PROLOG
wos sage dir bötschraabig wohl von diesen ufern
far li-i-ihösthand der hetlöngigestrurge schimmert
als ich ring und randolf sei-he-heinen schein verlor
in leidvollen krängen stö-hä-hè-hérensgautschwa-bie
aaaaain twolgen ruf den thoorös laut hervor
aaaaaund zählen drauf die beiden
aaaaawer in diesem fichtenwalde irrt
aaaaaberichtet von überstandener pein
recabostinu ligarö-hä-hè ge-hömost’hangen falten
ein fürchterlicher zwischenfall sich selbst verbot
und auf der wellenspiel umklatschten weträntigör’hinsel
wi-hi-heè von selbs’geronjenbaum sich vor dem tore zog
ein Klassiker helvetischer Lautpoesie, 1977 in einer limitierten Auflage als Schachtel mit zwei Langspielplatten und einem, wie es sich für den gelernten Schriftsetzer gehört, schön gedruckten Buch erschienen, wird hier als CD mit Booklet erstmals integral und im Faksimile für ein größeres Publikum aufgelegt. Bruhins „heldengesänge“ entführen ihre Zuhörer in eine mittelalterliche Welt der fahrenden Sänger und irrenden Ritter, eine Phantasmagorie in Text und Ton und ein Dokument der noch nicht elektronisierten Sampling-Kunst der 70er-Jahre: „Wenn ich die Leute schon bemühe, eine Stunde oder zwei still zu sitzen, dann will ich sie wenigstens gut unterhalten und nicht nur in mein Manuskript hinein brummeln. Bei den „heldengesängen“, in denen jeder Held einen anderen Dialekt hat und aus einer andern geographisch fiktiven Region kommt, wollte ich jedem auch eine eigene Musik zugesellen. Ich habe dazu verschiedene musikalische Materialien verwendet, selber verschiedene Instrumente gespielt, aber auch Teile aus bestehender Musik genommen, zum Beispiel aus „Take Five“ von Dave Brubeck ein oder zwei Takte in einem Loop.“ Oder wie es Giovanni Blumer in seinem Nachwort ausdrückt: „Wer Heldengesänge deklamiert, singt die Destillate des tausendmal wiederholten Erzählens, des kollektiv Angewöhnten, das nicht nur die Inhalte der Wandlung unterwirft, sondern auch die Silben und Wörter. Wenn Heldengesänge vom Dichtermund fallen sind sie bereits durch das Volk Verdautes.“
Urs Engeler Editor, Ankündigung, 2002
von 11 heldengesänge & 3 Gedichte.
11 heldengesänge und 3 Gedichte ist ein von Anton Bruhin in einer selbsterfundenen Sprache geschriebenes, von Hand gesetztes, illustriertes, mit zwei Schallplatten versehenes Werk. Die erste Auflage erschien 1977 im Verlag Adolf Hürlimann als Kassette mit Buch, Grafiken und zwei Schallplatten (zum Preis von 900 Fr.), noch heute bei Anton Bruhin zu beziehen. Dieses Werk liegt in 2. Auflage neu bei Urs Engeler, Editor als Audio-CD vor. Das beiliegende Textbuch gibt den Bleisatz und die Holzschnitt-Illustrationen, welche Anton Bruhin angefertigt hat, als Faksimile wieder.
Was sich beim Lesen nicht erschliessen will, mag sich auch gehört nicht eigentlich offen legen, aufschlüsseln. Kein nach irgendwelchen gängigen Konventionen zu erfassender Sinn kann sich schnellfristig aus diesen Sätzen einstellen, denn Bruhins Heldengesänge sind in einer von Bruhin selber erfundenen Sprache abgefasst worden. Der Trick dabei ist, dass man doch allerlei zu verstehen glaubt, wenn man sich einmal Bruhins meisterlichen Rezitationswogen aussetzt. Absichtsvoll erschallen kurze Trompeten- und Posaunensignale (Jürg Grau und Radu Malfatti), die voll stimmungsgeladener Zitate sind, Moritaten, Schaubudenpathos und Cinerama erwarten lassen und die Sätze Bruhins in unserem Hirn kolorieren und mit Bedeutungen tränken. Und der kühle Verstand hinkt hinterher und will alles wieder ausmerzen, was sich da scheinbar grundlos an „Begrifflichem“ im Kopf einschleichen will. In einem sehr schönen Nachwort, das Giovanni Blumer für die „heldengesänge“ verfasst hat und an diesem Abend als Einleitung vortrug, heisst es zum Heldensänger: „Er singt die Destillate des tausendmal wiederholten Erzählens, des kollektiv Angewöhnten, das nicht nur die Inhalte der Wandlung unterwirft, sondern auch die Silben und Wörter. Wenn Heldengesänge vom Dichtermund fallen, sind sie bereits durch das Volk Verdautes.“
Tages-Anzeiger 1977??
Die gedichteten Heldengesänge von Anton Bruhin, die im Pathos, in der heraldischen Patina und im geschichtlichen Nimbus in keiner Weise ihren berühmten Vorbildern aus der mittelalterlichen Ritterzeit nachstehen, bestehen aus lauter Worterfindungen. Während bei den Heldenepen die Freude an herrlich-unmöglichen Sprachgebilden noch überwiegt, so tritt bei den letzten Gedichten des Abends, mit so einfachen Namen wie „Vögeli“ betitelt, die Bedrohung des Menschen in einer mechanistischen Zeit, deutlich hervor.
Luzerner Tagblatt, 17.10.1977
Eindrücklich gelingen in den „Heldengesängen“ Assoziationen in einer Sprache, die nicht deutsch ist, aber sein könnte“, und die in lauter neugeschaffenen Wörtern einen durchaus verständlichen Inhalt mitteilt.
Der Bund, 22.10.1977
Umgekehrt kann das Wort auch jedes Sinngehalts entkleidet werden: in den parodistisch entlarvenden „Heldengesängen“ etwa, die sich – zuweilen an Franz Hohlers berühmte berndeutsche Geschichte gemahnend – als den blossen Erzählklang genau imitierender Nonsens erweisen. Das Neben- und Ineinander grotesker Geräusche und reiner Sprache kennzeichnet dann etwa ein Gedicht über die „Vögeli“, die ebenso präsent sind in den Tönen eines ungemein modulierfähigen Blasinstrumentes wie in den ihr Dasein beschreibenden vertrackt-naiven Liedstrophen.
Der Landbote, 19.1.1978
Was es mit der seriellen Reihung von Vokabeln und Vokabelbruchstücken auf sich hat, das ist längst Lexikons-Weisheit. Aber Bruhin macht daraus, was er und nur er macht.
Berner Tagblatt, 22.10.1977
Der spielerische Witz, mit dem Bruhin dann trotz einer philosophisch-ernsthaften Grundhaltung die Sprache selber handhabt, gemahnt in manchem an die übermütige Leichtigkeit der Dadaisten, doch zeigt er sich gerade in der auffälligen Nähe zur gegenwärtigen Mundartlyrik als durchaus heutig, indem er das humoristische Element teils steigernd aus ihr heraus entwickelt, ihr teils ironisch hinzufügt.
Der Landbote, 19.1.987
Anton Bruhin Spills The Beans | Café OTO 18th April 2018.
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