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Er hat sich nur deshalb auf den Weg
in die Wüste gemacht.
weil er auf dein
Gehör vertraut.
Hinter sieben Bergen kannst du
ein Gemurmel hören.
So schicke ihm doch bitte als Echo
Schweigen und Hoffnung entgegen!
Und auch eine Beschäftigung,
in die jenes laute Gebet
einziehen kann.
Am Ende der 1980er Jahren ist man in Georgien (und wahrscheinlich auch im heutigen Georgien) den meisten Menschen mit dem Wunsch, ein Dichter zu sein, mit Ironie begegnet. Das sieht heute banal aus, und keiner denkt mehr daran, dass diese Wahl damals dramatisch, oder schlimmer, tragisch hätte werden können. Aber bis dahin, nur ein paar Jahrzehnte vorher, hatte das Land jene Phase durchlebt, in der das Dichter-Sein noch mit dem Tod bestraft wurde, und in der das totalitäre System einen Dichter entweder unterwürfig machte oder ihn tötete oder ihn erst unterwürfig machte und dann tötete.
Als Gegenleistung für seine Wahl erwartete auch Badri Guguschwilis der Tod: aber nicht unmittelbar durch den Staat, sondern durch seine eigene Hand, wie ein durch eine transzendentale Tragik bedingtes Schicksal seiner seelischen Suche. Seine persönlichen Erfahrungen waren damals selbstverständlich durch die Erfahrungen und die Realität des Landes noch verschärft.
Als er sich am Ende der 1980er Jahre für das Dichtertum, für das Dichter-Sein entschied, bedeutete diese Entscheidung in Georgien noch immer moralische Kompromissbereitschaft oder eben Kompromisslosigkeit gegenüber dem Sowjetsystem. Aber sehr bald wurde es schon möglich, Gedichte, ohne die Erlaubnis des Staates, nicht nur zu schreiben, sondern auch zu veröffentlichen. Fast bis zum Ende der 1980er Jahre hätte sich niemand im Land vorstellen können, dass es jemanden nicht nur gelingen würde, sich Dichter zu nennen, sondern auch noch eigene Gedichte veröffentlichen konnte. Bis dahin hatte immer der Staat den Status eines Dichters vergeben und erst danach die Gesellschaft. Ein Mann, der schon Mitte dreißig war und einen handfesten Beruf als Bauingenieur hatte, und der bis dahin noch nichts nach den Sowjetregeln unternommen hatte, um den offiziellen Status eines Dichters oder irgendeine offizielle Position zu bekommen, dieser Mann konnte erst dann als Dichter vor die Gesellschaft treten und einen eigenen Gedichtband in der Hand halten, wenn er selbst dazu beitrug, das sowjetische System zu zerstören.
Anfang der 1990er Jahre geschah eben dies, und Badri Guguschwili wurde Dichter. Von 1990 bis 1993 veröffentliche er fünf seiner Bücher, lebte einige Jahre als Dichter, gewann andere Dichter als Freunde und starb als Dichter, als er 1996 seinem Leben eigenhändig ein Ende setzte.
Anfang der 1990er Jahre ähnelte das Leben des Dichters sehr dem, was auch Georgien während des Modernismus zwischen den Jahren 1910–1920 erlebt hatte, und absolut nicht mehr dem, was in den Jahrzehnten der Sowjetregierung geschah, insbesondere während Badri Guguschwilis Jugend in den 1970–1980er Jahren. Zu jener Zeit wurde kein Dichter mehr von Staat als Mitglied im Schriftstellerverband aufgenommen, kein Auto und keine Wohnung wurden mehr zur Verfügung gestellt, es gab auch keine regelmäßigen Buch-Veröffentlichungen mehr, es wurde nicht mehr nach einer persönlichen oder schöpferischen Aufgabe verlangt. So ein Staat, die UdSSR, existierte einfach nicht mehr. Nun steckte der neue wieder unabhängige georgische Staat, versunken im Chaos des Bürgerkriegs, ethnischer Probleme, Kriminalität, des wirtschaftlichen und energetischen Zusammenbruchs, in ganz anderen Schwierigkeiten. Für Dichter gab es da keinen Platz mehr, weder für alteingesessene noch für ganz neue.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Badri Guguschwili wie ein Dichter. Er war allein. Er hatte aber einige Dichterfreunde, die sich die gleichen Prioritäten setzten wie er.
Es gab keinen, der ihm bei seinen materiellen Problemen hätte helfen können. In diesen Jahren litten alle: er, seine Freunde, sein ganzes Land. Guguschwili veröffentlichte seine Gedichte in jenen Zeitschriften und nahm an jenen Videoveranstaltungen teil, deren Gründung wenige Jahre zuvor schier unmöglich gewesen wäre: Polylog, Dato Barbakadses Zeitschrift, usw. Darüber hinaus hätte es auch keine Selbst-Veröffentlichtungen seiner Bücher gegeben. Viel wichtiger ist hingegen, mit seinen Gedichten machte er seinerseits eine bewusste Wahl in Richtung der modernen Poesie, des schöpferischen Suchens und des Wachstums und entwickelte sich dadurch zu einem professionellen Dichter. Dies geschah im Unterschied zu den anderen hunderten georgischen Poesie-Liebhabern, die ihre naiven realistisch-patriotischen Gedichte ebenfalls drucken ließen, als sie die Möglichkeit dazu bekamen und auch im Unterschied zu den anderen Dichtern seiner Zeit, die versuchten, die georgische Gesellschaft für die zeitgenössische westliche Poesie zu interessieren.
Badri Guguschwili hätte jedoch weder die Mission eines Kulturträgers erfüllen können, noch hatte er dies jemals versucht, konnte aber klar und deutlich sehen, vor welcher Wahl damals ein Dichter stand, als sich die gegebenen Kulturbarrieren gerade lösten. Er ließe sich nicht als Sowjetdichter bezeichnen, nicht nach dem Begriff der politischen und sozialen Konnotationen, obwohl er im postsowjetischen Georgien oder generell in jeder Zeit, durchaus als Symbol eines siegreichen oder geschlagenen Dichters gelten könnte, der sich auf den Weg seiner seelischen oder schöpferischen Suche gemacht hatte.
Badri Guguschwilis Gedichte sprechen in Georgien heutzutage jenen kleinen Kreis der Leser an, die sich für unkonventionelle Gedichte und die Existenz der Erfahrungen expressionistischer Selbstdarstellung in der georgischen Poesie interessieren. Mit der Zeit wächst auch das Interesse für die transitive Periode am Anfang der 1990er Jahre, was auch Badri Guguschwilis Poesie stärkere Aufmerksamkeit verschafft. An seine Poesie und seine Persönlichkeit erinnern sich seine Freunde, die noch heute ihr eigenes dichterisches Leben weiterleben. 2013 wurde in Tbilissi eine neue Auflage von Guguschwili Die Königin des Fleisches herausgegeben. Sein Freund Dato Barbakadse, dem der Durchbruch in Westeuropa gelungen ist, hat dem deutschen POP-Verlag die Herausgabe dieser Texte empfohlen. Schließlich wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf den bekanntesten Text des Autors lenken, „Die Königin des Fleisches“, der 1993 zum ersten Mal gedruckt wurde. Hinsichtlich des Formates ähnelt der Text einem Poem. Es ist ein unkonventionelles, freies Gedicht. Dem Genre nach besitzt es einen panegyrischen, hoch pathetischen Stil und gibt die Strukturen einer Ode wieder. Der Untertitel des Poems, „Die Muse des Fleisches‘ erinnert uns an die antike Tradition des Lobes einer Muse oder einer Göttin. Es ist jedoch sehr offensichtlich, dass es sich hier um einen negativen Panegyrikos handelt, der sich als Ziel gesetzt hat, jenes zu offenbaren, was er hier der Form nach lobt. Durch die gegenfunktionale Anwendung des Prinzips des klassisch-klassizistischen Poesiegenres und der dichterischen Tradition versucht er eine Annäherung an den postmodernistischen Kulturkontext zu erzeugen. Die Konflikte zwischen den seelischen und fleischlichen anatomischen Konzepten führen uns aber zu der Anerkennung des Portraits des seelischen Lebens und dementsprechend zum christlichen Kontext.
In den christlichen Texten georgischer Tradition bedeutet „Fleisch“ eindeutig den physischen Körper und in der materiellen Welt mit diesem Körper ein „fleischliches“ Leben. Jesus Christus wurde durch seine Menschwerdung fleischlich, zog sich an und eignete sich zusammen mit dem Fleisch auch die menschliche Natur gänzlich an, – außer der Sünde natürlich. Bei den Menschen sind die fleischlichen Wünsche jedoch bei der Sünde geblieben: Der Fleisch gewordene Mensch wird von den fleischlichen Wünschen besiegt und lässt ihn das seelische Leben vergessen. In der christlichen Kommunikation ist das Fleisch immer das, was gegen die Seele kämpft, und die seelische Erhabenheit, Reinheit, das Erreichen des ewigen Reiches geschieht nur, wenn man auf fleischliche Wünsche, selbst auf essbares Fleisch verzichtet. Georgische hagiographische Texte lehren uns die physische Qual, das Martyrium und das Ertragen fleischlicher Schmerzen, das „Einengen des Fleisches“. Im 18. Jahrhundert verlangte schon Davit Guramischwili gemäß dem christlichen Bestreben von uns den Verzicht auf Fleisch: Denn das irdische Leben, dieser Aufenthalt ist kurz, „deshalb ist es besser, auf Fleisch zu verzichten, für die Seele zu beten, Messen für sie zu halten.“ Im 19. Jahrhundert sodann schuf Ilia Tschawtschawadse satirische Helden fleischlichen Lebens und wiederholte damit, dass „es dort, wo das Fleisch gedeiht, die Seele verkümmert!“ In Badri Guguschwilis Texten ist die ganze christliche Tradition der symbolischen Bedeutung des „Fleisches” offensichtlich und dennoch verhüllt in der materialistischen Bedeutung dieses Wortes. Von Zeile zu Zeile ist mal die Sprache christlicher Texte zu hören, mal die rohe Alltagssprache, in der wir uns mit Fleisch sättigen, wo das Fleisch dampft und zu Hauf auf dem Tisch herumliegt, es wird von den Raubvögeln unter sich aufgeteilt. Hier bilden der christliche und der alltägliche Kontext so einem Gegensatz, wie es der christliche Glaube erlaubt. Die symbolisch-allegorische und die Alltagssprache schaffen in den Texten sowohl einen bildhaften Konflikt als auch eine kontextuelle Zustimmung, weil hier zwei Lebensarten, seelische und fleischliche, aufeinandertreffen. Der direkte und konnotierte Kontrast des „Fleisches“ verstärkt die Metapher noch mehr und bringt uns noch näher zu dem religiösen Bewusstsein: ein Mensch ist nichts anderes als Fleisch, der nur des Fleisches wegen lebt und dafür auch stirbt, „Das Fleisch stellt sich in die Reihe des Fleisches an!“
Die Königin des Fleisches ist die Herrscherin der Welt, in der sie „laut lacht“ und der Dichter weint:
Das bist du, meine Königin, die so laut grunzt,
du lachst aus vollem Halse, ich sehe das
und beneide dich,
aus ganzem Herzen beneide ich dich, dich
und nur dich, weil du lachst
und ich weine!
Die Interpretation liegt nahe, dass Badri Guguschwilis Poem seine Trauer um die Nichtigkeit des irdischen Lebens zeigt: ein Text, geschrieben am Ende des 20. Jahrhunderts nach der Ästhetik der zeitgenössischen Poesie über die Seele und das Fleisch, über das Vergängliche und das Ewige.
Die Spannung wird im Text nicht dadurch aufgebaut, dass der Dichter in der zeitgenössischen Sprache die Re-Affirmation der ewigen Wahrhaftigkeit darstellt, sie immer wieder zu beweisen versucht dadurch, dass uns der zeitgenössische Dichter durch Zweifel und Schmerz zeigen möchte, wovor er selbst Angst hat: Ist vielleicht das Fleisch doch das Ewige? Ist der Kreislauf des Fleisches vielleicht die einzige Wahrheit, von der wir uns nicht loslösen können? Ist die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau wirklich nur, dass „In der Nacht das eine Fleisch neben einem anderen schläft“? Ist denn diese Welt tatsächlich der mit Fleisch bedeckte „Schlachthof der Geschichte“? Ist vielleicht das Gesetz der materiellen Ewigkeit, also die Ewigkeit des Fleisches, hier metaphorisch dargestellt? Und ist gar das Fleisch selbst unser einziger sicherer Hafen im christlichen Sinne, wo wir unseren Anker auswerfen? Ist aus unserem Glaubenssystem nur noch das übriggeblieben, dass wir unseren Fleisch gewordenen Herrn in unsere Dienste stellten? „Wie viele haben sich denn ein einziges Lamm geteilt“?
Badri Guguschwilis „Die Königin des Fleisches“ ist ein expressionistischer, kontrastreicher, konfliktbeladener Text: Er zeigt uns den Konflikt zwischen der Seele und dem Fleisch; den Konflikt eines fleischlichen Menschen mit der fleischlichen Welt, in der er eingesperrt ist. So zeigt er uns den kulturellen Konflikt, den Konflikt des Massengeschmacks des damaligen Georgiens und die Tendenz der dominanten Darstellung der unmittelbaren Vergangenheit, was die realistisch-pathetische Repräsentation georgischer Ideale bedeutete, die durch sowjetische Wirklichkeit verfälscht waren, und zu dem gleich in den ersten postsowjetischen Jahren die bis dahin tabuisierte christliche Sprache hinzukam: für die erneute Legitimation und ohne den Versuch, in die gefälschte Welt zurückzukehren. Der Text lässt uns über die kulturelle Isolation des postsowjetischen Georgiens, über den kulturellen Konflikt mit der zeitgenössischen freien Kulturwelt und natürlich über die Realität unverfälschter schöpferischer Versuche unter der Berücksichtigung der Möglichkeiten jedes Ergebnisses, jeder Niederlage und des Sieges nachdenken.
Bela Tsipuria, September 2016, Vorwort
Dato Barbakadse liest „Genius Loci“ am 18. August 2013 im Rahmen der Reihe Literatur in Weißensee.
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