

Um Blok war die Atmosphäre der Vertrauenswürdigkeit, doch war diese Vertrauenswürdigkeit mit Strenge gepaart. Ja, man hätte ganz sicher behauptet, daß Blok jene literarischen Salons gemieden hätte, wo Repetilov, Belinskij oder Michail Bakunin wirken könnten. Er muß viele Stunden an den Ufern der Neva verbracht und den „Ehernen Reiter“ gut gekannt haben; er hatte nie „symbolisiert“: die Wahrnehmung des Symbols war für Blok eine Tatsache der physischen Existenz. Alles das zeigte sich in seinen Umgangsformen: in der Aufmerksamkeit dem Gesprächspartner gegenüber, in seiner Beobachtungsgabe (nichts entzog sich seiner Aufmerksamkeit) und in seiner Bereitschaft, Rede und Antwort zu stehen – in aller Entschiedenheit, ohne abstrakte Verallgemeinerungen; aber Blok wartete stets eine konkrete Frage ab; auf Allgemeinheiten ließ er sich nicht ein, sondern verschanzte sich hinter Schweigen. Wahrscheinlich wirkte ich intelligenzlerischer, nervöser, schwächer, demokratischer, zerstreuter; Blok: intellektueller, gesünder, aufmerksamer.
Währenddessen ließ unser Gebaren keinen Rückschluß auf unsere Lyrik zu; sah man Blok – so konnte keiner ahnen, daß gerade er die Zyklen der „Visionen“ von Schachmatovo aneinandergereiht hatte; man würde ihm viel eher eine Erzählung oder eine Novelle im Stil Turgenjevs zutrauen (vielleicht eine Spur begabter); sah man mich – mußte man sagen: dieser reimt nach dem Schema: Seelen – Wellen.
Aber unter der Maske des adligen Gutsbesitzers verbarg sich bei Blok der unbekannte Lermontov, ein Pestel, der zu allem bereit war; und unter meinen Ideen, so extrem sie auch zu sein schienen, steckte ein Minimalist, der vorsichtig Fuß vor Fuß setzt, ständig auf die Sicherheit des Weges bedacht ist und häufig einen Umweg bevorzugt (den Weg methodischer Begründungen und Andeutungen), stets Gegenmeinungen abwartet, um erst zum Schluß sich selbst auszuweisen; Blok gab sich ruhig; ich überstürzte mich, griff immer und in allem voraus; während ich dem festen „Ja“ oder „Nein“ auszuweichen suchte, war Blok stets dazu bereit.
Ich charakterisiere die Gegensätzlichkeit unserer Naturen, die wir sogleich bei der ersten Begegnung so deutlich empfunden haben – im Temperament, im Stil, im Takt; die Verlegenheit zwischen uns nahm zu; wir saßen da, ohne zu wissen, was wir miteinander anfangen sollten; ein Gespräch über das Wetter schien nicht recht lohnend, und die „Schöne Dame“ – was sollte man darüber sagen? Später gestand Blok: es habe einen Augenblick gegeben, in dem er mir überhaupt nicht geglaubt habe; er habe gefühlt, daß ich überhaupt ein „anderer“ sei (die Wirkung dieses Spiegelbildes in ihm spürte ich deutlich); er fühlte, daß ich nicht nur im „Vorletzten“, sondern im „Letzten“, im Lebenden sogar alles zerstören könne, was mir heilig war: lebte es überhaupt? Für einen Augenblick schwankte Blok: ebenso enttäuscht wie ich auch. Aber wir spürten wahrscheinlich beide, daß außer den „Masken“, die so, verschieden waren, eine gemeinsame Essentia vorhanden war; wir bejahten sie beide und sagten:

Ja, so sei es.

Die bewußte Bejahung wurde zum Grund der liebevollen Beziehung Bloks zu meiner vergänglichen „Maske“; ich spürte das; ich liebte ihn bereits; aber leider benahm ich mich wie ein Egoist; er war unbedingt der Bedeutendere: die Bruderschaft, die wir geschlossen hatten, äußerte sich so, daß ich ihn als den Älteren empfand; ich fühlte mich als der Jüngere (wir waren gleichaltrig). Ich will nicht untertreiben: ich hatte meine Vorzüge: ich war geduldiger, bescheidener, schüchterner; mag er weiser, kühner und älter gewesen sein – er war dennoch kapriziöser in seiner inneren Gebärde (trotz äußerer Ausgeglichenheit); er vertrug keine „Diskussionen“, die ich ertragen konnte; ich nahm sie bewußt auf mich und stand dabei Qualen aus; er tat das nicht; ich ging wie geschunden umher – er wich Diskussionen aus.
Und noch ein Zug, der uns unterschied: der Verstorbene würde heute, nach unserer ersten Begegnung gefragt, sie ganz anders beschreiben: mit einem treffsicheren Wort den inneren Vorgang charakterisieren, der sich damals zwischen uns abgespielt hatte; er würde sich auf keinerlei psychologische Charakteristiken einlassen, auf alle Nuancen verzichten, aber dafür an den genauen Wortlaut des Gesprächs sich erinnern können, den ich nicht mehr weiß, an den ich mich nicht mehr erinnern kann (er hatte wesentlich weniger gesprochen als ich); und außerdem: ich hatte mich immer an den unausgesprochenen Hintergrund aller unserer Begegnungen gehalten; ich stehe für die genaue Wiedergabe der seelischen Nuancen ein: sie haben sich meinem Herzen eingeprägt; für die einzelnen Worte kann ich nicht einstehen: die sind vergessen.
Nur an den einen Moment dieser Begegnung kann ich mich erinnern, nämlich, als ich die Schwierigkeit eingestanden hatte, die mir die Unterhaltung bereitete; darauf setzte er das „Tüpfelchen auf das I“ und bestätigte:

Es ist sehr schwierig.

Und schon hatte ich weitergeredet und diese Schwierigkeit analysiert: eine derart langatmige Analyse gleich beim ersten Besuch war eine offensichtliche Taktlosigkeit; daran läßt sich nichts ändern – es war völlig verfehlt, „à la Michel“ (d.h. à la Michail Bakunin, der die menschlichen Beziehungen zu hegelianisieren suchte), ein Stil, den Blok wenig schätzte; aber da er mich im Prinzip bejaht hatte, ertrug er diesen faux pas.
Vom ersten Augenblick an imponierte mir Blok; er imponierte mir durch die verhaltene Kraft, die in ihm lebte und sich in der lautlosen Geschmeidigkeit seiner schönen Gestalt manifestierte; denn Blok war schön (sogar außergewöhnlich schön) um jene Zeit, ja, ich möchte sogar sagen: er war leuchtend (nicht erleuchtet) schön:
Ich bin erleuchtet. Ich warte auf Dein Kommen…
Er war nicht ein Erleuchteter, um ihn war keine mystische Aureole, er trug nicht die Sentimentalität des Ritters der Schönen Dame zur Schau, er bedurfte keines gotischen Interieurs, bunte Glasfenster und spitze Strebepfeiler paßten am allerwenigsten zu seiner Erscheinung: keinerlei „Mittelalter“, kein „Dante“, wenn schon – dann am ehesten Faust. Aber ein Leuchten war um Blok. Und dieses Leuchten erfüllte das Gespräch mit ihm, wenn man das sagen darf; er selbst war kein Erleuchteter, aber er verbreitete eine leuchtende und rosafarbene (zuweilen auch dunkelrosa) Wärme um sich, eine physiologische und bluthafte; das Bild eines vom Feuer durchglühten feuchten Erdbodens stieg auf; aber – keine „Luft“. Die Präsenz seines Seelenwesens im festen, feurigen und wäßrigen Element bei Abwesenheit des transparenten vierten, des Spiegels der „Erleuchtung“, ließ die Frage aufkommen: was leuchtet um diesen Mann? Welche radioaktiven Strahlungen (Verwandlung, Explosion?) traten in Erscheinung um diesen sehr großen, lockigen Kopf, der ganz leicht zur Seite geneigt war und mit kaum merklicher Bewegung die Worte begleitete, die eine etwas gequetschte, laute und ein wenig harte Stimme sprach; mit einer plötzlichen raschen Bewegung konnte er den Kopf zurückwerfen, fast herausfordernd, und den Vorhang einer bläulichen Rauchwolke vor sich zuziehen; dann wieder beugte er sich über die Münze des schlichten, alltäglichen Gesprächs; ein rosiges Leuchten verbreitete sich ringsum, wobei Blok ruhig blieb, und nur seinen Gesprächspartner der Wunsch überkam, Blok alles über sein „Letztes“ anzuvertrauen. Blok hörte sich ruhig alles an, blinzelte erstaunt mit den Augen, streifte die Asche seiner Zigarette ab und blinzelte wieder.
In seiner Gegenwart dachte man an einen Teich, auf dessen Grund ein großer, nur selten auftauchender Fisch wohnt; das Wasser ist reglos, keine Welle ist zu sehen, kein Spiegelbild, weder das Azur des Himmels, noch das Gold der Sonne: das Gold des beweglichen Aphorismus vor dem azurenen Hintergrund der Idee; in diesem Teich spielt auch kein Fischchen, das Luftblasen von Paradoxa aufsteigen ließe (diese Bläschen perlten hingegen in seinen Briefen); bei einem Gespräch rührte sich in ihm nichts (nur in seinem Gesprächspartner brodelte es): eine vollkommen glatte Fläche – keine Theorie, kein Strömen der Gedanken; und wenn ein Gegenstand gespiegelt wurde – dann nur als pures Spiegelbild; nicht der „Verstand“ schien sein Verhalten zu bestimmen, Weisheit besonderer Art lenkte seine Bewegungen, die gemessen und zurückhaltend, sparsam, aber charakteristisch waren. Und plötzlich: das Wasser hob sich in schweren Wellen aus der Tiefe, aufgewühlt durch mächtige Regungen des riesigen Gedanken-Fisches, der auf dem Grunde von Jahr zu Jahr an Kraft zunahm; diesen „Fisch“ spürte man deutlich unter der Maske der Bereitwilligkeit, in allem nachzugeben, „um seine Ruhe zu behalten“; die Leichtigkeit, mit der Blok sich mit allem möglichen zufriedengab, bestimmte die Peripherie seines Gespräches, hier hörte man häufig „Ja“ und „Nein“ (im Grunde weder „Ja“ noch „Nein“, sondern: „Ach, lassen Sie mich in Ruhe: dieses ,Ja‘ und ,Nein‘ ist gleichermaßen Unsinn…!“), die nichts weiter bedeuteten als:

Wartet – der Fisch braucht Zeit.

Sobald Blok seines Wissens sicher war, gab es keine Macht, die ihn umzustimmen vermochte: dann hatte das Erkannte den Spießrutenlauf der eigenen Existenz hinter sich; dann unterlag es dem inneren Befehl:

Ja – Nein.

Dem inneren Imperativ entsprach im äußeren Leben ein nachgiebiges und feinfühliges Ausweichen vor fremder Meinung:

Vielleicht… Ich denke, daß es sich unter Umständen anders verhält… Weißt du, das ist anders…

Und von diesem „vielleicht so oder anders“ war er nicht abzubringen.
Das alles tauchte bereits bei unserer ersten Begegnung in mir auf, warf meine ursprünglichen Vorstellungen von Blok um und löste eine qualvolle innere Tätigkeit aus; ich stellte ihn mir ätherisch, mystisch, un-gedanklich vor, und war überrascht und bedrückt von seiner irdischen, gewichtigen, massiven Intellektualität; in der Ferne wetterleuchtete das Leitmotiv unserer insgesamt siebzehnjährigen Beziehungen – ein überwältigendes Ganzes, zuweilen herrlich, zuweilen unerträglich; Trauer, die mit nichts zu vergleichende ergebende Trauer der schicksalhaften Stunde erfüllte mich:

Dein Wille geschehe!

Ich hörte den Schritt meines Schicksals. Die Begegnung mit Blok ist die Stunde der Verantwortung in meinem Leben – Variation über das Thema meines Schicksals, eine unverhoffte Freude und – Schmerz: alles das ertönte bereits bei seinem ersten Besuch und richtete sich zwischen uns auf. Daher die Verlegenheit.
Dieser frostige Tag blieb in meiner Erinnerung: die Laternen auf dem Arbat, die dem Abendrot entgegenblinzelten, erlöschendes Abendrot, aufsteigende Trauer; ich ging zu Petrovskij, um mich mit ihm über Blok auszusprechen, und wir verirrten uns, ich weiß nicht mehr wie, bis zum Nikitskij-Boulevard; ich lachte:

Ja, wissen Sie – Blok ist eine Überraschung, eine ganz große Überraschung.

Und ganz im Stil unserer alten Gewohnheit (mit paradoxer Assoziation, karikierender Metapher oder einem Witz nach den Passanten zu zielen und zu treffen) fügte ich hinzu:

Wissen Sie, wem er ähnelt? Er ähnelt einer Mohrrübe

Durch einen Witz sollte etwas ausgedrückt, etwas mitgeteilt werden, von dem ich nicht wußte, was es eigentlich war: vielleicht bloß das Oval seines Gesichts, das so rosa, so strahlend und so fest zu sein schien:

Er ähnelt einer Mohrrübe oder… Gerhart Hauptmann.

Petrovskij fügte diesem Unsinn seinen eigenen hinzu – irgend etwas ähnliches: offensichtlich versuchte ich, meine schwer faßbare verworrene Trauer so schnell wie möglich zu vergessen.

 

Aleksandr Blok und Sergej Solovjov

Am gleichen Abend trafen Blok, seine Frau und ich uns noch einmal bei Sergej Solovjov; dort fiel uns allen ein Stein vom Herzen; alles wurde plötzlich wärmer und einfacher; vielleicht kam es daher, daß wir bei Solovjov unter uns, ohne „Erwachsene“ waren; Sergej Solovjov, ein Verwandter von Blok, seit langem mit ihm auf freundschaftlichem Fuß, hatte es verstanden, im Handumdrehen durch seine Ungezwungenheit und seinen überschäumenden Witz unsere steife Haltung zu lockern; der Stil unserer Beziehungen war von uns gestaltet aus dem Bestreben, die Philosophie Vladimir Solovjovs zu begreifen; wir bildeten ein Dreieck, uns gegenseitig organisch ergänzend; auch das „Auge“ oder das „Auge im Dreieck“ – ein Thema der Dichtung Solovjovs – war über uns („Die Schöne Dame“); Sergej Solovjov war das verbindende Element: er war es, der meine Beziehung zu Blok vermittelt hatte.
Sergej Solovjov, expansiv, sprunghaft zwischen Unfug und ernsten Themen sich bewegend, der Ernstes zu bewirken verstand, den Ernst aber im rechten Augenblick unter scharfem Witz und ungeheurer Übertreibung zu verstecken wußte – Sergej Solovjov kannte sowohl mich als auch Blok; ihm war es gelungen, eine Gemeinsamheit zwischen uns herzustellen, er schlug den Ton zwischen uns an, indem er Blok und mich überzeugte, daß unter der „Maske“ der Gezwungenheit lediglich ein gutes, schlichtes Gefühl sich verberge. Zu dritt war es bedeutend einfacher; und das unsichtbare „Auge“ öffnete sich über uns (während wir zu zweit dieses „Auge“ künstlich wecken mußten).
Zu der Zeit verhielt sich Solovjov in der Auslegung der Ideen Vladimir Solovjovs besonders dogmatisch; wir suchten den konkreten Geltungsbereich dieser Ideen zu umreißen; wir suchten im praktischen Leben überall anzusetzen, wo sich Philosophie, Dichtung und Mystik Solovjovs überschnitten; wir nahmen in diesem konkreten System völlig verschiedene Positionen ein: Blok war Dichter und Seher; ich – vorwiegend Philosoph, verglichen mit den anderen; und Solovjov war Theologe, stets bereit, die erste Ökumene „unserer Kirche“ einzuberufen; in dieser Kirche vertrat Blok (wie wir glaubten) das Johanneische Prinzip, Sergej Solovjov das Petrinische und ich das Paulinische. Diese Drei – Johannes, Petrus und Paulus – bildeten bei ihren Zusammenkünften auf die natürlichste Weise eine „Ökumene“; auf dem Konzil herrscht stets der Theologe; der Mystiker und der Philosoph treten in den Hintergrund; so vertrat auch Solovjov seinen Dogmatismus recht despotisch, indem er Blok und mir seine Interpretation aufzudrängen suchte; er zwang uns, die dem Dogma gegenüber gleichgültig waren, die das Symbol, den Rhythmus, die Musik bevorzugten, zur Akribie eines „Sektierers“. Er bestimmte die Wege, die bei unseren Zusammenkünften zu beschreiten waren; er begeisterte uns für die Theokratie Vladimir Solovjovs, wobei er einen eigenen Begriff der Theokratie entwickelte; er fühlte sich in der Lage, jederzeit eine präzise Antwort für unsere Ebene zu transformieren, die er gepachtet zu haben glaubte; er sah das künftige Rußland als Föderation, bestehend aus einzelnen Ländern, von denen jedes einem initiierten Rat unterstand, dessen eigentliche Aufgabe es war, Ihre Offenbarung an das Volk weiterzuleiten; an der Spitze der Föderation sah er drei Auserwählte (eine Entsprechung zum Hohepriester, Zaren und Propheten bei Solovjov); unter den irdischen Frauen wählten sie die ideale Verkörperung Ihres Wesens, Ihre lebendige Ikone; Sergej Solovjov folgerte: der römische Papst, Stellvertreter Christi auf Erden, hat Gewalt über die Pforten zum Reiche Gottes; die künftige Verkörperung der Sophia, ihr irdisches Abbild, sollte sein (man lächele nicht!) – „mama“, eine völlige Entsprechung zu dem „papa“. Nach seiner Meinung waren unsere Ideen eine Keimzelle der Theokratie; wir brauchten nur noch Ihr Urbild zu suchen, und der Thron „mama“ wäre besetzt; dies wäre zugleich die erste Zelle des künftigen Rußland; in dieser Zelle würde die Revolution des Geistes zum Austrag kommen; die Monarchie würde gestürzt; die Revolution sei eine Brücke zur Theokratie: das Banner: Orthodoxie, Monarchie und Nation würde vor dem Banner weichen: Theokratie, Sophia, Volk. Sergej Solovjov scherzte oft: ja, wer weiß, vielleicht wird uns das Schicksal zu einer großen Tat berufen; hat doch Mereshkovskij erst vor kurzem verkündet:

Entweder wir oder keiner.

Dann verstummte Solovjov stets und verschanzte sich hinter einem Witz; der Takt verbot ihm, das letzte Pünktchen auf das I zu setzen, er träumte einen Traum, über den wir uns später so oft lustig machten, denn seine Utopie hatte keinerlei reale Folgen, es war ein Mythos, eine vorübergehende Stauung unseres schöpferischen Unbewußten.
Das „Schöpferische“ spürten wir alle drei; es einigte uns; wir fühlten: uns steht etwas bevor; die Tatsache unseres Seins ist nicht ohne Belang. Was dabei eigentlich „von Belang“ sein sollte, – das wußten wir nicht; wir nahmen unsere bedeutungsschwere Freundschaft als verbindendes Geheimnis hin.
An diesem Abend bei Solovjov sah ich mir Blok genauer an; er war offensichtlich belustigt über die Zustände, die er in Moskau vorgefunden hatte, über uns, die hier „nicht ohne Belang“ residierten, über das „Bedeutungsschwere“ zwischen uns; langsam wandte er sich seiner Frau zu und schilderte in unserem Beisein seinen Eindruck:

Weißt du, Ljuba, mir scheint, daß Serjosha…

In diesen Schilderungen spürte ich viel schlichtes, gutes Gefühl und Humor: sein Humor war verhalten; er sprach langsam und sehr ernsthaft; und dennoch war es komisch; es war der englische Humor; er ließ eine gewichtige Meinung vernehmen, aber diese Meinung weckte kuriose Vorstellungen; wir hörten ihm stets schmunzelnd zu; und er, mit geweiteten großen blauen Augen, setzte mit einer kleinen Handbewegung den Akzent und streifte dabei die Asche seiner Zigarette ab.
Mein Stil war – lyrisch; ich hatte mehr als einmal unter Bloks Witz zu leiden gehabt: durch eine leichte Neigung des Kopfes, durch eine Handbewegung brachte er es fertig, eine lyrische Stimmung zu parodieren – reizend, gutmütig, schlicht und lustig; er soll, wie mir erzählt wurde, unnachahmlich parodiert haben, wie ich zum Vorlesen aufgefordert werde und mich lange sträube; auch meinen Vortrag soll er hervorragend nachgeahmt haben; es war mir kein einziges Mal gelungen, eine Parodie mitzuerleben, selbst wenn ich ihn dadurch herausforderte, daß ich Blok in Bloks Gegenwart karikierte.
Sergej Solovjov scherzte polternd – „à la Solovjov“; seine Art erinnerte an die seines Onkels; Blok kannte den Witz nicht: nein, er kannte nur den Humor. Er entwarf auch keine Charakterbilder, sondern er sah nur einen Zug, er traf mit einem einzigen, zielsicheren Wort. Später einmal bestimmte er den Unterschied zwischen uns durch folgenden Satz:

Weißt du, Borja, du bist ein Verschwender; ich aber bin ein Zecher.

Unter „zechen“ verstand er seine Fähigkeit zur Hingabe bis zum letzten: die Bereitschaft zum äußersten, die unter seiner stillen Oberfläche verborgen lag; unter „Verschwendung“ verstand er meine Art, mich im Sprechen auszuleben, im Sprechen die Seele zu vergeuden. Blok war fähig, mit einem Wort die feinsten Nuancen auszusprechen; noch mehr: durch eine wortlose Geste, durch eine Bewegung der Augen oder des Kopfes gelang ihm eine Humoreske; meine Mutter pflegte zu sagen:

Blok hat einen sehr feinen Humor; er spricht stets ernsthaft und bringt mich fortwährend zum Lachen. Er ist offenbar ein unermüdlicher Beobachter.

Und weiter erinnere ich mich: am selben Abend überraschte mich die grammatikalische Richtigkeit seines Sprechens: der dunkle Inhalt lag hinter lapidaren, epigrammatisch schlichten Sätzen; es fällt schwer, an den Wortlaut der Gespräche mit ihm sich zu erinnern; die Aufmerksamkeit war von den Vorgängen absorbiert, die sich hinter den Worten abspielten; sie galt dem mächtigen Fisch, der in der Tiefe wohnte, unter dem Geplätscher der Worte.
Während des Gesprächs bewegte sich Blok kaum; er saß sehr aufrecht, die Ellbogen leicht auf die Seitenlehne gestützt, beinahe ohne sich anzulehnen; zuweilen wirkte seine Art sogar steif; seine Kleider schienen keine Falten zu werfen; stets bewahrte er seine Stattlichkeit und gute Haltung; er gestikulierte wenig; nur selten hob und senkte er den rötlichen Lockenkopf; und noch seltener schlug er ein Bein über das andere. Sergej Solovjov wiegte den Oberkörper, er zog die Augenbrauen hoch – Blok konzentrierte die Bewegung im Innern; nur ganz selten, wenn er angeregt war, stand er auf, trat von einem Fuß auf den anderen und ging langsam im Zimmer auf und ab, jedesmal dicht vor seinem Gesprächspartner stehenbleibend; dann richtete er seine Augen auf ihn, diese blauen Laternen, und begann ein Geständnis, nachdem er sein Zigarettenetui geöffnet und es jenem wortlos angeboten hatte; jede seiner Gesten war von angeborener Liebenswürdigkeit; sobald jemand vor ihn trat, erhob er sich sofort von seinem Sessel und hörte stehend zu, mit gesenktem Kopf und leichtem Lächeln.
Durch seine Höflichkeit und weltmännische Art wußte er die stürmischen Verbrüderungsversuche der Moskauer Bekannten zurückzuweisen, die jederzeit bereit waren, dem Gesprächspartner mit großem Geschrei um den Hals zu fallen und ihn ihrer heiligsten Freundschaftsgefühle zu versichern, ohne darauf zu achten, daß sie ihn fast umgerannt und obendrein angespuckt hatten. Verbrüderung konnte Blok nicht ausstehen, gewisse Typen (die Repetilovs und Manilovs) stieß er durch seine Höflichkeit zurück: ihnen gegenüber war er gleichgültig, kalt und verschlossen.
An jenem Abend „à quatre“ schien er mir ein ganz anderer zu sein, alles „Gewichtige“ war verschwunden; wir waren ungetrübt fröhlich; wir waren ja alle so jung: ich war eben dreiundzwanzig, Blok ebenfalls, Sergej Solovjov war siebzehn und Ljubov Blok war zwanzig Jahre alt. Lachend besprachen wir die Zeitschrift Vesy, deren erste Nummer gerade erschienen war, geschmückt mit den Porträts der Mitarbeiter des Verlages Skorpion. Sergej Solovjov, der um jene Zeit für die Gedichte von Zinaida Hippius gar kein Verständnis aufbringen konnte, riß wütend das Bildnis der Dichterin aus dem Heft; Blok und seine Frau entsetzten sich über diese Übertreibung; aber Sergej Solovjov war ja ein Fanatiker, ein Theologe, und er sah in der Hippius die Konkurrenz, einen Theologen – ebenso wie er, wenn auch von einer feindlichen Konfession. Später schlossen die beiden Freundschaft. Bloks Haltung blieb zwiespältig; er würdigte das Außergewöhnliche ihrer Person und belächelte ihre „Damenhaftigkeit“: sie neigte allzu sehr dazu, in die Angelegenheiten anderer Menschen sich einzumischen, sie zu verwirren, zu entzweien. Ich nahm ihre Partei, Solovjov und Ljubov Blok verurteilten sie.
Ljubov Dmitrijevna erlebte ich an jenem Abend als Inkarnation des Ganzen, das von uns gebildet wurde: als den Hintergrund unserer Gespräche; vielleicht auch als das „Auge“ inmitten des Dreiecks; jedem von uns kam eine Rolle innerhalb dieses Ganzen zu, Ljubov Dmitrijevna war dessen Symbol; jemand fragte sie etwas, wie ich mich erinnere, im Verlaufe des Abends:

Nein, ich verstehe mich nicht darauf, zu sprechen – ich höre.

Dieses Hören war eine Tätigkeit; sie war bereits eine „Erwachsene“; später fand unser Verhältnis zu ihr seinen Niederschlag in den Versen von Blok: heimkehrende Brüder werden von der „Schwester“ empfangen; diese „Schwester“ nennt Blok die „strenge“; sie –

sagt zu jedem – sei fröhlich.

Sie sagte dieses „sei fröhlich“ wortlos, zu jedem. Lebendig dauert ihr Bild im purpurfarbenen Hauskleid vor der Gardine des Fensters; hinter dem Fenster liegt der rötlich schimmernde Schnee; ein Strahl der Abendsonne fällt auf ihr Gesicht, das junge, blühende; ein rosa Sonnenfleck tanzt auf ihrem Haar; sie lächelt uns zu.

 

Das Haus Markonet

In Moskau wohnte Blok im Stadtteil Spiridonovka, im Haus von V.F. Markonet, in einer kleinen Wohnung, die mit allen Dingen ausgestattet war, welche man notwendig zum Leben braucht; an diese Wohnung kann ich mich nicht genau erinnern; ich habe nur die Vorstellung von graubraun und verschossen – der Farbton der alten Sessel und Sofas. Der Hausherr war, wie ich glaube, ein Verwandter von O. Solovjova: Geschichtslehrer, häufiger Gast, vielmehr Bewohner des Adelsclubs – ein idealer Vertreter des echten, konservativen Moskau; graubraun meliert, bocksbärtig, mit tabakfarbenen Augen, die fürchterlich rollten, ganz ohne Augenbrauen, mit einem voluminösen Hängebauch, donnerte er gutmütig und arglos gegen die Dekadenten, gegen Valerij Brjusov, gegen Vrubel, und unterbrach sich jeden Augenblick:
„Wie bitte?“
„Brjusov hat wieder über die Ziege ein Gedicht gemacht…“
„Wie bitte? Wie bitte? Wie bitte?“
Er stand breitbeinig und lachte, staunte über sich selbst und zog die nackten Brauen in die Höhe.
Was gab es Gemeinsames zwischen Blok und Markonet? Währenddessen erschien der Hausherr täglich in der altmodischen kleinen Wohnung, ja, er verbrachte dort ganze Vormittage, um sich zu erkundigen, ob alles nach Wunsch ginge; er fühlte sich unwiderstehlich von „Sascha Blok“ angezogen (so nannte er ihn); er empfand für seinen „Sascha“ eine wahre Leidenschaft; persönliche Zuneigung und Liebe bekehrten diesen Clubbewohner zur Poesie Bloks.
„Wunderbare Gedichte schreibt Blok, wie?“ – schrie er mich zornig an, als ob ich ein Gegner dieser Dichtungen wäre.
Ich weiß noch: auf Jahre hinaus erinnerte sich Markonet, wie Sascha Blok bei ihm gewohnt hatte.
Jede Begegnung mit dem graubraun Melierten in seinem graubraun melierten Mantel begann mit dergleichen Frage: „Wie, und Blok, wie?“
„Dieses schöne, harmonische Paar.“
Dann erzählte er mit mitreißender Wärme:

Ja – Sascha Blok: das ist ein Dichter, wie er sein sollte… ein echter, wunderbarer Dichter, wie, wie bitte? (und die tabakfarbenen Äuglein verschwanden) – mit jeder Faser ein Dichter; es genügt, mit ihm nur einige Tage zu verbringen, um zu erfahren, was ein Dichter ist… wie? Damals, als wir zusammen vor die Haustür traten, schnupperte er wie ein Hund: er achtete auf das Wetter, hob sofort den Kopf und merkte sich alles: die Farbe des Himmels und das Abendrot, die Farben der Wolken und die Schatten, Frühlingsschatten, oder Winterschatten… Alles, alles merkt er sich, nichts entgeht ihm, und alles behält er; man braucht seine Gedichte nicht einmal zu lesen; man sieht gleich, daß er ein Dichter ist. Wie bitte?

Der Aufenthalt Bloks in dem Hause von Markonet hinterließ eine tiefe Spur in dem hellhörigen und gutherzigen Hausherrn. Unsere Begegnung (sehr oft in Spiridonovka zwischen den Schneebergen vor dem Haus Markonet) begann stets auf die gleiche Weise:

Wie bitte – und Blok? Wie bitte?

Und das Gesicht von Markonet strahlte: das Gespräch über Blok und dessen wunderbare Gedichte begann von neuem; wir verabschiedeten uns zwischen den Schneebergen, um uns von neuem zu begegnen (in Spiridonovka) und alles Wort für Wort zu wiederholen, diesmal zwischen den schmelzenden Schneebergen.
Mir fiel auf: Aleksandr Blok weckte damals die wärmsten Sympathien bei der alten Generation; die „Väter“ zuckten mit den Achseln und lachten:

Unsinn, dekadentes Zeug.

Die „Großväter“ und die „Großmütter“ (alte Großväter und alte Großmütter), viele mit der Romantik Shukovskijs und mit der Metaphysik großgeworden, die Großväter mit der Göttinger Seele des vorzeitig verblichenen Lenskij, die fühlten sich zu Blok hingezogen; und in der Tat: sie verstanden seine Gedichte, ohne die darin liegende Theosophie wahrzunehmen, nur in der Begeisterung für den „romantischen Dunstschleier“, für das Unverständliche, für das, was die Väter kurzerhand abtaten:

Unsinn, Gefasel, dekadentes Zeug.

A.G. Kovalenskaja, die Großtante Bloks hatte ein tiefes Verständnis für die Dichtung Bloks; aber sie tat, als würde ihr diese Dichtung nicht gefallen: hier lag ein Fall verbissener Eifersucht vor: die Dichtung des eigenen Enkels, Sergej Solovjovs, zum Teil auch meine, mußte um jeden Preis besser sein; die Verpflichtung gegenüber der eigenen Familie verbot es, Blok in der richtigen Weise einzuschätzen; die andere Großtante, S.G. Karelina, eine alte Jungfer von fünfundsiebzig Jahren war eine wundervolle Erscheinung in Silber und Rosa, die Shukovskij nachseufzte und auf ihrem Gut Hühner züchtete, hatte sich in Blok regelrecht verliebt; mit welch hartnäckiger Regelmäßigkeit pries sie „die Bloks“ ihrer siebzigjährigen Schwester, A.G. Kovalenskaja! Sie besuchte uns in Djedovo aus dem nachbarlichen Schachmatovo, setzte sich zu ihrer Schwester und hörte zu, wie man „Serjosha“ und mich lobte; sie kaute dabei auf den Lippen, um plötzlich zu beginnen:
„Ich war also bei Blok…“
„Und wie geht es dort?“
„Wie soll es schon gehen? Jung, gesund, blühend… Ljuba ist eine herrliche Rose… Und Sascha… Was für Gedichte hat er wieder geschrieben: einfach begeisternd…“
A.G. Kovalenskaja hörte es nicht gern: jetzt mußte sie auf den Lippen kauen. Und ihre Schwester triumphierte.
An dieser Stelle soll auf eine auffallende Tatsache hingewiesen werden: das gebildete Publikum, die Kritiker, die Literaturwissenschaftler hatten in diesen Jahren die Dichtung Bloks überhört: jedem hätte sie auffallen müssen – und dennoch brachten jene es fertig, nichts zu verstehen und an den unmißverständlichsten Stellen ein „Dekadententum“ festzustellen. Die einfachen, aber einfühlsamen Menschen – keine Kritiker und Literaturwissenschaftler – fanden einen natürlichen Zugang zu den feinsten Nuancen dieser Dichtung, was sich am Beispiel der drei Popentöchter in dem Dorf Nadovrashino zeigte, in deren winzigem Häuschen die schönsten Gespräche zwischen Sergej Solovjov, mir und den Töchtern des Hauses (A.S., E.S. und A.S. Ljubimova) stattfanden: über die Dichtung Brjusovs und Bloks; diese Dichtung war transparent für diese schönen russischen Seelen; ja, in der Seele des Russen schlummert eine unvergleichliche Hellhörigkeit für Stilbildung; und ich behaupte, daß die Dichtung Bloks bereits damals populär war; nur die Literaturkritiker der dickleibigen Zeitschriften konnten zwischen den Scheuklappen ihrer Vorurteile nichts darin erkennen als Unsinn.
Ein Blick hätte genügt, um sehen zu können, wie bedeutend der Dichter Blok war; und tatsächlich – man „sah“ es, nur nicht die Kritiker; im Jahre 1905 begegnete ich einem Altgläubigen; er war Millionär, Sammler alter Ikonen, führendes Mitglied einer Sekte; obwohl er viel gereist und sogar in Paris gewesen war, blieb er dennoch ein ganz einfacher Russe. Damals sagte er…

Ich meine: wir haben jetzt in Rußland nur einen einzigen wirklichen Dichter, aber einen genialen Dichter… Dieser Dichter ist Blok…

Um diese Zeit erschienen die „Gedichte von der Schönen Dame“; und mein Gesprächspartner erkannte in diesen Gedichten, was weder die Kritik, noch die Dekadenten, noch Brjusov selbst gesehen hatten, wozu die beiden Mereshkovskijs eben erst Zugang fanden: eine Poesie religiöser Versenkung; die von den anderen nicht wahrgenommene „Atmosphäre“ dieser Gedichte fesselte den Altgläubigen.
Das stimmt, die „Atmosphäre“ war da; Blok selbst, der später von den Themen seiner Jugendjahre sich entfernt hatte, gestand einer Person, die vorläufig ungenannt bleiben möchte, daß er eigentlich nicht wisse, auf welche Weise die „Gedichte von der Schönen Dame“ sich ihm gegeben hätten; sie seien von Oben gekommen; ihr Grund sei nicht auszuloten; in ihnen liege ein Geheimnis verborgen. Dieses Geständnis legte Blok im Jahre 1920 ab, bereits nach den „Zwölf“; es wirft ein sehr interessantes Licht auf den Blok der letzten Jahre: er hat sich erst dann von Ihr zurückgezogen, als das Wehen, in dem Sie sich zeigte, nicht mehr zu ihm kam.
Schon damals in Moskau beobachtete ich bei Blok eine absolute Zurückhaltung des skeptischen Intellekts gegenüber der mystischen Erfahrung, die ihm zuteil wurde; der Intellekt Bloks war immer ein passiver Beobachter der seelischen Vorgänge; seine Bewußtheit frappierte mich; man kennt die Spaltung von Intellekt und Wille; aber es gibt auch Menschen, die gespalten und dabei des Gespaltenseins sich bewußt sind, es beobachten; dem Selbst-Bewußtsein Bloks war es nicht gelungen, in die Lebensgesetze seiner beiden Seelen einzudringen; aber er ist bis zu den Grenzen der möglichen Selbst-Erkenntnis vorgedrungen; er wußte: diese Seite in mir kann ich vollauf begreifen, die andere aber – nicht. Und hier liegt die eigentliche Quelle seines Humors. Einst traf ich ihn im Arbat an einem verregneten Wintertag, die vorüberfahrenden Schlitten spritzten den aufgeweichten Schnee weit um sich, die Häuser, triefend vor Feuchtigkeit, dämmerten vor sich hin, man glaubte, sie seien kleiner geworden, enger zusammengerückt; dann kam der dunkelgrüne durchnäßte Mantel, eine verrutschte triefende Mütze – Blok, mit müdem Schritt, eine Flasche in der Hand; Blok als Student mit einer Bierflasche war etwas unendlich Komisches; und auf diesen „Blok mit der Bierflasche“ zeigte er selbst mit dem ihm eigenen Humor:

Sehen Sie: hier, da trage ich das Bier, um es beim Mittagessen zu trinken…

Und in diesem „um-es-zu-trinken“ zeigte sich der stets sich bewahrende, leidenschaftslose Zuschauer, der mit der gleichen Gelassenheit sowohl den „Ritter der Schönen Dame“ als auch den zechenden Philologiestudenten beobachtete; und aus der divergierenden Haltung dieser beiden der Welt gegenüber zog der dritte, der Zuschauer, seine Folgerung.
„Was macht Markonet?“
Ein Lächeln, ein allesverstehendes Lächeln unter der triefenden Studentenmütze:

Nichts… Er kommt… Er sitzt… Er ist ein sehr guter Mensch.

Die letzten Worte sprach Blok gewissermaßen überbetont: nein, machen Sie sich nicht lustig über ihn (denn Markonet war komisch); ich weiß das, ich weiß alles, und dennoch ist er – ein sehr guter Mensch.
Wir verabschiedeten uns; ich ging weiter, und Blok bog mit seiner Bierflasche um die Ecke; er ging, „um zu essen“; und „um zu trinken“; es tropfte von den Dächern, überall zischten die Reisigbesen, die den auf geweichten Schnee zusammenfegten; und alles das war komisch.
Es handelte sich offenbar um zwei getrennte Funktionssysteme: um eine physiologische Reaktion auf das alltägliche Leben und um eine andere physiologische Reaktion auf die Morgenröte; die Morgenröten der Jahre 1901 bis 1902 konzentrierten sich in ihm und leuchteten aus ihm; der Atmosphäre dieser Morgenröten diente sein Gesang; seine Art der physiologischen Umsetzung der Morgenröte machte ihn zum Anziehungspunkt für die Anhänger Solovjovs, für Menschen, die einfach hellhörig waren, für Theosophen und alte Damen, für Markonet, für den Sektierer, für die reizenden Schwestern aus dem Dorf Nadovrashino; Blok ließ sich in kein politisches Lager einordnen: die Redaktion des Grif sah in ihm lediglich einen Ästheten, die religiös Ausgerichteten – einen „Dekadenten“, aber selbst Brjusov, der Anführer der Dekadenten, wußte über Blok nichts mit Bestimmtheit zu sagen, der stolze Balmont rümpfte die Nase; die „Atmosphäre“, die Blok um sich verbreitete, webte als eine dichte rosa-goldene Woge; sie umgab Blok, und sie durchtränkte unsere Begegnungen zu dritt; es war der Widerschein einer besonderen Welt (ein schmales Streifchen Licht, ein Stückchen Morgendämmerung), der wie Sonnenbräune das feste rosige Gesicht überzog – der Widerschein der rosa-goldenen Atmosphäre, mit der er durchdrungen, und die zum Bestandteil seines Blutkreislaufs, „physiologisch“ geworden war; und wiederum erhob sich die Frage:

Was leuchtet um ihn?

Antwort:

Um ihn leuchtet die rosa-goldene Atmosphäre des Jahres 1901.

Er nahm sie in sich auf, und sie floß durch seine Adern noch im Jahre 1904, als die Morgenröten längst verglommen waren: er leuchtete noch nach; bis zum Jahre 1906 leuchtete er. Und im Jahre 1906 war das Leuchten erloschen:

Du bist in den Feldern verschwunden,
Geheiligt werde Dein Name!

Bei seinem Besuch in Moskau machte Blok auf viele Menschen einen starken Eindruck; die einen sahen in ihm den Ritter, die anderen spürten in seiner Gegenwart eine Welle dionysischer Erregung (hauptsächlich „Damen“):
„Ach, Blok – der Rosenblättrige!“ so drückte sich in jenen Tagen eine Dame aus Balmonts Gefolge aus; die Feinfühligen sagten richtiger:

Aleksandr Aleksandrovitsch, ach, was ist das für ein guter Mensch…

Sie gewahrten die „Sonnenbräune“, den rosa-goldenen Widerschein der Vision, die Blok gehabt hatte; und er selbst, er stand ungerührt mitten im Chor der Meinungen – ruhig, humorvoll, in sich hinein staunend und auf die anderen lauschend: in seinem Blick lag eine Frage; man spürte deutlich: in dem „Kind“ Swedenborgs kommt ein Geheimnis zur Selbstwahrnehmung, an dem er selbst unschuldig ist; Blok war für uns ein leibhaftiges Problem, das aktuellste unter allen uns damals bewegenden Problemen; denn die Zeitschriften der Avantgarde: Vesy, Novyj putj, Mir iskusstva hatten sich längst überlebt; sie hätten wohl etwas zu sagen gehabt, wenn sie nicht 1899 bis 1904, sondern zwischen 1882 und 1885 erschienen wären, als Vrubels epochale Bilder entstanden, die um ganze zwanzig Jahre das literarische Leben überrundeten.
Blok zwischen 1905 und 1908 – ist ein Mensch; Blok zwischen 1908 und 1912 – ein großer Mensch; Blok in seiner letzten Zeit – etwas unerhört Neues; der Blok von damals, der unvergeßliche, unwiederholbare Blok, ist in allen anderen „Bloks“ anwesend, in ihnen verborgen wie hinter den Falten eines schweren, einmal grau-violetten, einmal gelb-schwarzen Vorhangs; damals erlebte ich Blok vor dem Vorhang; er hatte noch keine späteren „Bloks“ um sich (sie waren noch alle in ihm); das Antlitz des jungen Blok war noch unverhüllt, es spiegelte den Widerschein der Morgenröte; eine unsichtbare Glutwoge entströmte der ruhigen Gestalt des zurückhaltenden Studenten und nahm jeden mit. Ich sehe vor mir: die Gespräche zu dritt; die still lauschende Ljubov Blok; die rosa-goldene Luft; das aufflammende „Auge“ und:

Das schicksalsschwere Geheimnis
Webt schweigend um uns,

das heißt, Ihr Geheimnis, der beginnende Dritte Bund; wir wußten, daß in den nächsten Jahren kein Stein auf dem anderen bleiben und die Kultur der „Sokratiker“ von den Stürmen der katastrophenerfüllten Epoche zerstört werden würde. Ernstes, Paradoxes, Kindliches ging ineinander über; ich weiß noch, wie naiv und kindlich wir manchmal geträumt haben; ich träumte von dem Mysterium neugestalteter menschlicher Beziehungen, von stillem Leben mitten im Wald, in einer Klause im Kreise von Brüdern. Ich weiß noch, wie einst in der Wohnung Markonets mir der Satz entschlüpfte:

Ach, welche Seligkeit, wenn wir alle zusammen fortzögen, dahin…

Ljubov Blok hörte zu, behaglich in die Ecke des Sofas gekuschelt (das Sofa war grau-braun, so wie alles in diesem Haus), mit hochgezogenen Beinen, in ihren purpurnen leuchtenden Hausmantel warm eingehüllt, ein gehäkeltes Tuch um die Schultern, den goldblonden Kopf in die Hand gestützt; sie hörte uns zu und ihre Augen strahlten. Blok hatte seine alte graue Hausjacke an; er saß in einem Sessel direkt vor mir und hörte angestrengt zu.
Wir sprachen davon, daß wir alle einmal „dahin“ gehen werden: Und in der Tat: es ging Dobroljubov, ihm folgte der Student Semjonov, sechs Jahre später ging Lev Tolstoj; später ging auch ich (ich kehrte zurück). Wir alle lebten in der Stimmung des Aufbruchs – damals in der Morgenstunde des Symbolismus; und das Ganze, die Atmosphäre, die rosa-goldene Luft umwehte uns!
Man mag heute sagen, daß wir töricht waren: aber wir waren nicht töricht, sondern jung.
Unsere mitternächtlichen Gespräche in der kleinen braunen Wohnung schlossen langes Schweigen mit ein (Sergej Solovjov runzelte die Stirn und kristallisierte in Gedanken theologische Formeln aus, Blok lächelte sein doppelsinniges Lächeln, skeptisch und kindlich zugleich, und Ljubov Blok schenkte uns den Tee ein). Unsere Zusammenkünfte, die den Charakter eines schweigend vollzogenen Ritus hatten, bekamen die Bedeutung einer geheimen Tafelrunde: und wir wahrten unsere esoterische Atmosphäre; was hätte auch ein Uneingeweihter zu dem von uns Erlauschten sagen können? Nein, in solchen Augenblicken waren wir durchaus keine Schaubuden-Mystiker.
(Aber es gab „Schaubuden-Mystiker“ in Moskau, auch unter den Argonauten; kurz danach schrieb ich darüber; diese „Mystiker“ gediehen besonders auf dem Boden des mystischen Anarchismus, den wir – ich, Solovjov und L. Kobylinskij – ablehnten.)
Zu unseren Zusammenkünften gehörten Witz, Improvisation, Übertreibung: den goldenen Teppich, den Teppich Apollos, brauchten wir; wir trieben Unfug und stellten selber dar, wie uns die Uneingeweihten sehen würden; Sergej Solovjov eröffnete die Buffonade: wir parodierten selbst die Sekte der „Blokianer“ und spielten: diese Sekte ist das Studienobjekt eines Forschers des XXIII. Jahrhunderts (Solovjov hatte ihm sogar einen Namen gegeben: Lapan, Professor und Mitglied der Akademie). Der Forscher steht vor der interessanten Frage: Läßt sich die Existenz dieser Sekte aufgrund der Gedichte Bloks, der Werke Vladimir Solovjovs und der „Beichte“ von Anna Schmidt beweisen? Lapan schließt messerscharf:

Die S. P. Ch., eine Freundin Vladimir Solovjovs, hat selbstverständlich nie existiert; ,S. P. Ch.‘ ist ein symbolisches Zeichen, ein christliches Kryptogramm, und heißt: Sophia Premudrost Christova. Also ist die ,Sofja Petrovna‘ eine Allegorie der Sophia oder der Dritten Offenbarung auf dem Fundament der Zweiten, dem Fels ,Petrus‘. Daraus folgt, daß es eine ,Sofja Petrovna‘ in der Biographie Vladimir Solovjovs nie gegeben hat, daß sie eine Legende ist, von den Schülern des Philosophen in Umlauf gesetzt.

Wir lachten.
Darauf erzählte Solovjov, von unserem Beifall angespornt, die Fortsetzung: Lapan habe einen Schüler gehabt, den sehr, sehr gelehrten Pampan, der mit Lapan’schen Methoden den Beweis erbracht hat, daß Blok nie verheiratet war: eine Frau namens Ljubov Dmitrijevna hat es nie gegeben, das ist ebenfalls eine Legende der Blokianer: „Sophia“ (Weisheit) wurde bei Blok zu Ljubov (Liebe), die der eleusinischen Demeter zu Ehren den Beinamen Demeter oder „Dmitrijevna“ bekommen hat.
Ljubov Blok winkte ab, Blok provozierte die Fortsetzung.
Es kann jedoch sein, daß ich etwas vorgegriffen habe, daß Lapan erst später aufgetaucht ist, in Schachmatovo.
Jedenfalls hat Sergej Solovjov auf diese Weise seine eigene Hochstimmung zu dämpfen versucht; um diese Zeit habe ich an Solovjov eine ausgesprochene Exaltation beobachten können; das Erscheinen Bloks in Moskau veranlaßte ihn, Pläne, Systeme und Programme für eine recht ungewöhnliche Gesellschaft zu entwerfen, die nach unseren theoretischen Prinzipien aufgebaut und geführt werden sollte; es gelang ihm, uns immer wieder zu bestricken; ich erinnere mich, wie er einmal (sinnbildlich!) in dem Rock seines Vaters erschienen war; er hatte ihn umarbeiten lassen, trotzdem saß er recht knapp… Um den Hals trug er einen verknautschten Krawattenschal; ich erinnere mich, wie er in diesem seltsamen Aufzug, mit einer großen Pelzmütze in der Hand, mit wehender Mähne, wild gestikulierend an mir vorbeiraste; ein anderes Mal kam er mit einem Schlitten mir entgegengefahren, der Pelzmantel stand weit offen, der weiße Schal flatterte wie ein Fetzen hinterher. Einmal schleppte er mich zum Photographen, wo wir uns hinter einem Tisch photographieren ließen, auf dem Solovjov mit einer priesterlichen Geste das Bild seines Onkels und eine Bibel aufgebaut hatte.
Menschen vom alten Schlag hätten für unser Gebaren kein Verständnis gehabt; sie hätten gesagt:

Das sind Verrückte!

Wahrscheinlich hätten sie hinzugefügt: „So sind eben die Dekadenten“; das Schlimmste: sie hätten einen Artikel geschrieben: über das Große Welttheater und das Mysterium des Lebens; letzteres wurde fatale Wirklichkeit, allerdings zwei Jahre später.

Blok in Moskau

Der freundliche, wohlerzogene, ja sogar weltmännische Blok erweckte überall Sympathie, besonders unter den Argonauten; unter den Literaten um Skorpion und Grif Neugierde und unter den Damen reines Entzücken.
Unter Literaten war er freundlich und würdevoll; mit hocherhobenem Kopf trat er vor die Meister seines Fachs, die vielleicht mit einer Geste à la Güldenstern und Rosenkranz gerechnet hatten, im Glauben an die eigene literarische Majestät; bedauerlicherweise haben sich die Anführer der neuen literarischen Richtungen von den alten Gepflogenheiten nicht restlos befreien können; sie waren Schmeicheleien noch immer zugänglich, während Blok ihnen gegenüber einen natürlichen und unabhängigen Ton anschlug.
Ich erinnere mich beispielsweise an Blok bei einer Zusammenkunft in der Redaktion des Skorpion, ich erinnere mich an den dürren Brjusov mit mongolischen Backenknochen und Bartpinsel, an die Gesten seiner Hände, die jeden Augenblick wegzuflattern schienen, um sich über der Brust (die so gerade und so flach war wie ein Brett) wieder zu vereinigen; daneben Blok, mit zwinkernden blauen Augen, der seinen Explikationen zuhörte: weshalb eine bestimmte Zeile eines seiner Gedichte nichts wert, während eine andere etwas wert sei.
Ich erinnere mich an Blok auch an einem meiner „Sonntage“ bei der Begegnung mit den Freunden aus dem Argonauten-Kreis; von den Anwesenden behielt ich im Gedächtnis: Ellis (L.L. Kobylinskij), S.L. Kobylinskij, dessen Bruder, einen sehr geschwätzigen Philosophen, der seinen Gesprächspartner totzureden verstand, M.A. Ertel, Historiker und Anhänger von Blok, der unter den Theosophen eine Zeitlang nahezu als Eingeweihter galt; man erzählte sich, daß er Zeugnisse indischer Philosophie im Original gelesen habe, daß er der Übersetzer der Garivanscha sei (ich weiß nicht, ob das stimmt); außerdem K.D. Balmont, S.M. Solovjov, V. Vladimirov, S.A. Sokolov, Redakteur des Grif, den Theosophen P.N. Batjuschkov (ein Enkel des Dichters), A.S. Tschelistschev, Pojarkov, A.S. Petrovskij, die Schriftstellerin Nina Petrovskaja, K.P. Christoforova, D.J. Jantschin – soweit ich mich erinnere, Professor I.A. Kablukov, I.A. Kistjakovskij mit Frau, die Hausdichter des Grif (ich weiß sie nicht mehr alle namentlich anzuführen) – im ganzen etwa fünfundzwanzig Menschen.
In diesen Jahren wurde in unserem kleinen weißen Eßzimmer der Tisch von einer Wand bis zur anderen ausgezogen, und um diesen Tisch spielten sich die leidenschaftlichsten Diskussionen ab; zuweilen erschienen mir völlig unbekannte oder nur wenig bekannte Menschen – Dichter? Kunstliebhaber? – ich habe es nie erfahren. Einmal kam der Komponist Tanejev, der uns für komplette Sonderlinge hielt: gerade deshalb versäumte er nicht, meine „Sonntage“ zu besuchen und lernte allmählich uns alle kennen; die Argonauten wurden bald zu regelmäßigen Gästen Tanejevs und ließen sich vom Hausherrn Bach vorspielen (in der Folge verdanke ich Tanejev sehr wertvolle Anregungen zu meinen Untersuchungen über Rhythmus).
An jenem Sonntag scharten sich die Argonauten um Blok; und versuchten ihn zu überreden, sich als Orpheus den Argonauten anzuschließen und sie auf die Fahrt zum Goldenen Vlies zu begleiten; es war ein ziemliches Durcheinander. Blok verhielt sich gleich liebenswürdig allen gegenüber, aber er konnte sein Staunen nicht verhehlen; er wußte offenbar nicht, wohin er geraten war: unter Symbolisten, zu Stankevitsch, in eine Versammlung der vierziger Jahre oder ganz schlicht in eine Komödie von Gribojedov; Belinskij, Bakunin trafen sich auf meinen „Sonntagen“ mit dem unsterblichen Repetilov und dem Helden Huysmans; aber… nomina sunt odiosa! Das Durcheinander nahm zu; mir schien, daß Bloks Gedicht Wirklichkeit wurde:

Alle um den runden Tisch schrieen
Und wechselten beständig ihren Platz.

Meine Gäste sprangen auf, kamen und gingen; Stühle fielen um, und das Poltern übertönte für einen Augenblick das Stimmengewirr, die Zwischenrufe, das Lachen, die Diskussion; ich war wenig mit Blok zusammen, weil ich ihn mit seinen alten Moskauer Verehrern allein lassen wollte; er wollte sie alle kennenlernen und kam mit den Antworten nicht nach, indem er auf alles einging, was man ihm entgegenbrachte; plötzlich wirkte er linkisch und verlegen; sein lebhaftes Lächeln wurde angestrengt, nervös und erstarb; Schatten legten sich um die Augen, er wurde düster.
Und nun begannen die Lesungen: Balmont, ich, noch jemand, er; Balmont holte sein uns wohlbekanntes Büchlein hervor, um die Zeilen wie einen Handschuh von sich zu werfen – arrogant. Dann las Blok; und ich war wieder von neuem überrascht: von seiner Art vorzutragen; zuerst gefiel sie mir nicht (erst später habe ich sie zu würdigen gelernt); zuerst glaubte ich, der Anapäst klänge unmusikalisch; seine Stimme schien die Melodie der eigenen Verse auszulöschen – diese sachliche, etwas dumpfe, nüchterne und ausdruckslose Stimme; er näselte ein wenig beim Lesen und verschluckte die Wortenden (ich denke: wenn er las, wurden die für ihn charakteristischen unsauberen Reime ausgeglichen, und die Alliterationen konnten als Reime gelten); seine Stimme senkte sich nie, und die Pausen waren alle gleich bemessen: man glaubte den schweren Schritt eines gepanzerten Ritters zu vernehmen; und das Gesicht Bloks glich sich der Stimme an, es wurde schwer und starr: die Nase schien größer und spitzer zu werden, im Schatten der Nase bewegten sich die Lippen; die Augen trübten sich und ihr Blau wurde bleiern; wie von schwerem Metall eingeschlossen, wie im Panzer erschien er beim Vorlesen seiner Gedichte.
Der Vortrag von Balmont war eine einzige verächtliche Herausforderung:

Hier – ich schenke es Euch: nehmt’s oder nehmt’s nicht, prüft es, lobt – mir ist alles gleich: ich bin die Sonne!

Brjusov servierte seine gutgebackenen Zeilen beim Lesen wie ein Gericht – auserlesen garniert:

Bitte zu Tisch!

Er deklamierte verhalten, mit einer etwas brüchigen Stimme, ein wenig gequetscht und ein wenig heiser, ein wenig gurrend und ohne das k und t scharf zu artikulieren. Ich für mein Teil hatte meine Gedichte damals gesungen, häufig auf Zigeunerart und unter Mißachtung der natürlichen Betonung.
Blok schritt unnachgiebig und langsam seine Zeilen entlang:

Ja, ja: so ist es; das – ist – das – war – und – das – wird – sein!

An diesem Abend unterhielt er sich am meisten mit Ellis, Vladimirov und Petrovskij; in Kürze sollten zwischen Ellis und Blok größere Spannungen auftreten; Balmont und Blok wechselten an diesem Abend fast kein einziges Wort; Balmont fand an Blok keinen Gefallen.
In diesen Tagen jährte sich der Tod von Solovjovs: und alle, denen ihr Andenken teuer war, trafen sich im Novodevitschij-Kloster, in der rosafarbenen Klosterkirche; festlich jubelte der Nonnenchor; die Stimmungen vergangener Jahre tauchten wieder auf; meine „Symphonie“, Vladimir Solovjov. Blok und ich besuchten sein Grab – ein Mal unvergeßlicher Zeiten. Ich war besonders glücklich, mit Blok mich an diesem Ort zu treffen; um uns schwieg ein matter, weicher, schneeiger Tag; wir stapften durch knirschenden Schnee, Schnee rieselte von den Tannenzweigen auf uns herab; nachher gingen wir zu Popova (einer Schwester Solovjovs) und tranken dort Wein, in stillem Gespräch über die Toten und diesen Friedhof; dort haben noch viele Einzug gehalten: P. Solovjova (die Frau des Historikers), Tschechov, A.G. Kovalenskaja, Markonet, Skrjabin, Ern, T.A. Ratschinskaja und viele andere; auch ich würde gerne dort begraben sein.
Bei Popova hat ein langes Gespräch stattgefunden, das Ellis begonnen hatte; Ellis, blaß und mit blutroten Lippen wie ein Vampir, mit grünlichen Äuglein und pechschwarzem Bart, rückte mit seinem Gesicht immer näher heran und geiferte dabei seinem Gesprächspartner ins Gesicht. Er quälte Blok durch sein nervöses Zucken, ewiges Zupfen am Schnurrbart und durch endlose Arabesken seiner Ausführungen; alle fühlten sich von der Stille umhüllt, die man von den Gräbern mit heimgebracht hatte – aber nein: mit leidenschaftlich knisternder Trockenheit, fanatisch und unersättlich, schleppte Ellis Blok von den Gestalten Dantes über das Hochmittelalter zu… Baudelaire, der Blok so fremd war; Ellis selbst hatte zwei Steckenpferde: katholische Askese und die Alpträume Breughels, die Chimären von Notre Dame, der dandyhafte Zynismus Baudelaires; am Schnittpunkt dieser beiden Linien ergab sich für Ellis der Zugang zum Symbolismus oder zur „Argo“; ich sah, wie Blok unter dem Redeschwall verfiel; die scholastische Exaltation von Ellis war für ihn unerträglich; dieser Prediger des Symbolismus trug einen Propagandisten in sich, einen Agitator, einen Mönch (später konvertierte Ellis zum Katholizismus); sein Wortschwall war gewürzt mit Schmähungen, die sich gegen Brjusov richteten – bald darauf wurde er dessen getreuer Knappe. Ich sehe es deutlich: der nackte, bläßliche Schädel, das Grün der Augen und die feuchten, blutroten Lippen; daneben Blok, längst erstarrt unter der Flut der Paradoxa; die strahlende Sonnenbräune erlosch, graugelbe Schatten zogen über das magere Gesicht, und die zitternden Lippen flehten um Hilfe:

Erlöst mich von diesem Wüstensturm!

Ich litt: für Blok und Ellis; ich liebte beide; ich wußte, daß der unbändige Ellis bereit war, dafür zu sterben, was er im Augenblick für sein Ideal hielt; leider wechselten seine Ideale: am Anfang Marxist, Theoretiker und Agitator; dann Nachfolger von Steccheti; 1901 – Jünger von Prof. Ozerov; von 1902 bis 1907 Verfechter von Baudelaire und im Jahre 1908 von Brjusov; 1909 bewunderte er Dante, und im Jahre 1910 suchte er nach einem Einweihungsweg; von 1911 bis 1913 folgte er Rudolf Steiner und 1915 bis 1916 Ignatius von Loyola; in diesem Stadium war er bereit, die gesamte Gegenwart der Heiligen Inquisition zu überantworten, in seinen Briefen bediente er sich der abscheulichen Abkürzung „HI. Sch.“ („heiliger Scheiterhaufen“).
Ich erwähne diese Begegnung von Blok und Ellis, weil es eine Begegnung von zwei außergewöhnlichen Menschen war: ein unmöglicher Übersetzer, ein talentloser Dichter, ein nur flinker Publizist, hatte Ellis dennoch ausgesprochen geniale Züge, außerdem wirkte er in unserem Kreis inspirierend, er war der Agitator des „Symbolismus“ und organisierte eine ganze Reihe symbolistischer Zirkel.
Später wiederholte Blok:

Nein, wissen Sie, nein: ich kann Lev Lvovitsch dennoch nicht ertragen, nein, nein, nein, nein!

Und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse physischen Schmerzes.
Diesen Schmerz habe ich bei ihm mehrfach beobachtet (Ausdruck einer Ungeduld, die in ihm lebte: ungeduldiger Wahrhaftigkeit); er fuhr bei einem falschen Ton zusammen, er zuckte; um seinen Mund erschien dann das leidende Lächeln der Anstrengung, diesen Schmerz mit zusammengebissenen Zähnen auszuhalten; nahm die Anstrengung zu, so erlosch er, die Sonnenbräune verflog, er wurde häßlich, die auf einmal spitz gewordene Nase warf einen dunklen Schatten über die fest zusammengepreßten trockenen und hochmütigen Lippen: er schwieg erschrocken, seltsam und böse.
Ich war geduldiger: auch ich litt unter einem falschen Ton und ging monatelang wie gemartert umher; aber ich trug die Disharmonie wie ein Kreuz, bemüht, einen Akkord in dem Durcheinander zu finden und gab dafür den eigenen Rhythmus auf; Blok zog sich in sich zusammen: vor lauter Ungeduld; ich war dem Zerreißen nah und explodierte zuweilen: dann kam es zu den absurdesten Zwischenfällen und Skandalen. Um jene Zeit wollte Blok das Leiden nicht; ich dagegen lebte mit dem Problem des Leidens und des Opfers, wobei das Symbol des gekreuzigten Dionysos mich dicht vor die Biographie Nietzsches geführt hatte; Blok dagegen stand Nietzsche immer fern; hier gabelten sich unsere Wege; hier stand ich Ellis näher und den Problemen des Gegensatzes; der Blok jener Zeit dagegen wollte Verklärung; die Verklärung blieb aus – da starb er.
In den religiösen Problemen war mein Ausgangspunkt: Logos. Bloks dagegen: Kosmos und Sophia; er schreckte davor zurück, das Christentum als eine geschichtliche Tatsache zu betrachten und glaubte die Geschichte von der Zukunft her erschließen zu können; er suchte die Zukunft in der Gegenwart aufflackern zu lassen – und hat sie nicht mehr erlebt. Man müßte wahrhaftig auch jetzt noch eine Weile Geduld behalten – bis in die dreißiger Jahre. Die Religiöse Gesellschaft in Petersburg interessierte mich: ich freundete mich mit Mereshkovskij an, und auch mit Ratschinskij – mit jenem Ratschinskij, der Bloks Dichtung gegenüber sich als so hellhörig erwiesen hatte, der Blok aber nicht aufgefallen war (ihm im eigentlichen Sinn nicht aufgefallen war), ebenso wie auch der Erzbischof Antonius, von dem Semjonov gesagt hatte:

Ich weiß nicht, wer mehr zu sagen hat – Tolstoj oder dieser Bischof.

Wir brachten Blok einmal zu Antonius, aber bei diesem Besuch schwieg der Mönch. Blok schwieg ebenfalls, grau und stumm. Es sah beinahe so aus, als ob Petrovskij und ich Blok gewaltsam zu Antonius gebracht hätten. Ich muß offen gestehen, daß wir manches Attentat gegen Blok verübten: wir stellten ihn oft zur Schau. Er zog sich in sich zusammen und gab nach: aber seinen Schmerz konnte er nicht verhehlen.
Meine selbstgestellte Aufgabe war ihm fremd: eine Gemeinschaft zu bilden, einen neuen Lebensrhythmus zu schaffen, das Mysterium neuer menschlicher Beziehungen zu verkünden und einen Ritus zu stiften, der diesem Mysterium gemäß sein sollte (bald vertiefte ich mich in die eleusinischen Mysterien); ich empfand mit aller Deutlichkeit: die Argonauten, denen das Mysterium vorschwebte, treten abstrakt an das Mysterium heran, unfähig, ein konkretes Zentrum zu bilden; und dennoch war das Problem eines Mysteriums für sie ein ernstes Anliegen. Die Tragödie der Argonauten bestand in folgendem: wir alle haben die „Argo“ nicht im Konkreten bestiegen: wir sind nur bis zu jenem Hafen vorgedrungen, von wo man hätte ablegen können; dort bestieg jeder sein eigenes Schiff, dem er rein subjektiv den Namen „Argo“ gegeben hatte; die Vergangenheit und die Zukunft der Argonauten bedeuteten unüberbrückbare Trennung; die „Argo“ war nur der Punkt, wo sich die verschiedenen Seelen ein „Evoe“ zuriefen, um sich dann endgültig zu trennen.
Was hatten wir denn auch Gemeinsames? Hinter Petrovskij standen Orthodoxie, Konservatismus, Auflehnung; vor ihm: Serafim von Sarov, Rosenkreuz und Anthroposophie; oder ein Ellis, oder ein Medtner, slavophiler Kantianer, später Goetheanist und Germanophile mit deutlicher Vorliebe für Chamberlain und Freud; oder ein Batjuschkov: Theosoph, ein Theosoph bis in alle Ewigkeit; oder ein Ertel, Historiker akademischer Prägung, Okkultist und Sanskritist (vielleicht ist das auch nur ein Mythos) und später ein bescheidener Mitarbeiter im Kultusministerium; oder ein Astrov, Verehrer von Petrov, oder M.I. Sizov und Nina Petrovskaja – was hätten alle diese Menschen Gemeinsames haben können? Allein die Losung einer unbestimmten Zukunft vereinigte uns zu dieser Zeit. Der „Argonautismus“ erwies sich nur als ein Umschlagplatz: wir trafen uns dort als Argonauten im Jahre 1904; und jetzt sind wir verweht in alle möglichen Ideenwelten, ja sogar in alle möglichen Länder.
Ich spürte deutlich die nahende Trennung und litt darunter; ich wollte die „Atmosphäre“, aber die „Atmosphäre“ zerfiel und löste sich auf, übrig blieben die schreienden Widersprüche des empirischen Lebens; sie taten mir weh. Blok spürte das mit seinem hellhörigen Herzen. Und ungeachtet der prinzipiellen Motive, ungeachtet meiner Taktik (die war ihm völlig fremd) trat er mitfühlend neben mich und legte mir brüderlich den Arm um die Schultern, um meinen Schmerz (den ich noch selbst nicht bis ins letzte begriffen hatte) zu lindern. Ich trug in mir das zwingende Gefühl, daß mein Streben nach dem „Geheimnis“, nach Musik, nach dem brüderlichen Mysterium – die „Stimme des Rufers in der Wüste“ war. Bald wurde mein Schmerz unerträglich und ich schrieb:

Ihr lärmt: der Tabaksrauch
Quillt in blauen Wellen…
Der Strahl meiner goldenen Laterne
Pocht an Eure Fenster.

Mit diesen Zeilen wurden die Argonauten angeredet, die gelärmt hatten, statt in einem gemeinsamen Rhythmus, in der erkenntnisträchtigen Stille sich zu vereinigen. Bald darauf schrieb ich an Blok:

Verlaß mich nicht, mein Freund,
Vergiß mich nie…

Blok fühlte meinen Schmerz und antwortete mir mit den Versen:

So ist es: die lodernde
Fackel hast auch Du gelöscht,
In dumpfer Dunkelheit verschmachtend.

Und:

Den Schweigenden will ich
Mit voller Kraft umarmen.

Als charakteristisches Beispiel ein Abend im Grif, wo die Disharmonie besonders schneidend hervortrat; dort waren alle versammelt: die Argonauten, die vom Grif, die „mondscheinumleuchteten“ jungen Mädchen und Blok mit seiner Frau; und es begann ein Schaubudenstück: infolge der Unaufrichtigkeit der einen, der Süßlichkeit der anderen und der Prahlsucht der dritten; plötzlich rief jemand von den Theosophen, der Erleuchtete sei nahe, worauf Ertel mit stieren, funkelnden Augen verkündete, daß Moskau theurgisch… (ich habe vergessen, was eigentlich damals mit Moskau geschehen sollte: sollte es sich etwa verklären?) Und dann ertönt der Baß eines feisten Rechtsanwalts:

Meine Herrschaften, der Tisch hebt sich…

Offensichtlich bedeutete für ihn die Verklärung – Tischrücken. Ich sehe, wie Blok aschfahl wird, ich sehe, wie seine Frau zornig mit den Augen funkelt. Von mir weiß ich schon gar nichts mehr zu sagen: in mir empörte sich alles: wegen Blok, meinetwegen, wegen Nina Petrovskaja, die das Treiben sehr wohl durchschaute; und ich sehe: behutsam tritt Blok an mich heran – er macht mir Mut: wortlos, durch den Blick. Das Mitgefühl überwog den Abscheu vor dem seelischen Wirrwarr, er leuchtete wieder, und seine friedliche beruhigende Ausstrahlung hüllte mich wieder ein.
Bald darauf gingen wir; ich begleitete Blok und Ljubov Dmitrijevna: es schneite ein wenig in den mitternächtlichen Straßen; weiche Schneeflocken verfingen sich im behaglichen Pelz von Ljubov Dmitrijevna; ich ging neben ihr wie geschunden, ich weiß es noch; Blok hakte sich wortlos bei mir ein und brachte es fertig, mich durch leises Zureden zu beruhigen, auch daran erinnere ich mich genau; seit diesem Abend wurde es Brauch: an Tagen, an denen mich etwas besonders betrübte, ging ich zu Blok, setzte mich in einen bequemen Sessel und beichtete Blok alles, alles. Ljubov Dmitrijevna, im purpurnen Hausmantel, den Kopf in die Hände gestützt, schwieg und antwortete nur durch das Aufblitzen der Augen; Blok, ganz, ganz still, ruhig, ein alles verstehender Bruder, sah mich an, nicht mit den Augen, sondern mit blauen Laternen, und leuchtete mich aus; so schien es mir damals. Dabei sah er alles; die Prüfung nahte: Verlust des Mysteriums; Verlust der Weiße im Streben; Blok sah das alles und brachte mir unaussprechliches Mitgefühl entgegen.
Seit diesen Tagen duzten wir uns. Er sagte mir oft:

Ich weiß: das ist alles viel zu plump: es ist nicht das richtige, was dich umgibt, das ist nicht die Art und Weise…

S. Solovjov war in diesen Tagen nicht mit uns gewesen: er war an Scharlach erkrankt; ich erinnere mich: eines Tages traf ich Bloks vor dem Krankenzimmer: A.G. Kovalenskaja flüsterte mit der Pflegerin; es ist mir unvergeßlich, wie zart und rücksichtsvoll Blok die stark beunruhigte „Großmutter“ behandelte; er war der taktvollste Mensch, den man sich denken kann.
Wir sahen uns täglich und haben seltsamerweise fast nie über Kunst gesprochen; seit der Erkrankung von Solovjov traten dessen „Kunsttheorien“ in den Hintergrund; wir lebten von da an ganz schlicht, Blok: widmete sich mir aufopfernd, als sei ich schwerkrank; ich ließ es mir mit größter Selbstverständlichkeit gefallen.
Das waren die letzten Tage Bloks in Moskau; vor der Abreise besuchten wir beide eine Jugendgruppe, die sich für religiöse Probleme interessierte; ich hatte dort ein Referat zu halten; anschließend wurde lange diskutiert; unter den Jünglingen befanden sich P.A. Florenskij (künftiger Geistlicher und Professor), W.F. Ern (Philosophie-Dozent), V.A. Sventickij, der später so viel von sich reden machte, die Brüder Syrojetschkovskij, Galanin und, soweit ich mich erinnere, Scherr; diese Versammlung fand auf der Studentenbude von Ern in der Nähe der Erlöser-Kathedrale statt; auch an dieser Gruppe konnte Blok keinen Gefallen finden; er verfinsterte sich:

Nein, das ist nicht das Wahre: über dieser Gruppe lastet etwas Schweres.

Die Zukunft gab seinem Spürsinn recht: in diesem Kreis spielte sich manches Drama ab, der Boden dafür wurde vorbereitet; und Blok spürte das:

Es gefällt mir nicht!

Sventickij und Ern versuchten später, Blok für sich zu gewinnen; aber er zog sich zurück, besonders in jener Zeit, als diese Gruppe zu dem „Kampfbund“ erweitert wurde, dessen Aufrufe, mit einem schwarzen Kreuz versehen, an die Geistlichkeit, an die Armee und ähnliche Institutionen gerichtet waren. Bulgakov und Volshskij schlossen sich dem „Kampfbund“ an, im Süden agierten Benevskij und Lundberg (soweit ich mich erinnere).
Hier hören meine Erinnerungen über Bloks Besuch in Moskau auf. Aus den Briefen seiner Mutter haben wir erfahren: er kehrte sehr zufrieden heim, Moskau hinterließ in ihm einen anregenden und guten Eindruck.

(…)

Andrej Belyj: Im Zeichen der Morgenröte. Erinnerungen an Aleksandr Blok, Übersetzung Swetlana Geier, Zbinden Verlag, 1974

 

 

Konstantin Fedin: Alexander Block, Sinn und Form, Heft 6, 1957

Werner Helwig: Ein Mystiker der russischen Revolution. Zu Alexander Block, Merkur, Heft 366, November 1978

Oleg Jurjew: Das Lächeln von Alexander Block

Alexandra Gusewa: Wie Sergei Jessenins Mythenbildung ihn zum Lieblingsdichter der russischen Patrioten machte

 

 

aaaaaaaaaaaafür Alexander Blok

Kam den Dichter zu besuchen.
Es ist Sonntag und ist Mittag.
Ruhe in dem weiten Zimmer.
Vor den Fenstern Frost.

Eine himbeerrote Sonne
Über dicken Nebelschwaden…
Ach, wie sieht der Hausherr schweigend
Jetzt genau auf mich.

Er hat Augen, die sind so,
Daß sie keiner mehr vergißt.
Besser ist, wie ich mich kenne,
Gar nicht erst hineinzusehen.

Und erinnern werd ich mich:
Reden, Nebel, Sonntagmittag
In dem Haus, das grau und groß
Am Meerestor der Newa steht.

Januar 1914

Anna Achmatowa
Übersetzung: Barbara Honigmann

 

ALEXANDER BLOCK

Sonntag war’s, punkt zwölf Uhr mittags,
Als den Dichter ich besuchte.
Stille herrscht’ im großen Raume;
Vor den Fenstern stand der Frost.

Himbeerfarben schwebt’ die Sonne
Über grauen Nebelfetzen…
Wie auf mich der Hausherr schweigend
Richtet seinen klaren Blick!

Augen hat er nämlich, Augen,
Deren jeder sich erinnert.
Besser, wenn ich ihm aus Vorsicht
Nicht erst in die Augen schau’…

Ich besinn’ mich jedes Wortes
Jenes nebeligen Sonntags,
Dort im hohen, grauen Hause
Dicht am Meerestor des Stroms.

Anna Achmatowa
Übersetzung: Xaver Schaffgotsch

 

 

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