EINSIEDLERHÜTTE IM MONDSCHEIN
Sehe mir das Weiße Bild an, den elektrischen Mond,
aaaaaweißer Nebel zieht über die Wälder
Feuchtes Johanniskraut & Habichtskraut, magische
aaaaaSchafgarbenstengel am grünen Berghang
„Wollen Sie etwa, daß Ihr Flugkapitän Gras raucht?
aaaaaWollen Sie, daß Ihre Mondfahrer loco weed
aaaaarauchen?“
Was für eine Komödie ist doch dieses Epos? Das
aaaaaLamm landet auf der Alkohol-See – Tiefe Stimmen
„Ein guter Schwung Daten“ – Die Stunden der ersten Mondlandung des Menschen −
Eineinhalb Millionen verhungern in Biafra – Footballspieler werben für Cornflakes −
TV sprach genausoviel von Amerika wie von der Menschheit – Brillo bietet Ihnen eine kostenlose Mondkarte – 2 Bons −
Und CBS wiederholt das Menschheits-Epos – Hier ist wieder Walter Cronkite,
„Wie leicht doch diese Worte… ein Schauer über den Rücken…
Rußland klar geschlagen! China, ein Fünftel der Menschheit, erfährt davon kein Wort im Rundfunk…“
Die Queen sah sich die Mondlandung im Windsor Castle an −
Die Hypnose von Disneyland glatt übertrumpft, die Menge mit Taschentüchern auf den Köpfen
Winkt der Fernsehkamera zu – dem Ersatz-Mond −
„Kein Ort außer dem Mond gibt einem heute ein historisches Gefühl“ −
Mit Verspätung werden die Raumanzüge angelegt −
Und ein Mondhappening auf der Sheep Meadow im Central Park −
Westerns Electric’s erhabener Augenblick!
Und Regen in den Wäldern trommelt auf die alte Hütte!
Ich will! Ich will! eine Leiter aus den Tiefen der Waldesnacht hinauf zum silbern blinkenden Mond −
Der Reporter im Raumanzug, mit einer aufgenähten Flagge −
Peter Stöhnt & Flucht im Bett, endlich erlöst von der Bürde der Mondsucht −
Tranquillity Base, dort wird sich die Tragödie dieses Abends erfüllen.
Ständig auf der Hut vor Sonneneruptionen, Uhrenticken, gestörten Antennen – jäh wie der Tod.
Ich hätte nicht geglaubt, daß wir diese Nacht erleben.
Richtet die Fahne auf und ihr seid verloren! Das Leben ein Traum – Schlaf in den Augen der Wälder,
Antennen kratzen an der Zimmerdecke. Atmosphärisches Rauschen & Regen!
Mit 37 sah ich in einem Traum die Erde, halb von Wolken verhüllt, von einem Balkon im Weltall −
Méliès – Schwindelgefühl – verblödet vor der Bildröhre −
„Menschen landen auf der Sonne!“ wird es in zehn Jahren heißen −
Ansager kriegen langsam die Motten und murmeln „142 −“
Allein im All: Druckausgleich im LEM!
Hare Krishna! Laß meinen Dorje-Stab schweben auf dem Küchentisch!
Keine Science Fiction rechnete mit dieser weltweiten Bewußtseins-Vision
In dem Augenblick wo sich eine Luke zum Himmel öffnet. Eine Motte im Déja Vu!
Dies ist der Augenblick – sie öffnen die Luke – jede Sekunde ist Staub im Stundenglas – Luke geöffnet!
Der Virus wird grüne schleimige Reptilien hervorbringen in sechzig Jahrhunderten & sie werden ihre Väter verschlingen so wie wir Gott aufgefressen haben −
Stell dir vor du stirbst Heute Nacht! Und das letzte was deine Augen sehen ist der Mann im Mond!
Seufze endlos vor mich hin… alle sind übermüdet…
Auf der mondbeschienenen Veranda −
Ein 38jähriger amerikanischer Mensch steht auf der Oberfläche des Mondes −
Fußabdruck im Kohlestaub – er trat hinaus
und es ist der alte vertraute Mond, ein Ort wie der Meeresboden oder der Gipfel eines Berges –
„Sehr hübsch hier auf dem Mond!“ oh, als wär’s Reines Gold −
Laute Stimmen „Houston ruft Mond“ – Zwei „Amerikaner“ auf dem Mond
Wunderbarer Anblick wie sie da auf der Oberfläche herumhüpfen – „einem viertel der Erde werden diese Bilder von ihren Herrschern vorenthalten!“
Sie stellen die Fahne auf!
Juli Mond-Tag ’69
Übertragen von Carl Weissner
Dichter sind verdammt, aber sie sind nicht blind, sie sehen mit den Augen der Engel. Dieser Dichter durchschaut und sieht ringsum die Schrecken, an denen er in den vertraulichsten Stellen seines Gdichts teilhat. Er vermeidet nichts, sondern erfährt es durch und durch. Er enthält es. Beansprucht es als sein Eigentum – und, so glauben wir, lacht darüber und hat die Stirn, einen Gefährten nach seiner Wahl zu lieben und diese Liebe in einem gut gemachten Gedicht zu bezeugen.
William Carlos Williams
Die Verse Ginsbergs knüpfen an „Epiphanien“ an, wie James Joyce jene Augenblicke genannt hat, die ein Wort, eine Geste, einen Schrei in die Helle des Bewußtseins rücken und die in der Raffung gleichsam den geologischen Aufriß der Wirklichkeit erkennen lassen. Ginsberg hat in seinen rhapsodischen Gedichten den einzelnen dem Moloch der routinierten, auf Schienen laufenden Gesinnungsmaschinerie konfrontiert und dabei, das geben auch seine Gegner zu, der amerikanischen Sprache neue Schlagfertigkeit und Geschmeidigkeit hinzugewonnen.
Walter Höllerer
Allen Ginsberg ist der bekannteste Vertreter jener Gruppe von Autoren, die Mitte der fünfziger Jahre die literarische Bühne der USA im Schockstreich eroberte und als beat generation auch weltweit Popularität erlangte. In einer unpolierten, slang- und jargonnahen Sprache brach sich ein Lebensgefühl Bahn, das von Ausbruch und Aufbruch gekennzeichnet ist. Stärker noch als seine Generationsgefährten wie Kerouac und Corso besitzt Ginsberg die Fähigkeit, um den persönlichen Kern ein detailberstendes Panorama des hindriftenden Landes zu kristallisieren. Ob er dahinrast im Fugzeug oder Auto oder apathisch in einem Hotelzimmer liegt, sein Bewußtseinsstrom formt jene intensiven, mitunter filmischen Gedichte, die wesentlich dazu beitrugen, die amerikanische Poesie von erstickendem akademischem Regelwerk zu befreien.
Verlag Neues Leben, Ankündigung
Robert Weimann: Allen Ginsberg und das geschlagene Glück Amerikas, Sinn und Form, Heft 5, 1965
ICH & ALLEN
Erkenne eine große Kluft zwischen mir & Allen – er
hat ein eher verbales Bild von Poesie –
verbindet Bilder, um Erkenntnis
zu untergraben, die eine Leiter
in die Höhen der Erkenntnis hinaufführt –
aaaaaich werd high durch Gefühl
& Gefühle für noch reinere
Gefühle oder so was
in der Art. – das alles passiert
in meinem Körper im Bauch
& geht bis zur Brust – kommt
von den langen Selbstgesprächen –
beruht aber nicht auf tiefer
Erkenntnis auf sprachlicher Ebene
sondern Erkenntnis kommt bei mir
durch Emotionsschübe – Schübe von
Emotion – emotional untergrabener
Saft der sich im Körper
verbreitet & mich zappeln lässt vor
Freude – aber zurückversetzt auf
die Bühne meines Verstands zeigen sich
große Tropfen Traurigkeit – Traurigkeits-
tropfen – Traurigkeit tritt hervor
& ergießt sich eimerweise von
Gebein verbindenden Gelenken
das Hirn fällt ins Leere
der Brust – das Leere der Brust
reicht’s an den Magen weiter
die leere Bühne – Tränen
fließen – blutige Tränen
fließen ins Leere –
die Tränenleere der Peter-
tränen beruht auf dem Wissen
der Leere, die sich bis
in meine Verwandten ausdehnt, denen
ich über Jahre zugeschaut hab
aber nur, um es jetzt
umso heftiger zu empfinden –
Tod in Raserei verteilt
Raserei an jedes Angehörigen Herz
Gesicht meiner Familie –
meine Familie zerrinnt weils
Herz schwer wird & sich nicht
in ein Universum ewigen Herzens
ausdehnen kann – das Allzeit-
riesenherz (jedermanns)
pocht – pocht Traurigkeit
in meine Herztraurigkeit –
keine Leiter quert das Herz
keine Leiter führt weg vom Herz
nur ’ne Nadel aus
herzstechender Rippe –
weinender Schmerz lebendige Stimme –
bis zum Sanktnimmerleinstag –
Peter Orlovsky, 10. September 1958, NYC
Übersetzung Marcus Roloff
Allen Ginsberg Planet News Memorial in der Cathedral Church of St. John the Divine in New York City am 14. Mai 1998
Hilde Marx: Nacktheit als Urzustand des Seins
Die Tat, 28.5.1976
Allen Ginsberg liest aus seinem Buch Cosmopolitan Greetings zusammen mit einigen älteren Gedichten und Liedern. Teil 1/6.
Allen Ginsberg liest aus seinem Buch Cosmopolitan Greetings zusammen mit einigen älteren Gedichten und Liedern. Teil 2/6.
Allen Ginsberg liest aus seinem Buch Cosmopolitan Greetings zusammen mit einigen älteren Gedichten und Liedern. Teil 3/6.
Allen Ginsberg liest aus seinem Buch Cosmopolitan Greetings zusammen mit einigen älteren Gedichten und Liedern. Teil 4/6.
Allen Ginsberg liest aus seinem Buch Cosmopolitan Greetings zusammen mit einigen älteren Gedichten und Liedern. Teil 5/6.
Allen Ginsberg liest aus seinem Buch Cosmopolitan Greetings zusammen mit einigen älteren Gedichten und Liedern. Teil 6/6.
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