Andreas Okopenko: Ich hab so Angst, daß die Chinesen kommen

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Andreas Okopenko: Ich hab so Angst, daß die Chinesen kommen

Okopenko-Ich hab so Angst, daß die Chinesen kommen

DER COMPUTER

Was ist ein schlechter Mensch und was ein guter?
Das weiß ich längst schon nicht.
Ich werde mit der Zeit ganz ein Computer
und subtrahiere
nur mehr bei ultraviolettem Licht.

Ich erzähle, ohne Umschweife,
daß ich gestern eine Schönheitsseife entwarf,
denn danach war Bedarf,
die Olefine waren schwer zu ermitteln,
doch morgen diktiere ich den Männern in weißen Kitteln:
man möge sich sputen
und mache in dreizehn Minuten
sechsundzwanzig Polarisraketen scharf.

Beides: die Seife, womit sich Kim Nowak einschäumt,
bevor sie was Hautzartes träumt,
und der Polarisschlag, der endlich China wegräumt,
wobei leider auch ein Stück Japan mitmuß,
haben – Sie werden es nicht glauben
und werden schnauben –
ein Stück gemeinsamen Algorithmus.

Zwei Oder und ein Und,
wenn A R positiv
bei 75 Zellen
mit 2 hoch 18 Stellen.
Bei 17 würde ein Hund
in Peking vorzeitig bellen
und wedeln mit dem Schweife,
und Nowaks Schönheitsseife
verbreitete Dorschlebermief.

Meine Frau
kennt mich genau
und spricht mich morgens nur an mit „begin!“
und einem Vau
in langwelligem Blau
und stellt mir neben das Jam
ein rotes M
mit einem kräftigen Akkumulator hin.

Ich induziere
Kontrollströmchen
und perseveriere
Zirkon-Arömchen
für den größeren Speicher, auf den ich spare,
zwei Jahre
und ich habe ihn,
schnappt mich nicht früher der Ho-Chi-Minh.

In diesem Speicher werde ich lösen
die Quadratur des Kreises,
die es nicht gibt,
und allerhand Leises,
auch das Problem
des „sogenannten Bösen!“
und der Schuh-Ösen,
die nicht ausreißen,
und der Dompteusen,
die der Löwe liebt
mit zärtlichem Beißen.

Abends betupft mich Clarisse
bei der Taste „end!“,
doch sie meint nur „stop!“,
des bin ich gewiß,

denn sobald sie entbrennt
bei der Schaltung Flip-Flop,
sagt sie immer „tipptopp!“
Ich leg ihr verschämt ein Zet
aufs Bett,
ganz violett.

Es macht so glücklich, Computer zu sein:
alle Schererein
verwandeln sich in Rechnerei
und gehn in Millionstel Sekunden vorbei.
In wenigen „bit“
kriegst du die ganze Weltunordnung mit;
im Grund
heißt die Frage ja immer „Sein oder Nichtsein“,
die erledigst du sogar ohne Und,
den ganzen Moder
mit einem einzigen Oder,
du mußt nur genug licht sein
und stets an die Oder-Grenze denken
beim Schönheitsbedarfs- und Polaris-Lenken.

Mit diesen Betrachtungen werb ich
für Nachwuchs auf meinem Gebiet,
denn irgendwann einmal sterb ich
an einem Ellipsoid,
an einer dritten Zahl neben Null und Eins,
an einem Stromstoß verkehrter Richtung,
einer unverdaulichen Information,
einer Benseschen Dichtung
oder zwei schlechtgewickelten Spulen…

Komm, laß dich schulen!

 

 

 

„… damit er nicht Schuh unter Schuhen werde…“

Während das Prosawerk Andreas Okopenkos dank Ralph Klever, der früher Lektor im Ritter Verlag war und nun seit Jahren selbst als Verleger tätig ist, weitgehend lieferbar ist, sind seine Gedichtbände (mit Ausnahme der späten sogenannten Locker- und Spontangedichte) allesamt vergriffen. Dem Verlag Jung und Jung und der Österreichischen Nationalbibliothek, wo Okopenkos Nachlass gepflegt wird, ist es zu danken, dass auch das bedeutende lyrische Werk dieses Autors dem Publikum wieder zugänglich gemacht wird. Neben einer Auswahl aus den zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichten erscheinen hier außerdem erstmals vier bisher unbekannte Texte aus der Sammlung Ich hab so Angst, daß die Chinesen kommen, die ich im Nachlass Okopenkos entdeckt habe. Einen Hinweis auf diese Sammlung gab ein Interview, das der Autor dem Österreichischen Rundfunk (Ö1) im Jahr 1969 im Rahmen einer Präsentation des Bandes Warum sind die Latrinen so traurig? gab. Ihr Titel, Ausdruck von Okopenkos Drang, sich dem politischen Lied zuzuwenden, spannt interessante Bögen zwischen damals und heute: Da ist der aufkeimende Kapitalismus, der heute weltbeherrschend ist; da ist von starken Veränderungen der Arbeitswelt die Rede (etwa im Gedicht „Der Computer“); da dringen die Medien ins Privatleben ein („Der Fernseher“); und da siegen in der Wahrnehmung der Welt irrationale Ängste über die Vernunft.
Was nun den Aufbau dieser Auswahl von Gedichten betrifft, für die ich alleine zu kritisieren bin, so ignoriere ich die übliche Einteilung in Schaffensphasen, die ausschließlich auf den Autor selbst zurückgeht. Okopenko war chronischer Chronist, deshalb hielt man wohl auch seine Selbstdarstellung für gültiger als jede Betrachtung von außen. Auch hat er selbst das Erscheinen der Bände Grüner November (1957) und Seltsame Tage (1963) sowie des Langgedichts „7. Mai“ im Band Orte wechselnden Unbehagens (1971) mit gutem Grund als „verspätet“ bezeichnet. Es erscheint mir darum an der Zeit, die Einordnung seiner Gedichte auf eine Basis zu stellen, die außerhalb seines Werks liegt und sich nicht aus seiner Biografie ergibt. Das ist keine Unfreundlichkeit gegen Okopenko, sondern, im Gegenteil, Zeichen jener Anerkennung, die vor allem seiner Lyrik bisher gefehlt hat. Zehn Jahre nach seinem Tod soll diese Auswahl ein Wegweiser sein für all die, die nachlesen wollen.

Andreas Okopenko war in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Dichter. Als junger Mann studierte er Chemie, die Vorliebe für die Begriffswelt und das experimentelle Vorgehen dieser Wissenschaft spricht sehr deutlich aus seinen Gedichten. Lange war er aber auch in der Redaktion der Kulturzeitschrift Neue Wege tätig, die sich in den 1950er-Jahren zu einer Bühne für den literarischen Nachwuchs entwickelte. Er diskutierte, korrespondierte und traf sich mit Autorinnen und Autoren wie H.C. Artmann, Ernst Jandl und Elfriede Gerstl, aber auch Hertha Kräftner, Herbert Eisenreich und Gerhard Fritsch gehörten zu seinem engeren Umfeld. Trotz oder vielleicht auch wegen all dieser Kontakte verfiel er nie auf die damals so beliebte Methode, sich durch Abgrenzung selbst zu definieren, im Gegenteil, er hat sich den Moden seiner Zeit stets verschlossen. Diese Mittel- und Mittlerposition wurde ihm freilich nicht als Stärke angerechnet, sondern als Schwäche ausgelegt. Auch war das Schreiben lange nicht sein einziger Beruf. Bis 1969 arbeitete Okopenko in der Buchhaltung einer Papierfabrik, vor allem, wie er mir bei einem Gespräch erzählte, um für seine vereinsamte Mutter sorgen zu können. Nach der Ermunterung durch Ernst Jandl wurde er am Ende aber doch das, was man „freier Schriftsteller“ nennt. Die späten 196oer- und frühen 197oer-Jahre waren seine produktivste Zeit, darum verwundert es auch nicht, dass er sich in den Gedichten aus dieser Zeit ihren politischen Diskussionen und Umbrüchen nicht entziehen konnte. Okopenko war zwar ein Sympathisant der Studentenbewegung, allerdings lehnte er jede Form der Dogmatik und ideologisierender Uniformität ab. Und er war ein früher und einsamer Kämpfer für die Gleichberechtigung der Frau, was sich in vielen Gedichten, etwa auch in „7. Mai“, sogar in der Grammatik niederschlägt, wenn dort an einer Stelle von Siedlungen die Rede ist, „wo einem Mädchen, die waschen hilft, der Sonntag-Tanz etwas bedeutet“.

Die Auswahl der Gedichte in diesem Buch folgt chronologisch ihrem Erscheinen. Im Zentrum steht das Langgedicht „7. Mai“, das ich für eines der bedeutendsten deutschsprachigen Gedichte des 20. Jahrhunderts halte, unter anderem deshalb, weil es das poetologische Koordinatensystem, in dem es sich bewegt und die Möglichkeit eines viel umfassenderen, ja potenziell endlosen Textes skizziert, aus sich heraus gewinnt. Dieses Gedicht ist die Essenz der jahrelangen Diskussionen über Realismus und Surrealismus, die den Autor auf der Suche nach tragfähigen ästhetischen Konzepten geprägt haben, in einer Zeit, als man sich mit aller Manifest-Wut der Orientierungslosigkeit, von der eine durch Diktatur, Deportation, Emigration und Krieg zerrüttete Gesellschaft auch kulturell und künstlerisch gekennzeichnet war, entgegenstellte. Okopenkos Beharren auf einer „komplexen poetischen Welthaltung“, die „Weltfülle beachtet“, verdankt sich vor allem seinem Einzelgängertum, das sich, wie gesagt, nicht durch Abgrenzung auszeichnete, sondern durch den Diskurs mit mehreren, unterschiedlich orientierten Formationen. Okopenkos formale und weltanschauliche Breite ist durchaus auch ein Ergebnis dieses Austauschs, der in der Diskussionskultur konkurrierender Gruppen nach dem Krieg wohl nicht immer einfach war. Im Rückblick war sein Zugang aber vielleicht auch lohnender. Die Sammlung, die hier vorliegt, soll das augenscheinlich machen.

Schon in Grüner November (Piper Verlag) stehen Naturgedichte, protokollierende Momentaufnahmen und poetologische Verse wie selbstverständlich nebeneinander. Letztere verdanken sich sehr unmittelbar der Mitarbeit Okopenkos in der Redaktion der Zeitschrift Neue Wege. Wir haben das Glück, dass seine Tagebücher im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek gesammelt sind (die Jahre 1949 bis 1954 wurden inzwischen im Rahmen einer digitalen Edition als Faksimile und annotiert im World Wide Web zugänglich gemacht), deshalb können wir die Entstehung mancher Gedichte nachverfolgen oder nachlesen, was Okopenko in Briefen dazu festgehalten hat (etwa an Friedrich Polakovics, dem in den Neuen Wegen lange federführenden Redakteur). Ihre freien Rhythmen sind immer wieder von metrischen Zeilen unterbrochen, und auch der Reim schleicht sich manchmal fast unbemerkt in diese Verse. Es ist das ein Markenzeichen Okopenkos, das die strenge Abgrenzung von Schaffensphasen im Grunde unmöglich macht. Die großen Vorbilder, allen voran T.S. Eliot, Walt Whitman und Dylan Thomas, sind in diesen Gedichten zu spüren.
Es folgt der Band Seltsame Tage (Bechtle Verlag), der dokumentiert, wie Okopenko sich „der fülligen Wirklichkeit“ im Gedicht annähert, indem der protokollarische Stil zu Ungunsten eines Motivs stärker hervortritt, und sein Diktum, es könne keinen „magischen Realismus“ geben, weil die Wirklichkeit magisch sei, praktisch umsetzt. Der Band Orte wechselnden Unbehagens (Residenz Verlag) zeigt schließlich, wie die Besessenheit von einer „komplexen poetischen Welthaltung“ literarischen Ausdruck findet: „7. Mai“ ist ein Gedicht, das nicht nur Einblick in ein Universum gibt, sondern selbst ein Universum ist.
1969, in dem Jahr, als sein Gedichtband Warum sind die Latrinen so traurig? (Residenz Verlag) erschien, gab Okopenko seinen Beruf als Buchhalter auf und wurde freier Schriftsteller. In seiner Lyrik wendete er sich verstärkt strenger Metrik, Reim und Strophenformen zu. Okopenko hatte keine Berührungsängste mit kabarettistischen Liedermachern wie Georg Kreisler und griff ihre Techniken (Doppelreim, Binnenreim, Enjambement) kongenial auf. In einem Interview sprach er auch davon, dass ihm die Vertonung dieser Gedichte ein Anliegen sei (später würden verschiedene Interpreten und Musikgruppen wie die Worried Men Skiffle Group dafür sorgen). Mit „Ich hab so Angst, daß die Chinesen kommen“ und Der Akazienfresser (Residenz Verlag, 1973) griff der Dichter dann zum Protestsong, zum politischen Lied und Bänkelsang und bewies auch darin eine Meisterschaft, die abseits vom Formalen in der Fähigkeit liegt, in der Fülle der Welt das Augenmerk auf Vorgänge zu legen, deren Bedeutsamkeit nicht auf zeitgenössische Relevanz beschränkt ist.

Ich hoffe, es ist mit dieser Auswahl gelungen, auf kleiner Karte eine poetische Galaxie zu skizzieren, deren Entdeckung und Erforschung lohnend erscheint und zur weiteren Pflege dieses lyrischen Werks anregt. Dies zumindest hat sich Andreas Okopenko verdient – „damit er nicht“, wie der Schuster Rappototschnigg im Gedicht „7. Mai“, „Schuh unter Schuhen werde“.

Daniel Wisser, Jänner 2020, Nachwort

 

Andreas Okopenko

ist einer der großen Einzelgänger der österreichischen Literatur, einer, der sich zeitlebens abseits gehalten hat und dem doch eine zentrale Stellung zukommt, als Autor von Gedichten und Liedern wie formal innovativer Romane. Neben Zeitgenossen und Wegbegleitern wie H.C. Artmann und Ernst Jandl gilt er als einer der bedeutendsten Lyriker der österreichischen Literatur nach 1945. Und wie diese beiden hat sich auch Okopenko mit Titeln wie Warum sind die Latrinen so traurig? ins Gedächtnis mehrerer Generationen eingeschrieben. Mit seinen Spleengesängen, Lockergedichten und Schwänzelliedern hat er eigene Genres geschaffen, in denen er es mit melancholisch-lakonischem Witz zu unübertroffener Meisterschaft gebracht hat. Okopenko war ein Großer unter Großen. Vielleicht ist er auch deshalb immer ein Unbekannter geblieben. Das soll sich ändern, nicht zuletzt durch dieses Buch, eine handverlesene Auswahl aus seinen Gedichten, besorgt von Daniel Wisser, einem der besten Kenner seines Werks.

Jung und Jung Verlag, Klappentext, 2020

 

Beiträge zu diesem Buch:

Timo Brandt: Worte wechselnden (Un)Behagens
signaturen-magazin.de

Nachtbilder. Es liest Marc Vogel. Gestaltung: Nikolaus Scholz. Redaktion: Edith-Ulla Gasser
Ö1, 27.6.2020

 

Erstes Wiener Heimorgelorchester spielt Andreas Okopenkos „Neffenbesuch“

 

Onsem 2020: Wie Daniel Wisser in die Fußstapfen von Andreas Okopenko tritt – Christian Zolles

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber
Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Adolf Haslinger – Laudatio zum Großen Österreischischen Staatspreis 1998.

Konstanze Fliedl – Laudatio zum Georg-Trakl-Preis 2002.

 

Zum 90. Geburtstag des Autors:

Daniel Wisser: Der sanfte Linke
Die Presse. 13.3.2020

Zum 10. Todestag des Autors:

Karin Ivancsics: Eine Freundin erinnert sich
Die Presse, 25.6.2020

Fakten und Vermutungen zum Autor + ÖM + KLG + Tagebücher +
Nachlass + Internet Archive + Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA
Nachrufe auf Andreas Okopenko: Die Presse ✝ sonne & mond ✝
NZZ ✝ in|ad|ae|qu|at

 

Andreas Okopenko: Anarchistenwalzer gesungen von Palma Kunkel.

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