WER WEISS
Wer weiß, was Traum ist?
Der sich verliert,
Dort wo der Pfad
Ins Dunkle führt.
Wer weiß, was Rausch ist?
Der ganz versank,
Bis er vom eignen
Blute trank.
Wer weiß, was Glück ist?
Ein Tropfen Leid,
Ein Tropfen Schuld
Und Bitterkeit.
Der Platz, den Alfred Margul-Sperber in unserer Literatur einnimmt, und die Thematik seiner Dichtungen verleihen dem Schaffen dieses ebenso ursprünglichen wie vielseitigen Dichters deutscher Zunge eine einzigartige Bedeutung.
Sein Werk veranschaulicht mit blendender Beweiskraft die Geschlossenheit unserer literarischen Front, in deren Reihen die Mannigfaltigkeit von Sprache und Ausdruck keinen Mißklang, kein Zeichen der Entfremdung hineinträgt. Es beweist die Gefühlseinheit der auf diesem Boden geborenen und aufgewachsenen Dichter, die sich zum einträchtigen Kampf für ein Ideal der Brüderlichkeit, der Freiheit und des Fortschritts verbunden haben.
Der Widerhall, den die Natur, die älteren und erneuernden sozialen Aspekte, die allgemeinen Lebenserscheinungen, die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit, die Kämpfe und gegenwärtigen Erfolge des Volkes im Empfinden dieses deutschsprachigen Dichters auslösen, unterscheidet ihn kaum von all seinen Berufsgenossen, die denselben Gefühlen mit anderen Mitteln Ausdruck geben.
Alfred Margul-Sperber ist in ausgeprägtester Form ein Dichter der Rumänischen Volksrepublik, mit seinem Vaterland, dessen Menschen und ihren heißesten und höchsten Bestrebungen völlig und organisch verbunden. Er ist eins mit der Natur, mit der Landschaft der Heimat, die ihn in seiner Kindheit umgab und den Schauplatz der Kindheitsmärchen bildete, eins mit den Menschen dieses Bodens, mit unserem Volk, dessen Eigenschaften von der Amme Frosina so typisch verkörpert werden.
Der Dichter selber weist in den folgenden Versen auf die innere Verbundenheit mit diesem Volk Frosinas hin, die ihm die Kraft des angespannten Überlegens eingeflößt habe ebenso wie den Grimm, den festen bäuerlichen Tritt und die grenzenlose Liebe zur Natur, zu der unserem Lande eigenen Landschaft:
Sie säugte mich mit ihrer Sehnsucht nach Dorf und Brunnen und Flur –
Nun rollt in meinen Adern nicht Blut der Ahnen nur:
Das dunkle Brüten der Bauern, ihr Grollen und Schreiten schwer
Trag ich in meinem Blute von meiner Amme her!
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Ich greife den Stiel einer Sense wie etwas, das ich vergaß,
Und bin in der Sommersonne vom Schweiße der Mäher naß.
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Und kommt auf dem Heimweg vom Markte ein Bauer des Weges daher,
So forsch ich in seinen Zügen, als ob er mein Bruder wär;
Und eines der alten Weiber, die der Karren führt ins Spital,
Gab mir vielleicht aus den Brüsten die Milch, die mich nährte, einmal
Ist ein mächtigeres Gefühl der Verschmelzung, des Übereinstimmens mit dem Volk, mit seiner Arbeit und seiner Wesensart denkbar? Kann es festere Bande mit der Erde, der Natur, den Erscheinungen unseres Dorflebens geben?
Ich trage in mir die Äcker, die Wiesen, den Wald und den Wind,
Strohdächer und Weidenzäune, wie sie in den Dörfern sind;
Ich wate barfuß durch Pfützen und pantsche im Mühlenbach,
Und alle struppigen Köter des Dorfes belfern mir nach.
Welcher Bauernsohn aus irgendeinem unserer Dörfer wird beim Lesen dieser Verse, die auch ins Rumänische übersetzt wurden, nicht an seine eigene Kindheit gemahnt, als wäre er damals gemeinsam mit dem Dichter durch die Dorfgassen gestreunt?
So ist Alfred Margul-Sperber ein lebendiges und glänzendes Sinnbild der Verbrüderung aller Bewohner des Landes, die, ohne Ansehen der Nationalität und der Sprache, im Volk, in seinen Leiden, seinen Bestrebungen und seinem Kampf, die Grundlage einer organischen und untrennbaren Gemeinschaft gefunden haben. Die Verbundenheit mit der Heimaterde wird vom Gefühl der Solidarität mit den Werktätigen, mit dem Volk, gefestigt und von einer neuen, marxistisch-leninistischen Auffassung der Völkerfreundschaft untermauert. Das Gleichnis vom krummen Baum ist ein Symbol dieses Gefühls.
Sperbers literarisches Schaffen reicht jetzt mehr als vierzig Jahre zurück und umfaßt zwei voneinander grundverschiedene Epochen: die Zeit vor dem 23. August 1944 und die Zeit, die mit diesem Tag begann.
Revolution und Befreiung, die gesellschaftlichen Umwandlungen und die neuen ideologischen Anschauungen wiesen auch der Literatur und Kunst eine völlig neue Richtung. Sie teilten ihnen eine wichtige soziale Rolle zu und verknüpften sie unlösbar mit dem Leben und der Wirklichkeit.
Jene Dichter, welche früher dem Leben, der Wirklichkeit, dem Menschenschicksal beziehungslos gegenübergestanden, über Welt und Gesellschaft keine fortschrittliche Anschauung besessen hatten, sahen sich plötzlich hilflos vor eine neue Welt, vor die Wahrheit gestellt.
Sperber wer auch in der ersten Epoche ein fortschrittlicher Dichter, ein Dichter der Menschenverbrüderung, der die Ungerechtigkeit entlarvte und stetig die in ihrer Entfaltung behinderten Gaben des Volkes hervorhob.
Schon in dem 1934 – also zehn Jahre vor den historischen Ereignissen des 23. August – entstandenen Gedicht „Die Quelle“ heißt es:
Von ihrem Walten empfing ich die Lehre:
Allem zu spenden, was dürstet und trinkt,
Vorwärts, stets vorwärts zu eilen zum Meere,
Wo mir die große Verbrüderung winkt!
Die Natur ist in seinen Dichtungen keinesfalls nur ein malerisches Dekor, sondern erscheint als ein „Wald von Symbolen“ mit vielfacher und vorwärtsweisender Bedeutung voller Weisheit und Humanismus.
Die gleiche menschliche und hingebungsvolle Einstellung finden wir im Lied von der „Linde“, die der Herbststurm verwüstet und ihres Schmuckes beraubt hat. Bei Sperber haftet ihr aber nichts Krankhaftes, Banales, Düsteres an wie den Herbstschilderungen der dekadenten Dichter jener Zeit.
Wird sie sich künftighin weise beschränken,
Wenn ihr der Frühling erneuert das Kleid?
Wieder im Herbst wird sie Herzen verschenken,
Immer und immer zu schenken bereit!
Der Optimismus unserer Tage ist es, der dieses ebenfalls aus dem Jahre 1934 stammende Gedicht beseelt.
Ein Sinnbild der Befreiung ist auch das bereits 1928 verfaßte Gedicht „Die Wiese und der Wald“, während das im selben Jahr geschriebene „Gleichnis vom krummen Baum“ die reinen, gesunden Wesenszüge des Volkes der Scheußlichkeit der herrschenden Klassen symbolisch gegenüberstellt und die strahlende Verjüngung vorwegnimmt, „wenn einst das Reich der Unteren beginnt“. Das Gedicht ist voll und ganz ein „Gleichnis der Landschaft“, wie der Dichter den Zyklus nennt, dem es angehört.
Obwohl der Leser sie in diesem Band findet, kann ich der Versuchung nicht widerstehen, hier die letzten drei Strophen anzuführen, aus denen das Symbol und sein fortschrittlicher, revolutionärer Sinn so klar hervorgehen:
Wer spricht es aus, wer deutet die Gebärde
Des Krüppelbaums und seine öde Schau?
Vielleicht wächst seine Gradheit. in die Erde,
Und nur die Wurzeln ranken wirr im Blau?
Wer wagt es zu entscheiden: unten? oben?
Wer ist’s, der diesen Kreis zu Ende sinnt?
Denn alle Scheidungen sind aufgehoben,
Wenn einst das Reich der Unteren beginnt!
Dann wird verjüngend ihn die Sonne wecken,
Und alles blüht befreit in Feld und Wald:
Nie wird der Krüppelbaum sich drehn und strecken
Zu seiner graden, wirklichen Gestalt!
Ebensolchen fortschrittlichen Geist atmet das Gedicht „Ein Neger erringt den Olympiarekord für die USA“, dessen verhaltene, aber ergreifende Tragik den Rassenwahn sarkastisch anprangert. Diese Dichtung von Weltformat entstand 1939, als in unserem Land der Kampf gegen den Rassenhaß noch nicht entfesselt worden war. Sollte Sperber dereinst, die ihm eigene Bescheidenheit überwindend, seine strenge Zurückhaltung aufgeben, dann wird aus den Einzelheiten seiner Lebensgeschichte hervorgehen, wie selbstlos er der Sache des Kommunismus gedient hat und wieviel er deshalb leiden mußte.
Diese lautere, offenherzige, grundehrliche Dichterseele ist in unaufhaltsamem und unbeirrbarem Anstieg, den lichten, durch Menschenliebe und lyrisches Empfinden gekennzeichneten Weg ihres poetischen Schaffens, gegangen. Sperber verfolgte diesen Weg inbrünstig und leidenschaftlich, denn er lebte stets nur für die Dichtkunst und stets nur unter dem Zauber des Wohlklangs der Verse. Er könnte Stanislawskis Ruf „Mein Leben in meiner Kunst“ zur schlichten Devise seines Lebens machen. Welt, Dasein sind für ihn Poesie, und seine ist eine ureigene Welt, wie sie nur Anbeter der Musik erleben. Dennoch ist sie nichts anderes als das ausgeglichene Abbild der tatsächlichen Welt, der von einem wahrhaften, ganzen Dichter gesehenen Wirklichkeit, ein Widerschein der Erfüllung seiner Ideale. Selbst der dem Fortschritt sprunghaft entgegendrängende Geschichtsverlauf ist für den Dichter Anlaß zu poetischer Verklärung. Seine Fähigkeit, die Wirklichkeit in Bilder, Visionen und Farben zu übertragen, ist unerschöpflich. Es scheint, als hätte die Pupille dieses einsamen und den Menschen trotzdem so nahestehenden Mannes die Gabe einer poetischen Färbung, die alles im Alltäglichen Bedeutsame, anderen Leuten ephemerisch Dünkende in traumzarte Nuancen überträgt und zu einem allgemeingültigen Sinnbild gestaltet.
Nicht allein sein Blick ist aus der zeitnächsten Gegenwart und allernächsten Zukunft vorwärts gerichtet; all sein Wesen strebt leidenschaftlich der Zukunft, ihrem Erleben entgegen. Er will nicht im Gedankenkreis der Vergangenheit seines eigenen Werkes erstarren, das ebenfalls fortschrittlich und menschlich war, sondern stetig Schritt halten mit der Zeit, wenngleich er auch mitunter das erschütternde Gefühl zu haben scheint, nicht mehr mitkommen zu können, weil ihm – wie er glaubt – die für das gegenwärtige Schaffen kennzeichnende „gute Puste“ abginge.
Dennoch betrachtet er sich als einen der Vielen, seiner Generation zugehörig und gleichzeitig von dem lebhaften und kräftigenden Gefühl der Kontinuität durchdrungen, dem Bewußtsein, daß die von morgen die Fackel übernehmen und weiter tragen werden. Vielleicht ist auch diese anscheinend der Natur abgelauschte Erkenntnis von der Beständigkeit und Erneuerung ein Teil bäuerlichen Gedankengutes, ein Teil der besinnlichen Vorstellungswelt jener Bauern aus Sperbers Heimat.
Dem angespannten Bemühen, Schritt zu halten, entquoll die ungewöhnliche Mannigfaltigkeit des Themenkreises seiner nach dem 23. August geschaffenen Dichtungen.
Wie nahe auch der Dichter Sperber von Anfang an dem Volk und seinen Leiden gestanden hatte, er empfand das Morgenrot des 23. August 1944 als Offenbarung einer neuen Welt. Die vor diesem Zeitpunkt herrschenden Umstände verflachten den Lebensinhalt, drosselten den ungestümen Elan der dichterischen Eingebung, zwangen den Zukunftsvisionen Grenzen auf, dämpften die Begeisterung, behinderten die Entfaltung einer schöpferischen Zuversicht.
Die Befreiung, die jahrhundertelang unterdrückte Energien eines mit kostbaren Geistesgaben und schöpferischer Gestaltungskraft gesegneten Volkes entfesselte, und dem Dasein und Streben der zum Aufbau einer neuen Welt, eines neuen Lebens entschlossenen Menschen heroisches Pathos verlieh, bot dem Dichter neue Anregungen, eine neue Fülle von Eindrücken und Empfindungen. Um ihnen Ausdruck zu geben, genügte nicht eine reichhaltigere Folge von Tönen, den alten Saiten entlockt, es bedurfte ganz neuer Saiten, welche die Dichterleier in stärkeren, volleren Klängen erschallen lassen.
Allen Schriftstellern unseres Landes, Prosaikern wie Poeten, sind jetzt unendlich mehr Anlässe zu seelischem Aufschwung und Begeisterung geboten, die sich ihnen täglich aufdrängen und sie dazu entflammen, über sich selbst hinaus zuwachsen, in anderen Dimensionen zu empfinden, den Zeiten angemessen, die zu erleben sie das Glück haben.
Ein wahrhafter Dichter von der Stärke des Empfindens Alfred Margul-Sperbers mußte von dieser neuen Lebensflut mitgerissen werden, mußte sich an der beispiellosen Großartigkeit unserer Epoche begeistern, ebenso wie an der makellosen Schönheit der Ideen, des Zieles und der neuen Menschen.
Einst unerhebliche Ereignisse und Taten erhielten weltweite Ausmaße, allumspannende Bedeutung von entscheidender Wichtigkeit nicht nur für uns alle, sondern für das Schicksal der Menschheit selbst. Wahlen, eine Buchausstellung, eine Gedenkfeier erhalten in unseren Tagen einen tiefen, nahezu epischen Sinn.
Und so entwickelte sich der Dichter Sperber zu einem unermüdlichen Sänger seiner Zeit, zum Chronisten aller großartigen Geschehnisse, aller heldenhaften Leistungen, der als Verfechter des Fortschritts und der Menschlichkeit vortritt, wann immer es gilt, der Freiheit, dem Kampf für Gerechtigkeit und gegen die Unterdrücker zu dienen.
Sein feines Empfindungsvermögen fand in edlen Erscheinungen des neuen Lebens Poesie.
Die Verse „Was alles zu einem Gedicht gehört“ versuchen eine Bestandsaufnahme dessen, was in der Seele des Dichters Widerhall erweckt, von der Natur bis zum Menschen. Aber die Aufzählung führt nicht alles an und ist überhaupt nicht alles, denn:
Ist all das fürs Gedicht bereit,
So fehlt noch eine Kleinigkeit:
Der Herzschlag dessen, der es schreibt,
Das Unvergängliche, das bleibt!
Die Flamme dieses Herzens lodert fürr die Baumwollpflückerin von Louisiana wie für die Bergleute von Anina, für Horia und für den Pflüger von Borodino, für den in der Oktoberrevolution gefallenen Soldaten und für den glorreichen August, für das Antlitz der Partei ebenso wie für alle großartigen Begebnisse unserer Tage.
Alles wurde zur Dichtung, zu Versen, die nicht versiegen, denn glühend und überströmend vor Leben und Poesie ist das Herz dieses wahrhaften Dichters.
Aber seine Saiten erklingen nicht nur in lyrischen Tönen für alles, was Liebe verdient, sondern erzittern auch von bitterem Haß, von geißelnder Satire gegen alles, das sie verdient. Selbst diese schöne Seele kennt den Grimm des Menschen, der seine erhabensten Ideale gefährdet sieht, und es scheint zuweilen, als müsse er sich selber überwältigen, um den heimtückischen Feind anzugreifen.
Demostene Botez, Vorwort
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