PARZIFALLS ARIE
irrnis und leidens pfade kam ich
wirr im kopf doch gut zu fuss
verarmt doch spöttern nicht kopflos
verarscht doch reich an entgegnung
so schlug ich mich bis hierher durch
‚kaum schritt ich: wähnt mich schon weit
es scheint zu raum wird hier die zeit‘
erlegte dies und manches schwein
das der gerechtigkeit weg verquerte
mir meine herkunft nicht verriet
sowie des zeichens sinn mir wehrte
(gewiss! Im fluge traf ich was flog
so treff ich im gehen was frei rumläuft)
doch von gewalt selbst überwältigt
in einfältigkeit reingefallen
bekannte begangenen irrtums mich schuldig
aufgrund gutachtens mildernde umstände
doch ist vergangenheit auch ungewiss
ist zukunft mir nicht ungeheuer
reime ich mir die zeiten selbst zusammen
unterwegs von mutter(sprache) zu vater(land)
ein plastikbeutel der herz-lloyd-ag
mit fiktiver biografie: ein heiligenleben
denn: töricht und rein
aaaaavermag ich allen alles zu sein
oder auch: kaum gehen wir kaum schreiten
aaaaazu raum werden doch die zeiten
– Die Lyrik von Sascha Anderson und Bert Papenfuß-Gorek vor und nach 1989. –
Das Anliegen meiner kurzen Abhandlung ist es, den Wegen des literarischen Samisdats in der DDR nachzugehen, der anders als in anderen Ländern Mittelosteuropas, z.B. in Polen, streng von dem politischen Samisdat zu unterscheiden ist und der Mitte der 1980er Jahre zu seiner vollen Blüte kam. Dieses literarische Phänomen soll einer kurzen Beschreibung unterzogen werden und anhand zweier Autoren, Bert Papenfuß-Gorek und Sascha Anderson sollen individuelle Schreibentwicklungen vor und nach dem politischen Umbruch nachgezeichnet werden. Insgesamt ist dabei die Frage leitend, welche Kontinuitäten und Brüche beim Schreiben dieser beiden Autoren festzustellen sind.
Emmerich zufolge handelt es sich in den 1980er Jahren um eine junge Generation, die sich ganz grundsätzlich von den vorhergehenden unterscheidet. Nach dem Mauerbau geboren und somit der Alternative eines anderen Deutschlands beraubt, war für sie der Sozialismus keine mögliche Identifikationsgröße mehr. Anders als Volker Braun, Wolf Biermann oder die viel früher geborene Christa Wolf, die an der Utopie eines Sozialismus festhielten, sich an ihr abarbeiteten und die als Bezugspunkt ihres Schreibens diente, spielten politische Utopien für diese neue Generation kaum mehr eine Rolle. Es entwickelte sich in den späten 1970er Jahren eine Gegenkultur, die zwar kaum konfrontativ, aber dennoch als ANDERE eindeutig definiert war.
Ihr kleinster gemeinsamer Nenner lautete: Null Bock auf alles Offizielle.1
Die Literatur, die im Untergrund entstand, war Teil dieser Gegenkultur.
Unter den jungen Autoren herrschte Anfang der 1980er Jahre Aufbruchstimmung, sie wollten etwas bewegen und glaubten an die Macht der Worte und die Zukunft der Poesie. Aus der Mitte der Gesellschaft hatten sie sich zurückgezogen, lebten als Randexistenzen in den verfallenden billigen Altbauten und arbeiteten als Friedhofsgärtner, Bauarbeiter oder Aushilfskellner. In den Städten Berlin, Dresden, Leipzig oder Weimar bildeten sich Kunstszenen mit bis zu 800 Künstlern, unter ihnen auch diese beiden Autoren. Ihr erklärtes Ziel bestand unter anderem darin, eine zweite, sich staatlicher Kontrolle entziehende, andere Öffentlichkeit zu schaffen. Diese Tatsache allein war schon – entgegen den Beteuerungen ihrer Protagonisten, nicht politisch wirken zu wollen – in Hinsicht auf den totalitären Meinungsbildungsanspruch des Regimes zutiefst politisch.
Die Szene in sich jedoch war dezentral und instabil, man traf sich auf Vernissagen oder zu Lesungen in Privatwohnungen, wo weniger fertige Produkte, sondern Prozesse des Schaffens vorgestellt wurden, man nutzte Synergieeffekte: Dichter schrieben Texte für Musiker, Grafiker entwarfen für Autoren Bilder. Viele probierten sich auch in verschiedenen Kunstrichtungen aus, waren einmal Autoren, dann wieder Maler oder Performer. Schon per definitionem ist die Subkultur immer in der Dauerkrise, sie verändert sich, kennt keine festen Grenzen und ist somit immer im Zerfall begriffen. Einzig der Druck von außen und die wachsende staatliche Bedrohung und Durchdringung schufen einen länger währenden Szenezusammenhalt.
Mitte der 1980er Jahre verlagerte sich das Zentrum nach Berlin, viele Autoren und Künstler zogen in den Prenzlauer Berg. Neben einem selbstherrlichen Gestus, der sich gegen alle institutionellen Vereinnahmungen richtete, waren gleichzeitig Bestrebungen zu beobachten, sich im offiziellen Kulturbetrieb zu etablieren. Wie Ilona Schäkel in ihrer umfangreichen Untersuchung Sudelblatt und Edelfeder2zeigt, sind die Abgrenzung zwischen offiziellen und inoffiziellen Diskursen (sowohl auf inhaltlichen wie auch auf personellen Ebenen) bei weitem nicht so scharf, wie das durch eine Mythenbildung, die ihren Anfang schon in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik nahm, suggeriert wurde. Im westlichen Teil nämlich entdeckt man zu dieser Zeit die neue Literatur des Prenzlauer Berges und damit erhöhten sich die Chancen der Autoren der Szene, im „Westen“ zu publizieren. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Anthologie von Elke Erb und Sascha Anderson Berührung ist eine Randerscheinung von 1985 oder auch dem von Egmont Hesse herausgegebenen Band Sprache & Antwort. Stimmen und Texte einer anderen Literatur aus der DDR von 1988 entgegengebracht, die Texte der „Untergrundautoren“ vereinten. Zu dieser Zeit machten sich in der Szene schon längst Auflösungserscheinungen bemerkbar. Der mit kleinem Wirkradius agierende und mitunter sehr elitär sich gebärdende und männlich dominierte Kreis3 zerfiel langsam, die Aufbruchsstimmung war verflogen, Resignation über die unveränderten Zustände machte sich breit und auch die Ausdünnung durch die ausreisenden Autoren und die Möglichkeiten der Publikation im anderen Teil Deutschlands taten ihr übriges.4
Wie sahen die Produkte des literarischen Untergrundes aus? Zwischen 1978 und 1990 existierten mehr als 20 Titel, die in geringer Auflage und in unterschiedlicher Ausgabenanzahl erschienen.
Prinzipiell kann zwischen Heften, in denen der Grafikteil als unabdingbarer Bestandteil des künstlerischen Ganzen angesehen wurde, und Titeln, bei denen nur wenige Blätter zu dekorativen Zwecken im Inneren verwendet wurden, unterschieden werden. Die Anzahl der Titel, bei denen die Grafik dem Text in ihrer Bedeutung gleichgestellt war, war deutlich höher als die der Hefteditionen, die darauf verzichteten. Die Auflagenhöhen der Editionen bewegten sich meistens bei einer Zahl unter einhundert, manchmal erschienen auch nur zehn Exemplare,5 meistens zeitintensiv per Schreibmaschinentyposkript hergestellte Einzelexemplare. Zu den Vorläufern und ersten Maler-/Grafik-Büchern zählte Der Kaiser ist nackt von Uwe Kolbe (Berlin 1981), das sehr aufwändig gestaltet war und einen großen grafischen Teil besaß. Symptomatisch für die Beweglichkeit der Szene war auch die oftmalige grundlegende Veränderung der einzelnen Zeitschriften, kein Titel existierte länger als fünf Jahre, manchmal erschien auch nur eine Ausgabe.6 Die meisten Herausgeber wirkten auch als Redakteure in anderen Heften mit, benannten ihre Zeitschriften nach ein paar Heften um oder fusionierten mit anderen Redaktionen zu einem neuen Titel. Diese Veränderungen in der Titellandschaft des literarischen Samisdats waren also integraler Bestandteil des Phänomens und lassen das Verschwinden der Hefte nach 1989 in einem anderen Licht erscheinen, denn neben den auf der Hand liegenden politischen Gründen, die eine Untergrundzeitschrift nach 1989 obsolet machten, wurden dem schon vorher zu beobachtenden dynamischen Prinzip folgend andere, den neuen Bedingungen angepasste Möglichkeiten der Publikation der Texte gesucht. Ein paar Hefte existierten dennoch danach weiter, wie z.B. Entwerter / Oder aus Berlin (bis 1999), Herzattacke aus Berlin (bis 1999) oder Spinne aus Dresden (bis 1997).7
Zu den wichtigsten Heften in den 1980er Jahren zählten Und mit ihren Nachfolgern u.s.w. und usf., ein originalgrafisches Heft aus Dresden, das inhaltlich schwer zu verorten ist, da es sich als Sammelbecken für ungewöhnliche Texte sah und keine redaktionellen Eingriffe vornahm. Die meisten Beiträge erschienen anonym und schützten somit den Autorenkreis, darüber hinaus besaß das Zeitschriftenkonzept Modellcharakter für nachfolgende Hefteditionen, z.B. für schaden und verwendung aus Berlin, wo ebenfalls Grafik und Texte gleichberechtigt nebeneinander standen.
Besonders einflussreich im theoretischen Bereich und kaum mit Grafiken versehen waren der in Leipzig in den Jahren 1984–1989 erscheinende Anschlag, die auch in diesem Umfeld entstandene Zweite Person und die von Rainer Schedlinski und Andreas Koziol in Berlin herausgegebene ariadnefabrik, obwohl sie in ihrer Konzeption eher an eine klassische Literaturzeitschrift mit den Schwerpunkten Aufsatz und Essay, Kritik, Rezension und theoretische Diskussion erinnerte.8
Womit beschäftigt sich nun also eine Literatur, die keine Botschaft mehr verkünden will und der die Utopie der vorhergegangenen Generation verloren gegangen ist? Sie setzt auf die Sprache und zwar in einer Radikalität, wie es der DDR-Literatur bisher fremd war.9 In kleinen Formen wie Lyrik, Prosabeiträgen und theoretischen Abhandlungen wird die Sprache auf unterschiedlichen Ebenen zum Thema gemacht, entweder wird die geläufige Sprache kritisiert, dekonstruiert oder als Spielzeug entdeckt, aus dem heraus ein anderes befreites Sprechen generiert werden kann oder aber die poetische Sprache wird zu einer ,GegenSprache‘, zur Opposition der Sprache der Herrschenden. Anstatt der Arbeit an der Utopie erscheint hier eine Arbeit an der Sprache als neue Aufgabe der Autoren.
Zu beobachten sind in den Texten unterschiedliche Methoden der Dekonstruktion: So werden Verbindungen zwischen Wort und Satz, zwischen Wort und Text aufgelöst oder neu definiert, nicht immer ist ein Textsubjekt erkennbar und mit seinem Fehlen wird nicht selten auch die Konstruktion des Subjektes an sich fraglich.
Besonders Bert Papenfuß-Gorek spielt mit der subversiven Kraft der Sprache, die deshalb ein repräsentatives Sprechen nicht mehr möglich macht und sich damit auch gegen die Vereinnahmung durch jedwede Ideologie sperrt. Das festgefügte Syntagma weicht in seiner Lyrik der Gleichzeitigkeit eines mehrdimensionalen Sprechens. Wortpermutationen und Kombinationen, Neologismen, Alogizität bestimmen seine Texte; eine ,antigrammatische Grammatik‘,10 was auch in den folgenden Texten von Papenfuß-Gorek deutlich wird, die in den Heften Liane 5/1989 und ariadnefabrik 3/1986 erschienen sind.
15a)
neo-romantikker übeldruß
1 bin durchaus ganz & gar hin-
a reichend hinreißend uglig
2 ein auszuschlagendes reservoir
a hab ich’s maul voller zähne
3 ein noch zu rupfendes gefieder
a von omme bis zehe bewachsen
4 & meine nägel ins fleisch
a zu hauen den gekreuzigten
5 geile scheisse auf den tomaten
a bin ich stolz modern zu sein
ref. Na-da-ba-ba na-da-ba-ba eul
averlust verlust ver-lust11
Zu den sprachlichen Auffälligkeiten tritt hier eine weitere Besonderheit, die in vielen Texten zu beobachten ist. Es wird ein Bezug zum Körper hergestellt, der aber nicht als ganzer und unversehrter erscheint, sondern zerstückelt und fragmentiert auftaucht. Teile erscheinen wie unter Blitzlicht, aber das Ganze ist nicht zu sehen.
Bei Papenfuß-Gorek ist die Überschreitung von intersprachlichen Grenzen zu beobachten, durch den Gebrauch von Fremdsprachen eröffnet er noch weitere Bedeutungsebenen und erweitert die Vielstimmigkeit seiner Lyrik: hinreißend „uglig“ könnte als hinreißend häßlich (Englisch ugly) gelesen werden.
In einem anderen Gedicht macht er die Sprache selbst explixit zum Thema:
das wort muß würgen,
„an der funktion
der sprache zweifeln, an ihrer
produktiven kraft. Natürlich
ist’s ein unterschied,
bla-bla.“
wer das wort hat, hat die macht
das wort soll lottern
dem leit(…) motiv gemäß,
dem shiva-prinzip nach. natürlich
ist’s kein unterschied,
alb-
wer’s schwert hat, hat die macht
wer’s wort hält, hält bloß macht
das wort wird lodern
aus unterem,
anderem
einen auszubringen
jenen in bruch
in aller beweglichkeit einhergehen
aus sinnlosigkeit in alle sinne12
Wo Papenfuß-Gorek in einem direkten, teilweise flapsigen und unbeschwerten Ton die Macht bzw. Ohnmacht der Sprache heraufbeschwört und gleichzeitig ihre subversive Kraft aufzeigt, schlägt Sascha Anderson 1984 in USW andere Töne an:
elegie (1984)
das chaos in meinem
chaos die konfrontation einer
spur politik
ich habe alle fenster geschlossen
denn ich habe angst
vorm verschwinden der enden
einfacher sätze in niegedachten
labyrinthen. Einst war ich
fänger im schnee & meine
arme armee13
Der Grundton ist ernster, weniger unbeschwert und verspielt. Anderson verzichtet auf die Dekonstruktion der Wörter und grammatischen Regularitäten. Sicher wirft die Spitzeltätigkeit Andersons auch auf dieses Gedicht jetzt ein ganz anderes Licht.14 Abgesehen jedoch von einer konkreten biografischen Bezugnahme kommt in diesem Text eine Sprach- und Kontrollverlustangst über das Gesagte zum Ausdruck, das Verlorengehen in Labyrinthen der Sprache und damit verbunden die sich anschließende Frage, ob der Sprache und ihrer Bedeutung noch getraut werden kann.
Der Vertrauensverlust in die festgeschriebene Bedeutungs- und Sinnstiftungshoheit der Sprache manifestieren sich bei beiden Autoren, bei Papenfuß-Gorek vielstimmig, verspielt und flapsig-ungehörig formuliert, bei Anderson in einem ernsten, melancholischen Ton, seine lyrischen Bilder sind eindeutiger und geschlossener, die grammatische Form der Sprache bleibt unangetastet und unhinterfragt, so auch im folgenden Gedicht von 1985:
da warst du mit einem
mal so allein endgültig ein
nicht weiter teilbarer rest von dir
lagst auf der einzigen
strasse deines ortes, beidseitig
die leeren
häuser, die fronten sich selbst
stützende korsette geflohener
biografien die industrie
produzierte den existenzkampf als
spiel, aber was ist das schon
für ein spiel mit der einsamkeit der
kugel die du nicht sein darfst du
lehrst deine schwester das
fangen15
Hier sieht sich ein auf sich selbst zurückgeworfenes Individuum konfrontiert mit einer kalten, industriell geprägten Umwelt, die es beschränkt und zur Konformität zwingt. Das, was als Spiel anfing, ist keines mehr, sondern hat einem Existenzkampf Platz gemacht, der eine zerstörerische Kraft entfaltet. Einsamkeit und Isolation bestimmten den Ton des Gedichtes, ebenso wie Ich-Verlust und Verlust der Identität.
Nach 1990 erschienen die meisten Samisdat-Hefte außer den oben aufgeführten Ausnahmen nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass auch die Autoren aufhörten zu schreiben. Die Redaktionen der Zeitschriften ariadnefabrik, verwendung, Braegen und Liane schlossen sich nach 1989 zu einer Verlagsgemeinschaft zusammen und gründeten das Druckhaus GALREV, das sich u.a. auf Literatur aus dem Umfeld der ehemaligen ,Prenzlauer-Berg-Connection‘ spezialisierte. Dort erschienen einige der Werke von Sascha Anderson, Bert Papenfuß-Gorek oder Andreas Koziol. Als andere Verlagsgründung aus der Szene heraus kann der BasisDruck-Verlag genannt werden, der ebenfalls 1989 in Berlin gegründet wurde und auf politisch linksorientierte und DDR- und berlingeschichtliche Themen spezialisiert ist. Dort erscheint etwa auch die linke Zeitschrift GEGNER, die über sich selbst schreibt: „GEGNER akzentuiert Unmut und attestiert Ausblick ohne jegliche Segnung des Trostes, der nicht bei uns sein kann“,[footnote]http://www.basisdruck.de/gegner/index/iframe_general.html (eingesehen am 13.11.2010). und bei der Bert Papenfuß-Gorek maßgeblich beteiligt ist und die als Nachfolgeprojekt der gescheiterten Zeitschrift SKLAVEN 1999 ins Leben gerufen wurde.
Papenfuß-Gorek hat nach 1989 über 20 Titel veröffentlicht vor allem Lyrik aber auch Prosatexte und als bekennender Anarchist auch politische Pamphlete. Er gilt in der Literaturkritik des Feuilletons als radikaler Kritiker der Verhältnisse und in keiner Kritik fehlt der Verweis auf seinen kreativen und ungewöhnlichen Umgang mit der Sprache.16 /footnote]
Seine Dichtung ist ein stärkeres Geräusch, ist noise, nicht das zaghafte Singen in den Volieren des Literaturbetriebs. Seine radikale Aussage gegen den marodierenden Zeitgeist: ein Hohnlachen; sein anarchistisches Sichaufblähen und Dampfablassen: ein gewaltiger Dröhnschiß.[footnote]Tom Schulz: „Es gibt keinen Gott, in drei Teufels Namen, hü-hott“. In: Steinschlag, Ausgabe 1/2006, zu finden auch unter: http://www.lyrikkritik.de/schulz-papenfuss.html (eingesehen am 4.10.2010)
oder
Da werden Begriffe geentert, Bedeutungen wie Segel eingeholt und Wortverbindungen wie Taue gekappt. Manchmal zieht Papenfuß’ Sprachschiff ruhig seine Bahn, sind die Bedeutungen relativ eindeutig auszumachen, bis es einen jähen Wechsel gibt, Sturm aufkommt und im Auf und Ab zwischen Wellenbergen und -tälern die Gefahr des Untergehens besteht.17
Sowohl sprachlich als auch inhaltlich und formal sind die Kontinuitäten zu den 1980er Jahren unübersehbar. Seine radikale Kritik, sein Auflehnen gegen die bestehende Ordnung, die nicht so ist, wie sie sein sollte, hat zwar den Gegner gewechselt, richtet sich aber vor allem gegen die Machtmonopole, die ihre Wirkmächtigkeit noch immer der Sprache verdanken, die er versucht mit seinen sprachlichen Gegenentwürfen zu unterlaufen. Hier ist, wie auch schon vorher, ein schnoddriger, vulgär-witziger und mitunter plakativer Ton anzutreffen, auch die Vielstimmigkeit der Gedichte ist noch immer vernehmbar.
ICH UND IHR
Kommentierte und musikalisierte Version von Karrank
Ich bin krank, karrank,
jehör in Quarantäne.
aaaDas könnt ihr euch gar nicht vorstellen
aaaaaaaaaamit euern dämlichen Dauerwellen.
aaaaaaaaaaTschingderassa, kommt noch krasser
Krank, karrank –
wo jehobelt wird,
falln Späne.
Krank, karrank –
komm wieda uff de Beene
aaaaaaaaaaSo jeht der Stehuffjesang,
aaaaaaaaaada kommt ma keena mittenmang.
Ich und ihr machen kein Wir.
Bei mir kriegt ihr kein Bier.
Und ihr wollte Musiker sein?
Auf euch scheißt doch kein Schwein –
wat ja erstma janz gut is.
aaaaaaaaaaYou don’t need fiction,
aaaaaaaaaayou need a little friction.
[…]18
Eine weitere Kontinuität kann in der Tendenz gesehen werden, Bücher mit Zeichnungen und Grafiken zu versehen, die – ähnlich den Künstlerbüchern der 1980er Jahre – mehr sein sollen als reine Illustration, sondern den Bedeutungsebenen der Texte eine weitere Dimension hinzufügen.19
Auch von Sascha Anderson liegen nach 1989 weitere Veröffentlichungen vor. Unter den neun seit 1990 erschienenen Publikationen befinden sich neben dem biografischen Versuch Sascha Anderson und der Novelle Totenhaus von 2006 vor allem lyrische Texte. Abgesehen von einer biographiefokussierten Interpretation von Sascha Andersons Texten, die nach 1989 entstanden sind und auch von den nichtlyrischen Veröffentlichungen, die augenfällig sehr starke biografische Bezüge tragen, wurde für die Lyrik von Sascha Anderson Folgendes festgestellt:
Die Welt ist für ihn ,monströse Leere“ und er selbst ist „leer von den eigenen Sätzen“.20
Auch seien seine Gedichte geprägt von einer nach Identität suchenden düster gestimmten Grundmelodie.21
Angeführt sei dafür das aus dem 1997 entstandenen Band Herbstzerreißen entnommene Titelgedicht:
HERBSTZERREISSEN
So zurückgebrochen wie die Schrift, die Du nicht von oben
lesen kannst, schwärzer als gesagt
getan und gekleidet immernoch in Selbstbetrachtung, von
der Stimme aufgehob’ner Herbst, ist, was das Hunde-
herz, Klopstock gab dem seinen,
in den Zwischenraum vernarrt, den Namen Robespierre
unter’m ersten Schnee verscharrt. Etwas, das
von mir zwar, aber
nie von den kahlen Bildern abgefallen wär.22
Die in dem Text heraufbeschworenen Bilder sind – wohl auch begründet durch seine längeren Italienaufenthalte, die unmissverständlichen Eingang zum Beispiel in rosa indica vulgaris von 1994 fanden – jetzt von anderen Landschaften und Umgebungen inspiriert. Doch noch immer kreisen sie um die Themen der Suche nach dem Subjekt, seine Identität und die Grenzziehung zwischen Innen- und Aussenwelt.
Im vorliegenden Gedicht steht ein auf sich selbst fixiertes isoliertes Individuum einer Welt gegenüber, die „kahl“ ist, einem Winter, der wartet („unter’m ersten Schnee verscharrt“). Vom Ich kann etwas abfallen, es steht unsicher und hinterfragbar da. Sacha Szabo sieht in diesem Gedicht darüber hinaus auch eine neue Kunstauffassung Andersons realisiert. Andersons Kunstkonzept wird um die Negierung der Möglichkeit eines subjektiven Ausdrucks erweitert. Die Verunsicherung des lyrischen Ichs geschieht hier, anders als in früheren Texten nämlich durch die prinzipielle Infragestellung der Möglichkeit, sich subjektiv und originell äußern zu können.23
Ähnlich wie bei Papenfuß ist auch bei Anderson eine Affinität zu gut illustrierten Büchern festzustellen. So erschienen seine drei letzten Gedichtbände in dem auf Kunst spezialisierten Gutleut Verlag und drei sind mit Zeichnungen versehen.24 Bei beiden Autoren kann man die begründete Vermutung aussprechen, dass beide hier Traditionen und auch Konzepte – nämlich die bedeutungserweiterte Einheit von Bild und Text – aus der Untergrundliteratur der 1980er Jahre fortsetzen.
Abschließend lässt sich feststellen, dass bei den beiden exemplarisch herausgegriffenen Autoren, trotz gewisser inhaltlicher Veränderungen, durchaus starke Eigenheiten und Charakteristika, besonders auf der formalen und sprachlichen Ebene zu erkennen sind, die durch den politischen Umbruch 1988/1990 unbeschädigt geblieben sind und man hier wohl auch von einer Kontinuität des Schreibens sprechen kann. Auch zeichnen sich durchgehende Linien des Schreibens in Bezug auf den Schreibimpetus bzw. Schreibstil und die Hauptmotive der lyrischen Texte ab, die ungeachtet der politischen Veränderungen weiter bestehen bleiben. Sicher ist die veränderte ästhetische Kunstauffassung Andersons eine, wenn auch indirekte, Folge des Zusammenbruchs der DDR und kommt auch in seinen Texten zum Tragen, doch lässt sich in ihr nicht die Abkehr von seinem „Thema“, sondern seine Verschiebung auf eine höhere Reflexionsebene ablesen.
Sicher kann von diesen Einzelbeispielen nicht auf eine ganze Generation und ein ganzes Phänomen geschlossen werden, aber diese Beispiele haben gezeigt, dass es sich auch bei Texten anderer Autoren lohnen würde, diese genauer in ihrem davor und danach zu betrachten, wenn auch nur, um zu dem Schluss zu kommen dass neben den anzutreffenden Diskrepanzen Kontinuitäten bemerkbar werden, die das Diktum vom Bruch unterlaufen und die Frage aufwerfen, ob der ,Zeitenwechsel‘ auch immer mit einem Literaturwechsel gleichzusetzen ist. Mit der Befreiung von den politischen Vorurteilen kann auch der Blick auf die Texte selbst freigelegt werden.
Friederike Partzsch, aus Stephan Krause und Friederike Partzsch (Hrsg.): „Die Mauer wurde wie nebenbei eingerissen“. Zur Literatur in Deutschland und Mittelosteuropa nach 1989/90, Frank & Timme, 2012
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