Axel Schulze: Zu Uwe Greßmanns Gedicht „Froschkonzert“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Axel Schulze: Zu Uwe Greßmanns Gedicht „Froschkonzert“. –

 

 

 

 

UWE GRESSMANN

Froschkonzert

Aus
Flugsort
Ist der Vögel Schar
Weise des Liedes
Zu singen gekommen
Zelt und Nest einen Sommerlang zu bewohnen
Segelt auch der Mensch
Im schnellen Luftboot dahin
Und macht es den andern nach
Da die Frösche im hintern
Wald eines Grammophons quaken
Die See-enplatte dreht sich
Als wär sie dazu aufgelegt
Und macht so aus lauter Quatsch und Wasser mit
Einer Störchin Schnabel von Stahl tipp-tipp
Auf den schwarzen Glanz und sinkt und singt
Hinab so melodisch
Da einer lang hinsegelt
Und ein anderer kurz
Gesagt ist ein Wort wie „Kahn“
Der Wandervögel Schar
Weise zu Unken
Ans Ufer zu bringen
Dem Ausflugsort hier

 

Unkender Weise

Zuerst glauben wir nicht richtig zu sehen und zu hören. Einer spricht, aber ist das sicher? Auf jeden Fall sind da erstmal stockende Worte. Staunend sehen wir unsere alltägliche Umgangssprache wieder, staunend tasten wir uns durch die verschlungene Logik der Zeilen. Aber die Tonlage bleibt, fast so etwas wie eine Melodie, die immer wieder abbricht, die kaum zu sich findet. Zerquetschte Sätze, die einen Wahrheitskern freilegen, den wir kennen, erkennen oder verkennen. Wir setzen aus ihnen neue Begriffe und Bedeutungen zusammen und kommen spielerisch ernsthaft zu immer neuen Entdeckungen.
Dabei ist das Wortnetz doch zwischen gleich hohen Pfosten exakt ausgespannt, zwischen dem „Aus / Flugsort“, wo wir sind, und dem anderen, zu dem wir doch, im gleichen Augenblick, hinwollen, ein kurzer Aufenthalt, ein Festsitzen auf Zeit, auf Zeltplätzen oder sonstwo im Grünen.
Doch bei Uwe Greßmann erwarten uns andere als Binsen-Weisheiten. Nichts, was sich einfach addieren ließe zu eigenen Ausflugseindrücken, sagen wir von Biesenthal oder vom Summter See, wenn sich auch ähnliches, wie in einem mit völlig überdrehter Geschwindigkeit vor uns ablaufenden Film, erahnen läßt. Unsere allzu gefällige Einbildungskraft zeigt sich irritiert und will kaum in gewohnter Weise einsetzen.
Selbst das für Greßmann immer wieder typische Spiel mit Wort und Wortbedeutung, das mit Vorliebe auch jargonhafte Wendungen einbezieht und das einige seiner bekanntesten Gedichte („Irma heißt die Firma“, „Eine Rose war meine Mutter“) liebenswürdig, ja sogar idyllisch erscheinen läßt, will uns hier nicht so recht froh machen („Die Seeenplatte dreht sich / Als wär sie dazu aufgelegt / Und macht so aus lauter Quatsch und Wasser mit / Einer Störchin Schnabel von Stahl tipp-tipp / Auf den schwarzen Glanz und sinkt und singt“). Ja, es bekommt darüber hinaus noch einen unüberhörbar bedrohlichen Unterton (Gesagt ist ein Wort wie „Kahn“). Deutet ersteres Bild auf die beliebige mechanische Wiederholbarkeit eines derartigen „Naturerlebnisses“, so dräut, wenn ein Wort wie „Kahn“ gesagt wird, wohl eher Ungemach und weniger eine fröhliche Bootspartie.
Der Mißklang in den Beziehungen Mensch-Natur drückt sich in Greßmanns unmusikalischer Tierdarbietung aus, in der unkende Töne ihre Bedeutungsakzente setzen. Nichts wäre da, was uns eigentlich an dem Ort halten könnte, wo es uns doch hält und wo wir träge dieses disharmonische Konzert über uns ergehen lassen.
Fragen bleiben, die man sich vorlegen könnte: Wo beginnt und wo endet hier unsere und wo Greßmanns Naivität? Besitzt Greßmann ein gestörtes Verhältnis zur natürlichen Umwelt, oder reflektiert er nur unseren gestörten Umgang mit Pflanze, See und Getier? Je nach Antwort richtet sich der sicher unbequeme Gewinn, der hieraus zu ziehen wäre.

Axel Schulze, neue deutsche literatur, Heft 10, Oktober 1979

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