ERDE ZU ERDE
Ich bin in die Erde eingegangen
wie der Soldat, den ein Scharfschütze traf,
wie die vom Winde verwehte Walnuss,
wie die Amphore, nur ohne Wein.
Ich grapsche die Erde mit schwarzen Händen,
misch sie zu Mörtel und baue Wände,
pflüge und furche – das Joch um den Hals,
bin Erde gewesen und kehre zurück,
der alte Fluch hat sich wörtlich erfüllt,
ich kann mich nicht einen Deut von ihm lösen.
Bin trocken und hart. Zerstampft und geebnet.
Nur Atmen geht noch.
Mein Schutzengel ist schon ganz durcheinander:
Bald denkt er, ich komme alleine zurecht
bin feinkörnig, eine geschlossene Schicht,
bald denkt er, es gibt doch vielleicht einen Ritz
der sonnendurchlässig geblieben ist?
Er geht um mich rum und betrachtet mich stumm
und sucht nach einer geeigneten Spalte
ruhig so schmal wie eine Nadelspitze
da stellt er sich drauf und fängt an zu tanzen.
Also Engel – und ihr, die mich hört,
denkt bitte nicht, dass ich mich beklage,
weil es einfach so ist, wie ich sage,
dass ich zu Erde geworden bin,
ebenmäßig, rein und klar,
auch mein Gesicht hat sich wieder geglättet.
Dann wollte ich gerne mein Ich wieder haben,
doch war es ein Rennen
nach einem Schatten:
Du läufst hinterher und er vorneweg.
Du glaubst, du bist nah, gleich kannst du ihn packen,
dann ist er deinen Händen entglitten.
Ich musste zu dieser Einsicht kommen,
ich war einem Schatten nachgelaufen,
womöglich habt ihr ihn auch erkannt.
Ihr habt aber noch den alten Wunsch,
mit eurem Schatten synchron zu gehen,
oder einfach den Bewegungswunsch.
Wir, die Apfelbäume – wozu blühen wir überhaupt? Wie kommt Sisyphos zu seinem Stein, wie hat Salome das Tanzen gelernt? Und wenn einer sein Kreuz trägt und klagt – was sagt das Kreuz dazu? Bela Chekurishvilis Gedichte gehen vielen Fragen nach; die Fragwürdigkeit des Lebens überhaupt, seiner Einrichtungen und Übereinkünfte, ist ein zentrales Motiv ihres Schreibens. Kennzeichnend für ihre Haltung ist das dreiteilige, sehr bewegende Gedicht „An den Vater“. In der imaginierten Zwiesprache appelliert der Vater immer wieder eindringlich, die Tochter möge doch das „Vatergeheimnis“ hüten, aber diese entzieht sich seinen Besitzansprüchen, muss ihre Freiheit behaupten und fortgehen. Sie kündigt den Gehorsam auf, nicht jedoch die Liebe – und ähnlich verhält es sich mit der Haltung der Dichterin gegenüber ihrem Land und den Menschen, die die derzeit in Deutschland lebende Autorin dort zurückgelassen hat. Die Entfernung führt dazu, die stark patriarchalisch geprägten Strukturen der georgischen Gesellschaft schärfer zu sehen, inklusive ihres Gewaltpotentials, das auch in die Liebesgedichte dieses Bandes hineinspielt. Auf die Gewalt der Verhältnisse muss die literarische Sprache eine Antwort finden, und die kann nur in einer leidenschaftlichen Abwendung bestehen, ohne dass darüber jedoch das Gespräch abgebrochen wird. Fast durchgehend ist das Sprechen in diesen Gedichten dialogisch, ob nun die Freundinnen, ein Familienmitglied, ein Geliebter oder die Elemente angesprochen werden, die Erde, der Wind, denen die Dichterin auch immer wieder ihre Stimme leiht, weil sie sich ihnen verbunden fühlt (wenn auch die Männer manchmal nicht den Mund aufkriegen, der Wind verliert seine Stimme nie). Zu diesem dialogischen Weltbezug passt, dass alle Mittel der Verständigung, die ältesten wie die modernsten, auch im Namen der Poesie aufgerufen werden können, natürlich auch die E-Mail. Die Dichterin, die lange auch als Kulturjournalistin arbeitete, gehört zur „Wende“-Generation in der georgischen Literatur – aufgewachsen unter dem Sowjetstern und dann hineingestellt in die plötzliche Freiheit eines Landes, das ganz neu war und zugleich ganz alt. Alt wie die Apfelbäume und der Wein. Die legendäre georgische Tafel, an der ein Zeremonienmeister, Tarnada genannt, Trinksprüche auf die Heimat und die Toten anstimmt, gehört zur Wirklichkeit dieses Landes ebenso wie der Umstand, dass fast alle Georgier heutzutage bei Facebook sind. Aus dieser Spannung beziehen auch die Gedichte von Bela Chekurishvili ihren Reiz und ihre Eigenart. Sie sind getragen von einem Aufbegehren gegen die reiche Formtradition der georgischen Dichtung und doch zugleich von ihr gespeist. Aber ob sie nun zum prosanahen, skeptischen Blocksatz tendieren oder im Urvertrauen auf den Reim zu tanzen beginnen – immer sind diese Gedichte elektrisch geladen.
Bela Chekurishvili, geboren 1974 in Gurjaani (Georgien), hat georgische Sprache und Literatur an der Universität Tbilisi studiert. Sie arbeitete als Kulturjournalistin und ist jetzt Doktorandin für Komparatistik an der Universität Tbilisi, zur Zeit studiert sie an der Universität Bonn. Sie ist Autorin von drei Gedichtbänden, zuletzt 2012 Fragen an Sisyphus. Ein Band mit Kurzgeschichten ist unter dem Titel Rheinische Aufzeichnungen kürzlich in georgischer Sprache erschienen. Die Autorin hat außerdem – mit Freude, wie sie betont – als Lehrerin gearbeitet und ist überdies zeitweise eine begeisterte Alpinistin gewesen.
Norbert Hummelt, Nachwort
Wir, die Apfelbäume – wozu blühen wir überhaupt? Wie kommt Sisyphos zu seinem Stein, wie hat Salome das Tanzen gelernt? Und wenn einer sein Kreuz trägt und klagt – was sagt das Kreuz dazu? Bela Chekurishvilis Gedichte gehen vielen Fragen nach; die Fragwürdigkeit des Lebens überhaupt, seiner Einrichtungen und Übereinkünfte, ist ein zentrales Motiv ihres Schreibens.
Die 1974 geborene Dichterin und Kulturjournalistin gehört zur „Wende“-Generation in der georgischen Literatur – aufgewachsen unter dem Sowjetstern und dann hineingestellt in die plötzliche Freiheit eines Landes, das ganz neu war und zugleich ganz alt. Alt wie die Apfelbäume und der Wein. Ihre Gedichte sind getragen von einem Aufbegehren gegen die reiche Formtradition der georgischen Dichtung und doch zugleich von ihr gespeist. Aber ob sie nun zum prosanahen, skeptischen Blocksatz tendieren oder im Urvertrauen auf den Reim zu tanzen beginnen – immer sind diese Gedichte elektrisch geladen. Nach Interlinearversionen von Tengiz Khachapuridze aus dem Georgischen von Norbert Hummelt.
Verlag Das Wunderhorn, Ankündigung
Jonis Hartmann: Georgica
fixpoetry.com, 5.12.2016
Bela Chekurishvili liest aus ihrem Gedichtband Wir, die Apfelbäume.
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