TÉCHNĒ („WÄHREND“ / „UND“)
täglich, und ganz unbeobachtet,
macht die seele ihre backups –
und sage niemand, es
handle sich dabei um eine
durchsichtige technik; lange
hat man angenommen,
es wäre eine simple traumroutine,
die da abläuft, inzwischen
ist ziemlich sicher, dass
es am späten abend geschieht,
während du einschläftst, und
fünf, höchstens zehn sekunden
dauert; während der mond
in den fenstern steht,
ja, der mond, in den fenstern,
seit hundert jahren sind sie mit-
einander verschaltet; alles
hast du versucht, ein break rein-
zulöten, aber der kontakt…
steht, den chip zu killen, aber
der kontakt steht, sogar das ganze
ding in seine einzelteile zu zer-
legen, aber der kontakt…
so wie deine träume übrigens,
die vorgeben, am morgen
den körper zu verlassen, während
aber die glasröhre des tages
zerbricht, und die träume ihre
quecksilberkugeln in dein muskel-
fleisch schießen und die systeme
lahmlegen, während dein
körper völlig unbeeindruckt
seinen geheimen kalender auf-
blättert und die programmdaten
abgleicht, und der kontakt aber,
monströs und präzise, steht.
Andre Rudolph
Lange scheint es, als würde die Klarheit lügen, als gäbe es diese Waschung nicht
des Himmels, als würde sie die Beine nicht fluten, die Städte des Staubs nicht forttragen,
lange sehe ich diesen Ruf nicht, den ich hinter meinem Rücken die ganze Zeit sehe,
sehe ich durch das zerbrochene Glas nicht, zu dem meine Finger erstarren.
Die Wände beginnen löchrig zu werden, die Böden rissig wie die Erinnerung,
die Berge der Türen, nicht hoch genug, verfallen und werden zu grünen Wüsten,
zu flatternden, glitzernden Ebenen, zu einer Landkarte der Wildpferde,
in der die Orte dahinströmen, widerspenstig werden wie die Buchseiten des Schnees,
weiße, in den Wind geworfene Tücher, gereinigte, tintenäugige Federn.
Samtig wie eine Pferdeschnauze weitet sich das Türkis des Himmels in alle Richtungen,
wie ein zu einer hellen Traube aus Seesternen geschältes Herz, eine Schweißflamme.
Die Wipfel zeichnen sich zierlich und stark ab, leichte Brüder der Asche,
im Schatten klingen die Nadelbäume dunkel und tief, klingen sie oder plaudern,
in der Sonne hat ihr Grün eine Tönung von Gold und heißem Sand,
langes Aufblitzen, als wären da Fetzen von einem vor Freude planlosen Tanz.
Wenn sich das Blau vom Himmelrand hinüberbiegt in eine andere Unendlichkeit,
wird die Klarheit des Winters zu einem glänzenden Bogen aus Silber und Kohle.
Mit ihm schieße ich einen Pfeil in die Landschaft, durch einen Engelsflügel,
einen Pfeil, der ein Schrei ist, oder ist es ein Flüstern, fremdes Blut oder meines,
ein totes Blatt oder das Atmen eines Vogels, endlos Tageslicht oder Nacht.
*
Lange scheint es, als würde die Klarheit lügen, als gäbe es diese Waschung nicht
des Himmels, als würde sie die Beine nicht fluten, die Städte des Staubs nicht forttragen,
lange sehe ich diesen Ruf nicht, den ich hinter meinem Rücken die ganze Zeit sehe,
sehe ich durch das zerbrochene Glas nicht, zu dem meine Finger erstarren.
Die Wände beginnen löchrig zu werden, die Böden rissig wie die Erinnerung,
die Berge der Türen, nicht hoch genug, verfallen und werden zu grünen Wüsten,
zu flatternden, glitzernden Ebenen, zu einer Landkarte der Wildpferde,
in der die Orte dahinströmen, widerspenstig werden wie die Buchseiten des Schnees,
weiße, in den Wind geworfene Tücher, gereinigte, tintenäugige Federn.
Samtig wie eine Pferdeschnauze weitet sich das Türkis des Himmels in alle Richtungen,
wie ein zu einer hellen Traube aus Seesternen geschältes Herz, eine Schweißflamme.
Die Wipfel zeichnen sich zierlich und stark ab, leichte Brüder der Asche,
im Schatten klingen die Nadelbäume dunkel und tief, klingen sie oder plaudern,
in der Sonne hat ihr Grün eine Tönung von Gold und heißem Sand,
langes Aufblitzen, als wären da Fetzen von einem vor Freude planlosen Tanz.
Wenn sich das Blau vom Himmelrand hinüberbiegt in eine andere Unendlichkeit,
wird die Klarheit des Winters zu einem glänzenden Bogen aus Silber und Kohle.
Mit ihm schieße ich einen Pfeil in die Landschaft, durch einen Engelsflügel,
einen Pfeil, der ein Schrei ist, oder ist es ein Flüstern, fremdes Blut oder meines,
ein totes Blatt oder das Atmen eines Vogels, endlos Tageslicht oder Nacht.
*
scheint klar:
lüge – asche, staubtrage
ruf nicht, tückische starre
innen risse, innen fallen,
düstere erde…
o spenstiger buchschnee,
weiße, windige tinte
wie traubenflamme,
matte klingen,
bunkernonne, blitzlose, tanz!
Olli Sinivaara
Überstzung von Andre Rudolph
Es war eine „krasse“ Erfahrung, in der anderen Sprache so komplett fremd umherzuirren, ohne jeden Anhaltspunkt in den Buchstaben und Worten, kaum selbst im Klang. Und doch stellte sich anhand der dann entstehenden Gedichtübersetzungen überwiegend das Gefühl des Gelingens ein. Als hätte sich durch die langen Gespräche mit dem Dichter und der Übersetzerin etwas von der finnischen Landschaft, die bei Sinivaara so zentral steht, und der Temperatur bzw. Gestimmtheit des sich in ihr bewegenden Sprechers auch in den Text des deutschen Sprechers hinübergeschmuggelt. Bis heute ist bei mir eine kleine Liebe zu diesen Texten entstanden, auch wenn ich sie mit einem eigenen Verfahren, das nach meinem Eindruck dem Dichter gar nicht schmeckte, ein wenig ins Fremde (zurück)geführt habe.
Andre Rudolph
Für mich bedeutete der VERSschmuggel-Übersetzungsworkshop eine wirklich lange und tiefgehende Diskussion über die innere Bedeutung der Wörter, die ich in meinen Gedichten benutzt hatte. Es war interessant, herausfordernd und lehrreich zu versuchen, Andre Rudolph und Taina Sivonen, den Übersetzern meiner Gedichte, diese Bedeutungen zu erklären – und umgekehrt. Ich habe viel über die Grenzen der Kommunikation in Poesie und Diskussion gelernt. Auch war ich froh, meine Gedichte auf Deutsch zu hören – die Sprache meiner poetischen und philosophischen Helden und Idole.
Olli Sinivaara
Die Lyriklandschaften Finnlands und Deutschlands, zumal wenn es sich um aktuelle Stimmen handelt, kennen einander noch zu wenig. Sprachstruktur und Sprachklang markieren zwischen dem Deutschen und dem Finnischen eine große Entfernung, ja Fremdheit. In solcher Ferne zueinander liegt sicher auch der Reiz zu erkunden, wie weit dichterische Konzepte im Stofflichen wie im Ästhetischen tatsächlich auseinander liegen. Hinzu kommen ganz anders gelagerte lyrische Herkünfte in der Dichtungsgeschichte und die Rezeption gleicher oder ähnlicher internationaler Einflüsse.
Dass Finnland 2014 Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, war willkommener äußerer Anlass, dafür zu sorgen, dass auch die Kunst der Dichtung in beiden Ländern ein ihr würdiges gegenseitiges Interesse erfährt. Dem trägt Rechnung, dass der Band in Finnland und in Deutschland gleichzeitig in einer durchgängig zweisprachigen Edition erscheint.
Auf Einladung des poesiefestival berlin 2013 trafen sich sechs finnische und sechs deutschsprachige DichterInnen in Berlin, um sich in den Übersetzungsworkshop VERSschmuggel zu begeben und das Abenteuer zu wagen, sich gegenseitig zu übersetzen, ohne die Sprache des anderen zu verstehen. Was zunächst absurd klingen mag, beruht auf einem methodischen Konzept und garantiert beste Übertragungen in die jeweils andere Sprache:
Die DichterInnen arbeiteten paarweise mit vorab angefertigten Interlinearübersetzungen als Material. Möglich wurde die Übersetzungsarbeit dadurch, dass zwischen jedem Paar ein Sprachmittler dafür sorgte, dass beide Dichter in ihren Muttersprachen bleiben konnten und intensiv, sehr persönlich und genau ihrem Partner die Geschichten erzählen konnten, die hinter den Gedichten liegen.
Mit diesem Wissen ausgestattet, entstanden in einem mehrtägigen Arbeitsprozess Neufassungen der Gedichte in der jeweils anderen Sprache. Die DichterInnen nahmen sich in Absprache mit ihrem Gegenüber die dazu notwendige Freiheit in Sachen Stoff und Form, um wieder ein gutes Gedicht entstehen zu lassen. Eine Nachdichtung nennt man das, in sehr interessanter Weise abweichend vom Original, aber autorisiert von den Dichtern selbst. Den poetischen Dialog kann noch besser nachvollziehen, wer die eigene Lektüre durch paralleles Hören der beiden CDs vervollkommnet und sich in das zweisprachige Konzert begibt, das während des poesiefestival berlin in der Akademie der Künste stattfand. Die CDs machen hörbar, dass Übersetzen kein strenger, der Grammatik und dem Wörterbuch gehorchender Vorgang ist, sondern ein Interpretieren, das zu immer neuen Variationen führt. In jeder Konstellation haben die Dichter ihren jeweils eigenen Ton in die Übersetzung mit eingebracht. Die Zusammenkunft der Stimmen gibt dem Originalgedicht ein oft überraschendes Echo. Bei Kathrin Schmidt und Helena Sinervo, die teils abwechselnd zeilenweise vorlasen, kann man deutlich hören, wie es Kathrin Schmidt gelingt, sich an Helenas rhythmische und klangliche Vorgaben zu halten und einen an die Kalevala, das finnische Nationalepos, erinnernden Wortklang und Rhythmus ins Deutsche zu übertragen: acht Silben pro Vers, Alliterationen, und Wiederholungen.
Die Autoren waren sich einig, dass es beim VERSschmuggeln darum geht, das Kompositionsprinzip des Gedichts zu übertragen: nicht die einzelnen Wörter oder Zutaten, sondern die gesamte Zubereitungskunst.
Teemu Manninen und Norbert Lange zum Beispiel haben nicht nur beide Charles Bernstein in ihre jeweilige Sprache übersetzt, sie verwenden bisweilen auch ähnliche poetische Verfahren. Es lag für beide Dichter nah, sich auf die Übersetzung der Methode zu konzentrieren. Im Fall der „dummkopfelegie“, die Norbert Lange aus Rilkes Gedichten mittels Falten, Sieben und sonstigen Techniken erarbeitet hat, erfragte Teemu Manninen während der Werkstatt im Detail, welche allgemeinen Themen, Nuancen und Sprechweisen der Text beinhaltete, und begann seine eigene „Törppöelegia“ zu formen, indem er die Rilke-Übersetzung von Aila Meriluoto von 1972 als Grundlage benutzte und aus jeder Strophe ein Anagramm anfertigte.
Interessant dabei ist auch, wie neue Inhalte in die Übersetzungen hineingeschmuggelt werden. Die „Siebende dummkopfelegie“ veränderte sich so von einem Text, in dem es um Gestank und Poesie sowie um einen zum Helden erklärten hellenistischen Otter geht, zu einem Text, der von einem finnischen Fußballhelden und seiner Intelligenz erzählt.
VERSschmuggel stellt einen großen Freiraum fürs Experimentieren her, und viele Autoren verstehen diese Art von Übersetzung auch als Fortschreibung im Sinne ihrer eigenen Poetik. So verwendet beispielsweise Andre Rudolph das poetische Mittel des „tag“ – einzelne Wörter des Gedichts werden „herausgesiebt“ und neu zusammengesetzt –, das bei ihm verschiedene Funktionen hat: Leserlenkung, Variante eines Gedichts im Gedicht, „brutales“ optisches Verfahren, das neue Zusammenhänge anhand des vorhandenen Wort-, Buchstaben- und Silbenmaterials herstellt. Die kurzen Gedichte, die im Laufe der Werkstatt mittels des taggens entstanden, beziehen Stellung zu Olli Sinivaaras Gedichten, konterkarieren sie, kommentieren sie, schreiben sie fort. Andre Rudolph hat somit das finnische Gedicht auch ein wenig „in die Fremde zurückgeführt“.
Somit präsentiert diese Anthologie nicht nur zwölf DichterInnen aus unterschiedlichen poetischen Richtungen, sie führt uns auch ein breites Spektrum an Übersetzungsästhetiken vor Augen. Manchmal variieren diese von Gedicht zu Gedicht, wie bei Kathrin Schmidt, die angesichts der Vielfalt an Stimmen und Stimmungen in Helena Sinervos Gedichten bei jedem Gedicht eine unterschiedliche Art des Übersetzens wählte.
Diese Anthologie ist zugleich Tagebuch und Ergebnis einer einmaligen Sprachexpedition. Die Lektüre kann so zwischen Original und Übersetzung, zwischen eigener und fremder Poetik, zwischen Sprachen und Sprachwelten hin- und herwechseln. Ergänzt werden die Gedichte durch kurze Essays der Dichter, die einen Einblick in die Werkstatt gewähren und Echo vom Arbeitsprozess geben. Allen Lesern und Hörern in Finnland und Deutschland wünschen wir viel Vergnügen bei dieser Klang- und Bedeutungsreise über Sprachgrenzen hinweg. Wenn Übersetzen heißt, Land zu gewinnen, dann wünschen wir uns, dass beide Länder sich näher gekommen sind.
Wir möchten uns sehr herzlich bei allen InterlinearübersetzerInnen und SprachmittlerInnen bedanken, ohne deren Kompetenz nichts hätte gelingen können, und bei den Verlegern, die uns und diesem Verfahren vertrauten. Ebenso danken wir allen, die beratend oder unmittelbar an der Realisierung dieses einzigartigen Projekts mitgewirkt haben, insbesondere Laura Serkosalo, Suvi Wartiovaara und Maria Antas, Michael Mechner für die Tonaufnahmen und deren Bearbeitung sowie Lotta Dufva für ihre Mitwirkung bei der Durchführung des gesamten Projektes.
Aurélie Maurin/Thomas Wohlfahrt, September 2014, Vorwort
den poetischen Grenzverkehr zwischen Finnland und Deutschland: Zum poesiefestival berlin 2013, veranstaltet von der Literaturwerkstatt Berlin, trafen sich finnische und deutsche Autoren, um ihre Dichtung über die Grenzen der Sprachwelten hin- und herzusschmuggeln. Die Ergebnisse dieses großen Übersetzungsabenteuers sind in diesem Buch nachzulesen und auf den beiden beiliegenden CD’s zu hören.
Verlag Das Wunderhorn, Osuuskunta Poesie, Klappentext, 2014
Aurélie Maurin und Rainer G. Schmidt: Übers Übersetzen von Gedichten
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