EFEU GRÄBT den kastanienstamm ein.
vergilbte schatten des lichtes haben schon
in die bäume gegriffen. der regen pflanzt
stimmen der wolken in die kronen. sie singen
in den windfarben und schlagen unsere gesichter
in spiegel, die wasserverhangen über die haut laufen.
die luftigen worte des sommers tragen augen
der flügel ziehender vögel. Beschriebene
blätter der linden legen sich übereinander.
gerüche verlieren den halt an den körpern.
der schmale weg ist geteert. und am ende
über die mauer geflohen.
Ich habe, es sei nicht verschwiegen, Jahre keine Lyrik mehr gelesen, kein Gedicht. Und nun hat sie mich also wieder gepackt, die Lyrik, Andreas Altmanns wundersamem Gedichtband Das zweite Meer ist es zu verdanken.
Drei, vier seiner Verse genügen, schon bin ich der Welt enthoben, kann aufatmen und es mir im Windschatten der Zeit und des hektischen Geschiebes der Welt gemütlich machen. Wobei die weitere Lektüre bald zeigt, dass die Gemütlichkeit im Falle von Altmanns Lyrik trügerisch ist – harmlos oder gar idyllisch nämlich ist sie an keiner Stelle. Vorerst aber führt der gelassene, ruhige und dunkel-melancholisch eingefärbte Grundton dazu, dass man sich als Leser entspannt und den Bildern überlässt. Und was dies doch für berückende Bilder sind, Bilder mit einer nahezu magnetischen Anziehungs- und Strahlkraft: „gelb hängen die blätter / dem leichten regen im weg“ heißt es etwa im Gedicht „das bewegte“, „unter den flügen / des fischreihers, der jeden abend den gleichen bogen über das haus spannt“ in einem Gedicht aus dem Zyklus „Gemälde mit Fischreiher“, oder „der himmel hängt seine eisigen abendgewänder / in die bäume hinter den dünen“ und „bäume singen mit hellen stimmen die schweren / lieder des winters“ in anderen Gedichten.
Die Beispiele belegen, dass Andreas Altmann, dieser stille Archivar des Vergänglichen sowie der kleinen großen Wunden, laute, aufgeregte Töne genausowenig nötig hat wie selbstreferentielle Sprachspielereien. Seine Stimme ist leise, beharrlich und eindringlich. Einem traditionellen, allerdings in keiner Zeile verstaubten Ton verpflichtet, tritt seine Lyrik eigenartig zeitlos auf, ohne je altertümelnd oder gar idyllisch zu klingen. Die Gedichte handeln hier und heute, gehen aber keinem modischen Sound auf den Leim. Tagesaktualiät oder gar vordergründig Politisches erhält keinen Raum in dieser Lyrik: Sie will mehr. Warum sind wir, wie wir sind, warum ist die Welt, wie sie ist? Das sind die Fragen, die sie sich selbst und damit uns Lesern stellt.
Andreas Altmann bringt Sprache zum Leuchten, überführt Gewöhnliches in Ungewöhnliches und lässt Alltag neu erscheinen, verwandelt, ja verzaubert ihn. Zeilen wie „der sand versenkt jeden schritt“, „wind verstreicht den himmel“, oder „möwen lassen ihre schreie fallen“ belegen, wie präzise Andreas Altmann beobachtet und dass er diese Wahrnehmungen in poetisches Sprechen verwandeln kann. Ein Wort genügt ihm, um Schatten über eine Zeile fallen und Bedrohung über einem Gedicht aufziehen zu lassen wie Gewitterwolken an einem eben noch versöhnlich leeren Himmel:
ein specht lässt einen toten stamm ertönen, der wie ein
galgen überm weiher hängt.
Dieser Lyriker weiß um die Kraft einzelner Wörter, weiß, dass sie ganze Deutungs- und Bedeutungsräume öffnen können, so sie sparsam genug gesetzt werden und sich quasi in den Sätzen verbergen. Sieben Abteilungen sind es, die den Band mit 63 Gedichten strukturieren, Abteilungen mit so sprechenden Überschriften wie „Tiere in Bahnsteignähe“, „Das Jahr an der Küste“ oder „Paare“. Was sind die Worte, mit denen Andreas Altmann seine lyrischen, seine lautlichen Räume baut? Gras. Meer. Wasser. Himmel. Augen. Bäume. Holz. Wald. Häuser. Wege. Wind. Tür. Wenige Wörter im Grunde, die um- und umgewendet werden, bis sie in den richtigen Kontext gestellt sind und sich sozusagen passgenau wie Puzzleteile ineinanderfügen und das Bild einer Welt zu zeigen, durch die zwar Risse gehen mögen und Brüche, die aber dennoch ein Ganzes ist – und in der sich, aller Schrecken zum Trotz, leben lässt. Schreiben, als müsse der richtige Schlüssel gefunden werden, die Tür zu öffnen und damit das Chaos der Welt zu bannen. Andreas Altmanns Gedichte verhandeln, wie jede Lyrik, die sich ernst nimmt und nicht zu billig verkauft und den Lesern an die Brust wirft, letzte, große Dinge: Tod, Leben, Natur, Liebe.
Die Kulisse dieser Gedichte ist eher düster, das Licht diffus gestreut und auf freundliche Weise unheimlich, ihre Himmel sind verhangen. Präzise legt Altmann den poetischen Finger auf Wunden, zeigt mit drei, vier Zeilen die Kräfte, die an der Zerrüttung der Welt und von Beziehungen arbeiten. Dennoch spricht eine verhaltene Zuversicht aus seinen Gedichten; diese Verse sind in unruhiger Bewegung, so ereignislos und still sie auf den ersten Blick wirken mögen. Sie beschwören eine Welt, in der das Leben lohnt, sie benennen Werte, ohne je den moralischen Zeigefinger zu erheben. Dass das Gewicht gemachter Erfahrungen Altmanns Gedichte nicht beschwert und zu Boden zieht, sondern sie im Gegenteil schweben lässt und gleichwohl auf einen tragfähigen Boden stellt, der auch gewagte lyrische Bilder und Metaphern trägt, ist eine weitere Qualität dieses nachdenklichen, aber nie vergrübelten Dichters.
Andreas Altmann macht es sich mit seinen Gedichten nicht leicht; er wählt nie die modische Abkürzung, geht den langen Weg und ist langsam, dafür beharrlich und ausdauernd unterwegs. Nein, leicht macht er es sich nicht. Aber leicht ist es eben nicht zu haben. Nicht das Leben und nicht das gelungene Gedicht. Und gelungene Gedichte gibt es viele in diesem Band: 63, um genau zu sein. Das zweite Meer ist ein stilles Meisterwerk. Punkt. Und es sei auch darauf verwiesen, dass der Verlag Poetenladen ein handwerklich perfektes und wunderschön gestaltetes Buch daraus gemacht hat.
Der im Poetenladen erschienene Band mit einer Covergraphik von Miriam Zedelius zeigt schon symbolisch an, was Andreas Altmann in seinem Band Das zweite Meer aussagen will: Die Natur spiegelt sich mehrfach in Wortbildern. – Der Autor ist in seinen Gedichten erstaunlich naturverbunden: Es sind ihm vertraute Landschaften, die er beschreibt und die unmerklich in seine eigene Seelenlandschaft übergehen.
Schon bald nach einigen Seiten hat man erkannt, wie Andreas Altmann seine Gedichte aufbaut: Ausgangspunkt ist immer die Natur, Fauna oder Flora, die begeisternde Landschaft. Es sind keine Naturgedichte im Sinne einer überwältigenden Natur, denn in seinen Gedichten werden die Pflanzen und Lebewesen anthropomorph dargestellt, d.h. sie haben vermenschlichte Züge: So „übertönt das grün die stille der augen“ oder „das gras ist feucht und beginnt zu schweigen“.
Die einzelnen Kapitel scheinen wie in einer emotionalen Eingebung geschrieben, so erscheint das erste Kapitel „Tiere in Bahnsteignähe“ wie eine einheitliche lyrische Impression eines verlassenen Bahnhofs. Er ist der Anlass, Landschaft, Tiere, Umgebung in Symbiose mit innerer Befindlichkeit zu beschreiben.
Auch in den weiteren Kapiteln wird deutlich, dass sein Gedicht mit der landschaftlichen Situation beginnt und darauf folgende anthropomorphe Metaphorik den Text bereichert, doch das ist kein brutaler Eingriff, das Bild passt sich kongenial an. Als letzte Phase seines Gedichts kommt meist die Abstraktion, die ins Existentielle führt, so dass er wie in „mein ich gegenüber“ sich selbst gegenüber sitzt und sich infrage stellt. So wird jede Metapher auch ein Stück Selbstdarstellung. Es ist die Wiederentdeckung der eigenen Psyche im Tier und in der Natur.
Er schreibt in lyrischer Prosa mit gelegentlichen Zeilenbrechungen, die aber geschickt eingesetzt sind, so dass Überraschungen angesagt sind und die Aufmerksamkeit beim Lesen gefördert wird. Bahnhöfe, Eisenbahnen, vergessene Schienenstränge, alte Gemäuer scheinen Faszination auf ihn auszuüben. Doch die Natur und die Landschaft bleiben immer die Initialzündung zu allen seinen Aussagen, sei es ein „versteinerter fischreiher“ oder der „erdschnee“, der auf den Feldern liegt.
Auch das Land ist für ihn ein Meer. So ist „das zweite meer“, eigentlich das Synonym für eine weitere Dimension; ein Meer, das das Innere spiegelt und die Landschaften wie in einem Psychogramm sprechen lässt.
Seine Sprache ist unprätentiös, unaufdringlich und lässt uns seinen Gedankengängen gebannt folgen, sie ist immer wieder originell und einfallsreich und geht spielerisch in unsere Gedanken ein. Diese Diktion zieht sich einheitlich durch das ganze Buch. Es ist erstaunlich, dass der Autor zum gleichen oder ähnlichen Thema immer wieder etwas Neues zu sagen hat.
Dieter P. Meier-Lenz, die horen, Heft 237, 1. Quartal 2010
Der Berliner Dichter Andreas Altmann (nicht zu verwechseln mit dem Reporter gleichen Namens!) zeigt uns in seinem 7. Werk eine weitläufige Gemäldegalerie der Landschaften. Denn er schreibt, dichtet, formuliert, als ob er malen würde; Wörter kommen zum Glühen, Leuchten, er überführt Gewöhnliches in Ungewöhnliches und lässt uns in einer Art Verzauberung neue Schattierungen sehen, den Alltag unter anderen Farben erscheinen und in seine bunte, lebendige Welt eintauchen. „Wind verstreicht den Himmel“ oder „der Sand versenkt jeden Schritt“ sind Ausdrücke, die typisch für Altmann sind. Er ist ein Poet der überraschenden Bilder, die sich alle miteinander verbinden. Die Natur spiegelt sich in seinen Wortbildern und er kleidet sie in leise, melancholische Worte, die wie ein gurgelnder Bach durch die Seiten fließen: ruhig, melodisch, stetig und klar. Seine präzise Beobachtungsgabe, die wir schon aus seinen hochinteressanten Reisebüchern kennen, und die subtile Umwandlung von einfachen, immer wieder kehrenden Themen in faszinierende Bilder einer Landschaft, die nur Altmann so sehen kann, schaffen Gemälde von hohem Wert!
Man stelle sich vor:
Ein Lyrikband in der zweiten Auflage! Das hat Seltenheitswert und das alleine spricht für die hohe Kunst des Poeten!
Stefan Heuer: Die Fruchtbarkeit des zweiten Meeres
fixpoetry.com, 3.10.2010
André Schinkel: Ein Kundeschafter der Blicke
literaturkritik.de, September 2010
Andreas Altmann liest sein Gedicht „ein mann ohne schlaf“.
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