ARCHE DER DINGE
Zu paaren traben nach den kakerlaken
die autos in die arche, cola-dosen
nebst plastik-tüten und silastik-hosen.
Aus kinderzimmern kriechen gummi-kraken
behende auf das deck, recorder beaten,
um einlaß bittend. Spuckende computer
verdrängen noah hackerisch vom ruder.
Das bier büchst aus, die einweg-flaschen mieten
als deponie sich das ge-fährschiff an.
Und treibt aus einer planke auch ein reis:
Ist es gerecht, o herr, daß du uns schonst?
Die gülle steigt. Hebt so nur ab der kahn?
O herr, verzeih mir, daß ich ahnend weiß:
Die sintflut kostet viel. Und ist umsonst.
Ein zu DDR-Zeiten vom ersten Herausgeber der Reihe beflügeltes Heft war nach dessen Weggang aus dem Leseland obsolet; zudem war der Obrigkeit Reimanns Lebens- und Arbeitsweise und deren Resultate suspekt. – „Andreas Reimann gehört gewiß zu den Autoren der DDR, denen – nicht allein durch die Haft, sondern durch fortwährende Publikationsverweigerung und ständige Observierung – am übelsten mitgespielt wurde. Daß er dieser Zerstörungs- und Zermürbungstätigkeit mit ästhetischer wie philosophisch-politischer Kreativität entgegnete, ist bewundernswert“, schätzt Peter Geist das damalige und seitdem entstandene Œuvre.
Ankündigung in Adolf Glaßbrenner: Poesiealbum 335, Märkischer Verlag Wilhelmshorst, 2018
Reimann ist der unbekannteste unter den bedeutenden deutschen Dichtern.
Karl Corino
Reimann ist der Wort-Wechsler im Widerstand gegen das Verwechseln der Worte geblieben. Er ist der formbewußte Lyriker, der sich der Verlotterung der Inhalte durch verlotterte Formen widersetzt.
Bernd Heimberger
Reimann schrieb über das Land, an dem er litt, weil es ihn ausgrenzen wollte, politisch wegen widersetzlichen Charakters, moralisch wegen Liebe zum gleichen Geschlecht, und eben überhaupt, weil er schrieb und zeichnete, was die Behörde lieber beschlagnahmte und in Akten verschloß, als es der Öffentlichkeit preiszugeben.
Gerhard Wolf
Reimann setzt auf Aufbruch, Bewegung, Widerstand gegen Verfestigungen. Bei aller klassischen Strenge verleugnet er nicht ein anderes Erbe: das der lyrischen Moderne. Besonders in der Metaphorik und in den Bildverknüpfungen erscheint er als Nachfahre Arthur Rimbauds. Er weiß die Bennschen „Wallungswerte“ in Klangmagie und harten Fügungen ebenso für sich zu nutzen wie die Möglichkeiten der Bildparadoxa. Der dialektische Sprachwitz Brechts scheint durch.
Peter Geist
Reimann insistiert zur Vergewisserung. Mit lauter Trotz-alledem-Lust verfaßt er deftig-zärtliche Liebesgedichte, kleidet Unmut in feinste Ironie und verschenkt in gebotener Verzweiflung dennoch positive Energien.
Janina Fleischer
Märkischer Verlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2018
Andreas Reimann trat zwar schon als 11jähriges „Wunderkind“ mit Lyrismen in Erscheinung; der später der DDR unbequeme Dichter durfte aber nur punktuell publizieren – und auch kein Poesiealbum. So wurde er zum Geheimtip, zu einem der unbekanntesten, aber bedeutendsten Lyriker der , Sächsischen Dichterschule‘. –
Aus diesen Erfahrungen, seinen Schlängelbewegungen durch die Sperrverhaue der DDR-Kulturpolitik, gelangen ihm Gedichte, die zum Stärksten gehören, was die DDR- und Post-DDR-Literatur hervorgebracht hat. Nach den Choraltexten für die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche zur Wendezeit schlossen sich seither großartige Lieder und Balladen an, in denen sich der formbewußte Lyriker der Verlotterung der Inhalte durch verlotterte Formen widersetzt.
Märkischer Verlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2018
„Land, laß mich fahrn“, schreibt Andreas Reimann in einem seiner frühesten Gedichte, um 1964. Ein großer Lyriker der sächsischen Dichterschule wurde siebzig in diesen Tagen. Zum Festakt kann ich leider nicht kommen, denn ich fahre. Gen Hainichen, der Stadt Gellerts, über Chemnitz.
Zu Werner Heiduczeks Neunzigstem, auch nicht lang her, traf ich Andreas Reimann, und er verstand meine Entschuldigung, mein Fernbleiben. „Ach, du hast eine Mugge“, sagte er, was will man machen als Freiberufler, Schreiber, Künstler, die Zeiten sind hart, jeder Euro muss mitgenommen werden, Herbst der Dichter, Geburtstage, Totentage.
Es wächst der heerwald unentwegt:
o holz, aus dem man keulen schlägt…
Und im Zug Richtung Chemnitz verwundert mich dieser Zug Richtung Chemnitz, alte Abteile, chromblitzende Türgriffe…, und ich frage die Schaffnerin. Der Zug sei Ende der Dreißiger erbaut wurden. Nun wieder im Einsatz. Und wie er dahinfliegt, durch unsere Städte und Dörfer!
Weh uns, weh uns!: wie eine Fahne, rot,
rast hin der zug, ein langer feuerstrich…
der lack zerspringt: ein brauner anstrich kot.
Wie friedlich es ist in Hainichen, Stadt Gellerts. Und wie heimisch ich mich fühle auf dem leeren Bahnhofsvorplatz und wie fremd. Jugendliche, um ein Auto versammelt, zwei Flüchtlinge vorm Penny. Und Fürchtegott Gellert flüstert:
Ein Tier folgt den Fesseln der Natur, ein Mensch dem Licht der Seelen.
Und an Hubert Witt muss ich denken, bei meinem Gang durchs nächtliche Hainichen. Am Vormittag zu Grabe getragen im Norden von L., der Lektor Hilbigs, der Nachdichter, der Reclam-Mann, wacher Geist und waches Herz der Stadt L., die die Geister und Herzen so dringend braucht! Wie Heiduczek, wie Reimann, „doch abschied nahm ich, odysseen / erwarten mich. Fällt stein auf stein / und nennt sichs welt? Werds überstehn, / nehm abschied ich, um hierzusein.“
Andreas Reimann, am 11. November 1946 in Leipzig als Enkel des vielseitigen, witzigen Dichters Hans Reimann geboren, war von ganz anderem Format als sein Vorfahr. Er geriet, wie das einigen Poeten passierte, mit der Macht und den Mächtigen in der DDR in Konflikt, aber er schrieb über solche Zeiten und seine Lebensumstände Gedichte. Und nach etlichen anderen Bänden ist nun eine Auswahl – getroffen von Axel Helbig, dem Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift Ostragehege – im Poesiealbum Nummer 336 erschienen. Gedichte über das Dichten und Dichter, über Markkleeberg und Nacktschnecken, auch über Hanns Eisler. Da heißt es denn:
Was sagt die stadt zu dem verlornen sohn:
„Ein komponist? Bedaure!: Ha’m wir schon!“.
Da ist er bald schon wieder auf ganz eigenwillige Art bei seinem Vorfahren gelandet. Und der Kritiker Peter Geist meint, „der dialektische Sprachwitz Brechts scheint durch“. Übrigens, die Grafik des Bandes stammt auch aus der Feder von Andreas Reimann, und wie es sich damals gehörte: Die Stasi kassierte sie für ihre Akten.
Leichtfertige Lüge: von einem Menschen zu sagen, er schlage sich durchs Leben. Es ist das Leben, das schlägt, und der sich da angeblich durchs Leben schlägt ist damit geschlagen, nicht zurückschlagen zu können. Nicht zu wollen.
So wurde Andreas Reimann in der DDR Transport- und Hilfsarbeiter – und Exmatrikulierter und Häftling und Verzweifelter. Und Dichter großer Verse:
wieso eigentlich
wirds einem nicht leichter, wenn man im leben
etwas verliert?
Oder:
zu totengräbers erleichterung
nisten wir ärmeren schweine
letztlich in leichterem holz.
oder:
Die sintflut kostet viel. Und ist umsonst.
Ein Heft der Reihe Poesiealbum präsentiert nun 38 Gedichte Reimanns, auch einige Erstveröffentlichungen. Gedichte über Schreibtisch und Einzelhaft, die Toscana und Markkleeberg. Gleichsam das Porträt eines unbezähmbaren, lustvoll wilden Lebensschmerzes, und diesem Schmerz gibt der 1946 in Leipzig Geborene einen Ton, der im Wüten heiter schwingen kann, der jungenhaft forsch ins Dunkle wandert, der mitunter im Schweigen ankommen will und sich doch ständig in erregten, scharfen oder ehrlich müden Wellen bewegt. Wellen der Unnachgiebigkeit, mit einem „intakt schizophrenen gehirn“ wach und entschieden zu bleiben:
man muß nicht fliegen können, aber wollen!
Dieser Poet ist ein Maß-Sprengender. Er intoniert feinnervig und impulsiv. Rimbaud streunt durchs Gemüt, dessen „trunkenes schiff… ein meer aus den tümpeln“ machte. Dichtung über unerwiderte Zuneigungen, Trugbilder und Traumbilder, Verletzungen und Verhetzungen, Beschwichtigungen und Bezichtigungen, Verstellungen und Selbsttäuschungen. Schreiben, damit sich alle Aggressivität, alle Gequältheit, alle Spaß-Wütigkeit und aller Zeit-Zorn endlich auflösen darf in Ausdruck.
Die Flucht ist so radikal, dass der Dichter gleichsam sein eigenes Inneres durchstößt und „an dem jenseitigem Ufer der Seele“ (Kleist) Weltentdeckung feiert. Man meint im Vers aber auch der Welt zuschauen zu können, wie sie ihre Selbstbewusstseinsvernichtung betreibt.
Reimann wehrte sich gegen das berüchtigte 11. SED-Plenum 1965, gegen die Panzer in Prag 1968 – das Elend der Zivilcourage passt in zwei Zeilen:
„Wie weit darf man gehen“ fragten die einen,
und waren also schon gelähmt.
Revolution?
Wie wildwein wuchert die wände herauf
das blut der erschlagenen, das nichts mehr zählt,
als in den mörtel zu bluten.
Reimann besingt das Nashorn:
so würdig sein! Und: völlig unbrauchbar.
Verse einer Existenz, die mit den plagenden Aktualitäten des Daseins und sämtlichen Realismen nur deshalb einen Vertrag schließt, um unbestechlich auf die Ausstiegsklausel zu pochen. Herzpochen eines Menschen, der im Überschaum seiner Satzmelodien das Weite sucht: sich selber. Uferloses Unterfangen, also: große Hoffnung, dass die Horizonte nie ausgehen.
Andreas Reimann: „Leipzig feiert pausenlos“
Peter Geist: „die ganzlust hab ich“ – zu den Gedichten von Andreas Reimann
Porträt des Lyrikers Andreas Reimann
Peter Geist: „Ich flagge die fahne protest!“
Ostragehege, Heft 87, 5.3.2018
Gespräch Alexander Mayer mit Andreas Reimann: Leipziger Lyriklegende Andreas Reimann: Schreiben aus Notwehr
mdr KULTUR, 11.11.2021
Michael Ernst gratuliert Andreas Reimann zum 75. Geburtstag
mdr.de, 8.11.2021
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