− Zu Michael Donhausers „Lobgedicht“ aus Michael Donhauser: ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht. −
MICHAEL DONHAUSER
Lobgedicht
So und gelobt seien die Zwetschkenbäume, die
Und wie wiedergefunden so zart, so überhängend und
In Reihen so verteilt, ich und gesucht so habe, so
Verirrt in diesen den Straßenzügen, Sprachverliesen, dass
Wie zurück und gekehrt und ein unter ihr Geäst ich
Enthoben jetzt und bin, der Frage, wo und zu leben oder
Einen Tag es noch gäbe, denn im Lob sei er und
Gelobt auch der Tag, am Abend, der Abend, das Gras in Büscheln
Die Büschel und der Hang, durchsetzt von Klee, der Klee, der
Und der Löwenzahn, die Nesseln im Schatten, die Schatten
Wenn auch und die Regentonne, der Verlust, der Tisch, die Bank
Die Tische, Bänke, die und verteilt auch stehen, und der Wein
Das Glas Wein, das Wort Wein, die Wege dazwischen, das
Dazwischen, das Wenn, wie wenn und die Abendkühle, das Zirpen noch
Das Leuchten noch und im Himmel, der Himmel, das Gezweig, als
Berührte es den Himmel, die Berührung, das Lob, mit den Blättern
Die Blätter, das Äußerste, die Blattspitzen, das Pfingstrosenkraut
Und der Duft des Holunders, der Holunder, das Holunderholz, das weiche
Das wilde, die Dolden, so voll, so vielfach und am Rand, der Rand
Das Wäre im Efeu, der Efeu, das Würde und dann das Glühlampenlicht
Dass der Himmel ins Dunkle, das Dunkle und steigt, herab auf
Und mit dem Tau das Fallen wie, die Ankunft dass, der Garten wenn
Oder noch der Wiesenkerbel, das Noch, noch einmal, gelobt und
Die Nacht, die Stufen, der Stein, das Heckenlaub
Wenn ich an Michael Donhausers Gedichte denke, sehe ich zunächst einmal eine Farbe vor mir: einen Ockerton, der, in seinem Zentrum bereits ins lichtere Gelb ausbleichend, an seinen Rändern und in den tieferen Faltenwürfen seines Stoffes unbeirrbar satt leuchtet. Es ist dies außerdem die Farbe von Urs Engelers Gelbem Sofa, das jahrelang das ruhende Zentrum auf seinem Stand bei der Frankfurter Buchmesse war. In dieses Sofa setzte ich mich also vor sieben Jahren, den soeben erschienenen Gedichtband ich habe lange nicht doch nur an dich gedacht von Michael Donhauser in der Hand.
Zu dieser Zeit schrieb ich gerade an meinem Gedichtzyklus „vor dem verschwinden“, über dessen Form ich mit Urs EngeIer ein Gespräch vereinbart hatte, und dieses Gespräch begann folgenreich mit einer Geste, denn EngeIer drückte mir besagten Donhauser-Gedichtband in die Hand und sagte nur: „Ganz anders, aber dennoch: schau mal auf das ,Und‘.“ Und so setzte ich mich in das ockerfarbene Sofa, schlug die „Liebes- und Lobgedichte“ auf und las:
MICHAEL DONHAUSER
Lobgedicht
So und gelobt seien die Zwetschkenbäume, die
Und wie wiedergefunden so zart, so überhängend und
In Reihen so verteilt, ich und gesucht so habe, so
Verirrt in diesen den Straßenzügen, Sprachverliesen, dass
Wie zurück und gekehrt und ein unter ihr Geäst ich
Enthoben jetzt und bin, der Frage, wo und zu leben oder
Einen Tag es noch gäbe, denn im Lob sei er und
Gelobt auch der Tag, am Abend, der Abend, das Gras in Büscheln
Die Büschel und der Hang, durchsetzt von Klee, der Klee, der
Und der Löwenzahn, die Nesseln im Schatten, die Schatten
Wenn auch und die Regentonne, der Verlust, der Tisch, die Bank
Die Tische, Bänke, die und verteilt auch stehen, und der Wein
Das Glas Wein, das Wort Wein, die Wege dazwischen, das
Dazwischen, das Wenn, wie wenn und die Abendkühle, das Zirpen noch
Das Leuchten noch und im Himmel, der Himmel, das Gezweig, als
Berührte es den Himmel, die Berührung, das Lob, mit den Blättern
Die Blätter, das Äußerste, die Blattspitzen, das Pfingstrosenkraut
Und der Duft des Holunders, der Holunder, das Holunderholz, das weiche
Das wilde, die Dolden, so voll, so vielfach und am Rand, der Rand
Das Wäre im Efeu, der Efeu, das Würde und dann das Glühlampenlicht
Dass der Himmel ins Dunkle, das Dunkle und steigt, herab auf
Und mit dem Tau das Fallen wie, die Ankunft dass, der Garten wenn
Oder noch der Wiesenkerbel, das Noch, noch einmal, gelobt und
Die Nacht, die Stufen, der Stein, das Heckenlaub
Über das Donhauser-„Und“ ist in der Literaturkritik schon viel gesagt worden, was nicht weiter verwundert. Schließlich stellt dieses „Und“ ein zentrales, ich selbst würde eher sagen: ein zentrifugales Wort für Michael Donhausers Lyrik dar. Wer das „Loblied“ noch eine Weile in sich nachklingen lässt, der wird merken, dass dieses Bindewörtchen, die Konjunktion „und“ hier in irritierender Weise wie eine Zäsur verwendet wird. Diese Paradoxie ist meiner Ansicht nach sehr bezeichnend für die Art und Weise, wie Michael Donhauser mit Sprache arbeitet. Die Störungen im Sprachfluss, die Stockungen, die durch diese Zäsur erzeugt werden, ziehen eine Spur der Sprachlosigkeit tief in das Gedicht hinein. Eine Irritation, welche die Sprache in all ihrer Fügungskraft jedoch zugleich seltsam unangetastet lässt, weil sie das Bindende und Verbindende nicht zerschlägt, sondern das Gedicht in seiner Gemachtheit, in seiner „Kunst-Fertigkeit“ erstrahlen lässt.
Geradezu fundamental – fundamental im wörtlichen Sinne von „Bodensatz“ scheint mir dabei die so eigensinnige Sprachbewegung Michael Donhausers zu sein, diese Wechsel von Ruhe und Geschwindigkeit, mit der Präsenz und eine berückende Sinnlichkeit geschaffen werden. Oder, um mich in einem weiteren Paradox zu bewegen: geschaffen wird von Michael Donhauser jener „poetische Bodensatz“, bestehend aus den Umkreisungen und Formierungen des Unfassbaren, das in der Ahnung besteht, dass das Wort und die Dinge eben zuweilen doch – in Schönheit – zusammenfallen, während sie gleichzeitig schon wieder auseinanderstreben: verbindend sich trennend, trennend sich verbindend. Eine ewige, schön-absurde Arbeit am Urtext.
Ich jedenfalls kann sagen, dass mich seit meinem Besuch auf jenem gelben Sofa vor fünf Jahren dieser Donhauser-Ton des „Lobgedichts“, seine suggestive Hellhörigkeit begleitet; mal dringlicher, mal hintergründiger, aber stets präsent. Es ist wahr: Ein Gedicht, das man wieder verlässt, hat man nie wirklich betreten. Und so bleibt in meinem eigenen Gedicht-Zyklus „vor dem verschwinden“ für mich dann auch jener Resonanzraum der „Liebes- und Lobgedichte“ Michael Donhausers als ein – wie auch immer transformiertes – Echo spürbar. Die bei den Miniaturen „loben“ und „tiefer fliegen“ etwa beschreiben jenseits einer Kartographie der verschwindenden und verdrängten Kindheitslandschaft unter anderem auch jene Begegnung mit Donhausers Lobgedicht – und zwar weniger als einen besonderen Moment, sondern vielmehr als einen andauernden, aktivpassiven Zustand der Berührung:
LOBEN und gelobt sein werden
die löwenzahnwiesen, der flieder
baum, ginster, gleise, der rotdorn
brombeeren und birken, buchen
bucheckern und farn, die gartenschaukel
die hintertür, gras, das gras, das
und altweiberfäden spinnen kindsein ein
das fahrrad, rostig jetzt bienensommer, wetterstille
das, was allen gehört, gehörte, was
weiter tiefer wächst
TIEFER FLIEGEN und wie wiedergefunden so
zart, so überhängend, unter ihrem üppigen geäst
tiefer, fliedrig zittert die haut auf, ausströmen
im innersten gehölz, die hellen, die dunkleren töne
blätter, die blattrücken fluten und bis zum äußersten −
die blattspitzen, berührungen, in die berührungen gehen, so
suchend, gesucht
In die Berührungen gehen – eine unabschließbare Wanderung von einem Gedicht zum nächsten, die eigene Stimme des Anderen im Ohr.
Und so bleibt für mich das Schönste, was man mit dem schönsten Gedicht tun kann: es zu lesen, wieder und wieder; seinen Ton den Variationen der eigenen Stimme, ihrer „Fremdsprache“ anzuvertrauen. Lesend, weitersprechend, staunend.
Andrea Heuser
Die Texte wurden entnommen aus: die horen, Heft 246, Wallstein Verlag, 2. Quartal 2012
Schreibe einen Kommentar