KOHLKOPF
dem scheinheiligen
ist der schein heilig
solang der staubsauger
staub saugt
nicht der klang
sondern die note
bestimmt die regelung
der quote
der antwortende
kommt dem bittsteller
fragwürdig vor
der fragende nickt
die äpfel sind gefallen
die äcker beackert
die augen rollen
das gras wächst
doch kohlkopf
kann oohne vogelscheuche
nicht mehr
leben
(August, September 2003 / Januar, Februar 2007)
Krohn: Hallo Bert, ich stecke hier gerade fest – Gehirnerschütterung. Hab leider ’nen Türrahmen übersehen – es ist ein Kreuz, wenn man so groß ist! Schon die zweite Erschütterung in drei Jahren! Meine Mutter meinte, ich solle mir einen Hut zulegen. Nach dem letzten mal trug ich einen – es half tatsächlich. Nun muß ich Ruhe halten, möglichst wenig laufen (es läuft sich wie auf einem wankenden Schiff) und jeder Gedanke bereitet Kopfschmerzen.
GEHIRN
Beim Lesen über das Gehirn,
darüber; daß alle Erkenntnisse,
die über das Gehirn gemacht wurden,
auf das Gehirn angewiesen waren;
schmerzt es.
(…)
Papenfuß: Holla Xandi! Das ist ja die reinste Lazarettprosa. Du hast Dir am Ausgang Europas den Kopf gestoßen. In Frankreich sind 10.000, zumeist ältliche und alte, Leute an der Hitze des diesjährigen Sommers gestorben – und das sind nur die offiziellen Zahlen. So lösen die Franzosen ihr Rentenproblem.
(…)
Wie war Deine Erfahrung an den Staatsgrenzen südostwärts?
Krohn: (…) Und nun ging es an der bulgarischen Küste entlang in die Türkei. Und das in nicht mal 20 Tagen! Was ein merkwürdiger Zufall ist, denn das T von Türkei ist dasselbe T wie in Tageszeitung und außerdem der 20. Buchstabe im Alphabet. Wozu mir einfällt, daß Du mit Jürgen Kuttner der „tageszeitung“ ein Interview gegeben hast, in dem Kuttner behauptete: „Kunst muß aus der Not entstehen“ – Stimmt das?
Papenfuß: Auf die Frage „ist es also sinnlos geworden über die DDR zu schreiben?“ Habe ich geantwortet: „Nein. Aber man sollte nie die Erwartungen der Verlage erfüllen. Ich habe mal mit Bernd Lunkewitz vom Aufbau Verlag zusammengesessen. Und was wollte er haben? DDR-Aufarbeitung mit viel Sex. Was soll der Quatsch? Selbst die aufstrebenden jungen Karrieristen der Reformbühne Heim und Welt, selbst du, Falko, versperrst dich ja gerade dem.“ Woraufhin Falko Henning, mit anbahnendem Kalkül – wie er meint – antwortet: „Das stimmt nicht. Ich habe in meinem neuem Buch alles geschrieben, was in einen Erfolgsroman reingehört. Ich fände es erfreulich, wenn sich das Buch gut verkaufen würde.“ Woraufhin ich einwarf: „Das ist doch Mist.“ Dann zog Kuttner das Resümee: „Kunst muss aus der Not entstehen.“
Ich würde ergänzen: Es reicht auch der Schmerz, der aus einem Mangel an als nötig empfundener oder gedachter Veränderung resultiert, der muß dann nur noch mit Nachdruck herausgearbeitet werden – und fertig ist der Gedichtzyklus. Ob man aus diesem Impuls heraus heute noch Romane schreiben kann, wage ich zu bezweifeln. Erstens gibt es schon genug, und zweitens schade um den schönen Unmut. Gedichtzyklen gibt es allerdings auch schon genug, aber für den zwischenmenschlichen Gebrauch sind sie weit geeigneter als Gattungsprosa, die noch dazu mit kommerziellen Erwartungen daherkommt.
Krohn: (…) Glaubst Du, daß Überdruß ein Zeichen von Lebenshunger ist?
Papenfuß: Im Gegenteil, ich halte sogenannten Lebenshunger für ein Zeichen von Überdruß, die eigene Lage im entsprechenden sozialen Rahmen ändern zu wollen. Mit Sicherheit gibt es aber auch nach großen Entbehrungen einen wahren Lebenshunger.
Krohn: wir lesen gerade Arno Schmidt:
… Dann saß ich erschöpft und zufrieden in meiner einen Stube; ziemlich möbelleer, aber ich kann zur Not den Schreibmaschinenkoffer als Kopfkissen nehmen, und mich mit der Stubentür zudecken.
Heute hast Du durch das Kaffee Burger ausreichend Geld, früher hattest Du Schulden, was bekommt dir besser?
Papenfuß: Ich habe ein halbwegs regelmäßiges Einkommen, das Miete und Bier bezahlt. Der entscheidende Umsatz im Burger entsteht natürlich durch die Tanzwirtschaft, nicht etwa duch die Vorabendprogramme wie Lesungen und Konzerte. Hin und wieder kommen zu meinem Salär noch Honorare für Lesungen und Publikationen hinzu – umso besser. Mittlerweile habe ich mir schon längere Zeit kein Geld mehr geborgt, und fühle mich ganz gut dabei. Die Seidels lauern allerdings überall. Zudem fehlt es mir in meinem Umfeld an Impulsen, das Privateigentum an Produktionsmitteln und Grund und Boden abschaffen zu wollen, und auch was dafür tun zu wollen. Der kulturpolitische Apparatus muß natürlich auch bekämpft werden, aber es gibt viel Opportunismus. Systemkriecher überall, „Feinde ringsum“!
Krohn: (…) Nun sitze ich auf dem Balkon, vor mir erstreckt sich die Lava, ein Flugzeug wurde soeben durch die Laserstrahler der Stadt geblendet, säße ich drin, ich hätte mich gehörig erschrocken, und denke über Frauen nach. In Astrachan hast Du geschrieben (sinngem.):
Je mehr ich von Mädchen lernte, desto mehr wich mein Interesse militärischen Dingen
was hast Du gelernt?
Papenfuß: Mein Interesse für Sport und Technik ließ nach, als ich umtriebige Freunde und Freundinnen fand. Die erotisierende Wirkung der Beat-Musik tat ein Übriges. Der Freundeskreis im Greifswald der 70er Jahre bestand aus Schülern, Lehrlingen und Studenten, Eingeborenen und Zugereisten, angehenden Intellektuellen, Arbeitern und Arbeitsbummelanten. Wir waren die Szene, die noch nicht in Szenen verfallen war. Waren im Rahmen der ja äußerst beschränkten Reisemöglichkeiten unterwegs, lasen, diskutierten, feierten und bumsten wild durcheinander. Rückblickend kommt das Gefühl auf, es sei eine erfüllte Jugend gewesen, mich jedoch an das damalige Lebensgefühl erinnernd, muß ich sagen, daß wir äußerst unzufrieden waren und nicht zu Unrecht von den staatlichen Organen als „feindlich-negativ“ angesehen wurden.
Gelernt habe ich, daß es gilt, das Leben zu feiern, und sich im Rahmen seiner Möglichkeiten sinnvoll zu betätigen, wobei es darauf ankommt, den Rahmen der Möglichkeiten permanent neu abzustecken und gegebenenfalls zu erweitern, und wiederum mit neuem Sinn zu füllen. Letzteres ist das Schwierigste, zumal man üppig zu säen glaubt und karg erntet, aber Undank ist schon mal ein guter Anfang – Verschleiß hingegen der Preis. Das Leben ist ein einziges Nachladen.
Krohn: Über Gerede, Gedikli, Göreken, Günüsli und Gümüsli sind wir in Göreme gelandet – wirklich schön hier. Auch schön leer, da die ganzen Schiesser grad woanders sind (Irak-Krieg). Göreme ist ein großes Tal aus weichem Tuffstein inmitten einer bizarren Erosionslandschaft. Versprengt ragen steinige Zuckerhüte hervor, in welche zum Zwecke unauffälligen Abtauchens von christlichen Eremiten und Mönchen seinerzeit Behausungen geschnitzt wurden – Göreme heißt: „Du sollst nicht sehen.“ Denkbar ist auch, daß sich der ein oder andere Knacki auf der Flucht vor den Bullen hier versteckt hielt. Einer der Stammsäufer aus der Bornholmer Hütte ist ebenfalls Bulle und bezeichnet sich auch selber so, denn seit Homosexuelle sich „Schwuchteln“, Afroamerikaner sich „Nigger“, Punker sich „Zecken“ usw. rufen, sind Polizisten aus strategischen Gründen dazu übergegangen, sich „Bullen“ zu nennen. Habe ich aber durchschaut und: Antrag abgelehnt. Mein Freund und Helfer Jean jedenfalls hat auf einem U-Bahnhof, wo er sich beruflich mit rumpöpelnden Besoffenen beschäftigt bzw. verschütt gegangenen Gliedmaßen Lebensüberdrüssiger von den Schienen klaubt, eine Brieftasche gefunden. Inhalt 200 DM. Diese hat er beim Schaffner abgegeben, und zwar mit Geld, und als er das in der Hütte erzählte, haben ihn alle ausgelacht. Gute Taten stehen nicht sehr hoch im Kurs. Wann hast Du Deine letzte vollbracht?
Papenfuß: Ich mache keinen Unterschied zwischen „guten Taten“ und dem, was ich normalerweise mache. Vielleicht zu Unrecht.
Krohn: Wir haben heute in Göreme folgendes Schild gesehen:
LIEBE GÖSTE!
WENN SIE GEBRAUCHTE KLIDUUGSSTÜCK
HABEN, DIE SIE ENTBEGEU KÖNNEN, LASSEN
SIE HIER FÜR ARME LEUTE IM DORF
VIELEN DANK
Diese Gesprächscollage wurde dem Schutzumschlag von Alexander Krohn: FOR EVER entnommen.
Als Musiker, bildender Künstler, Schriftsteller und Verleger (Distillery) arbeitet Alexander Krohn in verschiedenen künstlerischen Bereichen. Ob zu Hause in Berlin oder auf einer seiner weltweiten Reisen, stets betrachtet er seine Umgebung ganz genau – begleitet von einer politischen Grundhaltung fällt sein scharfer Blick auf Skurriles – und hält das Gesehene schreibend fest. for ever enthält ausgesuchte Gedichte aus den Jahren 2001 bis 2006; einige sind im Eigenverlag bereits publiziert, über mehrere Bände mit kleinen Auflagen verstreut, nun aber in einem Buch zusammengefasst und einem größeren Publikum präsentiert.
gutleut verlag, Ankündigung
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