Aurélie Maurin & Douraid Rahhal (Hrsg.): VERSschmuggel – Eine Karawane der Poesie

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Aurélie Maurin & Douraid Rahhal (Hrsg.): VERSschmuggel – Eine Karawane der Poesie

Maurin/Rahhal (Hrsg.)-VERSschmuggel – Eine Karawane der Poesie

IN DER LÄRMENDEN / BRAUSENDEN STILLE

Bettler sind sie zwischen den Ebenen der Bedeutung
aaaaasind sie /
sie haben das Gesicht
des Echos haben sie und tragen den Turban der
aaaaaSteine den Turban / sie
breiten sich aus in uns und im Blut in uns / an der
aaaaaHand / und
in den Händen / Händen
Vorne an ihren Fingern öffnen sich die Augen des
aaaaaBetonzeitalters —

Du Stille, die du gereift bist im Marmeladenglas der Stille
An welchem Strand sprudelt der vom Lotus Erfüllte?

Ali Al-Sharqawi
übersetzt von Gerhard Falkner

 

 

 

Stimmen von Beteiligten zu diesem Projekt

Nie hätte ich gedacht, dass ich mich einmal als Übersetzer wiederfinden würde, noch dazu beim Übersetzen von Lyrik aus einer Sprach wie dem Deutschen, die ich gar nicht beherrsche. Doch es ist eine Tatsache, und eher noch ein Wunder, welches sich durch die Literaturwerkstatt Berlin verwirklicht hat.
Mein Partner im Projekt der gemeinschaftlichen Übersetzung war der deutsche Dichter Ron Winkler, und wir hatten das Glück, dass Gerd Himmler unser Vermittler war bei der Übersetzung unserer Gedichte zwischen den beiden Sprachen: Arabisch und Deutsch.
Die Übersetzungssitzungen waren ein breites Tor zum persönlichen Kennenlernen in ausufernden Gesprächen über die beiden Kulturen. Einzigartige Anekdoten über die großen Namen der Poesie in beiden Sprachen folgten aufeinander, ohne jedoch etwa mit Al-Mutanabbi zu beginnen und mit Goethe zu enden.
Es war eine erfreuliche und äußerst reiche Erfahrung, die uns die Literaturwerkstatt Berlin ermöglichte. Ron Winkler und mir gelang es, unsere Gedichte mit pulsierendem poetischem Geist im Herzen der jeweils anderen Sprache zu übersetzen. Es gelang uns wirklich, obwohl ich die deutsche Sprache nicht beherrsche und er nicht die arabische.
Mohamad Al-Harthy

Das Element des Übersetzers ist das Wortfeld. Es hat einen Horizont, der wie jeder gute Horizont kein Horizont ist, demnach jedoch ein Horizont. Oder?
Sein Element oszilliert – zwischen Horizont und Nichthorizont und all den anderen Nichthorizonthorizonten.
Manchmal sieht man den Übersetzer dort stehen und das Horizontelement betrachten. Er hat einige Werkzeuge parat, deren Namen ihm nicht bekannt sind und die er deshalb so nennt, wie es ihm angenehm ist und angemessen erscheint. Impulspflug und Vermutungsrelativierer, dazu die Maßschneide, einige Sinnstreifen und etwas Zwitterschmiere. Unter anderem.
Und manchmal ist es Dezember und ist es Berlin, wenn der Übersetzer neue Wortfelder zu beernten hat. Er steht dabei mitten in einem Horizont. Steht am Rande von Papier und Backsteingebäude, steht zwischen Dichter und Dolmetscher, punktgenau auch zwischen Ehemaligkeit und Zukunft. Dreht sich eine Zigarette, dreht ein Wort in ein anderes Wort, fragt sich, wie viele Begriffe seine Sprache für „Rand der Wüste“ kennt. Ihm fallen die üblichen Synonyme ein: Sandsaum und Ödnisverebbung, Duft vom Ende der Weite. Die gedrehte Zigarette gibt er dem zu „seinem“ Dichter gewordenen Dichter, der sich weder auf das Wortfeld noch auf den Übersetzer reimt. Der Dichter lächelt, raucht die Tabakwüste bis an den Rand. Man versteht sich, irgendwie. Und auf dem Wortfeld keimt etwas. Irgendetwas vielleicht Genaues. Über und gegen alle Unverständlichkeiten hinweg.
Ron Winkler

 

Fünf arabischsprachige Poetinnen und Poeten

– aus Bahrain, Dubai, Kuweit, Oman und Saudi-Arabien – reisten im November 2009 nach Berlin, um auf fünf ihrer deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Zwei Audio-CDs dokumentieren die öffentlichen Lesungen in Berlin am Ende des Übersetzerworkshops und versetzen die Rezipienten in die Lage, auch den Stimmen der Dichter zu lauschen, die ja Instrument ihrer Dichtung sind. Der Band bringt zusammen, was Dichtkunst heute medial braucht: gehört werden, gelesen werden – und verstanden werden zu können.

Mit: Mohammad Al-Domaini, Nujoom Al-Ghanem, Mohamad Al-Harthy, Mohammad Al-Nabhan, Ali Al-Sharqawi, Nora Bossong, Gerhard Falkner, Syvia Geist, Tom Schulz, Ron Winkler. Mit dieser zweisprachigen Anthologie mit Gedichten von zehn Dichterinnen und Dichtern nehmen zwei Sprachräume, die seit langer Zeit ohne Dialog waren, erstmals wieder poetischen Kontakt auf.

Verlag das Wunderhorn, Ankündigung, 2010

 

VERSschmuggel – Eine Karawane der Poesie

-Auf Einladung der Literaturwerkstatt Berlin fanden sich im vergangenen Jahr fünf deutsche und fünf arabische LyrikerInnen zu einem interkulturellen Workshop zusammen. Sie tauschten sich aus und übersetzten ihre Gedichte gegenseitig. Den Abschluss bildete eine Lesung am 1. und 2. Dezember 2009. Nun ist im Verlag Das Wunderhorn in Zusammenarbeit mit dem Arab Institute for Research and Publishing die von Aurélie Maurin und Douraid Rahhal edierte Anthologie VERSschmuggel erschienen.-

Mohammad Al-Nabhan vergleicht die Übersetzungsarbeit seiner und der Gedichte von Tom Schulz als eine Suche nach sich selbst. Das Konzept hinter VERSschmuggel verzichtete auf den üblichen Ablauf, nachdem die Dichter ihre Texte einreichen und von einem Übersetzer bearbeiten lassen. Stattdessen bildeten sich fünf Dichterpaare, die einander gegenseitig ins Deutsche bzw. Arabische übersetzten, ohne die jeweils andere Sprache zu beherrschen. In langen und tiefschürfenden Gesprächen tauschte man sich über die Bedeutung der eigenen Verse aus, um dem Gegenüber eine adäquate Nachdichtung zu ermöglichen – was bei zwei so unterschiedlichen Sprachen sicher nicht einfach ist. Neben Schulz und Al-Nabhan nahmen Ron Winkler, Mohamad Al-Harthy, Nora Bossong, Nujoom Al-Ghanem, Sylvia Geist, Mohammad Al-Domaini, Gerhard Falkner und Ali Al-Sharqawi an dem literarischen Experiment teil.
Herausgekommen ist eine vielschichtige und vielstimmige Anthologie, die erstaunliche Schnittmengen völlig unterschiedlicher lyrischer Traditionen offenbart. Es offenbart auch, sowohl in den Gedichten als auch in den Kommentaren der Autoren, einen Prozess, der sich auf die Suche nach dem Wesen von Sprache und Ausdruck begibt.
Es habe bedeutet, „zu einem verborgenen Text im Innersten des Geschriebenen vorzudringen“, schreibt Al-Nabhan, und Tom Schulz ergänzt: „Die Distanz, die sich aus den unterschiedlichen kulturellen Horizonten ergibt, ermöglichte es mir, „das Fremde“ im Prozess der Übertragung für mich in eine Nähe zu verwandeln.“ Es scheint, als thematisiere Al-Nabhan eben das in seinen Gedichten, wo es heißt: „Ich ordne deine Exile in mir, die Briefe, du meine…“
Überhaupt gibt es viel zu entdecken in diesem wundervoll bibliophil gestalteten Band – neben großartigen deutschen LyrikerInnen auch Einblicke in die moderne arabische Dichtung, aus der leider allzu wenig auf deutsch vorliegt. „Das Blau / (des Meeres) wirft meine Worte zurück / wenn es der Welt unter der Haut kribbelt“, heißt es bei Ali Al-Sharqawi; oder in Mohamad Al-Harthys beeindruckendem Gedicht „entschuldige dich beim frühlicht“:

doch immer wieder vergesse ich das frühlicht,
so wie ich vergesse, dass ich den fels des sisyphos zu bewältigen habe
(der stark ramponiert ist, weil man ihn ständig durch bücher wälzt)

Den Anmerkungen aller zehn DichterInnen ist vor allem eines zu entnehmen: Dass diese Austausch eine reiche und bereichernde Erfahrung war, sowohl auf literarischer als auch auf der Ebene des zwischenmenschlichen Austauschs. Der Leser kann diese Erfahrung nicht nur im gedruckten Wort in beiden Sprachen nachvollziehen, sondern auch auf dem enthaltenen Hörbuch (2 CDs), das beide Abende der Lesung im Dezember 2009 dokumentiert. Die Gedichte, ihre Übersetzungen und der Rahmen in dem dieses Werk entstanden ist erfüllen vor allem das, was Dichtung wie die vorliegende so wertvoll macht – sie bleibt nicht Selbstzweck, sondern öffnet sich, weist über sich selbst hinaus und reißt Barrieren nieder, ist zugleich stille Introspektive als auch lebhafter Dialog. VERSschmuggel ist ein kleiner, höchst lesenswerter West-Östlicher Divan.

Gerrit Wustmann, cineastentreff.de, 29.5.2010

 

Aurélie Maurin und Rainer G. Schmidt: Übers Übersetzen von Gedichten

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin + Facebook
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