MIDLIFE
O Tagebuch, o Tagebuch,
wie grau sind deine Blätter.
Wo blieb „des Lebens goldner Baum“,
wo blieb das Meer im Pfeifenschaum?
O Klagefluch, o Klagefluch,
bald gibt es schlechtes Wetter.
nenne ich Gedichte, die dem Autor in besonderem, angeregtem Zustand durchwegs „auf einen Schlag“, ohne praktisch merkliches Nacheinander oder gar Erarbeiten, eingefallen sind, so daß er Mühe hatte, mit dem Stenographieren nachzukommen oder die Gedichte, die wie aus einem Schnelldrucker ins Bewußtsein brachen, in den Sekunden danach kurzschriftlich zu rekonstruieren.
Von der Spontanität ausgenommen sind öfters Titel, Interpunktionen, Abschnittbildungen und Wortformen, etwa bei der Transkription der Umgangssprache. Die Aussprache mundartlicher Gedichte (auch solcher in falschen Mundarten oder in Mundartgemischen) habe ich weder phonetisch noch artmannsch fixiert, sondern nur beiläufig angedeutet.
eine Ausnahme bilden auch einige wenige Gedichte, die ich im Inhaltsverzeichnis eigens gekennzeichnet habe: an ihnen war eine minimale Änderungsarbeit geschehen.
Andreas Okopenko, Nachwort
– Über Andreas Okopenkos anregende Lockergedichte. –
Andreas Okopenkos Lockergedichte brauchen selbst mit den besten Pissoir-Sprüchen der Welt den Vergleich nicht zu scheuen. Denn sie untergraben wie diese das Wahre, Schöne und Gute mit Hinweisen aufs Banale, Stupide und im wörtlichen Sinn Beschissene. Andernorts mögen „Die Lieben Kleinen“ z.B. durchaus Objekte des Entzückens sein. Den Lockerdichter Okopenko inspirieren sie gerade deshalb zu folgendem ungustiösen Zweizeiler:
DIE LIEBEN KLEINEN
In der Brotdose
lag die Kothose
Und das Thema „Tod und Verklärung“, für dessen Erledigung Richard Strauss eine ganze symphonische Dichtung benötigte, bewältigt Okopenko ebenfalls in zwei Zeilen und mit minimalem lyrischem Aufwand:
TOD UND VERKLÄRUNG
Jedes Backhuhn
war einmal ein Kackhuhn
Nun sind solche Sprüche genau besehen ja von eher bescheidenem Humor. Doch tut dies ihrer Wirksamkeit keinen Abbruch. Ihre eigentliche Pointe besteht nämlich darin, daß sie eben nicht auf den Wänden öffentlicher Bedürfnisanstalten publiziert wurden, sondern in einem schön gedruckten, solid gebundenen Buch mit blauem Schutzumschlag. Dessen dezent verspieltes Layout scheint zwar eigentlich Subtiles ankündigen zu wollen. Doch werden dadurch die ordinären Reize der Okopenkoschen „Lockergedichte“ nur notdürftig verhüllt. Sie poltern ungerührt ins heutzutage meist schöngeistig polierte Reich der Lyrik hinein, und zwar auf durchaus groben Versfüßen:
KERNSPRUCH
Brunzen muß a jeder
ob Metall, ob Leder.
In der schieren Absurdität der letzten Verszeile deutet sich jedoch auch an, daß Okopenko nicht ausschließlich in die unterste Schublade des Humors greift. Sehr wohl erwecken seine simpel gereimten Zweizeiler kompliziertere Assoziationen. So trägt ein Gedicht den Titel: „Petrus, Auslöffeln wehrend“. Das klingt wie eine Frage aus dem Kreuzworträtsel der Zeit, und in der Tat muß man um mehrere Ecken denken, um den Witz des zugehörigen Verses zu erfassen:
Ich kenne dieses Menschen nicht.
Nein, dieses Menschen kenn ich nicht.
„Ich kenne dieses Menschen nicht“ – so sagte bekanntlich Petrus, als er seinen Herrn verleugnete. Der Suppenkaspar aus Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter hingegen pflegte vor dem Essen zu rufen:
Ich esse meine Suppe nicht.
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht.
Nur wer diese Querverbindung zwischen Bibel und Kinderbuch herstellen kann, wird den abgründigen Humor dieser beiden Zeilen zu würdigen wissen. Allerdings ist der Autor so freundlich und gibt durch das Wort „Auslöffeln“ im Titel eine nicht zu übersehende Hilfe.
Lockergedichte – das sind also zirka 200 meist zweizeilige, fast immer gereimte Verse. Unter dem Titel Immer wenn ich heftig regne sind sie vor kurzem im Wiener Deuticke-Verlag erschienen. „Locker“ geht es in diesem Buch gleich auf mehrfache Weise zu: Okopenko verletzt nämlich, wie gesagt, systematisch die Grenzen des sogenannten „guten Geschmacks“ und untergräbt die Standards des gleichfalls sogenannten – „literarischen Niveaus“.
Außerdem entwirft Okopenko aber auch ein Selbstbildnis vom Künstler als Schnellschreiber, der seine Verse ohne jede Anstrengung aus allen verfügbaren Ärmeln schüttelt. Der Begriff Lockergedichte bezeichnet nämlich für ihn nicht nur die Form des fertigen Gedichts, sondern auch die Art und Weise seiner Hervorbringung. Und da Okopenko ein literaturtheoretisch versierter Autor ist, weist er darauf selbst in einer kurzen programmatischen Erklärung hin.
Ginge es nun restlos seriös zu in diesem Buch, dann stünde diese poetologische Erläuterung ganz am Anfang als Vor-, bzw. ganz am Schluß als Nachwort. Doch genügte dies kaum der Forderung nach „Lockerheit“. Deshalb findet man die Theorie als „Zwischenwort“ in der Mitte des Buches, auf Seite 61. Sie beginnt mit dem Satz:
Lockergedichte nenne ich Gedichte, die dem Autor in besonderem, angeregtem Zustand durchwegs ,auf einen Schlag‘, ohne praktisch merkliches Nacheinander oder gar Erarbeiten eingefallen sind, so daß er Mühe hatte, mit dem Stenographieren nachzukommen oder die Gedichte, die wie aus einem Schnelldrucker ins Bewußtsein brachen, in den Sekunden danach kurzschriftlich zu rekonstruieren.
„Locker“ ist also vor allem der „besondere, angeregte Zustand“ des Autors, der ihn zu seinen poetischen Geistesblitzen befähigt. Wer will, kann in diesem Programm Ähnlichkeiten mit H.C. Artmanns Theorie des „poetischen Aktes“ bemerken, und zugleich darauf hinweisen, daß als beider Vorbild wohl die „écriture automatique“ der französischen Surrealisten in Frage kommt.
Doch wäre mit dieser literaturgeschichtlichen Rückversicherung alleine der Wert der Lockergedichte noch keineswegs garantiert. Im Gegenteil: Nichts ist langweiliger als ein epigonaler Avantgardismus, der für sich nichts anderes in die Waagschale werfen kann als Treue zu poetischen Programmen von gestern und vorgestern. Doch ist dies bei Okopenko nicht der Fall. Sein „angeregter Zustand“ überträgt sich auf den geneigten Leser ohne jeden literaturtheoretischen Zwischenträger.
Oder, um es in der Sprache der Lockergedichte zu sagen:
Fällt n leichter Strichregen,
kannste dir zu mich legen.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Hermann Schlösser, Wiener Zeitung, 7.8.1992
Richard Schatzl: Lockerdichter. Andreas Okopenko zu Gast am/im Lacus Felix
Salzkammergut-Zeitung, 7.3.1991
Klaus Kastberger: Lockerliteratur
Falter, Heft 14, 1992
Rudolf Bind: Im Freien ist gut schneien oder In den Komponisten nisten Komponisten. Spontane Einfälle und aufrechte Hockergedichte von Okopenko
Das Goetheanum, 2.5.1993
Heinrich Stöberer: Lockerer Nonsens
Kronenzeitung, 29.6.1992
Franz Richter: Spitzentanz der Wörter
Die Furche, 20.8.1992
Sonja Roller-Eller: Poetische Knallfrösche
Südkurier, 21.11.1992
T. Th.: o.T.
Der kleine Bund, 16.1.1993
Wendelin Schmidt-Dengler: Besprechung der Gedichtbände „Immer wenn ich heftig regne“ und „Schwänzellieder“
Ex Libris. Das Bücherradio von Ö1, 26.7.1992
endlich andreas okopenko kennengelernt, lesung aus dem neuerschienenen grünen november, kenne seine gedichte seit jahren aus den neuen wegen…
so hätte 1958 ein tagebuchblatt beginnen können, das, abgesehen von genauer datierung, kein mehr an objektivierbarer richtigkeit beanspruchen könnte als meine jetzt abzurufenden erinnerungen an jahrzehnte zurückliegende ereignisse. als ich anfang der 50er jahre meine ersten gedichte zu schreiben begonnen hatte, noch eingehört ins pathos selbst entdeckter, von der schule aufgetischter oder von hermann hakel empfohlener gedichte, erstaunten und begeisterten mich die „modernen“, h.c. artmann, ernst jandl, ernst kein, walter toman und immer wieder andreas okopenkos gedichte, gedichte, aus denen mir ein befreiender luftzug entgegenwehte.
endlich auch in der lyrik ein zeitgenössisches vokabular, ein ungenierter umgang mit tabus und trivialität, lapidar und sensibel, die emotionalität und Intellektualität der dafür empfänglichen stimulierend.
da ich zu dieser zeit noch nicht tagebuch schrieb, bin ich nicht in der lage zu sagen, welche okopenko-gedichte mich wann erreichten, beeindruckt haben – aber einerlei, ich pilgerte also fröhlich erwartungsvoll in die wiener urania, die ich ja aufzusuchen gewohnt war, weil einmal der selten lob verteilende, meist apodiktisch verurteilende hermann hakel dort residierte (sehr viele alternativen gab es ja nicht: hakel, weigel oder die isolation). in der urania besuchte ich auch die rettende leihbibliothek, in der frau kornfeld trakl, brecht, kafka für mich bereithielt, bücher, die ich mir zu dieser zeit nicht zu beschaffen gewusst hätte.
nach dieser okopenko-lesung trafen wir uns regelmässig mit otto laaber, walter buchebner und wechselnden neue-wege-autoren, zunächst in cafés, später in der hintzerstrasse im dritten bezirk, der bücherei, in der buchebner als bibliothekar arbeitete.
okopenko war für uns die (auch theorie-)belesene autorität, streng im beurteilen unserer texte, aber konstruktiv, nie einen so niederbügelnd, wie es einem bei hakel geschehen konnte.
auf diese rolle bestens vorbereitet war er durch seine neue-wege-zeit, genauer in dem der redaktion zuarbeitenden lektorierenden arbeitskreis, dem z.b. artmann, rené altmann, ernst kein und hanns weissenborn angehörten. besonders artmann dürfte der wichtigste anreger gewesen sein. er verstand es, bei altwarenhändlern anders nicht erhältliche kostbarkeiten aufzustöbern, texte (etwa aus dem spanischen) auch selbst zu übersetzen und der gruppe mit gewiss mitreissendern enthusiasmus zu präsentieren. okopenko hatte also diesen vorsprung, hatte mehr und anderes als wir (laaber, buchebner, kirchmair und ich), uns gar nicht zugängliches gelesen und erörterte routinierter seine kriterien, die wir grossteils akzeptieren konnten. wir fühlten uns fast alle als rationalisten (positivisten), laaber und ich studierten beim experimentalpsychologen rohracher, okopenko hatte chemie studiert, buchebner neigte zeitweise zu buddhistischen lehren, verlor sich zeitweise auch an ideen von beatnik-nachfolge.
surrealismen, metafernsalat, alles wolkige lehnten wir – wie okopenko – ab, politisches, soziales engagement musste ironisch „verarbeitet“ präsentiert werden, in den grundlagen war man sich mit ihm einig.
meist übernahm ich den rundruf, immer in der egoistischen sorge, wieder in die totale vereinsamung zurückzufallen und niemand kompetentem die neu entstandenen texte zeigen zu können. von der trockenheit der kulturellen wüste dieser zeit kann sich ein(e) heutige(r) autorin/autor im überbordenden, inflationären angebot der literarischen veranstaltungen keine vorstellung machen. nachdem sich der kreis mit buchebners tod aufgelöst hatte, blieb mir okopenko durch die jahrzehnte ein verlässlicher freund, ein anteilnehmender und sensibler zuhörer.
manchen gedichten sieht man ihr alter, ihre entstehungszeit, ihr (historisches, soziologisches) umfeld an, und welche beauty sie einmal waren, manche haben etwas von ihrer strahlkraft verloren und manche sind evergreens. einige gedichte, lieder, zeilen, formeln, er-findungen okopenkos können einfach nicht veralten: „Die Kastanien rosten nicht mehr“ oder „kam ein Käfer aus dem Busch gefahren“, die feine piccolezza „Juliabend // Es riecht nach Fröschen. / Leuchtend schnappt ein Feuerzeug. / Lang ist der Sommer.“
was kann einem autor solch feiner gespinste, konstrukte – wie immer man solche hervorbringungen nennen will, noch viel passieren – sie haben im bewusstsein einer passenden person ihren ort gefunden.
Elfriede Gerstl, aus Konstanze Fliedl und Christa Gürtler (Hrsg.): Dossier 23, Andreas Okopenko, Literaturverlag Droschl, 2004
Adolf Haslinger – Laudatio zum Großen Österreischischen Staatspreis 1998.
Konstanze Fliedl – Laudatio zum Georg-Trakl-Preis 2002.
Daniel Wisser: Der sanfte Linke
Die Presse. 13.3.2020
Karin Ivancsics: Eine Freundin erinnert sich
Die Presse, 25.6.2020
Andreas Okopenko: Anarchistenwalzer gesungen von Palma Kunkel.
Schreibe einen Kommentar