Andreas Okopenko: Der Akazienfresser

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Andreas Okopenko: Der Akazienfresser

Okopenko-Der Akazienfresser

ABENDLÄNDISCHES LIED
(bei Plauderstündchen mit Lemuren zu singen)

Lemuren, Lemuren,
Attisch und integral.
Die Horen wurden zu Huren
Und schnurren: Es war einmal.

Sie gehen und zählen
Von Hudson bis Bosporus
Mediterrane Seelen
In extraterranem Fluß.

Quader um Quader
Verstreut die Zeit den Bau.
Selbst die Gehirnschlagader
Löst sich in Ätherblau.

Integrale, Atome,
Spuren und hergebracht…
Labilität der Dome
Durchzittert manchmal die Nacht.

Lemuren, Chimären, Tomaten,
Für wen… was… von wem?
Selbst die Vereinigten Staaten
Fliehen ins Anathem.

Wir gehen ohne Spuren
Und enden keine Qual.
Cäsaren… Cäsuren…
Es war, es war einmal.

 

 

Zunächst

Das sind Parodien, Hommagen und Wellenritte aus vielen Jahren – eine spätgewollte Sammlung meiner gelegentlichen Bosheiten, Anteilnahmen und Lustigkeiten im Bann von Stilen und Maschen, und kein eigentlich „geschriebenes“, enzyklopädisches Literaturverulkbuch. Darum die willkürlich-lückenhafte und oftgegliederte Zoologie.
Auch ist es – wie der Untertitel antippt – nicht rundweg Spott. Interessiertes Spiel mit dem fremden Zeug ists oft ebenso wie (zugegeben: distanzierte, morganatische, kokette) Sympathie; ab und zu sogar eine Reverenz, vor dem andersspieligen tollen Burschen (oder Mädchen). So ist es etwa zu verstehen, daß ich, seitlich meines „eigenen“ Schriebs, mit Homespun-Ideen und Akribie fantasmagorias und greguerias, visuelle Texte und Protestsongs geschrieben habe.
Ich kann auch nicht versprechen, daß diese Stil- und Maschenversammlung eine Abschiedsparty ist. Vielleicht packt mich noch oft die Lust, Fremdartiges zu handhaben, lieb- und zum besten zu haben.

AOk, Vorwort

 

Modenschauen und Galgenlieder

– Zerstreutes von Andreas Okopenko gesammelt. –

Wenn eine Berliner Kritikerin, ernstlich und faktisch in Berlin geboren und dort, wenn auch mit Unterbrechungen, ansässig, an einen Wiener Literaten gerät, der durch reinen Zufall in Kaschau geboren, ernstlich und faktisch jedoch in Wien durch die Wiener Schule zum waschechten Wiener getrimmt wurde, dann ist sie schlimm dran. Auch wenn es sich nicht durchweg um „neue wiener mundartdichtung“ handelt, fehlt es ihr doch an Umgang mit „Akazienfressern“, und im „Wolferltreiben“ ist sie trotz einer gewissen Schulung durch „Hollerithl“-Textbücher fürs erste verloren. Da geben ihr dann die „Weinberggasser Bastelspiele“ erste Aufschlüsse, wie aus einem ENGEL das notwendige TASCHENGELD zu basteln sei. Schnell überschlägt sie die „Hommage à Ramon Gomez de la Serna“ (hier handelt es sich ohnehin um „Trugbilder“) und gelangt mit den „39 visuellen Texten“ für Ernst Jandl in vertrauteres Gelände. Auch hier wird vom Leser Mitarbeit verlangt, wie denn anders, aber man kann „ausblick (old look)“ und „ausblick (new look)“, die beide, wie denn anders, „wien“ ergeben, rein grafisch erraten; und auf diesen Seiten ist schön viel Platz zum eigenen Ausspinnen, wie sich die beiden vereinzelten Silben „mäd“ und „lei“ durch die Nachsilbe „chen“ verbinden lassen und damit an Oswald Wieners „Verhinderung von reinald fledermann“ oder das „Angewandte Wort“ von Ernst Fuchs „zur Eröffnung der Grafikausstellung Christine Goldbammler“ erinnern.
Parodien à la Okopenko sind nicht dasselbe wie solche von Robert Neumann oder Kurt Tucholsky. Es kommt, entdeckt man schließlich, weniger auf das Hochnehmen bestimmter Stile an als auf eine hintergründige Ausnutzung fremder „Maschen“ zu eigenen Zwecken. Daß die Wiener ungemütlich bis bösartig sein können, wissen wir inzwischen aus der neueren österreichischen Bühnenliteratur (wir hätten es allerdings schon von Nestroy erfahren können). Andreas Okopenko, der sich gern AOk nennt, ohne der Allgemeinen Ortskrankenkasse anzugehören, gibt sich gern sanfter, als er ist. Er hat diese in zwanzig Jahren nebenbei entstandenen „interessierten Spiele mit dem fremden Zeug“ deshalb auch als „Wellenritte“ deklariert. Da werden zwar manche munteren Sprachsteckenpferdchen geritten, auch wird gelegentlich geblödelt, wie sich nur im Wiener Hochdeutsch blödeln läßt. Der Übermut hat trotzdem mit Mut zu tun. Siehe das lange Titelgedicht vom Akazienfresser aus der Abteilung „AOk-Protestsongs“. Es ist, genau wie das „Lied von der Egalität“ mit der Schlußzeile „Wir sind der wahre Skandal“ (nämlich wir, denen alles egal ist), wie der „Kult mit dem Colt“ ernst gemeinte, rüd gereimte Kritik an der Verharmlosung schlimmer Zeitschablonen. Da grüßt die Wiener „Todesstrafen-Masche“ den harten norddeutschen Degen. Auch das sadistische Vergnügen, das in den surrealen Erzählsplittern der „Trugbilder“ steckt, ähnelt dem Vexierspiel von Alpträumen. Zwischendurch kann man den Michael Cetus des frühen Okopenko wiedererkennen, der dieses von Gewalt entstellte Dasein nicht länger mitleben wollte.
Humoristen und Clowns sind traurige Leute. Sie quälen sich mit den bösen Gesetzen der Komik herum, die immer Tragikomik ist. Sie bringen andere zum Lachen über das, was eigentlich zum Weinen wäre. Was sie trösten kann, ist einzig das verständliche Gelächter derer, die verstanden haben.
Die Besorgnis, wienerische Wellenritte könnten in Berlin nicht ohne weiteres verstanden werden, ist bereits überholt. (Die Kritikerin, die sich anfangs so schwer tat mit den AOk-Galgenliedern, vermerkt das mit beschämter Genugtuung): Als der Berlinstipendiat Okopenko im Buchhändlerkeller aus seinem Akazienfresser vorlas, fand er sein bisher bestes, begeistert mitgehendes Publikum. Die vielen Berliner Akazienbäume sind übrigens „falsche“ Akazien, sagt das Lexikon, sie müßten Robinien heißen. Unter dem falschen Namen versteht man aber den richtigen Duft: starkwürzig giftsüß.

Hedwig Rohde, Der Tagesspiegel, 8.7.1973

Der Akazienfresser

Immer schon hatte es der Ernst leichter beim Leser, ernst genommen zu werden, als der Humor. Der bessere Leser (und alles, was sich dafür hält) ist für gewöhnlich sowieso ein ernsthafter Mensch und bleibt es leider, wenn er einem noch so komischen oder gar tierischen Ernst begegnet. Es gehört nämlich echter Humor dazu, von falschem Ernst belustigt zu sein, und wenn man dieser Reaktion überdies gültigen Ausdruck zu geben vermag, avanciert man zum Parodisten. Er ist ein selten und wenig bedankter Künstler, denn einerseits schämen sich die meisten gebildeten Leute hinterher für ihr eigenes Lachen, anderseits schämen sie sich, uneingestandenermaßen, zusätzlich dafür, zuvor etwas todernst aufgefaßt zu haben, was jetzt parodiert und lächerlich gemacht wurde. Darum werden auch gute Parodien gern übersehen, rasch verdrängt, und es muß einer schon zum Beispiel ein Nestroy sein, um 50 Jahre nach dem Tode wieder entdeckt zu werden und nochmals 50 Jahre später wieder so lebendig zu sein wie vor mehr als 100 Jahren.
Andreas Okopenko, ein sehr moderner Autor, hat überhaupt eine ironische Komponente im Kräftefeld seiner Eindrucks- und Ausdrucksfähigkeit, aber die famose Sammlung der Parodien, Hommagen, Wellenritte mit dem Titel Der Akazienfresser weist ihn als bravourösen zeitgenössischen Gelegenheitsdichter aus. Wer von uns Älteren hat nicht ein oder zwei Jahre vor der Matura eine Hausarbeit hinter sich bringen müssen, „NN. als Gelegenheitsdichter“, und das von Goethe abwärts. Gelegenheitsdichtung entsteht (laut Sachwörterbuch der Literatur von Wilpert) „aus bestimmten äußeren Anlässen (Taufe, Geburtstag, Hochzeit, Fürstenpreis, Tod, Begrüßung, Abschied u.a.), teils auf Bestellung verfaßte Gebrauchslyrik → oder Zweckdichtung, die der festlichen Erhöhung e. Tagesereignisses dient,…“ (Bitte: Das Zitat ist echt und nicht etwa ein Versuch in Okopenko-Epigonentum.) Die vorliegenden Arbeiten, auch fallweise entstanden, müssen wohl zu den „u.a.“ Anlässen gezählt werden, beileibe nicht „auf Bestellung“ gemacht. Sie „dienten“ nicht, nein, sie dienern nicht und dienen nicht und schon gar nicht „der festlichen Erhöhung“, sondern im Gegenteil. Das Hochgestochene und andere Sprechblasen werden angestochen und fallen in sich zusammen, eine arme Haut, der die Luft ausgeht, die sie für uns immer hätte gewesen sein sollen. Nun ist es soweit; wenigstens auf die Dauer der Beschäftigung mit diesem Buch, – seien wir nicht zu optimistisch und machen wir uns nichts vor. Denn die Lachlust der Intelligenz ist gering, ihre angestrengte Ernstlust umso größer, mag besagter Ernst noch so langweilig und zweifelhaft sei.
Da die Anthologie parodistischer Hintergedanken von Andreas Okopenko sich auf zwei Jahrzehnte literarischer Hinterhältigkeit erstreckt, wird sich so mancher Experimentierliebhaber unliebsame Gedanken über gemeinsam verbrachte Stunden machen. Der immer ein wenig falsche Mitarbeiter hatte also zu Hause weitergearbeitet und die literaturchemischen Formen und Formeln einer abgefeimten Mikroanalyse unterzogen. Ungezogen. Man ließ ihn zuschauen, ohne ihn zu durchschauen. Die gestundete Skepsis wuchs mit der Zeit zu einem kapitalen Buch, das sich sehen und besser lesen läßt als der ganze modernistische Aufwand, dessen Auslese es vorstellt. Das kommt daher: Andreas Okopenko hat eine phänomenale stilistische Begabung und geniert sich auch nicht, sie offen zu demonstrieren. Auch wenn er freie Verse zum besten gibt, merkt man, daß er etwas vom Reim versteht, und erst recht wenn er ihn – und das heutzutage – brillant anwendet. Das geht dann wie am Schnürchen, an dem die Marionetten hängen, zu denen er die einschlägige Kollegenschaft degradiert hat. Ein Satiriker von Graden. Modenschau, Angewandtes Wort, Klassisch, Galgenlieder, Hommage (= Huldigung, aber eine zweifelhafte), Visuelle Texte, Protestsongs, Hitparade, – alles eine Parade von in der Hauptsache geglückten Gegenargumenten, so daß die spektakulärsten Bestrebungen der Literaturerneuerung zu einem bloßen Hit ausarten. Wie beispielsweise den Visuellen haargenau (wie nie bei ihnen) und doch auf ihre Art der Text gelesen wird, das ist unbeschreiblich, das müßte man gelesen haben.

Edwin Hartl, Literatur und Kritik, 1973

Kunst des Mobile. Literarische Melange von A. Okopenko

Eine Parodie muß nicht immer Gegengesang und Polemik sein; gelegentlich kaschiert sie auch heimliche Sympathien. Bei Andreas Okopenko wiederholt sich diese Situation seit den Spleengesängen und dem Lexikonroman in unregelmäßigen Abständen. Im Akazienfresser spiegelt sie alle gängigen Formen der literarischen Avantgarde und ihrer Vorläufer. Wenn der Autor daher in seiner „Modenschau“ an der Spitze Rilke und Benn Revue passieren läßt, ist es ihm nicht nur um die Komik zu tun. AOk schmückt sich mit fremden Federn, um chiffrierte Bekenntnisse abzulegen. Dennoch sind diese Parodien und „Wellenritte“ literarisches Federgewicht, vergleicht man sie mit Okopenkos Huldigung an den 1963 verstorbenen spanischen Schriftsteller Gómez de la Serna. Dessen Erfindung, die „Gregueria“ – ein metaphorisch verfremdender und zugleich aufschließender Aphorismus –, macht sich Okopenko zu eigen, aber nicht nachahmend, sondern im Sinn einer freien Kadenz. Dynastische Beziehungen zwischen Wien und Madrid werden in Okopenkos Hommage individualisiert und ihrer historischen Patina entledigt. Stets bleibt die künstlerische Autonomie Okopenkos erstes Gebot; so entlarvt er in den „39 visuellen texten“ die modischen Verirrungen der Konkreten Poesie, zu deren Wiener Initiatoren Okopenko selbst nach dem Zweiten Weltkrieg zählte. AOk fühlt sich in der scheinbaren Harakiri-Position eines permanent Unangepaßten recht wohl; er weiß, daß ihn die österreichische Moderne von Achleitner bis Wiener nicht einmal ignoriert, um mit Nestroy zu sprechen; er darf sich aber auch glücklich schätzen, daß er bei den Konservativen erst recht nichts verloren hat. Also eine Existenz zwischen zwei Stühlen? Der Akazienfresser liefert hier den Nachweis, daß Okopenko Calders Kunst, das Mobile auf den Bereich des literarischen Worts zu übertragen, sucht. Es geht diesem Autor um die „Möglichkeitsstrukturen“ der Welt.

Hansjörg Graf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.8.1973

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Joachim Schondorff:
ORF/Ex Libris, 14.4.1973

Hans Nochstatt: Stile und Maschen
Münchner Merkur, 16.4.1973

Penelope: Residenz-Verlag: Ein neuer Okopenko
Neue Zeit, 21.4.1973

Reinhard P. Gruber: o.T.
Kleine Zeitung, 29.4.1973

gob: Vor allem die Parodien
Die Presse, 5.5.1973

Michael Guttenbrunner: Salzloses Salz
Kärntner Tageszeitung, 12.5.1973
wieder abgedruckt in: Arbeiterzeitung, 24.6.1973

Ch(ristian): Wallner: Andreas Okopenko als Wellenreiter
Salzburger Tagblatt, 8.6.1973

Christian Schmitt: „Heut’ bin ich grade Mittelmaß“
Bücherkommentare, 1973

Rainer Urbach: o.T.
Neue Zürcher Zeitung vom 10.7.1973

P(eter) H(eisch): Der verkleidete Poet
Schaffhauser Nachrichten, 25.10.1973
wieder abgedruckt o.T. in: Nebelspalter, 31.10.1973

St.: Okopenko spielt mit Literatur
Rheinische Post, 19.1.1974

Harry Zohn: o.T.
Books Abroad, May 1974

ls: In wenigen Sätzen
Mannheimer Morgen, 3.5.1974

Rüdiger Engert: Siegheilgeschrei am Stammtisch. Polemik und Parodien von Andreas Okopenko
Kölner Stadtanzeiger, 9.1.1975

Franzobel: Oko Negus, da Kronprinz von Humoaaa. Zu Andreas Okopenkos Akazienfresser
Andreas Kastberger (Hrsg.): Andreas Okopenko. Texte und Materialien, Sonderzahl Verlag,1998

 

 

Adolf Haslinger – Laudatio zum Großen Österreischischen Staatspreis 1998.

Konstanze Fliedl – Laudatio zum Georg-Trakl-Preis 2002.

 

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Daniel Wisser: Der sanfte Linke
Die Presse. 13.3.2020

Zum 10. Todestag des Autors:

Karin Ivancsics: Eine Freundin erinnert sich
Die Presse, 25.6.2020

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