DAS GERUFENE
die nächtlichen worte des regens ziehen sich über
die straßen der vorstadt. und spiegeln ihr schweigen.
die gebäude sehen den bäumen ähnlich, die mit
ihrer kalten haut die augen berühren. tausende
aaaaastämme
liegen gestapelt auf dem platz hinter dem sägewerk
mit aufgeschnittenen jahresringen. nur das grün
der kiefern, die das waldstück umranden, hält das licht
in der schwebe. die zeiger auf der bahnhofsuhr
sind liegengeblieben. ein förderband, das an der lade
rampe steht, schaufelt die luft. der zug scheint immer
häufiger zu halten. die bäume gestikulieren nervös.
drahnsdorf, uckro, waldrehna und prösen werden
die orte gerufen. worte, die ihre anker gelichtet haben.
und die zeit ihnen hinterhertreibt. das wartehäuschen
haben sie mit geleerten papierkörben aus beton voll
gestellt. dreiarmige räder verdrehen dem wind die köpfe.
mehr sind es geworden. auf der falschen seite des zuges
bin ich ausgestiegen, als würde es etwas ändern.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten veröffentlicht Andreas Altmann Gedichte – Grund genug für eine poetische Retrospektive, für einen konzentrierten Blick auf die Arbeit des 1963 geborenen Dichters, der stets seinem Genre treu blieb. Kontinuität auf hohem Niveau wurde ihm oft schon bescheinigt, diese Sammlung veranschaulicht dies in der Rückblende der Jahre. Es ist vor allem das Thema der Natur und des stets mitgedachten Ichs mit allen Facetten und Blickwinkeln, was diese Dichtung auszeichnet. Wer den Titel seines ersten und letzten Einzelbandes gegenüberstellt, findet in beiden das zentrale Wort Meer.
Natürlich bringen die Jahre neue Akzente und Töne, Entwicklungen, die zeigen, dass das altmannsche Werk nicht in radikalen Brüchen verläuft oder gar dem Wechsel der Mode folgt, sondern sich stetig und konsequent entfaltet. Das Kapitel „Tod“ enthält ganz überwiegend Texte der letzten Gedichtbände. Leben und Lebensalter rücken mithin neue Themen ins Blickfeld, gleichsam als suchten die Themen den Autor und nicht der Autor die Themen. Mag der Leser durch zwanzig Jahre Altmann-Dichtung den Spuren folgen, den dichterischen Prozess erleben und Grundtöne aufspüren.
Bei alledem ist dieser Band mehr als eine Auswahl, mehr als ein Best-Of dessen, was Andreas Altmann bisher geschrieben hat. Es ist das Angebot einer Sichtweise, im doppelten Sinn eine Art der Betrachtung. Denn der Autor hat seine Gedichte gruppiert und ermöglicht so einen thematischen Zugang jenseits der Chronologie. Die Gedichte erzählen kapitelweise „Geschichten“, sie handeln von „Dörfern“ oder von „Räumen“ und sie sprechen über „Liebe“ und „Tod“.
Wer neben der thematischen die zeitliche Linie verfolgen möchte, dem bietet das Inhaltsverzeichnis zu jedem Gedicht den zugehörigen Band. Die Einzelbände sind im Anschluss mit ihrem Erscheinungsjahr aufgeführt. Das frühesten Gedicht dieser Auswahl – „Hainichen“ – wurde 1990 geschrieben und fand Eingang in den Band die dörfer am ufer das meer aus dem Jahr 1996. Das jüngste Gedicht – „art der betrachtung“ – entstand im Sommer 2012 und ist hier erstmals veröffentlicht.
Wenn aus Andreas Altmanns frühestem Buch drei Gedichte aufgenommen wurden, so ist das nur scheinbar wenig. Denn es handelt sich um ein Debüt, Gedichte, die nach mehr als zwanzig Jahren vor dem kritischen, dem geschärften Blick des fast Fünfzigjährigen Bestand haben müssen. Die größte Gedichtgruppe stammt aus dem Band das langsame ende des schnees, was thematische Gründe hat, aber auch der Tatsache Rechnung trägt, dass dieser Einzeltitel inzwischen vergriffen ist. So hat der Leser hier – neben der eindringlichen thematischen Zusammenstellung – auch einen Teil jener Gedichte zur Hand, die dauerhaft oder zeitweise sonst nicht mehr erhältlich sind. Überlassen wir alles weitere den Worten, den Bildern, der altmannschen Gedichtmagie.
Einzelbände
2010 Das zweite Meer (poetenladen Verlag)
2008 Gemälde mit Fischreiher
aaaaaaZyklus enthalten in Das zweite Meer (Sonnenberg-Presse)
2005 das langsame ende des schnees (Rimbaud Verlag)
2001 die verlegung des zimmers (Kowalke Verlag)
1997 wortebilden (Kowalke Verlag)
1996 die dörfer am ufer das meer ( Chemnitzer Verlag )
Auswahlbände
2012 Art der Betrachtung (poetenladen Verlag)
2004 Augen der Worte (Rimbaud Verlag)
Herausgaben
2011 Es gibt eine andere Welt. Eine Lyrik-Anthologie aus Sachsen Zusammen mit Axel Helbig (poetenladen Verlag)
poetenladen, Nachwort
Seit mehr als zwei Jahrzehnten veröffentlicht Andreas Altmann Gedichte – Grund genug für eine poetische Retrospektive, für einen konzentrierten Blick auf die Arbeit des 1963 geborenen Dichters, der stets seinem Genre treu blieb. Kontinuität auf hohem Niveau wurde ihm oft schon bescheinigt, diese Sammlung veranschaulicht dies in der Rückblende der Jahre. Dieser Band ist mehr als eine Auswahl, mehr als ein Best-Of dessen, was Andreas Altmann bisher geschrieben hat. Es ist das Angebot einer Sichtweise, im doppelten Sinn eine Art der Betrachtung. Denn der Autor hat seine Gedichte gruppiert und ermöglicht so einen thematischen Zugang jenseits der Chronologie. Die Gedichte erzählen kapitelweise „Geschichten“, sie handeln von „Dörfern“ oder von „Räumen“ und sie sprechen über „Liebe“ und „Tod“. So bietet diese Sammlung nicht nur Altmann-Kennern einen neuen Blick, sondern ist zugleich Einladung an all jene, die diesen Magier des Wortes entdecken möchten.
poetenladen, Anündigung
Der Leipziger Verlag poetenladen hat in diesem Jahr einen Band mit Gedichten des Lyrikers Andreas Altmann herausgegeben. Ein vom Autor zusammengestellter, interessanter Rückblick über 20 Jahre, der nicht chronologisch erfolgt, sondern thematisch: Jeweils sieben Gedichte sind in zehn Kapiteln angeordnet, die Weltgefühl und Provinzerlebnis gleichermaßen frei umschließen. Aus der Enge der Kleinstadt aufgebrochen, erschloss sich dem jungen Dichter die Welt. Die Natur und ihre geistige Dimension sind für Altmann durchgehend von besonderer Relevanz geblieben. Auch in seinen schönsten Liebesgedichten verbindet sie sich mit den Gedanken an die Geliebte, wie in dem Gedicht „wirklich nicht viele“:
schatten der regentropfen zerspringen
an blättern, sie finden nicht
wieder zusammen, die blicke
färben an worten ab,
die du dir ausgedacht hast.
schon für den schnee verschließt
junges laub jede spur.
du hast die tür offen gelassen
als würdest du jemanden erwarten…
Schnee, Regen und Meer (besonders im Kapitel „Tod“) sind gern benutzte Wörter, die Atmosphäre ins Gedicht bringen – die elementare und existenzielle Verankerung im Kosmos. Während im Kapitel „Geschichten“ vom individuellen Schicksal und von Herkunft die Rede ist und Biografisches sich auch als Exemplarisches darbietet, weitet sich der Blick in den anderen Kapiteln – „Dörfer“ und „Wege“, „Schnee“ und „Liebe“, „Räume“ und „Tod“, „Bänder“, „Grenzen“ und „Spiegel“ – als Ausdruck eines originellen dichterischen Ichs, das den nahen und fernen Raum um sich selbst beschreibt: Altmann ist es gelungen, das poetische Eigenleben seiner Gedichte zu intensivieren, indem er ihnen Rahmen und Ausrichtung gab, und ältere in neuen spiegelte. Zwischenmenschliches entfaltet sich im Kapitel „Räume“:
schnell rissen kalenderblätter die zeit ab
wir sahen zurück
auf unsere leergebliebenen plätze
denen wir eine geschichte erzählten
die uns noch raum
für ein schweigen ließ
nur schwer kam es über die lippen
ging leicht mit uns durch
Geheimnisvollhermetisch sind die Gedichte über den Tod, darunter vom „Stehen am Grabe eines Freundes am Meer“:
und jemand leise, leiser deinen namen spricht
als wärs sein echo…
Einen Höhepunkt des Bandes bilden die Gedichte im Kapitel „Spiegel“, die Reflexionen eigener Existenz sind. Im fahrenden Zug vor sich bewegender Landschaft bleibt für ihn die Zeit stehen, betrachtet er im Fensterspiegel sein alterndes Gesicht, die hohlen Augen, die Falten auf der Stirn und stellt die heikle Frage:
gern hätte ich noch
gewusst, ob ich größer bin als ich selbst. doch ich blieb
sitzen und vergaß mich dann wieder, an mich
Im Gedicht „selten genug“ fand ich zwei besonders schöne Metaphern:
für sekunden sehe ich durch
meine ersten augen
…
spiegel haben kein langes Gedächtnis,
wasser hat mit ihnen geduld
ich sehe dazwischen…
Das abschließende Gedicht „art der betrachtung“ ist Altmanns Credo und zugleich ein Bekenntnis zur Liebe und zur Schönheit der Natur, während die Gedanken an die Liebste kommen. Es ist wieder in der Bewegung eines Zuges geschrieben, in der sich die Geschwindigkeiten umkehren:
… ich schlafe
nur schlecht, wenn uns das bett trennt, es ist ein balance
akt. ich gehe auf den einbeinigen gleisen spazieren.
gestern bin ich abgestürzt. ich hatte meine schritte
dem erdboden gleich gemacht, heute denke ich lange
darüber nach. die rehe bewegen sich jetzt schneller als der zug.
von dieser seite habe ich mich noch nicht betrachtet.
aber ich bin ja noch jung, auch wenn ich das anders sehe.
Heinz Weissflog, Ostragehege, Heft 72, 2013
um den sandsee schwimmen küstenspiegel.
die scherbenblätter wurzelloser bäume treiben
im steinfeld, das am ufer in den boden wächst.
der wind drängt leichtes licht durch ihre schatten.
festgeflogen hängen laute möwen in der luft.
die baumruinen zeichnen sich im himmel,
der das land berührt. an ihnen fließt die luft
in strömen.
Wenn wir alte Wege entlanggehen, wenn uns irgendetwas erinnern lässt, wenn wir Geschichten aus unserer Kindheit oder von davor anhören, wenn wir Orte wiedersehen, meinen wir dort etwas verloren zu haben, können unseren Blick und unser Wesen nicht davon losreißen, weil wir meinen auch etwas wiederfinden zu können.
Die Gedichte des 1963 geborenen Dichters Andreas Altmann leben nicht selten in diesen Momenten, Sekunden, Nervenenden der Welt, wo sie sich von ihrer Verpflichtung den Raum mit der Zeit zu wandeln freizumachen scheint und ihre ganze Willkürlichkeit sich in etwas urzuständiges, klares verwandelt, das nicht mehr weiter wächst, sondern bloß älter wird, wie der Mensch.
was bleiben wird, ist nie vergessen
Gedichte mögen erfassen, aber sie können auch bei etwas verbleiben. Ihr Weg führt sie über Wörter und in die Dinge hinein, aber sie können den letzten Schritt auch lassen, wie auch mancher Ort das letzte uns vorenthält, wie auch eine Wahrheit uns das letzte letztendlich vorenthält. Wenn trotzdem die Schönheit und der Moment des Gedichtes nicht mehr zu leugnen sind, hat man sehr gute Gedichte vor sich. Andreas Altmann hat einige geschrieben.
zeit ist ein verlassenes wort.
wir bewegen uns in ihr. sie schlägt uns
in bildern.
Der Band ist nicht chronologisch, sondern thematisch sortiert. Es finden sich Gedichte aus 20 Jahren, die man unter den Überschriften: „Geschichten / Dörfer / Wege / Schnee / Liebe / Räume / Tod / Bänder / Grenzen und Spiegel“ vorfindet. Unter den einzelnen Überschriften sind manche Gedichte etwas ähnlich und möglicherweise wäre eine chronologische Abfolge doch besser gewesen. So ist es vielleicht zu empfehlen, das ganze wie ein Lesebuch querfeldein zu lesen.
die nächtlichen worte des regens ziehen sich über
die straßen der vorstadt. und spiegeln ihr schweigen.
Was Sprache eigentlich für die Dinge bedeutet, merkt man oft erst in Gedichten. Nicht nur, dass man sie damit erfassen kann, sondern was sie zwischen einem selbst und den Dingen wirklich bedeutet, führt Andreas Altmann uns mit filigraner Geduld und Ruhe vor. Wo die Beziehungen der Dinge zu uns eine seltsam klare Note hat, setzt er an und führt uns noch tiefer hinein, manchmal bloß bis zur illuminierten Freiheit der Vorstellung, aber manchmal auch bis zu einem stillen, unklaren Ort, in dem die Resonanzen des Lebens aber ihre Bedeutung und ihre Wirklichkeit erkennen können.
im schnee erschienen die worte klarer,
als ließen sie farben in der stimme zurück […]
die augen
tränten im wind, konnten nur sehen, was sie blind machte
Viele Wesenheiten, viel, was man durch Altmanns Verse erkennen, bewundern und erfahren kann. Gedichte sind es, die man nicht bloß einer schnellen Aufmerksamkeit unterziehen sollte – man muss schon ein-zwei Schritte in ihnen gehen. Doch es sind Wanderungen, die uns mehr betreffen als wir vielleicht anfangs und gegen Ende ahnen – wie bei so vielen Dingen, die das Leben uns schenkt.
das meer schäumt an den spitzen. du hast ein herz
aus steinen in den sand gelegt, das in ihm schlägt
Mir persönlich haben die Gedichte gut gefallen und die kleinen Tropfen ihrer Berührung haben großes Potential, wenn sie auf die innere Wasserfläche eines aufmerksamen Betrachters fallen. Ich hatte von Anfang an das Gefühl wenig mehr über sie sagen zu können und vielleicht habe ich auch nur Unwesentliches gesagt. Dann kann ich nur mit einem letzen Versuch schließen: Gedichte werden während des Lesens zu einer ewigen Geschichte zwischen dem Leser und dem Gefühl einer unendlichen Schönheit, die sich auf ganz viele Spiegel und Bilder in den Weiten von Kunst und Welt verteilt hat, bis sie im einzelnen nur noch ein kleiner Moment ist. Die Geschichten die wir Andreas Altmann verdanken sind weder groß noch prachtvoll gerahmt – aber sie sind natürlich und in ihnen ist der Blick eines einzelnen, der es schafft etwas für einige andere zu vollbringen.
fenster sortieren den wind
leere felder erröten am abend
ein zitternder
wind gleitet an jungen blättern ab
Andreas Altmann hält die teilnahmslose Natur, die Dunkelheit, die Abschiede fest, und will doch die Aufhebung des Trennenden, die Mischung – und findet dafür magische Bilder.
Joachim Sartorius
Die Vita von Andreas Altmann liest sich wie ein Kessel Buntes: Schriftsetzer, Orchesterwart, Straßenreiniger und Hilfspfleger. Was mir bei dieser Auflistung auffällt ist seine Arbeitet mit geistig Schwerstbehinderten. Ich beneide Menschen, die waidgerecht eine Metapher ausnehmen, eine Figur in einem Satz festnageln, sich an Geopolitik oder Neurochemie wagen können, ohne daß ihnen dabei der Schweiß auf der Stirn steht. Ich beneide sie um das Gefühl für die Richtigkeit ihres Tuns. Wenn ich beobachte, wie sich jemand bückt, um einem anderen zu helfen, glaube ich, daß er die Arbeit aller tut, den menschlichen Job. Ich bewundere diese Menschen, aber ich beneide sie nicht.
Er bringt die Sprache gleichsam zum Leuchten und verbindet Natur und Poetik, wozu für ihn auch der Blick auf industrielle Hinterlassenschaften gehört, die Teil unserer zivilisatorischen Umwelt sind.
Aus der Begründung der Jury zum Literaturpreis des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst.
Sein Buch Art der Betrachtung ist eine poetische Retrospektive, die einen konzentrierten Blick auf seine lyrische Arbeit ermöglicht. Andreas Altmann hat seine Gedichte so gruppiert, daß sie einen thematischen Zugang jenseits der Chronologie ermöglichen, sie handeln von „Dörfern“ oder von „Räumen“ und sie sprechen über „Liebe“ und „Tod“. Viele Merkmale der modernen Lyrik finden sich in diesem Band wieder, die Erfahrung der Realität als komplex und kaum noch durchschaubar Raum. Die Erfahrung der Inkongruenz zwischen Sprache und Realität. Wir sehen uns der Entzauberung, Desillusionierung, Verfremdung verbrauchter Bilder gegenüber. Altmanns Dichtung zeichnet sich durch ihre geisterhafte Bildkraft und ihren unaufdringlichen Sound aus.
Andreas Altmann steht in der Tradition der metaphernreichen deutschen Naturlyrik von Mörike bis Peter Huchel.
Durch die Verschmelzung von Sprache, Ich und Natur gelingt es diesem Poeten, ein dichterisches Refugium zu erschaffen, das in der heutigen deutschen Lyrik auffällig ist. Diese Gedichte kann man als Anleitungen zu einer bewußten Annäherung an die Umwelt lesen, eine Sensibilisierung der Umweltwahrnehmung mit literarischen Mitteln. Man kann Altmann in der deutschen Gegenwartsdichtung als Naturlyriker in einem Atemzug mit Wilhelm Lehmann, Karl Krolow und Peter Huchel nennen. Bisher sind acht Gedichtbände von ihm erschienen, dieser Band erscheint mir als ein idealer Einstieg in das Werk von Altmann.
Andreas Altmann liest sein Gedicht „ein mann ohne schlaf“.
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