DIE WORTE LEERER
die briefe sind nicht zurückgekehrt.
wenn es etwas zu sagen gäbe.
würden die worte leerer. so leicht fallen sie.
um das zimmer hat sich das haus gestellt.
um das haus kriechen die straßen.
ohne weiteres sind wir so noch verbunden.
nur das meer tränkt dieses netz.
läßt es vergessen. ich liebe das meer.
verstehe dich gut. besser schweig.
und geh dir aus deinen augen nach.
die alten freunde teilen wir uns. über sie
reden wir selten. und irgendwie ohne stimme.
es wird gut sein. wenn du das meer überfliegst.
die welt ist enger als wir früher noch glaubten.
jeder verlebt sich an anderen stellen.
ich will sie weiter voneinander entfernen.
vielleicht übertreibe ich. leben ist schneller
als wir in den dingen. die wir verfolgen.
und einer stirbt immer zuerst.
bin ich mir sicher. als wäre ich tot.
dabei schlief ich ein.
Seine Gedichte entstehen nicht am Schreibtisch, sie entstehen beim Gang durch die Natur. Dennoch sind es keine reinen Natur- oder Landschaftsgedichte, vielmehr verbinden sie Natur und Poetik. Sie untersuchen die Anatomie der Erinnerung; Vergänglichkeit wird metaphorisch gedeutet. Altmanns Lyrik schwingt zu Meditationen, die eine Kommunikation jenseits der Sprache eröffnet – gleichsam bringt sie die Sprache zum Leuchten.
aus Ulrike Almut Sandig: Poesiealbum 323, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2016
Jedes Wort in Altmanns Gedichten ist einfach und verständlich, und dennoch treiben die Worte immer heraus aus dem Konkreten, dem sie entstammen. Die Bilder, von hoher Intensität, schweben. Willkürlich. Willkommen. Und doch bündelt jedes Gedicht in großer Strenge eine einzige Geschichte.
Marie Luise Knott
Einfallsreichtum, eine fast magische Bildkraft, sprachliche Dichte, eine Vielzahl von Themen zeichnen seine Lyrik aus, Bewußtseinssprünge, Risse, Brüche prägen die Gedichtstruktur, führen zu Überraschungsmomenten. Ein Markenzeichen ist auch der leise, unaufdringliche, zurückhaltende Ton der Gedichte.
Franz Hodjak
Altmann hält die teilnahmslose Natur, die Dunkelheit, die Abschiede fest, und will doch die Aufhebung des Trennenden, die Mischung – und findet dafür magische Bilder.
Joachim Sartorius
Altmann setzt ein anmutiges Spiel in Gang, das Wörter setzt wie Wasserfarbschattierungen und mit ihnen verwandelnd malt, bis sich der Klang einem neuen Sinn ergibt.
Angelika Overath
Wie präzise seine Gedichte agieren, zeigt sich, wo sie über die Natur hinausgehen, wo Menschen in den Naturraum des Gedichts treten, ins Bild, neben die Stimme, die spricht.
Swantje Lichtenstein
Altmann entdeckt mit seinen Gedichten die Stille der Wörter, die ganz nah an ihrem Wesen ist. Er erweist sich dabei als subtiler Beobachter, als ein Dichter leiser Stimme und behutsamer, gleichwohl hoffender Trauer um das Vergehen, das Vergangene und das Vergängliche.
Matthias Zwarg
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2016
Altmanns Gedichte bringen nicht nur die Welt sinnhaft zur Sprache, sie bewegen sich gleichsam durch die Natur, so wie die Natur sich durch die Gedichte bewegt. Weil Leser nur sehen, was sie zu sehen gelernt haben, erleben sie mit der altmannschen Lyrik die Welt bereichert, sprechend, ja beseelt. Was mit der realen Entzauberung und Verdrängung der Natur verloren ging, holen seine Gedichte zurück: Es ist die Magie, das Sprechende. Doch jede Zeile weiß um den realen Verlust. Eine Narbe bleibt im Zauber zurück.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2016
– Gedichte von Andreas Altmann in der beliebten Heftreihe Poesiealbum. –
Vor zwanzig Jahren erschien im Chemnitzer Verlag, dem Buchprogramm der Freien Presse ein Band mit Gedichten von Andreas Altmann aus Hainichen: die dörfer am ufer das meer – sein erstes Buch, dem mittlerweile ein Dutzend weiterer Gedichtbände gefolgt ist. Und schon damals wurde die Originalität, das Besondere dieses Autors entdeckt. Sehr schön hat dies Angelika Overath formuliert:
Altmann setzt ein anmutiges Spiel in Gang, das Wörter setzt wie Wasserfarbschattierungen und mit ihnen verwandelnd malt, bis sich der Klang einem neuen Sinn ergibt.
Und auch die Auswahl aus den bisherigen Bänden zeigt diese Poetik. Mit seinem Gedicht „Hainichen“ hat Andreas Altmann seinen ersten Band eröffnet, dort wurde er 1963 geboren, wo er mit dem früh verstorbenen Maler und Grafiker Günter Hofmann, dem er etliche Gedichte gewidmet hat, die Kunst und die Welt für sich entdeckte. Altmanns Gedichte leben von dem Wort Stille, sie entziehen sich dem Lärm der Zeit, sie suchen „einen Grund, auf dem sie stehen“.
Nun hat er in der wiedererstandenen Heftreihe Poesiealbum, das einst den Kosmos der Weltlyrik in die DDR holte, Gedichte versammelt (Herausgeber Axel Helbig), die seine Entwicklung als Dichter ausweisen. Es sind die Themen, die ihn von Anfang an beschäftigen, das Leben in der Natur, dieses Leben in Dörfern am Meer. Und Geschichte kommt in die Verse, erlebte und erfahrene. Worte und Sätze werden in ihrer wortwörtlichen Bedeutung gesehen. Der Chemnitzer Grafiker Jürgen Höritzsch hat dem Heft zwei Radierungen beigegeben, in der Altmanns poetische Wegschilderungen ins Bild kommen.
Manchmal freilich hat man bei diesen Texten auch das Gefühl, dass sich ihre Tonlage wiederholt. Doch vielleicht gehört das auch dazu, diese Nachdrücklichkeit, die Wiederholung, damit wir die Welt sehen.
Die Gedichte dieser Sammlung suchen Aussichtspunkte auf, zu Wasser, zu Lande, unter wechselnden Himmeln; sie erblühen naturstark zwischen den Entfernungen und im Ortswechsel; sie platzieren sich in Sommerabenden, im Dorf, hinter der Fensterscheibe. Grenzpunktsetzung zwischen Drinnen und Draußen, zwischen feststehender und beweglicher Welt. Der Schlaf ist hauchdünn in diesen Gedichten, die den Schnee um sein Schweigen beneiden, und in die der Wind fährt.
Es gibt in den Versen nicht den landläufigen Überschwang, der die Welt einfach macht – indem er sie in jene Ordnung presst, die der Größe des eigenen Denkvermögens entspricht. Diesem 1963 in Hainichen geborenen Lyriker – einem Sozialpädagogen, der geistig Schwerstbehinderte betreut – öffnen sich zu jeder Gelegenheit flimmernde Schattenreiche des Ungefähren, der heilsam wie zugleich aufstörenden Ernüchterung; nur im leisen Verschwimmen der Konturen sind etwas gewissere Urteile möglich:
die augen brachten im dunkel
das offene ans licht
Poetische Gebotsgebung: Niemand beanspruche ein recht auf Bilder mit festem Rahmen. Und die Zukunft? Bei den Eifrigen, Kampfverbissenen ein Terminkalender ohne Lücke, aber meist ist dieser Kalender voll von falschnen Erwartungen, zwar nah an der besseren Welt, aber doch weit weg vom Leben. Altmanns Metaphorik bilanziert: viele unserer Gewichtigkeiten haben keinen wirklichen Schwer-Mut; unsere Unaufhaltsamkeit erhält meist nur auf den Rückzügen vom Eifer etwas Charme und Charakter. Absage? Resignation? Verlorenheit? Nein, nein. Das Auffälligste, Anrührendste in den Gedichten ist ihr völliger Mangel an Zynismus. Vom der Schmerz der Wahrheit ist da die Rede, aber die meditierenden Verse neigen zur Nachsicht und Versöhnlichkeit miteinander. Die Empfindungen strafen einander nicht, nur weil sie so viele Möglichkeiten einschließen. Der Regen und die Erde und das Gras; das Eigene und das Fremde, die Sekunde und das Jahrhundert, das Gesicht und die Maske, die Tatsache und der Traum, die Biografie und die Geschichte, das Schöne und der schäbige Rest, aus dem unser Hauptteil Existenz besteht.
Sprache ist hier mehr als ein Dienstmittel für möglichst schlüssige Hauptsätze. Sie ist das Kontrastmittel, das durch das Unaussprechliche fließe, um die Geäder des Unaussprechlichen darzustellen. Gegen diese erniedrigende Praxis, die Welt in wörtliche Verpackungsformate zu zwingen, schreibt auch Altmann.
jeder hat ein anderes
wort zum erinnern.
als hätte es keine Stimme
einen weg in die sätze
zu finden.
Derart, wie jeder fortschritt doch nur das Unerklärliche stärkt, so wirkt auch jedes Gedicht als beunruhigende Abkehr von täuschenden Helligkeiten. Das wahre Unglück steht nicht im Kalender. Glück auch nicht. Das schon gar nicht.
Bert Strebe: Am Wegesrand
fixpoetry.com, 8.7.2016
FÜR ANDREAS ALTMANN
Zetero und Mordio Kormorane schreiend, schnappend
nach dem Fisch vom Grill. Am Friedhof, sitzend auf
der Bank, vorm eigenen Grab, flüstert ein Greis, leise, vor
sich hinbrabbelnd, oder spricht er zu anderen, zu allen, zu
wem eigentlich, wer kann das wissen, hier im nach
biblischen Babylon, hier, im immensen Trümmerfeld? Morgens
erzittert, sanft, die Luft, es spricht, es brüllt, ostwärts, westwärts,
hier, im gelassen wuchernden Grün. Und was zu
übersetzen ist, du versuchst es, zu tun, hier.
Franz Hodjak
Andreas Altmann liest sein Gedicht „ein mann ohne schlaf“.
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