ODER VERMONT, AN ERNST JANDL
laß ein den Segen : die Tränen am Fensterglas
die leise aufklatschenden Tropfen auf Messer und
aaaaaBlech
Geschirr und Gehörntes, gnadenweise, und
aaaaagnadenweiss
Tag. Endlich ertrunken ERSOFFEN die Sonne im
aaaaagloriosen
Meer des herabfallenden Himmels, in den Strömen
aaaaader geöffneten
Wolken .. hinaus sollte ich ohne Kleid ohne Schuh
mich durchtränken lassen von diesem WEIHWASSER
welches klopfend und zärtlich tastend anstatt
Geliebtem : Gestorbenem mir erscheint, aus-
gesetzt bin ich verschüttet, morsches Gebälk mein Leib –
Zipf und Zipfel von Abseits :
du sichtbar nicht mehr nicht wieder
Friederike Mayröcker
Vier Elemente
Innig gesellt
Bilden das Leben,
Bauen die Welt.
Friedrich Schiller: „Punschlied“
Manche Bilder verfolgen ihre Betrachter ein Leben lang. Jener strahlend blaue Septembertag im Jahr 2001, an dem sich zwei von Terroristen gekaperte Verkehrsflugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers bohrten, zufällig festgehalten von einer Videokamera, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Noch heute habe ich den Feuerball vor Augen, der unmittelbar nach dem Aufprall des ersten Flugzeuges aus den oberen Stockwerken des Büroturms schoss, mit pechschwarzen Rauchwolken im Gefolge, die den Himmel über New York verfinsterten, die Luft verpesteten. – Noch immer sieht man jene Familie im Osten Deutschlands vor sich, die sich im verregneten Sommer des Jahres 2002 vor den Fluten auf das Dach ihres Hauses gerettet hatte. Wie sie sich an den Kamin klammerten und buchstäblich in letzter Minute mit der Seilwinde eines Hubschraubers gerettet werden konnten, bevor ihr Anwesen von einer Schlammlawine fortgerissen wurde. Nicht etwa der Vater aller Ströme, der Amazonas, war nach heftigen Regenfällen über die Ufer getreten, sondern lediglich die Elbe und einige ihrer Seitenarme, Rinnsale im Verhältnis zu den großen Flüssen und Strömen der Erde.
Beispiele wie die genannten berühren unmittelbar die menschliche Existenz. Die freigesetzte Kraft der so genannten Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft sowie deren Zusammenwirken zieht die Menschen seit jeher in ihren Bann. Vielleicht ist es gerade die Doppelbödigkeit der Elemente, die eine so große Faszination erzeugt: Im „Ruhezustand“ bergen sie den ganzen Zauber der Poesie in sich; sind sie aber einmal entfesselt, entfalten sie eine (Ur-)Gewalt, deren Wirkungen auch der Mensch im 21. Jahrhundert – trotz aller Versicherungen, Rückversicherungen, Rettungsdienste wie „Feuerwehr“ und „Wasserwacht“, vorbeugender Schutzmaßnahmen wie Luftfilteranlagen, Erdbebenwarten oder gar Satelliten – ganz plötzlich und vollkommen hilflos ausgesetzt ist. Im alten Rom bedeutete der Entzug von zwei Elementen letztlich nichts anderes als die Verhängung der Todesstrafe:
Jemandem Wasser und Feuer verbieten
Eine vierteilige ZDF-Fernsehserie zu den Elementen belegt das andauernde öffentliche Interesse daran ebenso wie der Erfolg von mare, einer eigenen „Zeitschrift der Meere“. Sie weckt und stillt offensichtlich die Sehnsucht des modernen Menschen nach dem Ozeanischen.
Das Element (lat. elementum) bezeichnet eigentlich von der Wortbedeutung her den Grundstoff, Urstoff, (Grund-)Bestandteil, das Einzelteil, die (Natur-)Kraft. Häufig steht es übertragen für ,grundlegend, Anfangs-‘. Die klassischen Elemente werden als Substanzen begriffen, ihre Namen Feuer, Wasser, Luft und Erde in der Regel substantivisch gebraucht.
Antike griechische Philosophen sehen Elemente als schöpferische Prinzipien. Die Elemente sind die einfachsten Bestandteile, deren Zusammenführung oder Trennung das Werden und Vergehen der Körperwelt bewirkt. Für Demokrit ist das Unteilbare, sind Atome auch das Wesen der Dinge, sie bringen alle anderen Erscheinungen hervor (z.B. durch ihre Anordnung, ihre Lage). In den Werken der Vorsokratiker wird die Natur als Ganzes zum Thema, aus Prinzipien wird das wahre Wesen und das Werden der Dinge erklärt. Thales soll das Wasser zu einem solchen Prinzip erklärt haben, Anaximenes die Luft, Heraklit das Feuer. Empedokles soll die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde als Urstoffe angenommen haben. Während Empedokles die vier Elemente als unveränderlich betrachtet, sieht sie Aristoteles als ineinander umwandelbar an (diese Sichtweise wird Grundlage der späteren alchemistischen Transmutationslehre) und als letzte Bausteine der Welt. Die Elementelehre spielt übrigens auch in der Naturheilkunde, die „vier Temperamente“ unterscheidet, eine große Rolle.
Heutige Naturwissenschaftler verwerfen die Konzeptionen der Vorsokratiker als „vorwissenschaftlich“. Für sie sind Elemente (chemische) Grundstoffe eines Ganzen, die nicht weiter in unterscheidbare Bestandteile zerlegt werden können. Bei Feuer, Wasser, Luft und Erde handelt es sich also nach moderner Anschauung um zusammengesetzte Erscheinungen und um keine elementaren Urkräfte, deren Zusammenwirken allen Erscheinungen zugrunde liegt. „Die elementaren Prinzipien Erde, Wasser, Feuer, Luft können nicht auf ihre Erscheinungen reduziert werden, auch wenn sie nur durch ihre Erscheinungen, die Verkörperungen sind, erkannt werden können“, schreibt der österreichische Lyriker Franz Josef Czernin im Nachwort seines Gedichtbandes elemente, sonette (München 2002). Nach Czernin sind die vier Elemente als schöpferische Prinzipien nicht zu fassen oder gar physikalisch oder chemisch zu lokalisieren und zu „temporalisieren“: Das Element Feuer könne etwa „in Form eines leidenschaftlichen Gemütszustandes oder einer feurigen Rede“ erfahren werden; Wasser in Form „eines Überschwanges oder eines fließenden Sprechens“; Luft etwa dann, „wenn man sich frei oder unbeschränkt fühlt oder in der dünnen Luft von Abstraktionen“; die Erde oder das Irdische entsprechend „als Dreck oder Staub“. Nach Empedokles seien „alle Dinge als Mischverhältnisse der Elemente zu verstehen. Selbst das reine Feuer einer Flamme, das klare Wasser einer Quelle, die reine Luft im Hochgebirge oder die schwarze Erde bestimmter Böden enthielten dann Anteile und deshalb Wirkungen der anderen Elemente“.
Die vier Elemente durchziehen als Konstanten der menschlichen Umwelt und irdischen Existenz die gesamte Lyrikgeschichte. Jedem Element ist in dieser Anthologie ein eigenes Kapitel gewidmet, jedes zeigt sich in seinen vielfältigen Erscheinungsformen, von den sanften bis zu den bedrohlichen Seiten:
Das Feuer strahlt Wärme aus, es zieht die Menschen an, fördert das gesellige Zusammensein. Auf der anderen Seite schlummert in ihm stets auch der Aspekt von Brandgefahr, und die Flamme menschlicher Leidenschaft vermag ebenfalls zerstörerische Züge anzunehmen.
Das Wasser könnte als personifizierter, elementarer Gegenspieler des Menschen betrachtet werden, dessen Körper zu 90% Prozent aus Wasser besteht. Die See ist strömende und strudelnde Welle, die ein ozeanisches Gefühl auslöst, in der sich Ekstase und Reflexion verbinden. Der Blick in ihre Tiefen erschließt geheimnisvolle Unterwasserwelten und -wesen oder richtet sich auf entsetzliche Abgründe.
Die Luft wäre, würde sie sprachlich auf ein Gasgemisch reduziert, das die Erde umgibt, ,(luft)leer‘. Denn einem Menschen „die Luft abdrücken“ heißt doch, seine Existenz auslöschen. Leider behandeln wir heute die Luft nur noch selten mit der Zärtlichkeit und Behutsamkeit, die ihr Joseph von Eichendorff in seiner berühmten „Mondnacht“ angedeihen lässt. Klar und rein bleibt sie allenfalls in unserer Erinnerung. Im Smog einer Großstadt wünschen wir uns zwar auch Flügel, aber vor allem, um den Verkehrsstauungen und Abgasen, der schlechten Luft, zu entkommen.
Die Erde würde ein Naturwissenschaftler als den dritten Planeten im Sonnensystem bezeichnen, dessen Oberfläche zu 29% aus Land und zu 71% aus Wasser besteht; ein Bauer sieht in ihr die Ackerkrume. In der Dichtung bezeichnet Erde oftmals den immerwährenden Kreislauf von Vergehen und Werden. Ein Garant für Fruchtbarkeit und Reichtum einerseits, steht sie andererseits aber auch für den Verfall alles Organischen, für das Grab.
Das Spektrum „elementarer“ Gedichte deutscher Sprache, die hier in vier Kapiteln oder „Büchern“ versammelt sind, reicht von Paulus Melissus (1539–1602) bis zu Lyrikern der jüngsten Generation wie Nico Bleutge (geb. 1972). Eine Mischung, in der Klassiker neben Unerwartetem und Unbekanntem stehen. Ein besonderes Augenmerk wurde bei der Auswahl auf lyrische Entdeckungen und Wiederentdeckungen gerichtet.
Am Ende erscheint es bemerkenswert, wie viele der ausgesuchten Gedichte in allen Epochen vorsichtig, sanft und poetisch, aber doch auch sehr bestimmt um einen schonenden Umgang des Menschen mit der Natur und den Elementen werben. Mehr als eine Bitte können Dichter in der Regel nicht formulieren, denn es ist nicht ihre Aufgabe, zu belehren oder zu bekehren. Diese lyrischen Texte, vor allem aber kriegerische Konflikte und die weltweiten Naturkatastrophen gerade der letzten Zeit demonstrieren eindrucksvoll, welch ungeheure Kraft entfesselte Elemente freisetzen können.
Inmitten meiner Heimatgemeinde Weßling liegt ein herzförmiger, idyllischer See, der auch Gert Heidenreich zu einem Gedicht inspiriert hat („Am Weßlinger See“). Hier weilte einst kein Geringerer als Meister Renoir zur Sommerfrische, und welcher Literaturfreund kennt nicht jene Schwarz-Weiß-Fotografie von Christian Morgenstern, die ihn im Sonntagsanzug mit Hut als strammen Ruderer auf dem kleinen See zeigt. Der Weßlinger See wird auch als „Badewanne Münchens“ bespöttelt. Seit mehreren Jahrzehnten muss er mit einer riesigen Pumpenanlage belüftet bzw. künstlich beatmet werden, damit er nicht „umkippt“. Die Pumpe stößt inmitten des Sees eine gewaltige Fontäne aus. Man könnte darin eine touristische Attraktion, aber auch einen sprudelnden Zeigefinger, eine flüssige Mahnung sehen.
Nun sind die Weßlinger keine besseren oder schlechteren Menschen als die Bewohner anderenorts. Den ökonomischen Interessen hat aber auch hier die Natur zu weichen. Steht ein Grundstück zum Verkauf an, holzen die Eigner meistens zuerst den alten Baumbestand ab, damit der Baugrund wirklich wirtschaftlich genutzt werden kann. Garagenneubauten fallen mitunter so wuchtig aus, dass die Häuser nur noch verschämt dahinter hervorspitzen. Die Vorplätze und Hinterhöfe werden mehr und mehr zugeteert, zugepflastert, zubetoniert, das Erdreich „pflegeleicht“ verdichtet.
Es wäre zu wünschen, dass sich diese und andere Natur-Gedichte heimlich, still und leise ins Gedächtnis, ins Unterbewusstsein der Mitmenschen einnisten. Vielleicht bleibt dann durch die Wirkung der Poesie der ein oder andere Baum stehen, dieser oder jener Betonmischer im Ruhezustand. Frei nach dem Motto: mehr Verdichtung, d.h. Gedichte im Kopf, weniger verdichtete Flächen…
Besonderen Dank bei der Zusammenstellung der vorliegenden Anthologie schulde ich Nico Bleutge, Karin Fellner, Gabriele Trinckler sowie Dr. med. Felizitas Leitner.
Anton G. Leitner, Vorwort, Frühjahr 2003
durchziehen die Lyrik-Geschichte: Annette von Droste-Hülshoff wärmt sich am Hirtenfeuer, Goethes Zauberlehrling ertrinkt fast im Wasser, Christian Morgenstern besingt die sterbende Luft, Bertolt Brecht sinniert über Erde und Vergänglichkeit. Klassiker der Lyrik korrespondieren mit zeitgenössischer Poesie. Anton G. Leitner, Herausgeber der Zeitschrift Das Gedicht, entdeckt in seiner Anthologie aber auch Unerwartetes und Unbekanntes.
Reclam Verlag, Ankündigung
– Elementarpoesie aus Weßling. –
– Thematisch orientierte Gedichtanthologien sind eine heikle Angelegenheit. Indem sie die Lyrik unter einem Stichwort zugänglich machen, subsumieren sie autonome poetische Gebilde, die sich per se jeder Subsumtion entziehen wollen. Nicht alle, aber doch viele Anthologisten straucheln angesichts der ambivalenten Implikationen ihres Tuns, sodaß eine thematisch gutgemeinte Sammlung oft genug zu einem poetologischen Abkürzungsverzeichnis gerät, in dem das dichterische Wort seiner eigentlichen Kraft und Fülle beraubt erscheint. Es sei denn, die Themata sind so gewählt wie in Anton G. Leitners jüngster Anthologie Feuer, Wasser, Luft & Erde. Die Poesie der Elemente.
Nein, diese Begrifflichkeiten sind nicht austauschbar. Die vier Elemente dieses Titels rekurrieren auf jene philosophischen Prinzipien des Seins, die dort ihren Ursprung haben, wo auch die europäische Dichtung anhebt: in der ältesten Schicht der griechischen Antike. Dabei ist durchaus nebensächlich, ob wir nun wirklich Thales die Vorstellung des Wassers, Heraklit die des Feuers, Anaximenes die der Luft und Empedokles die aller vier Elemente als letzte Prinzipien des Seins zuschreiben können. Viel wichtiger ist die Tatsache, daß diese Gedanken gedacht worden sind und daß in ihnen der Versuch zur Geltung kommt, das Allgemeine aus dem Singulären, dem Individuierten, dem sprichwörtlich Elementaren zu gewinnen: ein poetisches Prinzip par excellence. –
Die Begriffe Feuer, Wasser, Luft und Erde eignen sich in besonderer Weise, das Prinzip des Poetischen selbst zu verbildlichen, weil jedem von ihnen vollkommen gegensätzliche Ausdeutungen zukommen, und weil sie darüber hinaus auch insgesamt in einem geradezu paradoxalen Verhältnis zueinander stehen. Aber reicht das aus, sie zu rechtfertigen als Überschrift für eine Sammlung, die neben den klassischen Gedichten auch moderne, ja gar zeitgenössische Verse umfassen soll?
Längst schon hat die Naturwissenschaft die alten Lehren von den Elementen desavouiert und durch moderne, festgefügte Theorien ersetzt. Der chemischen Elemententafel geht es gerade um eine Aufhebung der alten Ambivalenz, um Eindeutigkeit und Klarheit, um Subsumtion eben. Poetisch ist damit allein kein Auskommen. Raouls Schrotts Diktum, „der mythos (sei) genauer noch als die metrie von sphären“ („Physikalische Optik V“), ist keine Gefälligkeitsreferenz, sondern eine tiefe Erkenntnis, die im Ursprung und im Vermögen des Poetischen selbst wurzelt. Darum verwundert es nicht, daß jede, auch die zeitgenössische Poesie da, wo sie um die Traditionen weiß, in denen sie steht, diese Kategorien immer wieder aufgreift, neu denkt und fruchtbar macht: im Wissen um die uralte Herkunft und im Bewußtsein von der ungebrochenen Vieldeutigkeit dieser Elemente. Anton G. Leitner, der in Weßling am Starnberger See ansässige, rührige Lyriker und Herausgeber hat seine Sammlung in vier Kapitel eingeteilt. Nach dem Vorwort, das den Spannungsbogen zwischen einer zeitgenössischen und einer geschichtlichen Betrachtungsweise der Motive eröffnet, und nach Schillers thematisch übergreifendem „Punschlied“, entfaltet jede dieser Abteilungen den historischen Bogen der Dichtung zwischen Barock und Gegenwart zu einem der vier Sujets.
Im Zusammenspiel der geschichtlich weit auseinanderliegenden Texte entsteht eine historische Kartographie, in der die Entwicklungslinien deutlich werden. 74 Autoren hat Leitner für seine Sammlung ausgesucht, davon ist gut die Hälfte dem zwanzigsten Jahrhundert zuzurechnen: ein mutiges Unterfangen, gerade angesichts der Tatsache, daß die Verwurzelung der „Elemente“ insbesondere in der traditionellen Dichtung zu vermuten wäre. Und genau darin liegt die Leistung dieser Anthologie: Sie öffnet den Blick dafür, wie die unterschiedlichen Ausdeutungen der Elemente über die Jahrhunderte hinweg auf- und miteinander reagieren. Das ist ein spannender Prozeß, in dessen Verlauf der Leser auch wohlbekannte Verse und Bilder überraschend neu erfährt, nicht in Sinne kurzsichtiger Abbreviatur, sondern im geweiteten Panorama des lyrischen Feldes.
Eröffnet werden die Abteilungen jeweils mit einer motivischen Strophe aus Goethes „Gott, Gemüt und Welt“. Die sich anschließenden Textzusammenstellungen konfrontieren Traditionelles und Zeitgenössisches auf mitunter drastische, ja auch: explosive Weise, die aber, wie schon angedeutet, dem poetischen Blick neue Dimensionen eröffnet, ohne die Einzeltexte auszulöschen. Klassische (und damit zum Teil durchaus „kanonische“) Texte bilden den Nährboden für diesen geweiteten Blick, und unter ihnen kommt einigen vertrauten, ausholenden Balladen, u.a. von der Droste, von Heine und Fontane, eine besondere Stellung zu. Dies ist nicht weiter überraschend, insofern die Urstoffe doch häufig ein motivisches Initial für die balladesk entfaltete Handlung darstellen. Daneben sind aber auch viele alte Dichter neu zu entdecken, Catharina Regina von Greiffenberg etwa und Sigmund von Birken. Erstaunlich, wie dessen „Sonnet in der Form eines geöffneten Buches“ gerade in der Gegenüberstellung mit Karl Krolows „Erinnerung an Feuer“ die Barockdichtung in neuem Licht erscheinen läßt. Überraschend ist auch, wie sich das Motiv des Feuers in Gryphius’ „Elias“ in der Konfrontation mit Dieter M. Gräfs „Sekunden des Sinai“ neu erschließt und wie Eichendorffs außerordentliche „Mondnacht“ im Spiegel zeitgenössischer Gestaltungen an Assoziationskraft noch hinzugewinnt – was man gar nicht mehr für möglich gehalten hätte.
Thematisieren die zeitgenössischen Texte, unter denen die von Krier, Altmann, Meier-Lenz und Bleutge, von Kling und Grünbein, Neumann und Mayröcker herausragen, auch Hoffnungen und Katastrophen anderer Art als die traditionellen Dichtungen, so ist ihnen gemeinsam jene Ambiguität, die wohl das Signum jeder Dichtung darstellt. Bei aller Neigung zum Katastrophalen: Heitere Töne werden nicht ausgespart, bei Axel Kutsch etwa, und Robert Gernhardt erscheint als ein später Nachfahre des „Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Am Rande erlaubt die Sammlung gar einen Blick auf die außereuropäische Dichtung, wenn Suleman Taufiq-el-Auwad über das Motiv des Regens in der arabischen Poesie sinniert.
*
Jede Anthologie trägt die Spuren ihres Herausgebers. Dies gilt auch für den vorliegenden Band. So mag mancher Dichter und manches Gedicht vermißt werden; in Bezug auf das zwanzigste Jahrhundert etwa Paul Celan, dessen Verse der Rezensent gerne in diesem Kontext gesehen hätte. Aber dies schmälert den Wert der Sammlung nur geringfügig.
Daß Anton G. Leitners Feuer. Wasser. Luft & Erde ein bemerkenswerter Band der Universal-Bibliothek ist, dafür ist der Buchumschlag, der das klassische Reclam-Gelb in einen „Sonnenaufgang“ von William Turner auflöst, nur ein äußerliches Indiz. Mit der inhaltlichen Konzeption dieser „Poesie der Elemente“ ist Herausgeber und Verlag nämlich auch so etwas gelungen wie eine Elementarpoesie, deren Wirkung nachhaltig sein dürfte.
Christoph Leisten, die horen, Heft 211, 3. Quartal 2003
s. w.: Anton G. Leitner (Hrsg.): Feuer, Wasser, Luft & Erde – Die Poesie der Elemente
Kultura, Oktober 2004
Anton G. Leitner rezitiert sein Gedicht „Einmal eine“ im Rahmen der Ringvorlesung Humanität in der Medizin an der Technischen Universität München am 24. November 2010.
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