INVENTARVERZEICHNIS
Der schreibtisch, weiß, vom radio verwaltet,
der bauch vom tisch. Papier ist ausgefaltet,
die messinghände spreizen ihre flammen
und vögel, blau, die von den fischen stammen,
ziehn dünne fäden zwischen meinen wänden.
Die hohen blumen wolln den trübsinn pfänden.
Der tonbandrollen dunkle jahresringe,
die unbenutzte, schlecht geknüpfte schlinge,
die ton-oblaten, die im spitzlicht kreisen
und briefe, die mir meinen wert beweisen,
die alten gläser wie genußversprecher,
der bodensatz im schmalen silberbecher,
das aufgewölkte heu, die lederjacke,
im ofenloch die mondsteinfarbne schlacke,
die dunklen socken und berühmte rosen,
die hellen laken und die engen hosen,
die schmetterlinge mit den schwarzen lettern
sind eingestallt auf den erblaßten brettern.
Ihr braunen schuhe, ihr geschickt genähten:
werd ich in euch das herkunftsland betreten?
Von solchen dingen laß ich mich begleiten.
Ein hühnergott bewahrt vor bitterkeiten.
O schreibtisch, weiß, vom radio verwaltet!
Ihr dinge all, die ihr, erhaltend, haltet!
Wenn einer seins allein nicht tragen kann,
sei festgestellt: der mann kam endlich an.
das Lyrikdebüt von Andreas Reimann, wird hiermit neu aufgelegt. Trotz der Widerstände von Seiten der DDR-Kulturbehörden erschien das Buch 1975 im Mitteldeutschen Verlag. Es enthält Gedichte aus den Jahren 1971 bis 1973, wobei einige Texte ihren Ursprung 1969/1970 haben, als der Autor wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert war. Seinerzeit erlangte der Band große Aufmerksamkeit bei den Lesern, es erfolgten zwei Nachauflagen, dennoch fand Andreas Reimann in der offiziellen DDR-Literatur keinen Platz.
Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, Ankündigung einer Neuauflage als Werke Band 2
(…)
Reimanns Gedichte kommen weit anspruchsvoller daher. Sie verleugnen nirgends ihre Herkunft aus Brecht und Volker Braun. Aber schön wird es offenbar erst, wenn es nicht nur poetisch ausgedrückt (Alliterationen, Metapher), sondern auch noch schön verwickelt ist:
Leicht komm ich leichten leibes zutage
Von meines aufstands scheerner nelke
ist blühend belobigt dein fröhliches fleisch
Über Wortspiele stolpert man geradezu – „Hier halten nicht an die bezüglichen Züge“, „Endlich unendlich die jahrzeit forsythia“, „Gras wächst darüber, gings drunter und drüber, wächst gras“, „immer die lämmer, und unschuldsbeschuldigt“, Leiblos wär leidlos“. Aber es geht natürlich auch einfacher: „Wessen sprache, da ich doch spreche /zsprech ich?“. Und man ist inzwischen nicht mehr erstaunt, wenn der Hölderlin-Ton aufgewärmt wird (mag das Bild ruhig schief sein…):
Auch diesen sommer gönnt, ihr gewaltigen
in unserm dienst, zu übendem liede uns
und lockrer rede: dies verbände
so uns, wie mann und frau sich paaren.
Reimann hat wirklich etwas zu sagen, und schreiben könnte er wahrscheinlich auch, wenn er sich einmal nicht solcher Mätzchen bediente. Parolen ergeben auch kein Gedicht („in allen Farben sag ich: rot, rot, rot!“), eine gestelzte Sprache aber noch weniger. Und wäre es nicht so traurig, daß ein DDR-Verlag sich für derlei Kitschiges finden läßt, könnte man auf die Idee verfallen, Friederike Kemper hätte in Leipzig einen Lehrstuhl für Poetik inne.
Ferdinand van Ingen, Deutsche Bücher, Heft 4, 1978
Beitrag zur Erstausgabe
Der Lyriker Andreas Reimann publiziert seit nahezu zwei Jahrzehnten, zunächst in Zeitschriften und Anthologien. Der vorliegende, im Mitteldeutschen Verlag erschienene Band Die Weisheit des Fleischs ist die erste eigenständige Sammlung seiner Gedichte, die oftmals das Ergebnis einer langwierigen gedanklichen Entwicklung sind.
Der Titel ist keineswegs Programm. Er ist aber unbedingt Ausdruck für die Persönlichkeit Reimanns, wenngleich auch noch kein Hinweis auf die stimmungsvoll-wechselhafte, die doppelt begabte Persönlichkeit, die somit auch doppelt belastet ist. Hinweis sind am ehesten schon die Illustrationen des Autors, die den Band ergänzen, ihn erweitern. Illustrationen, die das Anschauen so wenig erleichtern wie die Gedichte das Lesen. Illustrationen und Gedichte, die in ihrem allegorischen, bisweilen surrealem Arrangement überquellen vor Fülle.
Daß Fülle gleich Freude ist, das ist nicht leichthin zu bejahen. Viel eher gelingt es Reimann fast, die Furchtsamkeit auf die Leser zu übertragen, die ihn zu seinen überschäumenden Arbeiten veranlaßt. Nicht rechtzeitig genug und richtig alles zu sagen, was zu sagen wäre, ist offenbar seine Sorge. Das festgestellt, ist es allemal abwegig, dem Lyriker Pessimismus nachzusagen, denn mit der Selbstverständlichkeit für das Sinnliche preist er die Dinge der Lust (Liebe, Freundschaft, Essen, Trinken) wie alle geistigen Lustbarkeiten.
Nun läßt der Dichter Reimann aber keinen Zweifel daran, daß gerade der Lebens-Lust-Gewinn die eigentliche Schwierigkeit ist. Und weil das so ist, er alle Nuancen der Trauer, der Klage, der Melancholie, des Schmerzes kennt und gar nicht erst zu leugnen versucht, ist er hartnäckig darauf aus, den Spaß und immer wieder den Spaß an allem zu gewinnen. Und zwar zuerst einmal für sich.
Reimann ist mit hoher Ausschließlichkeit an seinem Individuum interessiert, in dem die ganze Welt sein kann. Diese Welt sieht und begreift er in Bildern, macht sie in seinen lyrischen Bildern begrifflich. Wie ein Stuckateur sorgt er für die reiche Arabeske an einer hochaufragenden Säule. Klopft man jedoch die Arabeske ab, kann es auch geschehen, daß nichts bleibt, daß alles schöner Zierat war. Aber selbst dann bleibt die Gewißheit passabler Handwerksarbeit.
Bemerkenswert auch das sensible Empfinden des Lyrikers für Sprache. Weltbedeutung und Wortklang kennt er gut, weiß er entsprechend zu nutzen, so daß seine Sprache stets rhythmisch gerät, auch dann, wenn er nicht das reimbildende Versmaß benutzt.
Propagandist der sinnlichen Freude
Daß das entschlossene Über-sich-selbst-Nachdenken immer auch zu einem Nachdenken über andere und anderes werden kann, ist dadurch gegeben, daß er gewohnt ist, über alles nachzudenken, was ihm widerfährt und begegnet: die Menschendinge und die Dinge, die zu den Menschen gehören. Auf diese Weise wird der Propagandist der sinnlichen Freude zu einem philosophischen Formulierer, der subjektive Wirklichkeitserfahrungen beschreibt, um seine Wahrheiten zu nennen. Liebenswerte und garstige Wahrheiten, die Erkenntnis und die Ehrlichkeit im Erkennen zutage fördern, nie aber um irgendwelcher Gefälligkeiten willen artikuliert werden.
Da dem Lyriker zudem die Vitalität eines kraftvollen Erzählers eigen ist, bleiben viele seiner aphoristisch verkürzten Aussagen ein Bestandteil seiner legendeähnlichen, an alte Weisen erinnernden Geschichten, die manchmal sogar märchenhafte Eigenschaften zeigen. Nicht selten von hymnischer, odischer Charakterfahrung, haben Reimanns Gedichte oft eine Feierlichkeit, die Zeichen seiner Ergriffenheit ist und keinen Leser unbeteiligt läßt.
Bernd Heimberger, Neue Zeit, 9.8.1976
Beitrag zur Erstausgabe
Andreas Reimann: „Leipzig feiert pausenlos“
Peter Geist: „die ganzlust hab ich“ – zu den Gedichten von Andreas Reimann
Porträt des Lyrikers Andreas Reimann
Peter Geist: „Ich flagge die fahne protest!“
Ostragehege, Heft 87, 5.3.2018
Gespräch Alexander Mayer mit Andreas Reimann: Leipziger Lyriklegende Andreas Reimann: Schreiben aus Notwehr
mdr KULTUR, 11.11.2021
Michael Ernst gratuliert Andreas Reimann zum 75. Geburtstag
mdr.de, 8.11.2021
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