REGEN IM HAUS
der regen war eine folge des himmels. er goß blicke
zusammen die weitesten worte. verliefen
im wind. rückten die räume näher. versprachen
besuche und briefe. auf der stelle schwiegen
bücher mit angeschlagenen sätzen. die züge
fuhren pünktlich und leer an sich vorüber.
erste blumen überstanden nächte nur selten. wolken
drückten tage in größere löcher. breite straßen
zerfuhren ränder der stadt. häuser gaben auf. bäume
wehrten sich in ihren blattlosen ästen. einer fiel auf
die schienen. das wirkte. moos trank sich fett
an den wurzeln. eine treppe stieg in das haus
ohne wände. in den zimmern wuchsen ziegel
übereinander. und bäume die jung waren.
ich zählte augen des regens. stellte mich unter.
trat offen zurück. dem dach fiel der kopf.
ich lief aus dem bild.
– Asketisch arrangiert: Andreas Altmanns Gedichtband wortebilden. –
Ein gutes Gedicht mache dem Leser rote Wangen, soll Raoul Schrott im vorigen Jahr beim Darmstädter Leonce-und-Lena–Wettbewerb verkündet haben. Beglückt erröten ließ ihn der Beitrag des aus Sachsen stammenden Nachwuchslyrikers Andreas Altmann, der bei dieser Gelegenheit mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis bedacht wurde und inzwischen weitere Auszeichnungen erhalten hat. Altmanns Werdegang – Schriftsetzer, Orchesterwart, Hilfspfleger, Straßenfeger und studierter Sozialpädagoge – hätte vor zwei Jahrzehnten gut in eine gewisse westdeutsche Dichterszene gepaßt; jetzt könnte er für eine zaghaft neu erblühende Lyrikerlandschaft im Osten bezeichnend sein.
Zwar zog es den Autor aus der sächsischen Provinz zunächst nach Leipzig und dann in die Metropole Berlin, aber in seinen Gedichten haben urbane An- und Aufregungen noch keine Spuren hinterlassen. Die Atmosphäre, in der diese eigensinnig leise, weltabgekehrte Lyrik gedeihen konnte, wird im ersten Stück des Bändchens wortebilden als „tote zeit“ beschrieben, als ein Zustand des Abwartens und Überwinterns in einem Haus ohne Telefon, mit schlecht ziehenden Öfen, staubigen Sofas und „wein“ zwecks innerer Erwärmung, etwas zu kuschelig für manchen Geschmack. „wir verstrickten uns / in weiten pullovern“, heißt es da, und friedfertiger noch: „weiß die fahnen / zu laken gefärbt“. Am Ende „führten stufen / hinaus“, aber auf „reisen“, so der nächste Titel, ist der Blick weder nach vorn noch ins Weite gerichtet:
für manche worte brauchst du
die kulisse eingewachsener wege
für das umblättern vergangener seiten
die zurückfahrende landschaft der bäume
Die Wahrnehmung wird bestimmt von einer Geste des Rückzugs:
du legst dir nach innen das augenlicht.
Alles ist hier nach innen verlegt, in das Selbstgespräch eines Spaziergängers, der nicht auf den Boulevards des Zeitgeistes flaniert, sondern am Strand einer winterleeren Insel oder an wenig befahrenen Bahngleisen entlangwandert, im Dorf seiner Kindheit „dem schmalen fluß über die brücken“ läuft, „am grab“ eines Unbekannten verweilt oder marode Stadtviertel besichtigt:
ich sehe die ab gerissenen häuser
stoßen sich an gerüsten
Die Gegenden, die er durchstreift, sind windig, verregnet oder vereist, in verlassenen Häusern sind „tote verborgen“ und im aufgegebenen Industriegebiet gar „schornsteine gestorben“. Gleichwohl keimt auf den Ruinen neues Leben, denn die Natur holt sich von der bröckelnden Zivilisation ihr Eigentum zurück: „zwischen zimmergroßen stein platten / sind gras bäumchen gewachsen“, „sträucher haben die tür verstellt“, „an einigen stellen fraß sich die wiese durch den weg“.
Grashalmzart kommt Privates zur Sprache, zwischen gefühlvoller Erinnerung – „du träumtest den kopf in ihr haar leer“ – und gemütvoller Annäherung:
komm
laß dich verfolgen. und geh mir durchs bild.
es macht den regen nicht naß
In den sanften Grauton der Gedichte hat das weibliche Gegenüber ein paar Farbtupfer gesetzt:
im rand geht der himmel ins dunklere
blau. als hättest du es für mich verloren.
hängt ein tuch in den zweigen des armstarken
stammes. es ist rot in den falten. hier kannst du
noch nicht gewesen sein
Das Gesehene, das Gesagte wird immer wieder in Zweifel gezogen, sogar „meine anwesenheit ist nur ein zweifeln am ort“. Häufig ist vom Schweigen die Rede, zuweilen von den Grenzen der Verständigung: „ich suchte / passende worte für deinen mund“, aber „du mußt nicht / alles verstehen wonach ich nicht frage“.
Die gelungensten dieser lyrischen Versuche sind jene, in denen weder ein „ich“ noch ein „du“ den Leser behelligt, in denen mit durchkomponierten Wort-Bildern fern aller Metaphorik eine intensive Stimmung erzeugt wird:
der wald ist stiller geworden
im frühen jahr vom schweigen
tief zieht das wasser spuren
in eine mitte des bodens weit
am rand ruht die menge im schwanken
des lichtes zwischen den türen
kein haus berührt das andere
entfernt an weichen stellen
sinken blumen aus der erde weiß.
Altmanns Stärke liegt in der Reduktion, im asketischen Arrangement; wo er mitteilsam wird, torpediert er selbst die schöne Stille, die seine Gedichte ausstrahlen können. Es gibt allerdings Lyriker, deren Redseligkeit uns die Röte der Scham oder des Unwillens ins Gesicht treibt: Zu ihnen, soviel ist sicher, gehört Andreas Altmann nicht.
Andreas Altmann liest sein Gedicht „ein mann ohne schlaf“.
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