BARFUSS
Während wir beide uns
voller Scham
unter der Bettdecke verstecken,
stehn unsere Schuhe
draußen im Flur
ruhig und ohne anzuecken.
Deine Turnschuhe,
meine Stiefeletten,
die jetzt gerne noch ein Stündchen hätten,
ohne darüber nachzudenken, ob es eigentlich geht zu zweit,
zumindest für eine begrenzte Zeit.
Die neuen Gedichte von Bela Chekurishvili schöpfen aus der Radikalität des Aufbruchs dem Schritt aus der Enge des Vertrauten in die ungewisse Weite, den die Dichterin aus Georgien mit ihrer Übersiedlung nach Deutschland vollzogen hat. Schonungslos und direkt bilanzieren diese Verse Gewinn und Verlust eines Lebens in zwei Welten, barfuß bewegen sie sich auf Glatteis, Wiese und Asphalt, in den Erinnerungsräumen, die auf Fotos aufleuchten. Die verblasste sowjetische Kindheit, Armut und Glanz der Tifliser Wendejahre, destruktive Lieben, das Altern der Eltern all das wird in mitreißenden Rhythmen evoziert und in Gesang verwandelt. Bis hin zur Beschwörung heidnischer Bräuche, die am Ende wieder zum Gedicht fuhrt: „das ist ja schließlich auch ein altes Ritual, / Silbe mit Silbe zu verschwistern, / mit Wörtern zu spielen, bis sie knistern.“
Verlag Das Wunderhorn, Klappentext, 2018
Die Gedichte der georgischen Autorin Bela Chekurishvili bringen mit präzisen Worten die Probleme Georgiens und die Suche einer Generation zwischen Sowjetstern und sozialen Medien auf den Punkt. Chekurishvili, geboren 1974 in Gurjaani in Georgien, hat georgische Sprache und Literatur an der Universität Tiflis studiert. Sie arbeitet als Kulturjournalistin, ist Doktorandin an der Universität Tiflis und studiert derzeit an der Universität Bonn.
Wer bislang keinen rechten Zugang zu Lyrik hatte, sollte es unbedingt mit ihrem Band Barfuß versuchen. Es ist erstaunlich, wie es Bela Chekurishvili mit den Mitteln der Poesie gelingt, ein genaues Porträt ihres Landes zu entwerfen. Es geht um Dirnen, verlassene Hausfrauen, frustrierte Ehemänner, Holzfäller und Geliebte im Ausland. In ihren Miniaturen schildert Chekurishvili starre Familientradition („So festgefügt ist dieses Erbe, solide und auf Dauer angelegt, dass schon die Schule, die wir besuchen, und der Mann zum Heiraten feststeht“), die komplexe politische Situation des Landes („Ich weiß nicht, warum sie uns Flüchtlinge nannten im eigenen Land und Milchpulver und Haferflocken an uns verteilten“), die kollektive Paranoia vor Veränderungen („Ich weiß nicht, warum wir Sandburgen bauten, statt zu schwimmen und die Wellen zu genießen“). Mitten drin die Stimme einer Frau, die über sich selbst sagt:
Denn die Fremde hier, das bin doch ich.
Nüchtern bilanzieren ihre Zeilen Gewinn und Verlust eines Lebens im Transit zwischen Ost und West.
Ich verlor in einem fort, wurde blut-, gesichts-, geschlechts- und namenlos, eine Molluske auf dem Tisch der Köche, ein Kissen voller Gänsefedern, eine Haufen Haselnussschalen.
Hoffnung verströmen nur die „durchgeknallten Tauben“ und der „Schweif“ eines Flugzeugs über der Stadt, dem man hinterher schaut.
Jonas Benedikt: Barfuß durch die Erinnerung
ostraum.com, 7.9.2018
Bela Chekurishvili liest aus ihrem Gedichtband Wir, die Apfelbäume.
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