MUSIQUE LÉGÈRE
Warum kann man Literatur nicht auch so machen:
Es war ein gelbes Haus, versteckt hinter Glyzinien
die Glyzinien frisch wie deine Schenkel, wenn du aus dem Fluss steigst,
deine blasse Haut geheimnisvoller als die Augen.
Ich hätte einen Roman angefangen
mit fremden (uns fremden) Figuren
doch immer hätte ich dich wiedergefunden wartend inmitten der Bilder
wie die Brennnessel, kauernd im Gras,
und der alte pensionierte Oberst ist kleiner und kleiner
und bedeutungsloser geworden.
*
Meine Großmutter ist eine konturlose Dame
so wie die mittelalterlichen Bücher
an den Rändern ausgefranst sind.
Meine Großmutter hat sich verflüssigt
sie nimmt die extravagantesten Formen an.
Gebt mir einen Sessel, den geräumigsten den breitesten Sessel,
Großmutter wird ihn ganz überziehen, bis kein einziges
Blümchen auf der Cretonne mehr zu sehen ist
und ihr Auge (das ungelähmte) wird ironisch lächeln.
*
Wen liebte Dante:
Beatrice.
Und Petrarca?
Laura.
Und der arme Edgar Poe
Und der erschöpfte Charles Baudelaire,
wie brav sie immer zu zweit hervortreten, wenn man sie ruft,
ganz wie die beiden Bourgeois aus Wildapfelholz
die zur vollen Stunde aus dem Häuschen der alten Wanduhr
hervortreten und würdevoll grüßen.
Nur 100 Jahre noch
und du wirst in Illustrierten lächeln.
(…)
Die vorliegende Ausgabe will den Leser mit dem lyrischen Schaffen Alexandru Vonas bekannt machen. Daneben bietet sie, in einem gesonderten Teil und unter dem Aspekt der Vollständigkeit, eine Zusammenstellung sämtlicher Prosatexte, die er im selben Zeitraum wie die Gedichte, von 1940 bis zu seinem Weggang aus Rumänien nach Paris im Jahr 1947, veröffentlicht hat. So ermöglicht sie, zusammen mit Vonas Roman, ein Gesamtbild seines schriftstellerischen Werks. Die Zahl der Texte wäre erheblich größer, würde man berücksichtigen, dass es sich bei zwei Gedichten eigentlich um Zyklen handelt: „Liebesgedichte“ und „Musique légère“.
Bis auf den „Emil Ivǎnescu“ betitelten Essay, der 1947 in der einzigen Nummer der Zeitschrift Agora publiziert wurde, in der auch Paul Celan zum ersten Mal seine Lyrik vorstellte, erschienen alle Texte Vonas in der Revista Fundaţiilor Regale, deren Vorbild die Nouvelle Revue Française war, oder in den zwei allein der Lyrik gewidmeten Ausgaben dieser Zeitschrift („Caiet de poezie“ I und II).
Alexandru Vona wurde gerade volljährig, als er in den Schriftsteller- und Kritiker-Kreis der einflussreichen Revista Fundaţiilor Regale aufgenommen wurde. Nach Erscheinen der Gedichte „Zori“, „Metamorfoză“ und „Vânătoare“ 1940 folgte wegen seines Studiums des Ingenieurwesens eine fünfjährige Veröffentlichungspause.
Ab 1945, im Laufe der nächsten zwei sehr produktiven Jahre, erarbeitet er sich schließlich allmählich die Fähigkeit zum Romancier. Sowohl die Poetologie als auch viele Motive seines einzigen Romans Die vermauerten Fenster werden in seinen Texten, die hier zum ersten Mal auf Deutsch vorgelegt werden, bereits formuliert und verhandelt. Aber auch wenn diese als Vorarbeit zu seinem Roman betrachtet werden können, muss man sie in erster Linie als eigenständigen Versuch lesen.
Durch seine Fenster ist Alexandru Vona das, was für Walter Benjamin Paul Scheerbart durch seine Glasbauten war: „Bekenner einer neuen Armut“, der Abwesenheit von Tradition und Tradierung. Vermutlich würde Walter Benjamin diesem Vergleich zustimmen. Aber während Paul Scheerbart mit seinem utopischen Asteroiden-Roman Lesabéndio (1913) noch vor der großen Umbruchserfahrung des Ersten Weltkrieges steht und durch das Glas, mit dem er operiert, scharf die Zukunft sehen kann, schreibt Alexandru Vona sein Werk nach der noch größeren Umbruchserfahrung des Zweiten Weltkrieges. Doch das Glas, durch das er in die Zukunft zu blicken versucht, ist bestenfalls das Glas von Kirchenfenstern („Vitralii“) oder von vermauerten Fenstern. Dieses Glas ist zwar durchlässig, aber nicht durchsichtig, und das macht es geheimnisvoll. Aufgrund dieser Undurchsichtigkeit kann Alexandru Vona auf der Erfahrungsarmut seiner Generation nicht mehr einfach eine neue Zukunft errichten. Dies dennoch zu tun hieße, mit einem Wort Ciorans, den Vona als Optimisten bezeichnete, „die Zukunft dementieren“.
Nicht nur Vonas Gedichte sind von diesem Pessimismus geprägt, der aus einer ungewissen Zukunft kommt, sondern auch seine Erzählung „Die Glocke“ – so stellt er in einer seiner Rezensionen klar, dass „die Dichtung […] nichts anderes über die Lippen des Dichters bringen [darf] als das, was nicht zu rekonstruieren ist“, und die Zukunft nach dem Zweiten Weltkrieg war zweifellos nicht mehr zu rekonstruieren.
Der französische Philosoph Brice Parain soll Vona einmal nach der Lektüre des Romans gefragt haben, ob er Epileptiker sei, worauf dieser „plötzlich erkennen musste, dass die Epilepsie den ganzen Roman durchzieht“. Auch der „Glocke“ scheint eine Poetik der Epilepsie inhährent zu sein.
Anders als seine Hauptfigur in der „Glocke“ stellt sich Vona in seinen kritischen Essays vor: Dort erweist er sich als selbstsicher und selbstbewusst, als jemand, der mit wohltuender, erfrischender Direktheit und mit literarischem Sachverstand fragend vorgeht. Vielleicht war diese Direktheit eine Folge seines jungen Alters. Und so kann man ihm auch Optimismus abgewinnen. Denn auch auf die zentrale Frage Walter Benjamins in seinem Aufsatz „Erfahrung und Armut“ hatte Vona eine Antwort parat:
Wer wird auch nur versuchen, mit der Jugend unter Hinweis auf seine Erfahrung fertig zu werden?
Auf die Frage eines Interviewers, welchen Rat Vona der jungen Generation auf ihrem Wege mitgeben würde, sagt er, „dass es gut ist, jung zu sein“.
Der Alte in der „Glocke“ erinnert sich an seine jung verstorbene Frau mit folgenden Worten:
Sie hätte nicht alt werden können.
Auch Vonas Schriftstellerleben hätte nicht lang währen können. Im Hinblick auf seinen einzigen Roman, der seine schriftstellerische Produktivität der Vierzigerjahre krönt und der schon damals sein Schriftstellerleben beschließt, bekennt Vona:
Wie soll ich es sagen: Ich fühlte, dass ich der Gegenstand eines Besuchs war. Ein Bürger, der der Erzähler des Romans ist, hatte mich besucht und mir etwas erzählt. Zu einem gegebenen Zeitpunkt war seine Geschichte zu Ende, und er ist gegangen.
Als Alexandru Vona, lange bevor er starb, als Autor von uns ging, hinterließ er uns eine Vitrine voller Schreibspuren. Darunter finden wir auch einige Wischspuren: Stellen und Metaphern, die bis in die Unleserlichkeit und Unübersetzbarkeit entstellt sind. Aber das gehört zur Eigentümlichkeit von Alexandru Vona, seinen faszinierenden „stummen Tiefen“ (Cioran).
Alexandru Bulucz, Vorwort
– Über den Geisterseher Alexandru Vona. –
Er war der gleiche Jahrgang wie die Schriftsteller Jack Kerouac oder José Saramago – doch er wusste nichts von ihnen. Dabei drehte sich auch sein eigenes Fühlen und Denken früh um die Literatur.
Mit gerade mal 24 Jahren (man schrieb das Jahr 1947) verfasste er einen Gedichtband, für welchen er den Preis der Königlichen Stiftung Rumäniens erhielt. Und bereits kurz darauf stieß er in nur neunzehn Tagen rauschhaft seinen Roman Die vermauerten Fenster hervor – es sollte bis in das Jahr seines Todes, 2004, sein einziger bleiben. Ein Buch, das seinen Autor – aus heutiger Sicht betrachtet – quasi über Nacht in den Rang eines rumänischen Pessoa versetzte und das sich liest wie ein langer, von einer hell bleibenden, geradezu süchtig machenden Verzweiflung durchglühter Fiebertraum. Denn ebenso schattenhaft-poetisch wie die Werke des 1935 in Lissabon verstorbenen portugiesischen Dichters der Masken und Erschaffers seiner Heteronyme beschwört auch Alexandru Vonas scheinbar handlungsloser Roman in Bildern von magischer Dichte und Originalität die Delirien und Traumata eines wie auf Nebelgrund durch sein Dasein schwebenden Erzählers; ruhelose Such- und Fluchtbewegungen eines Gespenstes mit menschlichem Antlitz ohne Ziel, dem, wie es einst auch über Joseph Roth hieß, „auf Erden nicht zu helfen ist“.
Am 3. März 1922 als Alberto Henrique Samuel Bejar y Mayor in Bukarest geboren, übersiedelte Vona, als in seiner Heimat Rumänien die stalinistische Gleichschaltung ihren Lauf nahm, ins französische Exil, nach Paris. Dorthin, wo bereits seine schreibenden Landsleute E.M. Cioran und Eugene Ionesco in diesen politisch unruhigen Zeiten einen sicheren Unterschlupf fanden – 1.900 Kilometer Luftlinie von Bukarest, dem Epizentrum der gefahrvollen Umbrüche, entfernt.
Vona, wie er sich selbst fortan nannte, hatte erfolgreich ein Mathematikstudium absolviert und strebte den Beruf des Ingenieurs an – seine eigentliche Liebe aber galt der eigenen Dichtung und dem Zeichnen. Und womöglich hätte sich der junge, feinnervige Mann mit der hohen Stirn, den klar blickenden Augen und dem Gen des passionierten Melancholikers im Blut sogar für den steinigen Weg des Romane und Gedichte verfassenden Literaten entschieden, hätte diese Idee nicht der Unfalltod seiner jungen Frau jäh zunichtegemacht. Ein Einschnitt in die bisherige Lebensplanung des noch jungen Mannes, der seinem Dasein innerhalb von Sekunden eine andere Richtung gibt: Vona, der sich um das emotionale Zentrum seines Denkens und Fühlens gebracht sieht (und sich von diesem Schlag nie wieder erholen sollte, wie er mir einmal verriet), wandte sich von der Literatur ab und suchte das Vergessen im Alltag des Architekten, der über sein Zeichenbrett gebeugt dem Materiellen, dem Sichtbaren huldigt, um darüber den Schmerz des Unsichtbaren, des Immateriellen zu vergessen. Er reüssiert im Paris der Sechziger- und Siebzigerjahre als Gebäudeplaner und -errichter und stellt imposante Glasbauten an die Peripherie an der Seine – glücklich aber wird er dabei nicht.
Alexandru Vona führt vielmehr das Leben eines scheuen, zurückgezogenen Betrachters, der weiter seinem ganz eigenen Blick auf die Welt frönt, sich aber lange weigert, diesem noch einmal schriftstellerisch Ausdruck zu verleihen. Auf die Niederschrift seines Romans angesprochen, hat er einmal zu mir gesagt:
Ich habe den, der dieses Buch damals schrieb, vergessen. So als hätte es ihn für mich nie gegeben. Ich könnte ihm auf der Straße begegnen und würde ihn nicht erkennen. Dieses Ich war ein anderer. Es ist vor langer Zeit gestorben.
Und als der Roman, fast fünfzig Jahre nach seiner Niederschrift in Rumänien und am Ende einer nicht wirklich nachvollziehbaren Odyssee durch die Jahrzehnte, 1993 wieder auftaucht, quittiert Vona das plötzliche aufgeregte Treiben um seine Person mit Ratlosigkeit. Denn: die von ihm selbst dereinst ins Meer geworfene und irgendwie auch an sich selbst adressierte literarische Flaschenpost erreicht ihn nicht mehr. Er nimmt die Anerkennung seiner Leser und die des enthusiasmierten Feuilletons freundlich zur Kenntnis – tatsächlich aber behandelt er das Ganze wie ein Missverständnis. Was er davon abgesehen tut, ist, dann und wann zu zeichnen. Er fertigt wunderbar luftige Aktzeichnungen an, Bilder, die so schattenhaft bleiben in ihren Andeutungen wie er selbst.
So sah dieser große Einsame, dessen einziger Roman ihn heute zu Recht als Schriftsteller von weltliterarischem Rang ausweist, sein Leben bis zum Schluss zweigeteilt: hier die frühen, allzu flüchtigen Jahre des Verfassers der Vermauerten Fenster und der großen, jäh zerrissenen Liebe – dort jene, in denen er sein früheres Leben zu vergessen suchte.
Geschrieben im Sinne einer kontinuierlich vorangetriebenen schriftstellerischen Arbeit hat Vona nicht mehr. Gleichwohl entstand über die Jahre eine Handvoll Novellen, die 2001 in Rumänien unter dem Titel Das rätselhafte Verschwinden der Stadt aus der Ebene erschienen sind; Texte von schattenhafter Schönheit, in denen er durch die Masken seiner quecksilbrigen, dabei der kühlen Logik des Lyrikers folgenden Sprache hindurch eine Welt beschreibt, in der es nichts Verlässliches zu geben scheint, sich alles und jedes als ungreifbar erweist.
Umso erfreulicher, was der hier vorliegende, längst überfällige Band darüber hinaus zu annoncieren hat: frühe und viel zu lange verwehte Poeme und Prosaskizzen des Autors, die in ihrer frühmorgendlichen Frische bezeugen, über welche dichterischen Qualitäten dieser Autor von Beginn an verfügte. Es sind Sprache gewordene „Spuren von Tau“, die diese Sammlung freilegt – angesiedelt an jener abgelegenen Weggabelung, an welcher „Traum und Morgen sich kreuzen“, Kleinode von seltener Anmut und Zerbrechlichkeit. Gleichwohl frönt Vona auch in ihnen seiner vordringlichsten Passion: dem Spiel mit Ängsten und Identitäten – mal in der Manier des poetischen Existentialisten, mal in der eines nouveau-roman-haften Spielers.
Eines aber bleibt dieser Veranstalter unnachahmlicher poetischer Geisterprozessionen und -beschwörungen bis heute: eine singuläre Erscheinung innerhalb der europäischen Dichtung der letzten einhundert Jahre, was auch die hier vorliegenden frühen Arbeiten einmal mehr eindrucksvoll spiegeln; ein Wesen, dessen wahre, glaubhafte Identität aber – fern aller bürokratisch verbürgten Zahlen und Daten – weiter im Dunkeln bleiben wird. Als Gegenstand immer neuer interessanter Spekulationen.
Wenn ich nun abschließend in Gedanken noch einmal zu meinen Begegnungen mit Alexandru Vona im Paris der frühen Neunzigerjahre zurückkehre, sehe ich einen zwar immer noch stattlichen, von seiner Parkinson-Erkrankung aber bereits stark in seinen Bewegungen eingeschränkten Mann vor mir, der lächelte, einem nahekam und in seiner Zerbrechlichkeit berührte – in letzter Instanz aber ungreifbar blieb: geheimnisvoll und charismatisch, und so schatten- und traumhaft wie seine von ihm selbst erschaffenen Figuren.
Peter Henning, August 2014, Nachwort
der rumänische Autor Alexandru Vona sei der ,Autor eines einzigen Buches‘. Seinen Roman Die vermauerten Fenster hat er mit fünfundzwanzig Jahren in nur drei Wochen geschrieben. Als das Werk sechsundvierzig Jahre später endlich erschien, gelangte sein Autor zu Weltruhm. Fast unbekannt ist seine frühe Lyrik. Für das Manuskript seines Gedichtbandes Vitralii erhielt er noch vor seiner Flucht aus Rumänien im Jahr 1947 den Preis der Königlichen Stiftungen. Nun erscheinen unter dem Titel Vitralii auch auf Deutsch seine frühen Gedichte, vereint mit Prosa und Essays in der Übersetzung von Alexandru Bulucz. Das ist eine glückliche Fügung.
Werner Söllner, Edition Faust, Klappentext, 2014
Sein eigenes Leben las sich wie ein Roman. Spanischer Jude, adlig, Rumäne, befreundet mit Ionesco, Cioran und Eliade, erfolgreicher Architekt in Paris. Dann sein einziges Buch, ein Roman von halluzinatorischer Poesie und Klarheit, ein Buch wie ein langer Fiebertraum, ein Blick durch vermauerte Fenster auf ein unendlich weit entferntes Leben. Verfasst im Rausch, dann der Tod der jungen Frau – und der Roman wird verweht, geistert plan- und ziellos durch die Jahrzehnte, bis er Anfang der Neunzigerjahre wieder angespült wird – und Vona als Autor von europäischem Rang neu gebiert. Doch der nimmt das Ganze eher verwundert zur Kenntnis, als Schöpfung eines Fremden, schreibt noch dann und wann kleine Erzählungen, die aber kaum noch erscheinen. Und nun das: frühes, wunderbar lichtes Material, Gedichte und Prosastücke aus der Frühphase, Poeme von mitreissender Schönheit und Dichte, poetische Wasserperlen, die ein ganzes Leben spiegeln und bannen. Was für eine Entdeckung!
Anke Pfeifer: „Ich brauche eine große Gewissheit“
literaturkritik.de, Mai 2015
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