NIRWANA
Diese feine, scharfe Linie war
direkt vor unserer Nase, was tun
mit ihr, was tun, woher, wohin,
sie birst, splittert, ich weiß es nicht,
ruft doch endlich mal jemand
die Dame, und gebt uns Kaffee,
gebt uns Mokka, wann kommt die Frau,
sie soll uns wahrsagen.
aaaaavorhang aus schwärze zur gleichen zeit blutrache
aaaaazeit o rachen der weit die vergeht schatten schlackern
aaaaader mai schreitet weit zum sommer summen des abends
aaaaaatemlos schwingend
Was redet sie denn, sagt man,
was faselt sie, ach verjagt sie,
nichts stimmt, Hirngespinst, wer
kann schon in die Zukunft sehen,
verrückt ist sie, spinnt vielleicht, kurz –
sie soll gehn. Geh weg, hörst du? Geh!
aaaaawas sich beugt was sich bewegt sich
aaaaaregt was glitzert denkt meint dass es
aaaaaspurenlos bleibt und bleibt es auch
aaaaawas rissig wird meint nicht
aaaaaden himmel zu öffnen tut es auch nicht
Diese feine scharfe Linie war da,
doch denken wir nicht, dass sie Zukunft sagte.
hüpfender, schleifender, pochender, glühender Rhythmus durchbebt dieses Buch. Ein Rhythmus, der uns in jedem kraftvollen Bild an die unbedingte Gegenwart des Körpers erinnert, auf Reisen, im Zirkus, im Aufbruch, im Lieben, im Verlassensein.
Mal kantig, mal zart, mal provozierend direkt spüren Golobs Gedichte die Komplexität unserer Routinen, Frustrationen und Ängste auf und zielen unbeirrt auf das, was fehlt: menschliche Nähe, Wärme, Authentizität, Sensibilität und Beherztheit. Auf all das, was Teil des Lebens ist und von jedem im Hier und Jetzt aufs Neue immer wieder aufs neue riskiert werden muss. Wie Atem. Wie Gemeinschaft.
Gedichte von hinreißender, mitreißender Vitalität, angetrieben von der dem Leib eingeschriebenen Erinnerung, dass das, was wir wirklich brauchen, nicht viel ist. Und dass es alles ist.
Edition Korrespondenzen, Klappentext, 2018
– Die slowenische Gegenwartslyrik bietet grossartige Entdeckungen. Slowenien ist ein kleines Land, das eine bemerkenswerte Lyrik hervorbringt. In den Gedichten von Anja Golob findet sich die Kraft einer eminenten Zeitgenossenschaft. Und in Aleš Štegers verrätselten Poemen ein Atem und eine Luftigkeit, eine Helle und eine Leere, die nur auf den ersten Blick leichtfüssig-harmlos erscheinen. –
Ihre poetische Stimme ist zugleich rau und zärtlich, fordernd und fragil: Anja Golob, Jahrgang 1976, hat es mit vier Gedichtbänden an die Spitze der zeitgenössischen slowenischen Lyrik geschafft. Auf Deutsch kann man dies nun im Auswahlband Anweisungen zum Atmen nachvollziehen, der von Liebe und Zerrissenheit, vom pflanzlichen und tierischen Wesen des Menschen handelt, aber auch vom Weggehen, vom Vergehen und von der unbändigen Kraft des Wassers.
Masslos kann man dieses Ich nicht nennen, sehr wohl aber hellsichtig und illusionslos.
Du liebst, was nicht aufgeht. Nichts bringt. Du bringst es nicht, du gehst nicht auf.
Aber dennoch, verdammt, liebe, aber bloss nicht alle Menschen,
es wäre keine Garantie, dass auch du bald geliebt wirst…
In einem bildstarken Herbstgedicht imaginiert sich das Ich als schreckliche „Engelin“, die auf dem Boden liegt, sich Laub auf die Strickjacke klebt und an die Stirn des Jahrhunderts „die Seidenlocke des Kindes“ setzt.
Hier liege ich. Schlage mit den Armen, mache toter Mann, und
sachte senkt sich auf mich der Herbst.
Von Larmoyanz fehlt in Anja Golobs Gedichten jede Spur. Da spricht eine mitunter stoisch gebändigte Rebellin:
Wir haben keine andere Arbeit ausser zu sein.
Eine Rebellin gleichwohl, die gegenüber Umwelt- und anderen Katastrophen nicht den Mund verschliesst und in ihrer „Maschinenbaufibel“ den ganzen maschinellen Irrsinn durchbuchstabiert. Das hat Kraft und lässt einen so schnell nicht los. Was auch den sensiblen Übersetzerinnen Urška P. Černe und Uljana Wolf zu verdanken ist.
Nico Bleutge: Anja Golob: Anweisungen zum Atmen
lyrikempfehlungen.de, 2019
Jonis Hartmann: Der Morgen kommt immer, stirbt nie
fixpoetry.com, 29.1.2019
„Wenn ich dichte, lebe ich“ – Interview von Doris Akarap mit Anja Zag Golog
6. Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung an Uljana Wolf am 28.8.2015 im Rahmen des 35. Erlanger Poetenfestes
Uljana Wolf liest drei bögen: böbrach und andere Gedichte.
Anja Golob beim Wiener Soundspaziergang 2012.
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