Andreas Okopenko: Gesammelte Lyrik

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Andreas Okopenko: Gesammelte Lyrik

Okopenko-Gesammelte Lyrik

HAGENBRUNNER STRASSE

Heut ist Freitag
ein andermal ist wieder Donnerstag
freu dich darum
und frag nicht, worin deine Eigenheit besteht.
Sie besteht.

 

 

 

Zu Andreas Okopenko

Andreas Okopenko, ein kapitaler Autor der inzwischen literaturgeschichtlich gewordenen neuen österreichischen Literatur um 1950, ist zunächst einmal und vor allem Lyriker. Seine (im besten Wortsinn experimentellen) Romane sind durchaus lyrisch konzipiert, die (wenigen) Erzählungen ebenso. Sogar seine engagierten Aufsätze und Essays reflektieren lyrische Ansichten und Erfahrungen. Sowie man ihn, aus welchen Ecken und Absichten auch immer, zu anderem als Lyrischem oder Gedichtbezüglichem ermuntert hat, war das Ergebnis dementsprechend mißverständlich.
Mit der Summe seiner in den zwei Jahrzehnten zwischen 1950 und 1970 entstandenen Gedichte wird gewissermaßen Okopenkos literarisches Hauptwerk vermittelt. Zwei- oder dreigeteilt zufolge seiner inneren Gezeiten, ist dieses lyrische Paket in mehrfacher Hinsicht höchst bedeutsam: als eine Art seelisches Tagebuch, als Register außerordentlicher (fürs zeitgenössische Dichten beispielhafter) Sensibilisierungen, als ein nicht nur für den Historiker unumgängliches Stück (österreichischer) Ideen- und Literaturgeschichte.
In diesen recht un-gemütlichen Texten, Notierungen, Fragmenten begegnen (und vermischen) sich Intellekt und Einstimmung, Sinnenfälliges, Neugierde, penible Beobachtung und Jahreszeitenfühligkeit. Eine Generation (meine) hat so gedacht, gemeint und empfunden. Für vieles wurden und waren die Gedichte Okopenkos auf ihre sehr besondere Weise maßstäblich als exemplarische, vor-bildliche Äußerungen.
In den Sammlungen Grüner November (1957) und Seltsame Tage (1963) sind Okopenkos Gedichte vom Anfang der fünfziger Jahre um eine entscheidende Weile zu spät an die an Lyrik sowieso desinteressierte Öffentlichkeit gelangt. Entstanden als ein Holthusen schrieb und ein Krolow sann, lange vor Enzensberger und Rühmkorf, hatten sie in der Wiener Enklave der Neuen Wege und der hektographierten „publikationen“ einen allzu engen Auslauf. Ihr Autor stünde anders da und zu Buch, wenn das lahmarschige Literatur- und Kulturmanagement dieses Landes, in dem wir liebend leben, damals nicht so gewesen wäre, wie es heute im Grunde noch immer ist.
Mit meiner Überzeugung, daß Okopenko in jungen Jahren eben das gelungen ist, von dem Benn meint, daß es Geschäft und Berufung des Lyrikers wäre, nämlich die mögliche Hervorbringung vier, fünf vollkommener Gedichte, habe ich jedenfalls nie zurückgehalten. Und so ist dieses Buch, das alles in allem angetan wäre, für den so lyrischen Autor Okopenko Furore zu machen, eine ausgezeichnete Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß der Autor etliche Stücke geschrieben hat, die nach meinem Dafürhalten zum Beträchtlichsten gehören, was seit 1945 landauf landab geschrieben wurde.

Otto Breicha

 

Okopenkos Gedichte sind mir schon Anfang der 50er Jahre in den Neuen Wegen als frisch, überraschend und anregend aufgefallen, und ich hätte gerne mehr von ihm gelesen, aber die Verlage druckten damals nur konservatives, leichtverkäufliches Lesefutter.
Ich habe Okopenko 1958 anläßlich seiner Lesung aus seinem ersten, bei Piper erschienenen, Gedichtband Grüner November kennengelernt, seither sind wir befreundet.
In den darauffolgenden Jahren trafen wir uns an vielen Abenden, gemeinsam mit Otto Laaber, Walter Buchebner und anderen, in den Räumen der Städtischen Bibliothek, in der Buchebner damals arbeitete, wir hatten ja alle keine eigene Wohnung, in die wir Freunde hätten einladen können. Wir lebten in diesen miefigen, windstillen, ringsum nur Lethargie erzeugenden Jahren der schwarz-roten Koalitionsregierung in Österreich nicht nur in arbeitsfeindlichen, lustfeindlichen und bedrückenden Wohnverhältnissen, wir hatten auch mit Ausnahme der Neuen Wege, einer von der Schulbehörde zensurierten und an Schulen verteilten Kulturzeitschrift, keine Publikationsmöglichkeiten. Okopenko hat sich auch damals schon als Rationalist, vielleicht besser Positivist verstanden, sicherlich war er stark geprägt von seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung, seinem Chemiestudium.
In dem Gedicht „In eigener Sache“ schreibt er kokett und zutreffend „ich bin das Mädchen mit dem gesunden Urteil“ und in der übernächsten Zeile „ich bin das Knäblein, welches zwei Stunden lang das liebe grüne Gras / beobachtet zwischen barbarischen Pflastern“, und in der Tat war und ist er auch Sensualist, Naturbestauner und -belauscher, ein ewig neugieriger, Nuancen witternder Naturvoyeur. Seine Verliebtheit ins Leben, seine Weltergriffenheit (oder wie immer man sagen will) hat einen transzendenten, metaphysischen Aspekt.
Das Zustandekommen des Erlebnisses eines wunderbaren Betroffenseins erklärt sich auch Okopenko sinnespsychologisch durch eine übernormal aktivierte Kombinatorik der Erlebnis-Elemente in einem besonders gestimmten, gesteigerten Bewußtsein. Ob die Bedingungen solcher Erlebnismöglichkeiten (die Natur) deswegen schon an etwas Transzendentem teilhat oder auf ein solches verweist, mag fragen, der das Bedürfnis danach hat. Der Positivist (Okopenko) hält’ verschiedene Antworten für möglich, hält sich aber nicht allzulang mit unbeantwortbaren Fragen auf, er hält sich lieber an die Praxis (des Erlebbaren, Erfahrbaren).
In seinem aufschlußreichen Aufsatz „Fluidum“, einem „Bericht von einer außerordentlichen Erlebnisart“ (protokolle 77/2), schreibt er „Magischer Realismus ist eine Tautologie. Die Dinge sind magisch. Durch ihr Sein. Durch ihre unendlichfältigen Beziehungen. Möglichkeiten. Durch ihre Assoziationsmöglichkeiten im menschlichen Gehirn. Ihre Verbindung mit dem Gefühlsleben: Erinnerung und Wünschen.“
Das „fluidische“ Gedicht, Ziel seiner Anstrengung, fängt das Flüchtige ein. „Geschmack, Wärme, Farben, Vorher, Nachher, Umgebung in einem Punkt verdichtet“ schrieb Okopenko schon 1951 als sein Programm.
Und wer ist sein Publikum, und wer hätte es sein können?
Okopenko schreibt für die Jungen und die Jungfühlenden.
Eines seiner Hauptthemen (neben vielerlei Kultur- und Gesellschaftskritik) ist die traurige und tapfere Sublimation unausgelebter Erotik, die erotischen Sehnsüchte und Frustrationen sehr junger Menschen, die vielleicht auch eine Erotisierung der Landschaft bewirken kann, ein Gefühl von Zärtlichkeit für Zaungitter und ziehende Wolken, die dem satten Konsumierer wohl schwerer über die Bewußtseinsschwelle tritt. Er hat das Lebensgefühl jener Leute, die das schwere Los getroffen hat, in den restringierenden fünfziger Jahren jung zu sein, wie kein anderer artikuliert; und er ist dennoch nicht ihr Idol geworden, weil in diesen finsteren Jahren in Österreich, das noch nicht wie die Bundesrepublik die Scheinfreiheiten eines weiter vorangetriebenen und daher reicheren Kapitalismus gewährte, charakteristischerweise die Kommunikation zu den Konsumenten abgewürgt war .

Elfriede Gerstl

 

Manche Dichter sind vielseitige und oft „chemisch“ genaue Chronisten ihrer Zeit. Ein solcher ist Andreas Okopenko für die österreichische Gegenwartsliteratur, vor allem für jene Aufbruchszeit der Neuen Wege. Zugleich ist „AOk“, wie er sich selbst gerne verkürzt, auch der kritische und genaue Chronist seines eigenen literarischen Entwicklungsganges.
Auf diesem Wege ist der Lyriker Okopenko früh auch zum Theoretiker Okopenko geworden. Seither kontrapunktiert und kommentiert sein Nach-Denken laufend seine literarische Praxis. Das interessiert nicht nur den Germanisten, sondern hilft jedem interessierten Leser, Okopenkos Dichtung besser zu verstehen.
Soeben hat er eine Sammlung von vier unerläßlichen Essays veröffentlicht. Als „Ortsbestimmung einer Einsamkeit“ befassen sie sich mit individuellen Begriffen und allgemeinen Themen wie Fluidum, Konkretionismus, Engagement, Erotik und Emanzipation.
Der Fluidum-Essay erörtert Okopenkos Lyrik-Theorie, denn „zum Umschlagplatz für das Fluidum wäre die Lyrik destiniert“, meint er und bekennt dann:

Mir selbst war das Mitteilen von Fluiden im Grunde und auf längere Sicht immer wichtigstes Anliegen meiner Lyrik.

Die genaue Definition des „Fluidum“-Begriffs ist schwierig und beschäftigt Okopenko im ganzen Essay. Man merkt, wie er damit an eine zentrale Frage seines literarischen Selbstverständnisses kommt. Einen wichtigen Definitionsversuch hebe ich heraus:

Fluidum ist Gefühl mit existentieller Resonanz.

Fluidum kennzeichnet also eine Lebenshaltung ebenso wie eine Dichtungssituation, nämlich die komplexe Erlebnisform eines poetischen Augenblicks.
Die Lyrik-Tradition, in deren Beziehungsfeld sich Andreas Okopenko im Laufe dieser Selbstbestimmung einpeilt und schließlich einordnet, ist demnach durch Texte bestimmt, die ihn „Fluidum erleben ließen: gewisse Haikus, manche Verse Hölderlins, vieles bei Trakl, Eliot, Benn.“ Dazu kommen noch Texte von Franz Baermann Steiner, Felix Hartlaub, Günter Eich und solche junger Autoren um 1950. Diese Vorbilder und Verwandtschaften machen eines deutlich: Andreas Okopenko schwimmt nicht in einer altbekannten Strömung der Literatur mit. Er ging und geht stets aufmerksam, bewußt kritisch und liebenswert eigenbrötlerisch seinen Weg.
Nun zu diesem Band der Gesammelten Gedichte. Ich bin froh, daß ich die in mehreren Büchern verstreute Lyrik Okopenkos jetzt so bequem zur Hand habe. Die Sammlung wird anschaulicher und bemerkenswerter dadurch, daß der Dichter selbst die Einteilung gemacht hat. Seiner eigenen Theorie gemäß ordnet er die Gedichte nach den drei Phasen seines künstlerischen Werdeganges: Periode 1, (1949–1951), Aus der Krise (1951–1959) und Periode 2 (1959–1978). Mit liebevoller Exaktheit fügt er jedem Gedicht seine Entstehungszeit, häufig sogar das Datum des Entstehungstages bei. Der Autor betont damit bewußt die Leben-Werk-Beziehung, der Leser erhält eine lückenlose lyrische Chronologie. Eine solche „Dokumentation“ gewinnt an Wert, wenn sie sich über rund drei Jahrzehnte eines Künstlerlebens mit gleichbleibender Genauigkeit erstreckt.
Andreas Okopenkos Gedichte sind von einer beglückenden Vielfalt an Themen, Aussagen und Formen, und sie führen den Leser in eine ebensolche Vielfalt an wirklich poetischen Begegnungen. Ihr Reichtum an sprachlich geformten Fluidum-Erlebnissen ist mehr als ein farbiger und genauer Begleittext zu einer Zeit, die wir alle erlebt haben.
Ich verfolge die poetische Entwicklung Andreas Okopenkos seit Jahren. Er ist sicher nicht die „Qualle“, von der das Neue Forum zynisch sprach; er ist ein vielseitiger Dichter und ein mutiger Einzelgänger, dessen „Einsamkeit“ ich in den Modetrends, Poetenparteiungen und Gruppenbewegungen der österreichischen Gegenwartsliteratur nicht missen möchte.
AOk ist ein Individualist zwischen extremen Lagern, aber mit wachen Sinnen für das Gesellschaftliche, das seine Existenz und sein Schreiben konkret mitformt. Obwohl hier seine Parodien und Protestsongs fehlen, sind die Gesammelten Gedichte keine schönen Alibiträume einer alten idyllischen Lyrik, sondern aktuelle Erlebnisse in der genauen Schriftsetzung einer technisierten Zeit. Ihre Farben, Formen und Themen gehen uns alle an!

Adolf Haslinger

 

Als ich von ihnen die ersten las, Gedichte des Andreas Okopenko, war mir das Außerordentliche und Einzigartige daran klar, und das ist es mir immer noch. Dazwischen liegen jetzt fast schon dreißig Jahre, an deren Beginn wir Freunde wurden, wie wir es jetzt noch sind. Es waren die erregendsten Gedichte damals, und sie kamen ganz dicht an mich heran, durchdringend, hinein in das Dunkle, in das ich nicht sehen kann und von dem ich gefüllt bin. Jetzt, wenn ich in ihnen lese, tun sie ein Gleiches. Damals war ich ein einen eigenen Weg für das Schreiben von Gedichten erst Suchender und traf in diesen, den Gedichten des als Person mir noch Unbekannten, ganz und gar Unvorstellbaren, einen, der seinen eigenen Weg ganz und gar gefunden hatte, und auf ihm unaufhaltsam und stürmisch dahineilte, und dies tun würde bis in alle Ewigkeit. Diese Gedichte wollte ich selbst geschrieben haben und würde es niemals vermögen, geschweige denn dürfen. Als er als Person mich dann zum ersten Treffen einlud, gab es immerhin schon eine Handvoll von solchen, die ich als meine eigenen auslassen konnte, und er hatte daran gelesen und rief darum zu diesem Treffen. Trotz ihrem Nahekommen und Eindringen besaßen und besitzen seine Gedichte bis heute so viel an Fremdheit für mich, dunklen Glanzstellen etwa, daß sie von mir nicht gefressen und verdaut und ausgeschieden werden konnten wie die meisten, die ringsum verstreut ich im Laufe der Zeit vorfand. Auch unser Nahekommen als Menschen löste ihn für mich nicht auf, und jedes Wiedersehen erfüllt die Erwartung anhaltender Rätsel.

Ernst Jandl, November 1979

 

Okopenko spezifiziert seine Aussage, die aus Gefühl und Erkenntnis kommt, genau und dinglich. Die Beobachtung verdichtet sich in der Formulierung und bewirkt Nachfühlen, Nachdenken, Nacherlebnis. Es ist die Methode der Naturwissenschaft: Beobachtung, Versuch und Formel; genauer der Chemie, die aus dem Komplex die spezifische Gewichtigkeit ausfällt und in einer Wortchiffre festhält… Stimmungswerte sind stark und elementar…
Der Umweg zu den Dingen reduziert sich auf den geraden Weg zum Kern der Sache. Dieser Kern ist nicht einfach gegeben, er steht in einem Relationengefüge, das nicht als Spannungspolarität dialektisch tyrannisiert, sondern als vielschichtiges, vielstimmiges Kraftfeld stabilisiert und dynamisiert…
Dem Geistigen nach ist Okopenko wohl vorwiegend Ethiker, dort wurzelt auch sein Pazifismus, sein soziales Mitgefühl und seine künstlerische Gewissenhaftigkeit, die oft puritanische Züge annimmt. So gibt es kaum einen Passus, wo wir ausruhen können oder unsere Wachheit ein Narkotikum findet. Die bewußt und konzis gezielte Aussage, die nur scheinbar zertrümmert, um den physikalischen oder psychischen Kern bloßzulegen, erfordert eine bewußt und aufmerksam gezielte Einstellung und Vorstellung. Selbst ferne Jugenderlebnisse haben nichts vom Tiefschlaf, vom Halbbewußten oder vom Getriebe zwischen Eros und Thanatos im Sinne Freuds, es gibt kaum offensichtliche oder verdeckte Sublimierungen. Alles Gedenken ist nur Bewußtmachung dessen, was damals entstand und damals noch nicht so war, was heute aufsteigt und ab heute so nicht mehr sein wird, weil Landschaft, Stadt, Mensch und das Geheimnis immer im Ursprung sind, nur ursprünglich erinnert werden können, in einen Abschluß hinein, der sich restlos abbucht. Darum schreibt Okopenko stets spontan, direkt und hell, zugleich aber auch sachlich visierend, endgültig abschließend.
Aus der lyrischen Fülle, die um 1950 in der Auseinandersetzung mit Zeitschicksal und aktuellen Stilhaltungen erwuchs, ragen die Arbeiten Okopenkos dadurch hervor, daß sie traditionelle Strukturen modern ausformen. In dieser Übergangskunst klingt der große Ton der Vergangenheit, verbunden mit neuen Indizien für stichhaltige Sachverhalte. Um diese Gedichte ist aber auch der Reiz eines Frühstils, wie er etwa die Anfänge der Renaissance oder des Impressionismus umgibt, der Reiz des Stehens an einer Schwelle. In der Sensibilität einer solchen Situation gerät manches durchaus lokal, etwa Landschaft, Großstadt-Peripherie, Grenzgebiet Stadt-Land, doch stets vor einem weiten Hinterland, geographisch und geistig: vor einem Horizont. Zeitlich bindet das Gedicht den Augenblick an die Ewigkeit, nicht zuletzt durch den Kontrast, der im Ulk die Dinge bewußt durchs Medium der Eigenart verzerrt und erst im Ganzen richtig stellt. Das Vokabular der Chemie und des Büros, etwa im „Frühlingslied für Infinita Vera“, leistet eine spontane Umsetzung, die sich am Kontakt mit dem Wirklichen orientiert und bei aller Exaktheit hellseherisch sichtet. Kleinformen und Großgedichte gelingen gleichermaßen. Die Kleinform deckt Konstitutionen auf und gliedert einige wenige Regungen, das Großgedicht engt sein Thema ein, wobei das Eigentliche und seine Gestimmtheit von vornherein festliegt, sodaß keine verdeutlichende Annäherung erfolgt, sondern ein Inhalt, von realen Eindrücken umstellt, andere Inhalte immer mehr ausschließt. Eine gewisse unpersönliche Korrektheit mag den Zugang erschweren, selbst dem Experimentellen haftet dieses unantastbar Überprüfte an. Bereits vor dem Fixieren wird unbewußt-gewollt alles Voreilige ausgeschieden, – ein „Brodeln“, ja etwas Verbohrtes stellt sich ein, das ohne den Intellekt vielleicht sogar ins Bornierte ausarten könnte. Von hier aus mischt sich in den pointierten Witz auch immer wieder ein eigensinnig schürfender, hartnäckiger Humor, der unverwechselbar eigen und gründlich ist, schon früh auftritt, etwa im „Voltmeter“, und einen technischen Ansatz kaustisch entwickelt, in diesem Beispiel vielleicht auch ein unglücklicher Humor, in jenem Sinn unglücklich, daß er seinen Fall etwas hilflos und sehr intelligent konstruiert und nicht recht glücklich macht. Neben zuständlichen Gedichten, etwa den Jahreszeiten gewidmet, in denen das Ich am Rande als Betrachter steht, finden sich Gedichte, die alles vom Ich her abfolgen lassen, in denen die Kontinuität zur Konstruktion wird. Die Reimgedichte, getragen von latenten, angesprochenen Stimmungen, setzen das Grüblerische dem literarischen entgegen, und in den aphoristischen Essays tritt dasjenige augenfällig zutage, was alle Arbeiten Okopenkos auszeichnet, der Charakter eines kritischen, sachgemäßen Protokolls. Dieses Protokollarische erwächst aus dem inneren Ablauf; etikettierende Wendungen, wie Texte, Publikationen, benennen auf sehr charakteristische Weise diese objektivierte Tatsächlichkeit, die sich gegen alles, was zuwenig ins Dichterische umgesetzt wurde, gegen den zu persönlich und lebhaft gebliebenen Eindruck wehrt. Als Meister der Nuance scheut Okopenko nicht den zähen Ausdruck, der sich zieht, der den Gedanken so lange ursprünglich abwägt, bis sich seine Versifizierung gleichsam von selbst einstellt, als lyrische Abfassung, ein poetisches Gewicht, das neben dem Wort ebenso das Sein betrifft, also gleichzeitig die Verifizierung bewältigt. Diese Sprache, die nie glatt fließt, sondern etwas Gezogenes auch in der knappen Formel behält, „Lang ist der Sommer“, hat innere Melodie, nicht zuletzt dank eines zwischenzeitlichen Vorstellungsmodells, wie im „Vorgang aus roter Tinte“, ein Schichtenganzes, das bis ins Phantastische oder Makabre reichen kann. An allen diesen Aussageweisen überzeugt, daß sie neue Texte formulieren, wie etwa die Maler neue, unmittelbare Zeichen setzen, in einer konkreten Sprache, die eine distanzierte Abfolge und den einstellenden Impuls vereint, aus innerer Haltung heraus, die eine in sich und für sich seiende Welt ausformt, fernab literarischer Signale und seelischer Schablonen. In diesen Gedichten lebt aber auch eine Besinnung und Bestimmtheit, die dem Konzept der Dinge auf den Grund geht, ihr greifbares Hingestelltsein darstellt und ihren letzten Bezug miteinbezieht.

Franz Johann Seidl, Wort in der Zeit, 1963/2

 

Nachbemerkung

Ich freue mich, daß mir nach vielen, vielen Jahren vergeblichen Mühens ermöglicht wird, mein Lyrikwerk vorzulegen. Mit dieser Selbstherausgabe versuche ich, eine für mich unbehagliche Marktlücke zu schließen: Ich bin nicht nur meinen Anfängen, sondern auch meinem Wesen nach Lyriker (diesen Verhalt mögen weder meine Romane, Essays, Hörspiele noch meine Beiträge zur Kleinkunst verwirren), und wer „Okopenkos Gedichte“ erwerben will, soll jetzt einmal die Möglichkeit dazu haben. Einmal nicht die scherzhaften oder ein paar anthologieversprengte, sondern eine dicke repräsentative Auswahl aus dreißig Jahren, alles Wichtige und genug Unbekanntes aus meinen beiden Lyrikperioden und der Krise dazwischen.

*

Daß ein so langer Marsch hierher nötig war, braucht Gründe. Zunächst hatte es um 1950 die junge österreichische Literatur generell schwer, umso schwerer dort, wo sie gedichtemachte, schockte und experimentierte. Von Lesern der Zeitschrift neue wege, die uns Nachwuchsautoren an den Schulen herumreichte, wurden meine Texte stark beachtet; bei der Avantgarde rund um den Art Club galt ich als Geheimtip; den Jugendförderern wie Felmayer, Hakel, Mafejka, Winter fiel ich bald auf; Weigel propagierte mich und druckte mich in der Anthologie Stimmen der Gegenwart. Fast alle anderen Medien aber blieben uns jahrelang hermetisch verschlossen, und von Buchveröffentlichungen war nicht zu träumen. Ich mußte auf einen Verlag für Gedichte, die 1949–1951 („Periode 1“) entstanden und wirksam waren, teils bis 1957, teils bis 1963 warten. Seiner ersten Aktualität beraubt, in zwei Teile zerrissen, kam mein Frühwerk – in Deutschland – an die Öffentlichkeit. Dennoch wurde diese Tiefkühlware von der Generation, die inzwischen am Lesepult war, die ihre Bachmann, ihren Benn hinter sich gelassen hatte und sich an Enzensberger berauschte, lebhaft bemerkt.
Inzwischen hatte mich aber 1951 eine schwere Persönlichkeitskrise erfaßt, deren verschiedene Kerne (aus den Problemkreisen Sinn, Tragik, Liebe, Politik, Kommunikation, Eindruck, Kunst) in verschiedenen Jahren austrieben; der ganze Rattenschwanz von Krisen und grüblerischer Prozeßführung gegen mich selbst, praktisch die Lähmung des Schriftstellers, etwa zehn Jahre. In dieser Zeit setzte ich mich noch dazu zwischen alle Sessel, überwarf mich aus kunst-ideologischen Gründen mit der Wiener Gruppe, hatte mich politisch auf einen glanzlosen Punkt in der „Heimatlosen Linken“ eingependelt und es glücklich erreicht, daß keine der nacheinander einsetzenden Strömungen mit mir irgendetwas anzufangen wußte.
Nach dem Ende der Krise – 1962 – stürzte ich mich vor allem auf Prosa. Der Grund war keineswegs nur Kommerz (Prosa, wie ich sie entwarf, war fast so schlecht wie Lyrik zu verkaufen); ich brauchte jetzt vielmehr zur Bewältigung all des Angestauten das Diskursive, Komplexe – das lyrische Grundhaltung freilich nie ausschloß. Verslyrik entstand auch wieder, aber mit dem Stellenwert eher privater Notationen („Periode 2“).
Die alten Bändchen und das spätere aus der Periode 2, klein an Auflage, verstreut an Ort und Zeit, sind schon viele Jahre vergriffen, und so kommt es, daß man mich als Erzähler kennt, der ich im Grunde nicht bin, und als Verfasser eines Bändchens nebenher entstandener halblustiger Gesänge – das einzige von mir, das Taschenbuch wurde –, und wenn jemand einmal auf „Humor“ festgelegt ist, dann klebt er.

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Trotz repräsentativem Charakter muß eine Auswahl beschränkt bleiben. Weil ich, wie an anderer Stelle gesagt, großen Wert auf Übertragung konkreten Augenblickerlebens lege, habe ich „gegenständliche“, atmosphärische, laborprotokollarische Gedichte, oft vom Leben in der Jahreszeit, anderen Gedichten, die Gedankenabläufe festhalten, etwas vorgezogen. Daraus folgt auch ein Zurücktreten der polemischen Komponente; dies mag nun ja nicht mit disengagierendem Abschwur verwechselt werden. Ausgeschieden habe ich, neben Nonsens und Kleinkunst (die in ein anderes Buch gehören), reine Sprachspiele und Experimente mit dem Automatismus.

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In diesem Buch stelle ich nicht nur Texte aus den vergriffenen Bänden vor, sondern auch etwa manches seinerzeit von mir selbst Unterdrückte. Ich hatte in der Krise wohl zweihundert Texte aus meist ethischen Überlegungen so gut wie möglich vernichtet; Texte, die andere Leute traurig machen könnten oder in denen ich vorschnell Zivilisationskritik übte, freilich auch Texte, in denen ich mich zusehr an andere angelehnt hatte. Heute denke ich weder so menschenschonend noch so puristisch. In einer langjährigen Sammlung mag, wenn anderes dafür spricht, auch minder Reifes aufscheinen. So habe ich lieber ein zweizeiliges Fragment, in dem meiner Einbildung nach „Dasjenige“ drin ist, aufgenommen als ein gerundetes, gedanklich klares Gedicht, bei dem ich dann frage „Wozu?“ oder gar nach der Ehrlichkeit. Trotzdem mußte manches zu Private, zu ungerecht Pessimistische, zu schwer mit Denkfehlern Belastete fallen.

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Der Band umfaßt Vers- und einige Prosagedichte. Der Gedicht- oder lyrische Charakter hängt bekanntlich von der Art der Gemütshaltung und des Mitteilungsanliegens ab, während Vers und Prosa sich auch im Fall freier Rhythmen eindeutig durch das genau bestimmte Verszeilenende unterscheiden.

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Zur Textgestalt: Nach Möglichkeit bin ich zum Urtext zurückgekehrt, wo ich bei früheren Ausgaben kleinlaut Kompromisse schloß. (Übrigens sind meinen Texten bei Veröffentlichung außerhalb der Bände ungewöhnlich viele Druckfehler und redaktionelle Gewalt angetan worden.) Anderseits habe ich von mehreren Lesarten die gewählt, die mir heute, aber beim Einfühlen in mein Damals, am besten taugt. Verbessert habe ich nur ganz sparsam, zur Rettung eines Gedichts, zur Ausdrucksoptimierung im Sinn von damals oder auch zur Beseitigung unnötiger Satzhäßlichkeit, und all dies nur im Handlangerischen und mit damaligem Griff, Werkzeug und Werkstoff.
Eigenheiten und Schwankungen der Rechtschreibung und der Syntax, der Interpunktion, der groß- oder kleingesetzten Versanfänge, der Absatzbildung u.ä. sind Absicht. (Ein Beispiel: Der Übergang von strenger zu loser oder fehlender Interpunktion innerhalb eines Gedichts entspricht vielleicht dem Übergang von gesprochenem Wort zu Gesang. Oder: Das Komma zwischen litaneihaft aufreihenden Versen stört, das Komma im Vers an einer logischen Schaltstelle kann unentbehrlich sein.) Schwankungen habe ich dennoch da und dort ausgeglichen: wo sie mir heute unnötig scheinen oder unklarem Arbeiten zuzuschreiben sind.

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Die Texte habe ich in der Chronologie der ersten Arbeitstage angeordnet. Ausgenommen sind die wenigen Texte mit unbestimmbarem genauem Entstehungsdatum und jene Fragmente aus kurzen Zeitspannen, die ich in chronologischer Ordnung zu je einer Gruppe gebündelt und als solche an zeitlich passender Stelle in den Hauptstrang montiert habe.

*

Ich danke allen Freundinnen und Freunden, die sich für die Verwirklichung dieses Buchprojektes einsetzten.

Andreas Okopenko, Nachwort

 

Okopenkos Lyrik

legt großen Wert auf die Übertragung konkreten Augenblickserleben. Die vom Dichter besorgte Auswahl zieht „gegenständliche“, atmosphärische, laborprotokollarische Gedichte denen vor, die Gedankenabläufe festhalten, und sammelt nicht nur Texte aus vergriffen Bänden, sondern auch manches früher von ihm selbst Unterdrückte.

Jugend und Volk, Klappentext, 1980

 

Beiträge zu diesem Buch:

Charakteristischerweise. Freunde zum Erscheinen des Bandes Andreas Okopenko: Gesammelte Lyrik. Gerstl, Elfriede: Schreibt für die Jungfühlenden / Jandl, Ernst: Hinein in das Dunkle
protokolle, 1980

Wendelin Schmidt-Dengler: Orte der Einsamkeit. Andreas Okopenko veröffentlichte seine „Gesammelte Lyrik“
Die Presse, 15.3.1980

Gerhard Jaschke:
ORF/Ex Libris, 7.6.1980

Gerhard Jaschke: Er gehört keiner Richtung an
Arbeiterzeitung, 26.6.1980

Alois Eder: Trauerweiden? Worüber
das pult, Heft 56, 1980

Michael Bachem: o.T.
World Literature Today, Spring 1981

Andrea Kunne: o.T.
Deutsche Bücher, 1984

 

 

Adolf Haslinger – Laudatio zum Großen Österreischischen Staatspreis 1998.

Konstanze Fliedl – Laudatio zum Georg-Trakl-Preis 2002.

 

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Daniel Wisser: Der sanfte Linke
Die Presse. 13.3.2020

Zum 10. Todestag des Autors:

Karin Ivancsics: Eine Freundin erinnert sich
Die Presse, 25.6.2020

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Porträtgalerie: Keystone-SDA
Nachrufe auf Andreas Okopenko: Die Presse ✝ sonne & mond ✝
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Andreas Okopenko: Anarchistenwalzer gesungen von Palma Kunkel.

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