DER, DER DIE KAUSALITÄTEN SCHAFFT
Der, der die Kausalitäten schafft,
warf sie der Straße vor die Füße.
Ein Hinweis auf den neuen Plan. Die Haft
des Gestern ist komplett gerissen.
Die Regel des Effekts: bei Nutzung null Gebühr.
Man lacht über die Zukunft und verfälscht die Angst.
Der Nichtsnutz auf dem Ziffernblatt der Uhr,
ein Stück vom All zwischen den blutig Zähnen, faßt,
mit einem Blick den Weltraum und das Zeitgeschehen,
verwischt die Farben und zertrennt die Dinge.
Die Ordnung, fad und sinnlos, bleibt bestehen,
als ob tatsächlich jemand noch dran hinge.
man sieht das Bild der losen Kongruenzen
und steckt sein Schild ins leere Firmament
und glaubt nicht, daß die Wiederkehr von Grenzen
nichts zählt, kein Wort und kein Moment.
Was soll das? Das versteht doch kein Mensch. Ein Skandal, sagen die einen.
Für die anderen ist Alina Vituchnovskaja Drogendealerin, Faschistin, Medienhure. Ihre Stationen: KGB, Gefängnis, Psychiatrie. Zu Recht, die Frau ist doch krank, heißt es. Und gefährlich. Immer muß sie sich inszenieren, Skandale provozieren, großmäulig Terror propagieren. Eine Irre. Stimmt. Mehr noch, ihren Wahnsinn schreibt sie auch auf. Veröffentlicht ihn, und er wird übersetzt. Sie ist eine Dichterin. Und verkündet: Die Realität soll vernichtet werden. Besser, man wäre überhaupt nicht geboren. Doch wenn man schon da ist, dann als Gott: allmächtig, allwissend, unsterblich. Alina Vituchnovskaja – eine Demiurgin oder ein Zombie aus Fleisch: pervers, egoman, verbohrt?
Der Krieg, die Konzentrationslager, Bomben, das Chaos. Menschen als Puppen, Rauch, Finsternis, Schmerz, Untergang – die Visionen von Alina Vituchnovskaja sind extremistisch, sie träumt von der Apokalypse. Die Schreckphantome vergiften ihr Blut, sie muß sie loswerden. Sie notiert minutiös, wovon sie verfolgt wird. Sie zwingt sich der Welt, dem Leser auf, so wie dieses Leben und dieses ganze Dasein ihr aufgezwungen wurden. Die größte Zumutung: geboren zu sein. Das Leben: ein Höllentrip. Sie hat keine Lust auf Zerstörung, weil sie überhaupt keine Lust empfindet. Sie sieht Menschen und Dinge von innen her, und dort ist alles schwarz. Mit ihrem subjektiven Blick trifft sie den Kern der Zeit: der Mensch im Zeitalter der Postapokalypse. Entfesseltes Zerstörungspotential. Jeder hängt im Wahn seiner ganz persönlichen Utopie.
Daraus wird Literatur, Lyrik vor allem. Denn Reim und Rhythmus sind der einzige Halt. Auch wenn sie es strikt verneint, steht sie unverkennbar als letztes Glied in der Kette der russischen poetes maudits: Majakovskij, Achmatova, Mamleev.
Ihre Lyrik schafft Bilder, die expressionistisch, brutal, unverständlich sind. Wie aus dem Alptraum eines Che Guevara. Sie stimmen, denn sie folgen einer hellsichtigen Logik. Und sie brennen sich ein. Die Welt – ein abstürzendes Flugzeug. Vituchnovskaja hält die Sekunden der Katastrophe vor dem Tod als Ist-Zustand fest.
Die Sprache kommt da nicht mit. Die Lyrikerin fängt noch die kläglichen Fetzen der Sprachklischees auf, sie zerspringen, explodieren förmlich im gleichen Moment. Als Stückwerk, zusammengehalten vom Sprachkitt, bleiben Neologismen aus Wortabfall übrig. Rußlands sprachliche Resterampe.
Alina Vituchnovskaja begibt sich selbstzerstörerisch an den Rand, in die Gefahr. Bloß weg von der Mitte, der Political Correctness, die der Masse den pseudoliberalen Maulkorb verpasste und den zu Demokraten mutierten russischen Kommunisten zu exorbitanten Reichtum verhalf.
Auch die Kunst hat ausgetanzt, sagt sie. Die avantgardistischen Rebellen reden den Mächtigen auch nur nach dem Mund. Da geht Alina Vituchnovskaja gleich zu den Faschisten: In Limonovs National-Bolschewistischer Partei, diesem losen Verbund aus Spinnern, Rebellen, Kreativen, sieht sie die letzte Möglichkeit des Protests. Hakenkreuze stoßen vor den Kopf, also werden sie den Spießern als abschreckendes Zeichen entgegengehalten. Sie mißachtet den historischen Gehalt und recycelt die Swastika als Label der Popkultur. Der Sieg über Hitlerdeutschland hält in Rußland den kleinen Mann immer noch bei Laune.
Sie hat sich unmöglich gemacht. Dabei hüllte sie zunächst die Aura des Opfermythos ein. Nach einer vom KGB fabrizierten Anklage wegen Drogenhandels gestaltete sie ihren anderthalbjährigen Gefängnisaufenthalt und ihre Prozesse als eine beispiellose PR-Show. Sie stilisierte sich als Terroristin und Faschistin, um bloß nicht in der Phalanx der verfolgten russischen Dichterseelen zu stehen. Sie steht einer anderen Clique näher: Sarah Kane, Michel Houellebecq, Eduard Limonov, rücksichtlosen Zeitgeistdiagnostikern und Exhibitionisten, die in ihrer Entlarvungslust auch die letzte Peinlichkeit des eigenen Intimlebens den Lesern um die Fresse hauen.
Sie ist eben: eine schwarze Ikone. Dieses Label verkauft sie nicht nur, sie lebt es. Man betet sie nicht an, man erwartet keine Wunderheilungen von ihr. Man wendet sich von ihr ab, aber sie geht einem nicht aus dem Sinn. Sie verfolgt dich mit ihrem Blick: eine Ikone, die in den Abgrund schaut.
Nachwort
ist eine schwarze Ikone der radikalen Moskauer Jugend. Ihr Schreiben ist eine existenzielle Auflehnung gegen die Zumutungen des post-sowjetischen Lebens. Schwarze Ikone ist der rücksichtslose Mitschnitt zeitgenössischer Gemütszustände. Alina Vituchnoskaja schreibt Gedichte, in denen Gefühle und Sinn einander aus der Form jagen, schreibt Bruchstücke aus dem Menschenleben und Geistergespräche wie in einem Turm zu Babel. Die Visionen von Alina Vituchnoskaja sind extremistisch, sie träumt von der Apokalypse. Sie notiert minutiös, wovon sie verfolgt wird. Sie zwingt sich der Welt, dem Leser auf, so wie dieses Leben und dieses ganze Dasein ihr aufgezwungen wurden. Die größte Zumutung: geboren zu sein. Das Leben: Ein Höllentrip. Auch wenn Alina Vituchnovskaja es strikt verneint, steht sie unverkennbar als letztes Glied in der Kette der russsichen Poètes maudits: Majakovskij, Achmatova, Mamleev.
Denunziert als Faschistin und Medienhure, angeklagt und inhaftiert als Drogendealerin, verdächtigt der Perversionen: Alina Vituchnovskaja sprengt den üblichen Rahmen des Kunst- und Literaturraumes und folgt einzig der eigenen Stimme.
DuMont, Klappentext 2002
– Warum man die Werke der russischen Dichterin Alina Wituchnowskaja nicht rezensieren kann. –
Es ist mir geradezu physisch unmöglich, ein Etwas zu rezensieren, in dessen wüstem Zentrum man auf folgende Konfession stößt (das Werk wird ihr, wie mir scheint, weitgehend gerecht):
Es ist schon fast physisch klar, daß sich die Kunst überlebt hat. Einen verfaulten Zahn muß man ausreißen. So wird Zahnheilkunde zum Faschismus. Und Faschismus zu Stil. In der Kunst gibt es keinen Stil mehr. Bescheuerte Kinder lesen Cool Girl, Bankiers gucken Pornos, Kumpel vom Bergbau besorgen es ihren Frauen mit Bohrmaschinen. Aber sie alle sind Kreaturen vorzuziehen, die einen auf Kunst machen. Auch egal, jeder treibt halt irgendeinen Scheiß.
Vor allem die „Essayistik“ der Wituchnowskaja erinnert mich leider zu sehr an die zweitrangigeren Welt- und Kunstbeschimpfungsfragmente in den Underground-Zeitschriften der Prenzlauer-Berg-Szene der frühen Achtziger. Aber auch sonst bewegt man sich bei der Lektüre auf reichlich bedenklichem Boden:
Die Gedichte, Prosatexte und Essays wurden mit Einwilligung der Autorin gekürzt und redigiert.
Außerdem mögen sie noch ziemlich holprig übersetzt sein. Jedenfalls muss es einem nach Kenntnisnahme dieses Bandes als Frechheit erscheinen, wenn einem der Klappentext einreden will, dass Alina Wituchnowskaja „unverkennbar als letztes Glied in der Kette der russischen poètes maudits Majakowskij, Achmatowa, Mamlejew“ steht. Die ersten vier Zeilen des Schlussgedichts als Beispiel der Kunst oder Nichtkunst der Autorin:
Der, der die Kausalitäten schafft,
warf sie der Straße vor die Füße.
Ein Hinweis auf den neuen Plan.
Die Haft des Gestern ist komplett gerissen.
Und so weiter.
Ich weiß natürlich, dass die Frau ein paar schlimme Dinge erlebt hat (Alina Wituchnowskaja, geboren 1973, kokettiert mit neofaschistischen Moden und war zwischen 1994 und 1998 in Moskau mehrfach wegen angeblichen Drogenhandels inhaftiert. Anm. d. Red.); andererseits, um mit der Autorin zu sprechen:
Ich nehme gerne anderthalb Jahre Gefängnis auf mich für die Möglichkeit, der Gesellschaft über die Medien meine Ideen aufzuzwingen (Schreibheft Nr. 55).
Was für Ideen, fragt man sich? Alina Wituchnowskaja:
Die Literatur ist nichts als… eine blöde Marotte kränklicher Intellektueller.
Oh, ja, ich versteh die Dame schon; es ist ja auch alles nicht ganz neu. („Alles Geschriebene ist Schweinerei… “, hat der große Artaud gejault.) Rezensieren mag ich derartiges nicht; ich hätte das Gefühl, an irgendeiner undefinierbaren Gaunerei teilzuhaben.
– Wie ihr Leben sind Alina Vituchnowskajas Texte hoch energetisch, ungebändigt und mutwillig provozierend. –
Alina Vituchnowskaja ist eine schillernde Ikone der radikalen Moskauer Jugend und inszeniert ihr Leben als provokative Performance. Und wie das Leben der 29jährigen ist auch ihre Literatur – sie ist, wie es in einem frühen Manifest der russischen Futuristen heißt, eine schallende „Ohrfeige für den öffentlichen Geschmack.“
In den bruchstückhaften Gedichten, Prosa-Szenen, Tagebucheintragungen und Manifesten ihres Sammelbandes Schwarze Ikone beschreit und beschreibt die 30jährige rücksichtslos eine postsowjetische Gesellschaft, in der das „schon immer geahnte Desaster“ vehement eingebrochen ist. Wie Mehltau scheint eine erstickende Orientierungs- und Sinnlosigkeit über der Existenz zu liegen – und in diesen Phasen blüht die ästhetische Destruktivität und der irrationale Ausbruch: Als verfemte Wiedergängerin der poéte maudits fordert Alina Wituchnowskaja so die „heroische Selbstaufhebung“ und die „Diktatur des absoluten Nichts“.
Nur im absoluten Nichts scheint das Leiden an dieser „falschen Welt“ aufhören zu können – und dieses Leiden zieht sich wie ein blutiger roter Faden durch Alina Wituchnowskajas Schreiben: „Am Anfang war das Entsetzen“ konstatiert sie im Rückblick auf ihre Kindheit und schlägt den Bogen schnurstracks in eine verzweifelt einsame Gegenwart, in der sie sich „zerrissen wie ein faulendes Laken“ fühlt.
Auch die Kunst bietet in solchen Zeiten keine schützende Zuflucht mehr, sondern erscheint nur noch als „unnützer Firlefanz eines müßigen Weiberlebens“. Im deutlichen Anklang an die Avantgardebewegungen zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts proklamiert Alina Wituchnowskaja wieder einmal das Ende der Kunst, die sich überlebt habe: „Die Kunst ist nutzlos, weil sie harmlos ist.“ Dagegen setzt sie in Verbindung mit wirren faschistischen Provokationen und Affronts eine Kunst der Tat, fordert Aktionen, die wirklich „extrem und schön wie Erschießungen bei Sonnenaufgang“ sind.
Voller Wut, Verzweiflung und Verachtung versucht Alina Wituchnowskajas mit ihrer Literatur „den Verfall der Welt im Kern“ zu treffen. Ihre Texte sind ungebändigt, hochenergetisch und schockierend – sie gleichen nihilistischen Splitterbomben, denen nicht zu entweichen ist.
Alina Wituchnowskaja steht mit dem Leben im Kriegszustand. Die Menschheit bietet sich ihr dar als Ansammlung pseudoindividualistischer Konformisten, deren Anblick in der Dichterin nur Zerstörungssucht auslöst. Liebende Eltern, zutrauliche Freunde, die Erzeugnisse auch der hohen Kunst sind für sie nur abstoßende Grimassen, mit welchen die abgelebte Welt sie in ihren Sumpf zu locken versucht. Wituchnowskajas früheste Kindheitserinnerung, für sie der Anfang aller Dinge, ist der Horror. Die Poetin bekennt, sie habe als Kleinkind eine Zeitlang geglaubt, ihre Erdenexistenz sei ein Provisorium, ein Fehler, der sich bald korrigieren würde. Doch die Qual erwies sich als Dauerzustand. Da lernte sie die Droge der Sprache kennen, welche die monströse Wirklichkeit wie ein Schmerzmittel vernebeln konnte. Vor allem aber fand sie so ein Zaubermittel, womit sie das verhaßte Diesseits von innen her aufsprengen und sich zumindest virtuell an ihm rächen konnte. So wurde ihr Lebenszweck der verbale Amoklauf.
Wituchnowskaja besitzt ungeachtet ihrer Monomanie eine variationsreiche lyrische Stimme. Stilmittel der Klassik stehen ihr ebenso zu Gebote wie solche des groben Argot oder der Reklamesprache. Lesenswert sind neben Gedichten auch Prosastücke, Aufzeichnungen und Pamphlete, wovon man sich anhand dieses Sammelbandes überzeugen kann. Wituchnowskajas Versvisionen schildern, gern in Vierzeilerkaskaden und im trochäischen Volksliedduktus, eine böse Comic-Märchenwelt im Verwesungsprozeß. Sie ist erschaffen von einem fleischeslüsternen Gott und bevölkert von stofftierdummen Erwachsenen, welche ihren Nachwuchs zu Normalherdentieren nach eigenem Muster aufziehen möchten. Doch dämonische Kinder, die am liebsten mit Waffen und Hakenkreuzen spielen, sind dabei, mittels kleiner und großer Greueltaten dem falschen Paradies den Garaus zu machen. „Ein Schuß – und das Chaos ist wieder perfekt“, das verheißt die kindliche Antiwelt des Schießstandes, welche das Gedicht „Engel und Insekten“ besingt. Eine Ode an allerlei Mächte der Zerstörung, deren deutscher Übertragung das russische Original beigegeben ist, preist die Schönheit der Nazi-Uniform, die im wirklichen Leben auch russische Patrioten anerkennen. An drei lyrischen Texten hat der Leser Gelegenheit, den eher umständlich schildernden deutschen mit dem aggressiv beschwörenden Ton der russischen Sprache zu vergleichen.
In manifestartigen Exkursen gibt die Autorin ihrer Poesie theoretisches Unterfutter bei. In ihren Augen haben sich Kunst und Kultur erschöpft. Heutige Spießer schmücken sich mit Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ so wie ihre Vorgänger mit Ölbildern röhrender Hirsche. Originalität ist in der Massengesellschaft zum Gemeinplatz geworden. Wituchnowskajas Ausweg ist eine radikale Absage an all dies, weshalb sie vom Weltenbrand träumt und sich faschistisch oder nationalbolschewistisch kostümiert. Hierin scheint der himmelsstürmende, Kulturplunder von sich werfende Geist der Avantgarde wieder aufzustehen, freilich gereinigt von jedweden Ideenresten.
Die Dichterin streitet für nichts. Doch sie fühlt sich offenbar nicht allein. In Vers wie Prosa konstruiert sie ein nebelhaftes Wir-Kollektiv, das mit raubtierhaftem Furor dem „Euch“ der zahmen Kulturwiederkäuer entgegentritt. So entstehen imaginäre Fronten, wie sie die russische Denkweise besonders schätzt. Ebenso russisch klingt der kosmisch aufgeblähte Vorwurf an den Schöpfergott, der sich von seinen Kreaturen wie ein Fernsehkonsument die Langeweile vertreiben läßt. Als philosophischer Selbstmörder, der auf sich hält, ist Alina Wituchnowskaja überzeugt, daß die einzige Möglichkeit, Würde und Freiheit zu behaupten, in der Selbstauslöschung liegt.
Doch der Mensch ist anmaßend. Der Affekt, den die Lyrikerin an einer Stelle in die Worte faßt: „Wie konnte man es nur wagen, uns zu erschaffen, in die hiesige Wirklichkeit zu setzen?“, klingt manchmal wie militantes Selbstmitleid. In dessen Inszenierung findet die Autorin, die von sich sagt, sie sei keiner Lust und keines Engagements fähig, offenbar schöpferische Genugtuung. Überdies zeichnen sich in einzelnen Texten über den „wahren Menschen“ oder einen „Beinahe-Helden“ die nebelhaften Umrisse von Terminator-Übermenschen ab, welche die kosmische Hinrichtung vollziehen und für das sie hervorbringende Bewußtsein wie Bräutigam- oder Erlöser-Gestalten erscheinen. Alina Wituchnowskaja hat ihren Abgang aus dem Sein offenbar aufgeschoben. Der Leser gewinnt daraus grelle Schlaglichter auf die Aporien der Zeit. Wituchnowskajas Erlebnisse im Gefängnis, wo sie nicht Schmutz, Geschrei und Schlägereien schockierten, sondern die menschliche Sklavennatur, erscheinen ihr als ein Gleichnis für unser Leben überhaupt. Indem sie sich selbst zu einer Art Gegenikone stilisiert, führt sie vor, wie auch das schwache Geschlecht mit giftigen Worten und tadelloser Kriegsbemalung in eine Schlacht ziehen kann. Vor allem aber führt sie vor Augen, daß der popliterarische Phantomschmerz an nicht erlebten Kriegen und Katastrophen auch im rauhen Rußland verspürt werden kann.
– Alina Wituchnowskaja ist Russlands neue Pop-Ikone. –
Bekennende Faschisten sind heutzutage selten. Alina Wituchnowskaja ist eine. „Ich verbinde den Faschismus nicht mit Konzentrationslagern und Nationalismus“, sagt die 29-jährige russische Dichterin:
Für mich ist er die Apotheose der Rebellion, des Kampfes gegen die Realität, die Bestätigung des Übermenschen als Alternative zum Demiurgen oder zur Natur, die uns zwingt, so zu sein, wie wir zu sein haben, ohne dass wir es selbst wollen. So gesehen, ist der Faschismus mir nah.
Den zu ihrer Weltanschauung passenden Look hat sie. Auf dem Umschlag eines soeben bei DuMont erschienenen Sammelbandes mit Gedichten und Prosaskizzen, den ersten Übersetzungen ihrer Arbeiten ins Deutsche, posiert sie als verführerischer Todesengel.
Im schwarzen SS-Ledermantel samt hochgeschlagenem Kragen, mit blutroten Lippen und Hitlers Haarschnitt. Kein Wunder, dass Wituchnowskaja von ihrem Verlag als „schwarze Ikone der radikalen Moskauer Jugend“ vermarktet wird.
Nun sind extreme Schockeffekte in der Pop-Kultur ziemlich wohlfeil, solange sie die Auflage steigern. Das gilt auch für das Spiel mit nationalsozialistischen Symbolen. Doch Alina Wituchnowskaja nimmt ihren politischen Nihilismus ernst. „Vernichtung der Realität“ nennt sie ihr poetisches Projekt. Da rollen dutzendweise abgeschlagene Köpfe, spritzt Blut aus allen Körperöffnungen, verrecken die Protagonisten an ihrem Erbrochenen. Von der Koketterie mit Splatter-Elementen bei deutschen Autorenkollegen wie Tim Staffel und Tobias O. Meißner unterscheidet die junge Russin allerdings, dass sie für ihre Überzeugungen zu leiden bereit ist.
1994 wurde Wituchnowskaja ins Butyrka-Gefängnis eingeliefert. Der Geheimdienst war auf einen ihrer Artikel über die Moskauer Drogenszene aufmerksam geworden und verlangte, sie solle die Namen rauschgiftsüchtiger Kinder von Prominenten preisgeben. Die Dichterin weigerte sich. Ihr wurde ein Schauprozess gemacht. Am Ende standen 18 Monaten Haft. Als sie entlassen wurde, war sie berühmt: „Ich nehme gerne eineinhalb Jahre Gefängnis auf mich, um der Gesellschaft über die Medien meine Ideen aufzuzwingen.“
Ihr Ansehen im zeitgenössischen russischen Kulturleben verdankt Wituchnowskaja allerdings nicht nur ihrem Märtyrerstatus. Sie spielt ein Rollenmodell durch, das in der Geschichte ihres Landes seinen festen Platz hat. Auf die Unmenschlichkeit des russischen Alltags reagierten Intellektuelle seit jeher mit Auslöschungsfantasien. Bereits Bakunin empfahl, alles in die Luft zu sprengen. Auch nach dem Ende der Sowjetunion wollen Schriftsteller wie Wladimir Sorokin und Eduard Limonow den verhassten Verhältnissen mit Gewalt beikommen: Ihre Werke sind meist bluttriefende Burlesken.
Damit finden sie hierzulande in Kreisen Gehör, die sich angesichts einer als belanglos empfundenen Gegenwart nach dem ganz Anderen sehnen. Während in Berlin Einrichtungen wie die Volksbühne und das Kaffee Burger den radical chic als Dauerdebatte inszenieren, spielt die Gothic-Szene gerne mit Emblemen des Satanskults. Ihr ist Wituchnowskaja geistesverwandt; nicht von ungefähr veröffentlicht sie ihre Elaborate in dem Internet-Forum „Gothic.ru“. Indes gelingen ihr auch manchmal solche Zeilen:
Nur Mord ist wirklich erotisch und sinnlich. Aber wir sind unendlich allein, verzweifelt allein. Und nur meine Kugel kann wirklich in dir sein.
– Die Welt ist falsch, sie muss zerstört werden: Die russische Schriftstellerin Alina Wituchnowskaja stellte in der Berliner Volksbühne die deutschen Übersetzungen ihrer „totalitären“ Gedichte vor. –
Nekrorealismusneger
wir, ein Riesenhaufen Dreck
Marodeure, Lasterjäger
eisgekühlter Intellekt.
Wir, Eroberer der Huren
wir, die ganz genialen Dichter
pusten fremden Kreaturen
scharfen Rauch in die Gesichter
Immer wieder zieht Alina Wituchnowskaja das Kinn hoch, so, als ob sie sich selbst dazu ermahnen muss, und blickt, während ihre Gedichte vortragen werden, auf die Zuhörer herab, ohne sie wirklich anzusehen, ein wenig autistisch.
Wir, die ganz genialen Dichter
es ist Zeit sich zu beeilen
loszuschießen, zu vernichten
alles eiskalt abzuknallen
Als ein „Babouschka“ zwischen das mühsam Eingedeutschte rutscht, bemächtigt sich ein breites Grinsen ihres Gesichtes. Lächeln kann sie also, die „schwarze Ikone“ Russlands.
Wenn man ihre Gedichte liest, würde man das kaum annehmen. Alina Wituchnowskajas Texte sind so schwarz wie das Kleid und der Ledermantel, den sie trägt, und statt einer freundlichen Geste würde man eher erwarten, dass sie im nächsten Moment eine halbautomatische Handwaffe zieht und aller Höflichkeit ein Ende bereitet. Nun aber, da sie zu ihrer Buchpremiere in Deutschland ist, sieht man, dass diese Frau nicht einfach nur tough ist. Sie wirkt freundlich und hellwach, ein wenig kindlich sogar, ihre Haltung aber ist um einen Stolz bemüht, von dem man spürt, dass er hart erkämpft werden musste. „Ich bin auf dem Rachefeldzug für die Tränen eines Mädchens.“
Zwei Russen bauen sich neben dem Publikum auf, sie pöbeln in Russisch und auf Deutsch. Alina Wituchnowskaja lächelt wie zur Vergebung. Die Szene hat etwas Operettenhaftes, sie versichert aber, die beiden „Dummköpfe“ seien keineswegs von ihr bestellt gewesen, was man schon daran erkennen könne, dass sie an der falschen Stelle den Arm zum Hitlergruß erhoben hatten. Wahrscheinlich, so mutmaßt sie, hat der russische Geheimdienst FSB sie hier platziert, um die Veranstaltung zu stören.
Alina Wituchnowskaja hat ein Recht auf Verfolgungswahn. Kaum 21-jährig, wurde sie in das berüchtigte Butyrka-Gefängnis von Moskau gesteckt, später auch in die Psychiatrie. Mit einem Artikel über Drogenkonsum in Moskau hatte sie das Establishment gegen sich aufgebracht. Sie weigerte sich, ihre Informanten zu denunzieren, und so schob man ihr bei einer Wohnungsdurchsuchung Rauschgift unter. Als die Zeugen ihre Falschaussagen zurücknahmen, hatte sie 18 Monate in Haft verbracht.
Es ist die Geste antibürgerlicher Avantgarde, die Wituchnowskaja wählt, es ist aber auch Pop – eine Verweigerungshaltung, die aufs Ästhetische zielt. Sie teilt dieses Antikunstwollen mit Wladimir Sorokin und Eduard Limonow, jenen jungen, radikalen Russen, deren Bücher von der so genannten Putin-Jugend auf öffentlichen Plätzen eifrig entsorgt werden. Die Sprache sei desakralisiert, so sagt sie, vor allem das Gerede von Gerechtigkeit und Demokratie. Deshalb nimmt sie die abgenutzten Sprachklischees, Abzählreime, Zitate, Amtssprache und anderes, bricht sie auseinander und setzt sie so wieder zusammen, dass jene brutalen und rätselhaften Bilder daraus hervorgehen, die von geradezu klassischem Rhythmus und Versmaß zusammengehalten werden.
Ihre anspruchsvolle literarische Technik, für die sie von der russischen Literaturkritik als „kindliches Genie“ gefeiert wird, ist kaum ins Deutsche übertragbar. Doch das provokatorische Potenzial dürfte hierzulande Kaufempfehlung genug sein, man wird ihre Werke wohl lesen wie die von Michel Houellebecq: als Weltekel von Außenseitern.
Im postsowjetischen Russland dagegen hat ein solches Vorgehen etwas Existenzielles. Denunziantentum, Kollektivismus, Korruption und eine ganz spezifische Form der Gleichgültigkeit gehören zu einer Alltagskultur, die vom Putin-Regime bewusst gefördert wird. Alina Wituchnowskaja stilisiert ihren Hass, spuckt ihren Ekel aus. „Die Welt ist ein Konzentrationslager“, sagt sie und schreibt über die „Masse der demütig knienden Insektensklaven“ wie Zarathustra einst von den Hinterwäldlern. Dazu gesellen sich die Parolen des alten Fascho-Futurismus, der sich die Überwindung der falschen Welt durch ein reinigendes Stahlgewitter erhoffte:
Die Welt ist soweit
endlich gibts Krieg
Die Falschheit dieser Welt, so glaubt sie, empfinden auch andere, ihnen fehle nur das Mittel, um sie abzustoßen. Sie will ihre Sprache zur Verfügung stellen.
Meine Texte müssten eine totalitäre Wirkung entfalten können. Das Fernsehen dürfte nur zeigen, was ich richtig finde.
Dichterin sei sie ohnehin nur geworden, um andere beeinflussen zu können. „Mach mich zum Helden deines Comic-Strips!“ hatte sie mit Kajalstift an ihre Zellenwand geschrieben. Deshalb könne sie sich auch vorstellen, eine Sekte zu gründen, oder eine parteiähnliche Organisation, so wie die nationalbolschewistische Bewegung des auch nicht gerade feingeistigen Limonow, der seinerseits gerade in Haft sitzt.
Ich möchte mit der Jugend eine gemeinsame Sprache sprechen, damit sie nicht nach den verlogenen Werten lebt.
Das hört sich nach einem fast schon aufklärerischen Programm an. Doch kaum ausgesprochen, nimmt Alina Wituchnowskaja die unvorsichtige Entzauberung ihres widersprüchlichen Projektes wieder zurück.
Die Welt kann nicht besser oder schlechter, sie kann nur beseitigt werden.
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