– Zu Bernd Jentzsch’ Gedicht „Vereinigung“ aus Bernd Jentzsch: Flöze. –
BERND JENTZSCH
Vereinigung
Während wir nebeneinanderliegen,
Geschehen weit hinter einer Wiese die Dinge der Welt.
Die gedankenlose Luft umspielt den Flieder.
Die Wurzeln sprechen mit der Erde.
Während wir nebeneinanderliegen,
Bäumen sich in uns die Hingestreckten auf.
Ihre Lebenslinien wachsen durch unsere Herzen.
Während wir nebeneinanderliegen,
Brennt unser Auge auf dem Rücken der Welt.
1973
Anläßlich der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für den Frieden, die im Sommer 1973 in Berlin stattfinden, ruft der Schriftstellerverband der DDR die Lyriker unter seinen Mitgliedern auf, kurze, agitative politische Gedichte zu schreiben, die geeignet wären, großformatig gedruckt und als Plakate angeschlagen zu werden. Die schöne Idee geht auf einen poetischen Traum von Paul Wiens zurück:
Die Straßen um die Erde breiter,
die Leute herzlicher, gescheiter,
Haut und Gedanken ohne Beulen,
Gedichte an den Anschlagsäulen.
Ich beteilige mich an der Aktion mit „Vereinigung“. Die Jury unter dem Vorsitz von Hermann Kant lehnt den Text ab. Eine Begründung erfolgt nicht, auf Nachfrage herrscht weiterhin Schweigen. Erst nachdem mehrere Kollegen, allen voran Sarah Kirsch, ihre Verwunderung über die Entscheidung kundgetan haben, läßt man das Gedicht nachträglich zu. Im Haus des Schriftstellerverbandes in der Friedrichstraße wird die gesamte Serie an den Wänden des Korridors ausgehängt. „Vereinigung“ fehlt. Auch an den Anschlagsäulen in der Stadt ist der Text seltener zu sehen als die anderen Plakate, beispielsweise nicht so bevorzugt wie Rainer Kirschs „Imperialistenlogik“.
Bernd Jentzsch 23.4.1992, aus Bernd Jentzsch: Flöze, Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, 1993
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