LOBGESANG NACH RENÉ CHAR
„Ihr allein rasende Blätter, erfüllt euer Leben“,
unseres ist verloren, es gehört der Hand,
dem Weltbesitz, der zugreift, den Ketten.
Ihr seid aus der Erde, anders gewachsen,
wo ihr begegnet, ihr unberührter,
euer Tägliches ist die lange Zeit,
das Erscheinen, viel Verschiedenes,
strömende Blätter, daß ihr welkt,
vergibt nicht das eine im anderen,
in euch trifft sich der Einklang,
Ruhe und Sturm,
Winter und Sommer,
Tag und Nacht,
„sich in Maßen entzündend“.
Uns aus der Mitte zu werfen,
rauscht ihr, wir stürzen schlecht,
falsch gebraucht,
tauschen wir Ewigkeit ein,
die falsche Geschichte,
und werden gemordet.
Ihr seid nach allen Seiten der Tanz,
durch uns hinaus, hindurch,
löst ihr uns ab, euer Wanderzug,
dem wir nicht folgen.
Fortzudenken von uns.
Am zweiten Tag des „40-Jahre-manuskripte-Festes“ wurden wir SchriftstellerInnen zur Buschenschank in die Südsteiermark geladen. Aus zwei großen Autobussen strömte das Dichtervolk und stand oder ging ein wenig ratlos auf dem Vorplatz des Lokals herum. Stimmen wurden laut, Alfred Kolleritsch möge eine kleine Rede halten. Die Antwort war:
Es ist angerichtet, bitte geht’s doch hinein, sonst verdörrt das Fleisch!
Sei dieses Satzes immer eingedenk, ist der Vorsatz in diesem Vorwort zu ausgewählten Gedichten von Alfred Kolleritsch. Er zeigt, mit wem und womit wir es in seinem Werk und insbesondere in seinen Gedichten zu tun haben. Denken und Sinnlichkeit, das sind die beiden Pole, zwischen denen es sich entfaltet, wobei der Form zweifellos Genüge getan, jedoch Mißtrauen entgegengebracht wird.
Es ist angerichtet, bitte geht’s doch hinein, sonst verdörrt das Fleisch!
Was wohl auch soviel heißt wie: Zur Sache! Die Sache ist klar. Sie ist das Fleisch. Sie ist der Wein. Sie ist die Literatur. Sie ist Leben und Tod, Ankunft und Abschied. Während ich diese großen Worte hinschreibe, pocht es an der Tür. Das dreijährige Kind begehrt Einlaß, es drängt sich wie selbstverständlich in dieses Vorwort. Dem nicht genug, dröhnt auch noch die Kakophonie der anderen Stimmen, Celloübungsstimme, Flötenstimme, Nachdenkstimme. Nicht zufällig fügen sie sich in diesen Text, denn schon sind wir bei einer weiteren wesentlichen Facette des Alfred Kolleritsch, seiner pädagogischen Obsession der Ermöglichung und Ausbildung vielfältiger Stimmen. Von Michael Scharang gibt es den wunderbaren Satz:
Alfred Kolleritsch hält die Steiermark im Innersten zusammen.
Wunderbar deshalb, weil sein Wahrheitsgehalt sofort einleuchtet.
Es ist angerichtet, bitte geht’s doch hinein, sonst verdörrt das Fleisch!
Hier ist jemand, der sich um unser leibliches und geistiges Wohl kümmert, der uns Gehör (über Gräben, Verletzungen und Eitelkeiten hinweg) und Stimme schenkt, so daß ihm kaum Zeit verbleibt, sich selbst zur Sprache zu bringen. So jedenfalls erfährt es der um mehr als zwei Jahrzehnte Jüngere, der diesen inneren Zusammenhalt spürt, freilich immer eingedenk der Leitmelodie: Zur Sache! Oder, um H.C. Artmann zu zitieren:
Nua ka schmoez.
In dem Gedichtband: Zwei Wege, mehr nicht ist das erste Gedicht betitelt mit Vor-Wort, und die Strophe lautet:
Wäre es Musik gewesen,
wäre langsam aus den Knospen
vor dem Haus der Raum gewachsen
und zum Sagen freigeworden,
hätte das Dunkle
den Tönen nachgesetzt,
einen Klang lang
würden sie das Licht bewegen:
zum Tod hin
die reine Spur beschreiben.
Und ich verspüre den Wunsch, mir eine zweite Strophe zu überlegen, die so beginnen müßte: „Weil es aber keine Musik gewesen ist…“ um zu enden mit… „ist zum Tod hin nicht die reine Spur zu beschreiben“. Als Vorwort gelesen ist es mir Mahnung und Folgerichtigkeit. Die ästhetischen Kriterien allein sind zu wenig, und es fällt einem Montaigne ein:
Ich will, daß man meinen natürlichen und gewöhnlichen Gang sehe, so stolpernd er auch ist.
Das ist Trost und Perspektive. Das Geschrei und Gepoche des Dreijährigen darf in die Wörter und Sätze hinein; die Flötenstimme, die Celloübungs- und die Nachdenkstimme dürfen ebenfalls hinein, es soll bloß nicht außer acht gelassen werden, wohin sie führen, zum Fest, zum Miteinander, zur Literatur. Manche Verszeilen, ja manche Wörter in einerVerszeile machen auf dem Absatz kehrt, drehen und bestaunen sich gegenseitig in einer Pirouette, etwa wenn gefragt wird im Gedichtband In den Tälern der Welt: „Warum Hoffnung“, und die erste Verszeile lautet:
Zum Vertrauen verführt.
Es endet mit, und das ist wohl auch als Antwort gedacht, „Ein Fliegenwort lang, / wenigstens / die Todesstunde, bekennend“. Nicht bekämpfend, auch nicht erkennend, was ich anfangs sofort im Ohr hatte, sondern bekennend, also viel behutsamer, der Lautfolge und Syntax gegenlaufend. Vieles an Alfred Kolleritschs Versen ließe sich für mich in ähnlicher Weise bedenken, ich möchte allerdings nur mehr ein Wort herausgreifen, das beim Wiederlesen der Gedichte besonders lange nachgeklungen hat, es lautet: „Herzhütte“ und ist nachzulesen am Ende des Gedichtbandes Zwei Wege, mehr nicht. Erstens habe ich dieses Wort noch nie gehört oder gelesen, und zweitens weckt es eine Menge Assoziationen wie Herz und Bootshütte oder Holzhütte oder Erzhütte, aber auch Herz behüte etc. Freilich erfährt das Wort durch seinen Platz im Versgefüge noch genauere Zuordnungen, doch ich wollte es bewußt herausgreifen, um kenntlich zu machen, welche Anverwandlungen hier möglich sind, welch spezifischer Humor sich kundtut. Genug des Vorwörtlichen, Alfred Kolleritsch sei gratuliert und Dank gesagt, und die Leser sind im O-Ton eingeladen:
Es ist angerichtet, bitte geht’s doch hinein, sonst verdörrt das Fleisch!
Hans Eichhorn, Vorwort
Alfred Kolleritsch ist aus dem Staunen nie herausgekommen. Im Februar dieses Jahres ist er siebzig Jahre alt geworden, aber die Welt sieht er jeden Tag an, als wäre sie gerade neu erschaffen worden. Was macht einer, dem alles, was anderen Menschen nie und nimmer ein Problem ist, weil sie sich sicher und souverän in der Welt bewegen, in der sie einen Ort gefunden haben, zum Rätsel geworden ist? Er fängt an nachzudenken, und über das Denken kommt er zum Schreiben. Und was er festhält, erklärt die Welt, die ihm so fremd ist, kein bißchen. So sitzt er am Ende vor Gedichten, die das Rätsel der Wirklichkeit, die er nicht und nicht zu benennen weiß, als ungeklärtes, unklärbares Geheimnis offenhalten.
Als Lyriker wird Kolleritsch heimgesucht von der Fassungslosigkeit. Weit reißt er die Augen auf, nimmt begierig auf, was ihm die Außenwelt zuspielt, auf daß es sein Gedächtnis verarbeitet, es verwandelt, etwas Neues daraus gestaltet. Alles, was er sieht, hört, riecht, gehört nur ihm. Daraus macht er seine Literatur, und alles, was sonst mächtig und selbstsicher im Raum steht, sieht unter seinem Blick ein bißchen gehemmter, ein bißchen verschämter, etwas weniger selbstsicher aus. Nichts paßt mehr in das System, in dem es sonst geborgen und aufgehoben ist. Für Kolleritsch gelten keine Denkschulen, keine Übereinkünfte, wie mit alltäglichen Dingen zu verfahren wäre. Mit jedem Gedicht fängt er ganz von vorne an, sich seines Staunens zu vergewissern.
Von allem Anfang an macht das die Literatur des Alfred Kolleritsch aus. Er ist geschult von den großen Denkern der Philosophie, er ist gewaschen mit den Wassern der Moderne, er weiß um die Möglichkeiten zeitgenössischer Literatur – er hört sich alles an, er sieht sich überall um und geht nirgendwo ganz und gar auf, bleibt auf Distanz. Von allem Anfang an ist Kolleritsch ein Skeptiker, der eine abgrundtiefe Scheu aufweist vor Verfestigungen. Suspekt ist ihm jedes Modell, das beansprucht, wahr zu sein. Er bleibt in ständiger Bewegung, wahrscheinlich ist es das, was den Menschen und seine Literatur so jung und unverbraucht wirken läßt. Er hat nichts als dieses bedrängende Insistieren auf der Undurchdringlichkeit des Dschungels Wirklichkeit. Er bemächtigt sich des Instruments der Sprache, um kleine Schneisen in das Dickicht zu schlagen. Und für kurze Zeit wird es hell, der Blitz der Erkenntnis erzeugt kurzfristig Licht, plötzlich wird etwas sichtbar, was alsbald wieder verschwindet. Auf den Augenblick kommt es an, auf den einen Moment im Hier und Jetzt, der wichtiger ist als alle Behauptungen von Dauerhaftigkeit.
Jetzt gibt es erneut Anlaß, Kolleritsch zu lesen. Zwei Lyrikbände sind erschienen, einer mit neuen Gedichten und einer mit einer Auswahl von Gedichten aus den letzten zwanzig Jahren. Und schon ist er wieder da, dieser Kolleritsch-Ton aus Nachdenklichkeit und bohrendem Nachfragen, schon versetzen sie einen wieder in Unruhe, diese unsteten Gebilde, die es darauf anlegen, dem Leser Gewißheiten wie Selbstgewißheit zu rauben. „Betrachten“ heißt eines der Gedichte im jüngsten Lyrikband von Kolleritsch, und das bezeichnet eine Tätigkeit, die mit Bedacht gepflegt wird. Zum Betrachten gesellt sich das Denken, gemeinsam treffen sich die beiden Welterforschungssysteme in der Lust, der Welt auf den Grund zu gehen.
Wenn aus den Bergen Hügel werden,
das Harte den Stürmen nachgibt,
tiefer fällt der Horizont,
aus Felsen Erde wird,
näher der Schmerz,
werden wir uns im Gebüsch verlaufen…
Nichts Ewiges findet Kolleritsch in der Natur, sie befindet sich in beständigem Umbruch. Wenn schon die Monumente wie Berge und Felsen wandelbar sind, wie flüchtig ist dann erst die Existenz des Menschen, wie zaghaft wirkt seine Spur in der Geschichte. Gibt es da einen Halt?
Die neuen Gedichte von Kolleritsch haben sich der Liebe verschrieben. Liebe, ein Ewigkeitswert der Literatur, wird immer dann angerufen, wenn ein Dichter von der Stärke eines Gefühls Zeugnis ablegen will. Dann läßt er keinen Zweifel aufkommen, daß diesem Gefühl Dauer zukommt, dann schließt er jeden Widerspruch dagegen vehement aus. Wie einfach macht man es sich, wenn man die Liebe als eine unwandelbare Kategorie handelt, die, durch eine gewaltige Tradition beglaubigt, dem Menschen Sicherheit gibt. Alfred Kolleritsch ist nur zu verstehen, wenn man seiner Arbeit diese starke, vehemente Verweigerungsgeste zugesteht. Er begann zu schreiben, indem er sich von anderen, zumal von Traditionalisten und Konservativen absetzte.
Nachgemacht ist die Welt.
Tot sind die Meister.
So schließt das Gedicht „Was bleibt“, zuerst erschienen 1982 im Band Im Vorfeld der Augen, jetzt aufgenommen in den Auswahlband. Sein Schreiben macht Sinn, wenn man es wahrnimmt als einen Kontrapunkt zu einem Leben aus zweiter Hand. Nie würde er seine Literatur als repräsentativ für etwas nehmen, was außerhalb seiner selbst ist. Seine Gedichte sind er selber – und sonst niemand. Er geht nicht auf die Menschen zu, um ihnen mit seinem Schreiben ein Stücklein Wahrheit ihrer selbst zu geben, er schreibt, was ihn allein bewegt. Vielleicht gibt es andere, die sich diesem seinem Denk- und Gefühlskosmos nähern, aber sie müssen diese Anstrengung aus eigener Kraft unternehmen. Das verleiht den Gedichten etwas Unnahbares. Fremd stehen sie da, funkeln uns an, allzu nahe lassen sie niemanden an sich heran. Den großen Entwürfen, die Wirklichkeit in den Griff zu kriegen, setzt Kolleritsch seine Lyrik entgegen, die im Auftrag des Dichters in die Welt entlassen werden, den Leser zu verunsichern – ja, aber auch zu entzücken. Kolleritschs Gedichte sind nie nur Suchbewegungen eines klugen Individuums, sondern stets auch Absetzbewegungen vom Geist der Mitte.
Nun ist Kolleritsch mehr als je zuvor beim Stichwort Liebe angelangt. Früher pflegte er sich herumzuschlagen mit philosophischen Konzepten, die er in seinen Gedichten kleinzukriegen suchte. Die Geschichte seines Ich und seines Landes, das vermurkste Denken in der Enge, die Beschränkungen des einzelnen, der zurechtgestutzt wird auf das Maß des Kleingeistes, das waren seine Obsessionen, gegen die er sich mit seiner Lyrik zur Wehr setzte. Jetzt ist er einfacher geworden. Die Liebe, dieses subjektive Gefühl, bringt ihn außer Tritt, aber wie man davon sprechen kann, ist ungewiß.
Einige Wörter sagen es, daß es uns geben muß.
Das ist schon sehr viel, dafür lobt er die Wörter, denen er sonst so mißtrauisch begegnet. Kolleritsch steckt das nahe liegende Terrain ab, vergewissert sich dessen, was ihm in den Blick kommt, und hält sich stets vor Augen, daß es jenseits des Vertrauten das Unbekannte geben muß. Er beginnt beim Ich, rückt sich selbst ins Zentrum der Welt, er ist Souverän und Beobachter zugleich. Und er findet ein Du, ein Gegenüber, mit dem er seine Welt teilt:
An den gelben Blumen vorbei,
über den grasübersäten Rand,
kamen dir Wolken entgegen,
und im Dunst Hügel.
So beginnt das Gedicht „Verharren“, sinnlich, weltzugewandt, hungrig auf den Zauber der Natur.
Kolleritsch beläßt es jedoch nicht beim Feiern der Schönheit. Er kommt über das Sehen zum Sprechen, und damit vertreibt er jeden schönen Schein. Was auf der Welt ist, besteht nie nur für sich, es wird in Sprache gebracht, und damit eröffnet sich ein neuer Raum, der den Zugang ins Unbekannte erst möglich macht. Alfred Kolleritsch, der unruhige Geist mit dem suchenden Blick, ist ständig unterwegs. Aber manchmal kommt er an in einem Gedicht, und daran läßt er uns teilhaben. Das ist schön von ihm.
„Poesie wehrt sich gegen den Verlust“, erklärte Alfred Kolleritsch 1998 in der Presse-Reihe Was ich lese und wehrt sich seit fast dreißig Jahren schreibend. Mit den Pfirsichtötern gelang ihm 1972 ein vielbeachteter Karrierestart als Autor. Es folgten Romane wie Allemann oder Der letzte Österreicher und immer wieder Gedichte – Einübung ins Vermeidbare heißen die Lyrikbände oder Im Vorfeld der Augen, Absturz ins Glück, Augenlust, Gegenwege, Zwei Wege mehr nicht und In den Tälern der Welt, alle bei Residenz erschienen.
„Das Schlachtfeld der Kriterien und der nie abgesicherten Wertungen treibt einen nur allzu oft in Krisen“, meinte der Autor an gleicher Stelle in der Presse und wehrt sich seit mehr als vierzig Jahren mit der Herausgabe einer fast legendären österreichischen Literaturzeitschrift, den manuskripten. Wer auf sich hält, hat zumindest einmal in seiner Schriftstellerkarriere in der Zeitschrift publiziert. Die manuskripte schreiben zweifellos ein Stück jüngerer Literaturgeschichte Österreichs – Kolleritsch spricht poetisch über „Spuren eines Kontinuums“.
Am 16. Februar feierte Alfred Kolleritsch seinen siebzigsten Geburtstag. Sein Stammhaus Residenz ehrt den Autor mit einem Gedichtband, einem Best of Kolleritsch.
Siebzig Gedichte, eins für jedes seiner Jahre, fädeln sich in streng chronologischer Abfolge zum Geburtstagsständchen auf.
Siebzig Gedichte auf knapp einhundert Seiten ergeben zweifellos einen vorzeigbaren, einen respektablen Lyrikband. Es ist ein etwas konventionelles Geburtstagsgeschenk an den Jubilar geworden, solide ediert und auf gutem Papier gedruckt – kurz: Die Verschwörung der Wörter ist ein klassisch schöner Lyrikband. Besser hätte mir etwas Persönlicheres gefallen, vielleicht eine Ausgabe von Kolleritschs Lieblingsgedichten in exquisit gestalteter, bibliophiler Loseblattfolge – ob nun von siebzig, dreiundneunzig oder zehn Gedichten.
Trotzdem: Die Verschwörung der Wörter ist wie gesagt ein schöner Lyrikband geworden, und die Liebhaber des Autors finden darin einige seiner eindringlichsten Gedichte.
Das Glück: mit einem Ja verrauscht,
im Grün, vom heißen Wien verbraucht,
und drei Schritte weiter ging das Herz
mit seinen Worten weg.
In atmosphärisch stimmigen Bildern nähert sich Alfred Kolleritsch den ewigen Themen der Lyrik – Tod und Vergänglichkeit, Liebe und Glück. Er beschwört Bilder von Nähe und Zärtlichkeit, von Sehnsucht und Verlust. Seine Sprache erzeugt sofort vertraute Nähe und erst bei genauerem Betrachten klaffen in der Harmonie des Sprachklangs Brüche, Offensichtliches verwandelt sich unversehens in Geheimnisvolles.
Kolleritschs Bilder aus dem Alltag verschließen sich dem Alltäglichen. Mit einem Anflug philosophischer Reflexion gleiten in der Verschwörung der Wörter Jahrzehnte poetischen Fühlens und Denkens am Leser vorbei.
Zum Vertrauen verführt,
zum Anfangsklang, erschrocken
zerbricht das Bild,
in schwarzen Mänteln
gehen Teile über die Grenze,
fremde Sprachen entstehen.
Kolleritschs Lyrik ist im Lauf der Zeit karger und schroffer, abstrakter geworden. Abschiede und Trauer nisten sich in die Zeilen seiner Gedichte, der Tod scheint sich auf leisen Sohlen zu nähern.
Es gab keine Tür für ihn. Im Offenen
gereizt, war er unbrauchbar
für das Licht.
Alfred Kolleritsch entspricht dem Erwarteten jedoch nicht. Sein nächster Lyrikband handelt von Liebe.
Wir dürfen auf ihn gespannt sein. Er trägt den einfachen und einfach-schönen Titel Die Summe der Tage, und es ist der erste, der nicht bei Residenz erscheint, sondern im Konkurrenzverlag Jung und Jung.
Der im Sinn des Wortes junge Verlag wurde vom unsanft verabschiedeten langjährigen Residenz Leiter Jochen Jung erst im Herbst 2000 gegründet. Mit neuer Liebeslyrik von Alfred Kolleritsch hat er jedenfalls diesmal die Nase vorn.
– Mit vollem Mund Älteres und Neueres von Alfred Kolleritsch. –
Wenn er keine einzige Zeile geschrieben hätte, wäre er doch in die Literaturgeschichte eingegangen: als Mitbegründer desForums Stadtpark, das in den sechziger Jahren zum wichtigsten Zentrum des literarischen Lebens in Österreich wurde, und der Grazer Autorenversammlung, die 1972 eine Alternative zum reaktionären österreichischen P.E.N. bildete, und als Chef der manuskripte, jener maßstabbildenden Literaturzeitschrift, die unermüdlich neue Talente entdeckt und gefördert hat und weiterhin fördert.
Aber Alfred Kolleritsch ist ein bedeutender Autor, und zwar als Erzähler, als Lyriker und als Dramatiker. Wenn er nicht so im Gespräch ist, wie er es verdiente (und wie es geringere Geister sind), dann liegt das eben daran, dass er stets mehr Energie aufwandte zur Propagierung anderer als seiner eigenen Person. Noch dass seine jüngsten Veröffentlichungen in drei verschiedenen Verlagen erschienen sind, hat mit Loyalität zu tun, mit Treue zu Lektoren und Verlegern, die seinen Weg streckenweise begleitet haben.
(…)
Die schmale Auswahl von Gedichten bei Residenz aus Bänden, die zwischen 1978 und 1999 erschienen waren, beginnt mit einem Vers, der als Maxime Alfred Kolleritschs verstanden werden kann:
Meinen Einfällen vertraue ich nicht.
In einem anderen Gedicht heißt es:
Ich vertraue dem Schatten mehr,
den ich geworfen habe, als mir.
Sein Schreiben (und sein öffentliches Reden) ist von Skrupeln gekennzeichnet. Vielleicht sind sie die Bedingung für die bereits erwähnte Genauigkeit. Kolleritschs Lyrik ist seiner Prosa verwandt, weil auch diese auf jeden Ansatz von Geschwätzigkeit verzichtet. Es handelt sich um Gedankenlyrik, die der Hermetik entsagt, aber auch nicht in den Alltagsjargon ausweicht wie bei einigen Zeitgenossen des Autors. Gelegentlich wird ein „Du“ adressiert. Aber die Ansprache bleibt diskret. Kolleritsch weiß, dass andere zuhören. Eine offenbare Scheu vor dem Sentimentalen, auch wo er, gar nicht selten, zur Melancholie neigt, bewahrt ihn zugleich vor Klischees.
Das längste Gedicht ist dem früh verstorbenen Grazer Dichterkollegen Gunter Falk, einer charismatischen Figur, gewidmet. Darin befinden sich die verzweifelten Verse, die die Grenzen der Dichtung markieren:
Etwas herbeizulügen und schöne Namen
für seine Wunden, erklärt die Wunden nicht.
Skepsis den schönen Namen gegenüber auch hier.
Alfred Kolleritsch im Gespräch mit Eberhard Büssem am 17.2.2006 in der Sendung alpha-Forum
Barbara Frischmuth, Friederike Mayröcker, Franz Weinzettl und Lydia Mischkulnig gratulieren
Harald Miesbacher: A. K., die manuskripte, ihre Autoren und ich…
manuskripte, Heft 191, März 2011
Rainer Götz: Rede zum 80. Geburtstag von A. K. Literaturhaus Graz (16.2.2011)
manuskripte, Heft 191, März 2011
Anton Thuswaldner: Alfred Kolleritsch: Der Dichter als Denker
Die Furche, 17.2.2011
Präsentation des Lyrikbandes Es gibt den ungeheuren Anderen von Alfred Kolleritsch im LITERATURHAUS GRAZ am 5.2.2013.
Ausschnitte aus der gemeinsamen Lesung von Alfred Kolleritsch und dem Grazer Schauspieler Daniel Doujenis.
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