Abwesenheit der Digitalisate
und Archivalien
Risiken ausgesetzter
Betrieb
unterbrochene Netze
netze
netze
das freiwillig erschwommene
Fangnetz
einer dir hörigen Zäsur
Verharren
im mathematischen Blick der noch
zu zeichnenden Zeichnung
Gegenständliches
Sitzen halb blind
vor Sichtbarkeit und Erregung
die Oberflächenspannung
deiner Haut hat sich verändert
sagst du wachend
über deiner und meiner
Disziplin
Der Debütband ungewusstes Fell der Münchner Lyrikerin Anja Bayer (*1971 in Lafayette/USA) enthält Gedichte aus mehr als zwanzig Jahren. Das Begehen und Begehren der Sprache sind das eigentliche Feld, in dem diese Gedichte entstehen. Die Autorin selbst nennt ihre oft fragmenthaften und kurzzeiligen Texte „Vorkommnisse“.
Gemein ist den oft fragmenthaften, kurzzeiligen Texten die zugleich karge und sinnliche Hinwendung „auf ein Du, auf ein Außen, das mehr ist als außen, ein Innehalten und Innewerden über das Ich hinaus“ (Karin Fellner).
Vier der fünf Zyklen – „Grauverzicht“, „Tulpenschorf“, „Zuckerzungen“, „ungewusstes Fell“ gehen in bis in die 1990er Jahre zurück. 2011/12 entstand „an Stelle der Rippe“, 2015 eine lose Folge poetisch-poetologischer Anmerkungen unter dem Titel „Maßholder-nicht-maßhalten-Herzliebchen-sources-et-ressources-Nachtext“.
Anja Bayer, 1971 in Lafayette/USA geboren, studierte am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen und später an der Akademie der Bildenden Künste München. Ihr Schreiben – zwölf Jahre lang unterbrochen von räumlich-konzeptuellen Arbeiten in der Kunst – spiegelt neben dem Leitmotiv des Tierseins immer wieder die Suche nach und das Erleben in offenen Räumen:
der Raum, das Bild
ich suche dich
bleibt offen stehn
lass dein Auge
fallen.
Das Begehen und Begehren der Sprache selbst aber sind das eigentliche Feld, in dem diese Gedichte entstehen. Das passiert manchmal harsch:
kontern
und kentern im
im
Sprachfluss
der so harm
los daherkommt
daher kommt mein Misstraun
den Misston verfehlt“
manchmal feststellend den damals
aufgelesenen, gierig
veratmeten Rhythmus
legtest du nicht mehr
ab, lege ich
immer wieder an
Zumeist jedoch geben die Texte dem nach, was sich nur wortweise aussprechen lässt und machen damit ihrerseits neue Räume auf:
euer blasses s
schöpft kein Wasser mehr
aus dem Himmel-
hochjauchzend aber
ein Docht
ist mir zugelaufen
Die Lyrikerin Karin Fellner schreibt dazu:
… andersmäulige Geschöpfchen sind diese Gedichte, im brüchig Ge/Besungenen, gleichzeitig Lichtungen lassend, raufellig-zart – und was mir nun sehr aufging: Nicht nur das schon an den Worten erfahrene karg UND sinnliche Da-Sein, sondern das in allen Neigungen, allen Wortbeugungen vorhandene Hingewendet sein auf – auf ein Du, auf ein Außen, das mehr ist als außen, ein Innehalten und Innewerden über das Ich hinaus, und wie die Berührungswinkel der Worte virtuelle Linien ausstrecken, so was wie ,tender intendere‘ (zärtlich das Streben auf etwas richten).
Die Autorin selbst nennt ihre oft fragmenthaften und kurzzeiligen Texte, mit denen sie jetzt ohne Vorpublikationen erstmals an die Öffentlichkeit tritt, gerne „Vorkommnisse“. Der Nachtext weist dieses als eines ihrer liebsten aus:
mit dem Küchenmesser
durchdrungen die
Botschaft
des Lichtklöppels.
als gäbe es
die Bilder
nicht, die die Welt
ins Haus bringen und bringt
versuchen
wir uns darin zu sehen
was das Auge erreicht
Geräusch-
schnitte
die
dir das zuckende
Panaroma zuwirft
jemand
fragt
aber, merkst du
der Himmel liegt
auf der Iris auf
Armin Steigenberger: Voilà.
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Jan Kuhlbrodt: Begegnungen
fixpoetry.com, 17.7.2016
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