Arthur Rimbaud: Das poetische Werk

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Arthur Rimbaud: Das poetische Werk

Rimbaud-Das poetische Werk

FESTE DER GEDULD

ES ist wiedergehOlt.
WAS? – Das UnEndlichE.
Das Meer, das mit
Der SOnne rOllt.

Wachsinnige Seele
Flüsternd er=klären
Die Nacht so Null
Den Tag in Feuer.

Vom Beifall der Menschen
Gemeinem Treiben
Sagst du dich los
Und Solo=DavOn.

Allein ihr
Satin=Gluten
EXhaliert PFLICHT
Ohne daß es „Endlich!“ heißt.

Aussichts=Los
Orientierung NULL
Wissen & Spur=Weg
Das Ur=Teil gewiß.

ES ist wiedergehOlt.
WAS? – Das UnEndlichE.
Das Meer, das mit
Der SOnne rOllt.

 

 

 

Editionsnotiz

Selten gab es einen in der Literatur, der derartiger Faszination, Mystifikation und Nachäfferei ausgesetzt war wie Rimbaud (dies in seinem Heimatland). Ohne Rücksicht auf diesen Wust von Legenden sind wir bemüht, die PRÄSENZ dieses hierzulande nur kümmerlich Bedachten freizulegen, in einer Sprache, die unmittelbar aus dem Körper=Impuls heraus die schwankende Vieldeutigkeit eines TEXTES aufzeichnet, an dem sich schon Generationen den Kopf aufgestoßen haben. Es ist der Text=Körper, von dem wir ausgehen, nicht irgendeine literarisch=idealistische Konstruktion.
Wir stöbern nicht nach irgendeinem SINN, wir wollen SINNLICHKEIT freisetzen. Wir destillieren den Pulsschlag eines Sprechens heraus, wie er dieser Poesie eigen ist, wir versuchen ihn in unserer Sprache neu zu erobern, einen Strom zu finden, der Funken schlägt.
In dieser Hinsicht ist unsere Übersetzung exakt: wir folgen dem Text bis in die Melodik, in die Verästelungen der Syntax, ohne in die Gefahr zu geraten, den semantischen Schmand bisheriger „dichterischer“ Rimbaud=Übersetzungen weiter zu kultivieren.
Unsere Arbeit ist durch und über die „poetischen“ Texte hinaus Rekonstruktion eines Wunsch=Körpers, wie er kometenhaft uns durchzieht und nur zufälligerweise auf den Namen RIMBAUD gestoßen ist. Dieser Name wird Blatt für Blatt entfaltet, in einer Sprache, die stets GEBORGT ist: von Rimbauds eigenem Körper=Text, wie er aus dessen Briefen und Landschaftsbeschreibungen dringt. Es schält sich das Paradigma einer poetischen Existenz heraus, die längst nichts mehr mit „Literatur“ am Hut hat: Es ist die Hefe in uns.
Und am ehesten auch, so stellen wir uns vor, könnte die Lektüre dieser Texte dort gelingen, wo der Blick nicht starr auf „Literatur“ abgestellt ist: bei einer U=Bahn=Fahrt, im Halbschlaf, nach einem Zank, beim Scheißen.
In dem vorliegenden Band vereinigt sich das „Schwierigste“: die Prosa, Andeutungen zu einer objektiven Poesie, zu einer universellen Sprache. – Und das in einer Zeit, wo eine noch so geplättete Subjektivität für heilig erklärt wird. Der zweite Band, er wird witziger, bringt alle Gedichte, Schmierereien und Blasphemien des jungen Rimbaud („Album Zutique“ – „Ein Herz unter einer Soutane“).
Wir stützen uns auf den Text der von A. Adam herausgegebenen französischen Gesamtausgabe der Werke Rimbauds (unter Berücksichtigung von Manuskript=Varianten), ohne jedoch der dort angegebenen Reihung der Texte strikt zu folgen, die ja auch nicht von Rimbauds eigener Hand stammt. (Mit Ausnahme der „Saison en enfer“, deren gesamte Ausgabe in den Lagerräumen einer Brüsseler Druckerei vergilbte, hat Rimbaud keines seiner poetischen Werke selbst in Druck gehen lassen.)
Zur Orientierung des Lesers sei auf das Inhaltsverzeichnis am Schluß des Buches verwiesen, wo die französischen Original-Titel der Texte erscheinen.
Hervorhebungen, die von Rimbaud selbst stammen, sind, um sie von unseren zu unterscheiden, halbfett gesetzt.

 

poesie / revolte / sex – zündsätzliches zu rimbauds poesie

„Je est un autre.“

Ich muß meine Anderen systematisch und magisch aus mir RAUS schreiben, und jeder satz ist entweder eine expulsion, abtreibung, austreibung eines dämons, eines befalls sozialer diskurse, denk-, fühl-, rede-, und handlungsweisen, aus=stoß, die den Anderen (:sozialkörper) auf die lange reise schickt, oder es ist ein conTAKT mit meinem anderen (:ungeborenen)körper, und dessen text gibt mir echo, resonanz auf meinen text, und mit jeder dieser re :sonanzen arbeite ich weiter, jeder klingende(gelingende) satz ist ein satz (:sprung), einen weiteren satz (:sprung) zu ent :decken, und mit jedem gefundenen (gehörten) satz wächst mein anderer körper, mein nur von mir be=schriebener, authentischer körper, d.h. ich selbst, und ich kann mir immer mehr sätze hin- und herschicken, daß schließlich so etwas wie ein körperstromhaftes ping=pong=spiel entsteht, wo klingende, sirrende, wutschende, zwitschernde WORT=BÄLLE zwischen zwei körpern hin- und her rasen: das wäre dann: mit sich selbst kommuni :zieren!

*

wenn ich vom schreibtisch und seinem künstlich erleuchteten sehradius, an und in dem ich sitze, um zu sagen, wie ich rimbaud wahrnehme, auf- und hinausblicke, ist draußen ein dunkel, daß ich mit den zähnen knirsche, eine nacht, die mir schläge versetzt, weil sich mein körper offen zeigt & einfälle unbekannter art ihn merkwürdig verschieben & verrücken – und
wenn auch draußen noch ein paar omnibusse kleine lichtwunden ins Dunkle schnitzen, sitze ich & wünsche mir geSCHLITZte augen, um diese nacht zu zerschneiden… keine SEHER=augen sind diese geschlitzten augen, ich wünsche nichts zu sehen: das war damals, als ich noch einen körper hatte, der mit der einen, grenzenlosen und leuchtenden wunde des durstes geschlagen war, damals war sehen noch nicht unmöglich geworden…
nun, es ist nicht wahr, daß es keine schönheit gibt, schönheit des lebens, einzige körperschliere, schönheit, geboren aus dem brücken=sperma des wissens über den ab=gründen und schluchten, magisches brücken=kabel, das kurz=schlüsse fabriziert…
& aus den schwarzen stromfeldern der bergwände, der triften, brunnenschächte & mauern, der steilwände & steilküsten, der klippenstürze, der risse in den schlachtfeldern und schlachtfesten der zeit, der blutige schweiß, der über die grünen wiesen mäandert, der lawinen & erdrutsche, der vulkanausbrüche und sturmfluten, der weltbrände, hungersnöte & seuchen, der bombentrichter, minenfelder –
und selbst zwischen dem feuer & der haut dessen, der verbrennt, gibt es noch diesen heillosen, leuchtenden zwischen : raum, die kluft der kräfte –
schönheit des lebens, magisches kabel…
was ich meine ist die liebe der haß die trauer der duft
der klang die violette kurve im dunkel der spott
das lachen das wissen
einer zärtlichen beWEGung der eingefallene augenblick…

*

aber meine geschlitzten augen (wenn ich sie hätte!) sehen nicht die schönheit des lebens, „ich verachte dich, schönes windrad, ich finde dich zum kotzen, ewig dich zierende und berechnende jungfrau, ich will dumm & böse sein, meine geschlitzten augen, ich brauche euch, um ungerecht zu sein, um weh zu tun, um mich zu rächen an diesen augen der VER-sprochenen rein :heit, des sternlichts und einer geblümten wiese in der sonne, meine geschlitzten augen, ich brauche euch, um den illuminierten SEHER AUS zu schauen, der sein erstes sternlicht empfängt –
MIST sein und Gestank konserviert durch alle zeiten schleifen und in allen zeiten nichts andres bewirken, als die vorzüglichen windrosengerüche der zeit zu verpesten… affen meiner reinheit/ grimassen meines schmerzes/er= oberer/ sieger: meine DEVOTion, ziehe den hut und schädel vor euch“ („alles was ich habe“)…
kann ich mich noch mit wiesen abgeben?
gibt es nicht noch andre sonnen zu besingen?
war diese revolution auch meine:
geborgte wiesen sonnen revolutionen, es sind immer die surroundings des gehabten, was in den poesien erscheint, immer waren es die schwarz=vor=regen=straßen, die würstchen=buden, zufällige ent=gleisungen in u/bahn/zügen, die abgetakelten wiesen/ die abgefickten sonnen/ die gekonnten du: sätze, („sonnensperma & sphärenschnodder“), geronnene gefühle der umnächtigten angestrengten schwer=am=leben= liegenden, aufbau + + + + literatur für („möchte gern!“) anarchisten, pflicht-§-lektüre für selbst=mörder, pläne für einbeinige bombenleger, ganz zu schweigen von den zahnärzten, huristen, professors, intentanten, schurnalisten, Kri=Tickern, die alles am laufen HALT!en…
na ja, die wüsten/ die schwarzen pflastersteine/ das
stocken eines gesichts/ die ungewollte liebkosung –
sind nicht schlecht,
ABER IST DAS ALLES EIN STURM?
gedichte schreiben, wo keine steine särge huren nächte wiesen kinder meere heere menschen herumspuken, gedichte, die nicht einmal sich selbst zu verhöhnen brauchen, oder diese willfährigen menschen oder wolken wiesen fluren huren gedanken schranken…
(dieser jämmerliche schnee der sehn=sucht!)

*

(… daß damals, 1854, in einer verkrusteten nacht, ein KRAMPF sich löste, der vielleicht dimensional NEU hätte sein können, wenn keine KNAHS & RABUHLS schief dazu gelegen hätten & daß gerade hier die SCHÖNHEIT eine blüte geworfen hätte, wenn mir kein RUHLA ins hirn geritzt worden wäre & keine SIEHLE ins herz… )

*

„ich bin jetzt alt und hart geworden in all den zuwendungs- und zurichtungs=orgien, die ihr gezwungen wart, für mich zu veranstalten, sinnsuchende irrenärzte und herr=meneuriker, um aus mir eine schißmatische reliquie in einer mit zartrosa satin überzogenen schatulle zu machen,
so habe ich überlebt mit einem KUNST=gesicht, darunter ist die narbe, mit paste & leim überpinselt : aber die narbe setzt die differenz zwischen blut & fleisch, paste & leim, zwischen der leere & der fülle, zwischen der voll=ge=stellten leere & der gelee(h)rten fülle,
diese differenz wird nie verschwinden bis sie mit ihren kratern die welt ausleuchtet…“

wie sagen, daß es lebensnotwendiger ist, eine welt, unendlich und reich, zu erschaffen, die jenseits und diesseits aller welten ist,
wie sagen, daß raketen ausgeschickt werden müssen in die entferntesten galaxien, befrachtet mit ewigkeitskristallen, verzückten entwürfen und melodien, bildern, linien,
wie sagen, daß es lebensnotwendiger ist, gedichte auszuschmuggeln, die eines tages gewichtig genug sind, daß sie diese öde blödsinnsschrift der welt maßlos dezentrieren, zum kippen, stürzen, wirbeln bringen, eine andere anziehung schaffen, ein schwerefeld zur rettung unserer körper, die SCHÖNER als alles, die allen AUFSTAND rechtfertigen…

körper, die noch immer wie bewehrte PANZER gegen den FLUX funktionieren, soldaten (Soll-Daten!), tod für alles neu :gesehene in den augen,
wie den pflastersetzern den zeitlosen blick stecken,
wie den bergsteigern, die angstvoll im fels sich krallen, die schönheit des freien falls erklären?

„so you think you can tell Heaven from Hell, blue skies from pain, can you tell a green field from a cold steel rail? a smile from a veil? Do you think you can tell?“
wir sind in diesen überflutenden ländern wie ein schnell gealtertes kind unter seinem ersten vollmond.

*

wörter sind die magischen kabel, strombrücken, die meinem fleisch als tentakeln wuchsen bis sie den anderen körper berührten, der mich mit entsetzen und entzücken, schreck und ekstase beschenkte, weil der augenblick des con=TAKTES zwischen dem grenzenlosen, unbeschriebenen körper und zwischen meinem scharf riechenden und damit auch stinkenden körper dem letzten ein BILD dieses körpers schoß – und von da an streckten sich die tentakeln, vormalige fummler, nach einer magischen formel, die als larve auf der eichel (frauen müssen eigene wörter finden!) aller tentakeln klebte und die sich schuf, als die eichel den anderen körper berührte –
und die jetzt endlich, aber mit einer erschreckenden klarheit, auskunft gibt über die ingredienzien, über art und zahl der subsTANZEN, die notwendig sind, dieses BILD, das nur im negativ vorliegt, zu be :lichten, zu ent :wickeln: konzentration der verstreuten fleisch-, knochen-, blut=tentakeln, KONZERTierte aktion meines abgeschmarrten körpers zur entwicklung eines bilds, das wie eine TÜR (oder wie ein SPALT) FUNKTioniert.
Immer sind daher meine wörter nichts als das geschockte bewußt=sein, die INTELLIGENZ meiner knochen, meines fleischs und bluts, kuriere und kundschaft, spur und spuren=leser, multipler gesang meiner verharrten und mit ihrer ARBEIT kommunizierenden ORGane.
Der „organlose Körper“ ist nicht der körper ohne organe, sondern der ENTORGANISIERTE körper scheißen wir auf menenius agrippa! Mich interessieren die sich entwickelnden, arbeitenden, sich vergoldenden organe im konzert, orgasmus, der jene magische formel auswirft, die auf allen tentakeln k=lebt.

diese magische formel sind nicht die wörter, ist nicht einmal ihr strom :flux, sie ist der GRUNDSTOFF der wörter, der buchstaben & silben, über den jeder lebendige körper verfügt, in maßen, die sich nur den zu=fälligen delirien des kosmos verdanken, diese Formel ist das grad=messer der begegnungen, gezogen von der bewegung der tentakeln:

diese sind die wörter, silben und buchstaben, das fleisch jenes geistes, der seine eigene MATERIE GESICHTET HAT, für einen dunklen fleck lang:
DIESE WÖRTER SIND ILLUMINIERTES FLEISCH!

*

lachhaft zu sagen, rimbaud sei in afrika „reterritorialisiert“ worden, „die marionette“ habe „die oberhand gewonnen“, „ein jämmerlicher kaspar“, der „bei jeder gelegenheit mit dem gold an seinem gürtel klimpert“ (und mit was haben SIE geklimpert, herr breton?).
wer mißt diese endlosen/zwielichtigen/erfolglosen streifzüge des afrikanischen rimbaud an der kunst=stoff=platte, die vor dem eigenen schädel befestigt ist? es gibt eine grenze, wo das SCHWEIGEN nicht mehr SPRECHEN kann, wo die mit=teilung stockt und zerbricht, um frei und sinnlos, ja: WIE AUFGEZOGEN auszulaufen! wer den spalt einmal gefunden hat, den grünen phosphor/spalt (watn’dat?), der die welten trennt, wer einmal die NAHT der welten entdeckt hat, und wer neugierig und mutig genug war, ihn zu passieren, wird nie mehr schreiben und rimbaud hat diesen spalt durchschritten ebenso wie gérard de nerval ihn durchschritten hat oder r.d. brinkmann, um nur einige zu nennen…
wer hat denn schon soviel verloren, daß er den rest seines lebens in unmöglichen landschaften herumhetzt, wer ist schon so verrückt?

„doch nach eurOPA kann ich nicht zurück, aus VERSCHIEDENen gründen: zunächst würde ich im winter sterben; dann bin ich schon zu sehr an das UNSTETE & KOSTENLOSE leben gewöhnt, endlich habe ich keine an=stellung. ich muß also den rest meiner tage damit hinbringen, unter strapazen & mühen herumzuirren, mit der EINZIGEN AUS=SICHT, unter schmerzen zu sterben… HEIM=KEHREN [=re/territorialisieren!] hieße mich begraben…“

die poesie rimbauds in afrika, es liegt so nahe es zu sehen, das ist die fortwährende bewegung, die rastlose aktion, die erfahrung des reinen VERLUSTS!

seine letzten gedichte (feste des hungers, komödie des durstes, feste der geduld(!)) sind PRÄSENTATION (nicht: RE-) der gelungenen spaltung, schize: die „umrundung der welt“ (kleist) ist beendet, man schüttelt sich die hände, die des anfangs und die des endes, man berührt SICH: das meer und die sonne…
was kam danach? die „Illuminations“ sind gleichzeitig, parallele lichtlinien, ausleuchtungen der äußersten/innersten außen/innen=wände, texte eines OBJEKTIV gewordenen körpers jenseits aller ideologischen schreib-weisen. Visionen? Ja, inso=fern die einheit empirisch/physisch immer bloß bei=nahe möglich ist (oder täusche ich mich?): zwei kurven: die des kreatürlichen lebens und die des gespaltenen lebens, in sich selbst gespalten: doppelt: bildersuchend – diese bei den (oder sind es schon drei?) kurven berühren sich am ende bei=nahe, sie bilden einen spalt und dieser spalt ist der ORT DER VISIONEN, der ort der „Illuminations“.
davor lag: „premiers vers“, „eine zeit in der hölle“, „das trunkene schiff“ – die ganze dynamik einer kurve!
ort der visionen: da, wo man spricht, als sei man schon gestorben, „out of time“, aber es wird noch gesprochen, mit dem impuls/ dem schmerz/ der lust des ausfließenden lebensstroms, des anfänglichen körpers der unschuld und vitalität, dirigiert und gelenkt jetzt von den über=blicken der vision:

„Ankömmling zu jeder zeit, der fort geht ins Über=All“
„Nichts mehr verloren: im Himmel und auf Erden. Das Leben.
– Das war es dann wohl?
– Und der Traum frischt auf.“

und in afrika? wer sich selbst einmal – und zwar mit objektiver subjektivität – sehr nahe kam, in einer einschreibung, furche aus visionen, kann endlich keine vision mehr be=schreiben, es sei denn, die letzte: den TOD:

„STILL!

Wenn uns das GROSSE SCHWITZEN kommt,
aaaaaadie Meere überschwappen,
aaaaaadie Erde innen glüht und brodelt,
wenn es unsern Planeten wegreißt
aaaaaaund der THERMIDOR heraufzieht:
das ist es, was uns erwartet…“

etwas anderes noch zu schaffen, wenn der/die/das ANDRE eingeholt ist, heißt: rückfall, rückschritt, RÜCKSCHRIFT: rimbaud entzog sich der rückschrift, um der lüge, dem „heim=gekehrten“ körper zu ent=gehen, gab er schreiben und poesie auf: er war zu schnell, machte zu wenig umwege, war zu kurz=schlüssig, zu früh angekommen. schreiben ist tatsächlich ab einem bestimmten punkt, wenn eine bestimmte grenze überschritten und überschrieben ist, REAKTIONÄR.
aber nur mut, keine bange: es gibt viele, die brauchen länger & sind noch längst nicht am ende.

*

nein! rimbaud hat den spalt NICHT durchschritten, er ist eingezwängt drin hängen geblieben, da zappelte er erbärmlich, bis diese ratternde lebensmaschine ausgelaufen war. ist das scheitern! in Gottes Namen!

„… es ist tatsächlich so, daß ich, d.h. mein körper, zeit meines lebens immer auf der suche war nach anderen körpern, mit denen man frei und mehr als auf der höhe seiner zeit unbändige feste feiern könnte, aber meist entpuppten sich die körper als entleerte & ausgesaugte körper, wankende ideologie=zombies, deren einziges interesse darin besteht, einen übelriechenden duft von auslegung/wert/verharrung abzusondern: von verfälschten Visionen.
aber an dem tag – und dieser tag dürfte kommen – wo alle körper nur noch & ausnahmslos die gedoubelten säue dieser obersau sind, die sich GEIST/LOGOS/SINN/NOTDURFT; BRAUCH :BAR :KEIT etc. nennt, an dem tag also, wo der letzte lebendige körper ausgerottet sein wird, wird all diesen SAUgern furz artig ihre existenzgrundlage wegsacken und mit einem getöse, nein, mit einem widerwärtigen quieken wird der ganze schwachsinn verschwinden, d.h. die erde wird jäh von jener pest, von jenem haarsträubenden sinn, von jenem duften geschmatze, das sich MENSCH nennt, frei sein und wieder bewohnbar für lebendige.“

*

es wird also davon ausgegangen, daß rimbaud auf der ebene der „écriture“ das äußerste erreichte, was für einen menschen erreichbar ist.
wollte er seinen körper aus fleisch, blut und knochen mit dem körper der „écriture“ synchronisieren, ver=einigen? steckte hinter dem manischen afrikanischen rimbaud der wunsch, den alten körper mit-, nach-, hinüberzuziehen in das objektive feld der „écriture“?
man müßte sich vielleicht langsam mit dem gedanken anfreunden, daß körper, RICHTIGE körper (zum anfassen! nichts astraliges!) über eine RICHTIGE grenze geschmuggelt werden können, wo ein vollkommen anderes, fremdes leben gedeiht: raum der „écriture“, der rimbaudschen vor allem, ist ein EWIGER JAGDGRUND eines objektiv gewordenen körpers, frei von allen fesseln der singularität/dualität/sentimentalität.
rimbauds faszination: daß er immer noch DA ist, körperlich, zum lieben (man frage patti smith!), zum kommunizieren, grenzkörper, brücke, tür oder spalt:

„Wie können wir in dieser Winternacht,
taumelnd von Kap zu Kap,
vom wimmelnden Pol zum Schloß,
von der Stadt zum Meeresstrand, von Blick zu Blick,
matt und ohne Gefühl,
wie können wir ihm da begegnen, ihn spüren und wieder loslassen –
Wie seine Gesichte, sein Atmen, seinen Körper, sein Leben

WAHR MACHEN

auf dem Bett des Meeres
wie auf dem eisigen Dach der Welt?“

*

alles, was wir mit rimbaud über=nahmen, die heraustREIBUNGEN, überTREIBungen, ab=risse, ab/sprengungen, all das sieht nur dem SANIERTEN auge rüde, heillos aus. wir sind die letzten, die uns auf rüdes was ein=bilden. wir haben bloß etwas abgekriegt, wir haben in den krümmungen, kurven, schleifen, schwingungen, barrikaden, blockADEN, haken, speeren, lanzen der wörter, buchstaben und silben die ent=SPRECHENDEN AUGEN entdeckt (zu den w=örtern, zauberstäben, silbern), augen, die sowas wie teleskope in die allerletzten und allerersten driften des weltalls sind, und wir sind mit diesen wörtern, buchstaben und silben wie mit sonden in die tiefsten schründe unserer körper eingedrungen, und wie mit torpedos und raketen ins peripherste abgeblitzt. denkt mal! das sind keine ein=hildungen! wir haben mit den joints der buchstaben einen trip ins über=sinnliche gemacht, und wir haben dabei erfahren, daß man für diese obskuren gefilde keine konklusionen, keine namensschilder braucht, weil sie gar nicht so weit weg, sondern nahe=liegend, lachhaft nahe, und daß z.b. einige buchstaben ein satanisches lachen quasi aus uns heraus gebürstet haben, während andere uns ent=setzen injizierten, daß wir noch ganz fassungs/los da stehen und nicht wissen wohin –

daß man bloß die augen der wörter, buchstaben und silber, als fernrohre, fahrstühle, mikroskope, schleudersitze etc. zu nutzen braucht (mit etwas courage), damit dieser ganze reduzierte KAPPES, auf den sie hier alle so versessen sind, ein für alle mal VERGESSEN werden kann,

all das dumme, opportunistische geschwätz, das nach dem niedergang der objektiven revolte in deutschland verzapft wurde: „ja, es gibt übersinnliche phänomene, ja, es ist nicht von der hand zu weisen, daß es außerirdische…, ja, die magie, der schamanismus, die mexikanischen zauberer, die telepathie, die selbstheilung der hypnose, die urschreie und selbstdar=stellungen, die transzendentale berührung und abhebung, der mediale charakter der hysterie, die mythen, die naturen, die frauen, die hirngespinste der männer…“

auf den billigsten, verkommensten zauber, auf den letzten, stinkenden idiotenwind seid ihr abgefahren, aber nicht ein einziges mal auf die POESIE, weil die poesie nichts mit faulen säcken, söhnchen und töchterchen aus gutem haus und kristlich beschädigten huhmanisten anfangen kann, „alles an seinen plat(t)z, nur ja nichts verrücken!“

ja, und die verrücktheit habt ihr mit wahnsinn verwechselt!

poesie, und speziell die rimbauds, bedeutet eine maßlose anstrengung, eine harte knochen- und blutarbeit, heißt nicht dem irrtum unterworfen zu sein, nur mit dem verstand verstehen zu wollen, und da muß man schon ein klein bißchen richtig verzweifelt sein, OUT, nicht mehr in irgend einem FETT drin schwimmen, um sich da ran zu machen, denn der ertrag läßt sich nicht in die münze des intersubjektiven GESCHWÄTZES umwechseln, ja, unsere arbeit ist für die stillen, die zähen…

die verkettungen, verkleisterungen, verharschungen schreiten voran, das denken ist vakant, die frauen werden schwangerer, die axiomatiken rüsten auf.

„Sei auf der Hut hier, oh du mein abwesendes Leben!“

Hans Therre, Nachwort, Herbst 1979

 

Schmuckstück

Wir haben hier ein typografisches und literarisches Experiment der Herren Therre und Schmidt, die sich zum Ziel gemacht haben, den Geist Rimbauds in seiner Roheit und Wildheit neu aufzugreifen und den Dichter aus den intellektuellen Fesseln der Romanisten zu befreien. Obschon durchaus gescheitert an endlosem, ermüdendem „modernisTISCHem Schnick=SCHNACK“, der dem Rimbaud-Freak höchstens eine zusätzliche, inspirierende Perspektive auf dessen Werk verschafft, ist es doch ein schönes und lustvolles Buch. Die Texte sind üppig illustriert, wenn auch willkürlich und ausufernd, aber anregend und vielfältig.
Wo die Übersetzungsqualität unerheblich wird, beginnt dafür eine Reise durch Rimbauds Welt, auf handgezeichneten Karten, pubertärem und obszönem Gekritzel, Fotografien und Portraits von der Moderne bis in die 80er. Die Stärke dieses Buchs liegt mehr in seinen Ergänzungen zum poetischen Werk: Erläuterungen, ein essayistischer Versuch den Dichter sprechen zu lassen, Essays über seine Schrift, über seine Lebensspuren, über die Alchemie des Wortes und über Revolte, Artauds „Fragmente eines Höllentagebuchs“ und nicht zuletzt das oft vermisste „Album Zutique“, eine Sammlung spöttischer und satirischer Gedichte Rimbauds.
Das große Minus an diesem Buch ist der fehlende französische Originaltext, was aber in einem Umfang von 569 Seiten nicht möglich ist. Deswegen ist es einfach ein weiteres, durchaus schönes Mosaikstück in der Pflichtsammlung des Rimbaudlesers – selbst ich, der französisch versteht, brauche mindestens sechs verschiedene deutsche (und sogar englische) Paralleltexte. Meine Empfehlungen sind die dtv-Ausgabe von Thomas Eichhorn, die Reclam-Ausgabe von Werner Dürrson, Paul Zechs Nachdichtung aus dem Fischerverlag, die englische Übertragung von Paul Schmidt und als mehr oder weniger aufschlussreicher Fehlgriff, die Insel-Ausgabe, die ich schätze als handliches kleines Taschenbüchlein, das mich wegen des Originaltexts stets auf Reisen begleitet.
Ähnlich letzterem ist „Das poetische Werk“ ein ästethisches Juwel, das ich trotz gescheitertem Inhalt doch nicht mehr hergeben würde. 3 Sterne.

Moulin, amazon.de, 1.2.2009

Freie Übersetzung genialischer Worte

Das Werk, der Autor sind zum Mythos übergegangen. Man möchte hier ein abgeändertes Zitat anwenden: Diese Lyrik ist Dynamit. Es ist die Begründung der Moderne und inspiriert nicht nur Lyriker sondern Künstler, Philosophen gleichermaßen: Henry Miller, Picasso, Jackson Pollock, Jean Paul Satre, usw.
Von dem Genie, der Hingabe und der Frühreife dieses Autors geht ein Faszinosum aus das Generationen beflügelt hat. Mit bereits 20 Jahren hatte Rimbaud ein Hauptwerk der französischen Lyrik geschaffen und gab sodann die Dichtkunst auf und wurde Pionier und Entdecker auf anderem Gebiet: Neueste Forschungen haben ergeben, dass Rimbaud eine wichtige Figur in der Landesgeschichte im heutigen Äthiopien war.
Die Frage ist wie sich die Neuschaffung von Sprache überhaupt übersetzen läßt. Hier liegt ein Versuch vor, der scheitern kann. Auf jeden Fall gibt es einem dem es vorenthalten ist die Gedichte im Original zu lesen eine Idee von der Kraft die hier sprüht, von dem Feuer das Rimbaud zu stehlen versteht.

ArhturR, amazon.de, 15.5.2004

überambitionierte übersetzung

Die Übersetzung ist überambitioniert. Die Texte wurden durch HervorHEBUNGEN, willkürliche Wort-trenn-ungen und anderen Schreib-Weisen-SchnickSCHNACK „modernisiert“. Schade drum, denn Rimbauds Werke, die auch 130 Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrer Dynamik und Präsenz eingebüßt haben, hätten diese Adaption an die Mode der 1990er-Literatur nicht nötig. Ich hab mir auch die dtv-Ausgabe zugelegt und finde sie besser.

Ein Kunde, amazon.de, 13.5.2003

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Kristina Fries: Variation statt Korsett
literaturkritik.de, August 2011

 

Karl August Horst: Der Mythus um Rimbaud, Merkur, Heft 94, Dezember 1955

Hans-Thies Lehmann: Die Sprache neu (er)finden. Anmerkungen zum Thema Arthur Rimbaud, Merkur, Heft 399, August 1981

Maurice Choury: Rimbaud – Der erleuchtete Kommunarde, Sinn und Form, Heft 4, 1971

 

 

EIN PSEUDOROMAN ÜBER DAS LEBEN VON ARTHUR RIMBAUD1

Buch II
Kapitel IV
Rimbaud

Sie sagten, er war neunzehn; er wurde geküsst
So oft geküsst, dass sein Gesicht sich frostig verschloss.
Seine Augen sollten den vorübergehenden Liebhabern folgen
Seine Lippen sollten singen und nichts sonst sollte sich bewegen.

Wir Erwachsenen an der Bar betrachteten ihn dann beim Singen.
Himmel, war das lustig, mit was für einer kindlichen Anmut
Er den Blues für uns sang; seine gefrorenen Lippen
Sollten sich heben und Lied für Lied unsern Blues singen.

Ungezügeltheit von Herz und Geist
Wird ihren Fortschritt bremsen bis in den letzten Abgrund hinab
Ungerührt; sie hören dem Wind zu
Und entdecken in ihrer Gurgel eine oberste Grenze.

 

Buch II
Kapitel V
Irrer Krach

Ja. Die Lieben von gestern. Der Fluss war ein Stück Wasser, das verbogen aussah. Ich denke, Pan schwebte über ihm. Weder Pan noch der Fluss waren real – Über Den Wassern Von Charlieville, 1868.

Ja. Gestern ist ein Liebhaber. Wendet er sich um, wird er sie sehen – wie sie ihn zu einem abgelegenen Gymnasium oder Gedicht locken und von dem Weg abbringen wollen, auf dem er so viele Meilen zwischen sich und den Ort der Rückschau gelegt hat.

Das Gesyestern war die Ewigkeit. Ist rückwärtsgewandt. Ist die Art, auf die ein Mann dem Wirklichen ins Gesicht blickt, das ihm stets im Nacken sitzt. Und er ihm. Gesyestern überlebt in seinen Augen – wie ein Wassermolekül in seinem Fluss. Treibt Salz und Tränen hervor – sie haben uns nicht kommen sehen.

Dahinten, wo die Luft rein war. Sogar das Gestern war die Ewigkeit, in der die Luft rein war. Wer sich bloß an es erinnert, wird das Gesyestern nicht entdecken.

 

Buch II
Kapitel VI
Eine Apologie für diesen Roman

Paul Morphy2 sagte: „B–K4, B–K4, D–B5, matt“, ließ ein paar Bauern und Läufer alt aussehen, aber stellte seinen Willen unter Beweis, seine Bauern, seine Türme, seine Springer, seine Läufer zu opfern, seinen entschiedenen Willen, Schach zu spielen. Adolf Anderssen schlug er, da gibt es kein Vertun.

Fährt ein Taxi nicht, fährt ein Taxi nicht. Selbst wenn du Benzin nachfüllst oder es bearbeitest wie einen kaputten Kühlschrank, fährt es trotzdem nicht. Verbrenne es so schnell du kannst.

Jack Spicer
Übersetzung: Stefan Ripplinger

 

 

Fakten und Vermutungen zu Hans Therre

 

Fakten und Vermutungen zu Rainer G. Schmidt

 

Zum 50. Todestag des Autors:

a.: Arthur Rimbaud
Die Tat, 11.11.1941

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Hansres Jacobi: Arthur Rimbaud – ein Leben der Revolte
Die Tat, 23.10.1954

Zum 150. Geburtstag des Autors:

Rüdiger Görner: Die Schwarzkunst der Worte
Die Furche, 14.10.2004

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram 1 & 2 + IMDb +
ArchivInternet Archive + Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Arthur Rimbaud – Diashow mit Bildern aus seinem Leben, Zeitdokumenten von Charleville, Paris, London und viele von Rimbaud selbst gemachte Fotografien von Adens und Harrar. Dazu handschriftliche Manuskripte von Rimbaud, Zeichnungen von Delahaye und Freunden.
Von Joan Baez gelesene Gedichte wurden mit Musik unterlegt, im Bestreben, ein Bild von Rimbauds Leben, seinen Freunden und Plätzen zusammenzusetzen, das er wiedererkannt hätte.

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