Bernd Jentzsch: Zu Bernd Jentzsch’ Gedicht „Vorstadt Gablenz“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Bernd Jentzsch’ Gedicht „Vorstadt Gablenz“ aus Bernd Jentzsch: Flöze. 

 

 

 

 

BERND JENTZSCH

Vorstadt Gablenz

Elf Häuser stehn wie Kommas am Gedankenstrich der Straße,
Die zwischen Gaslaternen grätenschlank ins Grüne rankt.
Der Wind, mein Copilot, bespringt den Kragen, sägt die Nase,
Ein Fenster schießt mir Bratendüfte vor: Es sei gedankt
Für den Empfang und für die Blumen in der Wiesenvase.

Antennenkämme spalten kobaltblaues Himmel-Plexi
Zu Folien auf: der Himmel ist ein Funk- und Fernsehsieb.
Zwei Radios treiben Tanzmusik dahin: ein Marsch, ein Dixie.
Ich frage einen Grashalm, was von der Romantik blieb.

1960

 

Papyrus aus den Sechzigern

Mich beschäftigte … Verhältnis zwischen technischem Wortgut und zweiter Bedeutungsebene. …… untersuchte …… Lyrik, die Bezirke der materiellen Produktion ebenso selbstverständlich ins Gedicht …… wie Fluß und Phlox. Umfangreiche Vorarbeiten …… Nach … Durchsicht der wesentlichen …………… Einzelbände und Anthologien …………… Zettelapparat mit Notizen zu Gedichten, Strophen, einzelnen Versen und termini technici. … Fülle des Materials ……… Beschränkung, …………… Motiv Stadt und Technik.
Im modernen Stadtgedicht ……… Kampf ……… um … Urbarmachung neuer poetischer ■■■ (Provinzen), um … Neuinszenierung der tradierten Szene mit … erweiterten Möglichkeiten der Sprache und um … – ………………………… – Lyrisierung des Technischen. ……… geradezu … Horror – bei jüngeren Autoren vor allem – vor … Nichtnennen technischer Apparaturen und Vorgänge. … Gedicht …… mitunter lexikalisch. … Lexikon übernimmt … Funktion des Dechiffrierens. … Wortliste, … beim Lesen …………………………, umfaßt Vokabeln wie Polyvinylchlorid, Diagramm, Spektralanalyse, Tri-Nitro-Tuluol, TU 104, n-te Stellen, Hyperbel. ………………………… müssen … Begriffe .. „Kontext betrachtet werden. ……… Stadtgedicht von heute ■■■■■■■■■ (kein) Gebilde, das technische Zeichnungen ersetzen …… .. moduliert ……… Empfindungen, … aber mißtrauisch … Mitteln gegenüber, mit denen Landschaft dargestellt wird. ……… Nähe … zugleich Distanz zum Dargestellten. Zu große Distanz hat zu Ungenauigkeiten im Vers geführt. An … Unzulänglichkeit bloßer Reihung von interessantem Sprachmaterial … Gedichte gescheitert, die auf … enge Verbindung mit … Gegenstand aus waren. Das durchtechnisierte Vokabular neuester Gedichte … seinen Zweck nicht in sich selbst …… Polyvinylchlorid … nichts als … Wort, wenn nicht …………… innewohnende Poesie entdeckt wird. …………… Haltung zu den Dingen …
In … vergangenen fünf Jahren …… junge Dichter, …… Reiner Kunze, Karl Mickel, Adolf Endler, Volker Braun, Sarah … Rainer Kirsch, ……… hervor, …………… unkonventionelle Sprache, Frische ……… gewisse Keckheit ……… … zu dieser ■■■■■ (Schule) gehöriges Gedicht „Vorstadt Gablenz“ … als Beispiel ………:

Elf Häuser stehn wie Kommas am Gedankenstrich der Straße,
Die zwischen Gaslaternen grätenschlank ins Grüne rankt.
Der Wind, mein Copilot, bespringt den Kragen, sägt die Nase,
Ein Fenster schießt mir Bratendüfte vor: Es sei gedankt
Für den Empfang und für die Blumen in der Wiesenvase.

Antennenkämme spalten kobaltblaues Himmel-Plexi
Zu Folien auf: der Himmel ist ein Funk- und Fernsehsieb.
Zwei Radios treiben Tanzmusik dahin: ein Marsch, ein Dixie.
Ich frage einen Grashalm, was von der Romantik blieb.

………………………………………… motivgeschichtliche Reihe ……… Impulse aus dem Werk von Arno Holz ………
Im Buch der Zeit ……… überwindet Holz durch … Aufnahme sozialer Themen Einflüsse, die Gedichte Wolffs und Geibels auf ihn ausgeübt hatten. …………………………………………………………………………………………………… ergänzt drastisch das Reimbuch des Münchener Kreises: Gaslicht und Dampfmaschine statt Lilienstengel und Silberarm; Transparent, Asphalt und Glacédemokrat statt Rosenwimpel und Schwesterengel. …………………………………………… Im programmatischen Eingangsgedicht ……………………

… beim Klang der Telegraphendrähte
ergießt ins Wort sich mein Gefühl.

[Verderbter Text.]
…………… neues Verhältnis zur industrialisierten Umwelt. Telegraphendrähte … nicht ■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ (poesiefeindlich) – ihr Klang speist das Gedicht.
[Verderbter Text.]
…… unterschiedliche Empfindlichkeit ……………… gegenüber … Wirklichkeit ist offenbar. ■■■■■■■■■■■ (Holz) …………… trennt (nicht) zwischen den wirren Tönen des Alltags und den Silbertönen des Dichters, ……… er poetisiert (nicht) den Gegenstand, …………… Holz: die Großstadtlandschaft ist poetisch. Ihre Sprödheit provoziert … Gefühl. Nicht ■■■ (allein) Holz …………… neue Inhalte. Liliencron, Dehmel, Henckell, ……………………………. ähnliche Wege. ……… Holz ist konsequenter. … gewinnt ■■■ (dem) veränderten ■■■ (Stadtmilieu) entschieden mehr Schönheit ab.
In der expressionistischen Lyrik wird die Stadt zum zentralen Thema. …………………………………… Die Städte ……… bei Georg Heym, Jakob van Hoddis, ……… die Prozesse der materiellen Produktion, bei Paul Zech, Gerrit Engelke, ……… dämonisch ……
Brecht ………… befreit sich im Lesebuch für Städtebewohner von jeglicher Dämonisierung: „Die Städte sind für dich gebaut. Sie erwarten dich freudig.“
…………………………… nach dem zweiten Weltkrieg ………………………………….. Lyrik von … heterogenen Elementen geprägt, …………………… Exildichtung der Antifaschisten Becher, Brecht, Hermlin, andererseits ……… inhaltlich wie formal konventionell(e) ■■■■■■■■■■■ Naturdichtung … F.G. Jünger, Oda Schäfer …………………. Becher ………………………………………………………. historische Prozesse ■■■■■■■■■■■ und … benennt, meidet jene epigonale Naturlyrik … Zeitprobleme ausdrücklich. Der Vers macht an der ,Silberdisrelklause‘ ………….. halt.
………… frühe fünfziger Jahre ……… junge Generation ………… Worauf besinnt sie sich? – Zunächst …………… Formübernahme……………:

Jung ist sie. … braunen
Hände lenken … Combine.
Ringsum ……… großes Staunen,
zieht in ……… Dörfern ein.

Hilde lacht, ……… hellen
Augen ……… blank.
….. Körnerfluten schwellen,
fließen ……… Sammeltank.

Abends ……… Hilde leise
……. Ziehharmonika
manche liebe alte Weise.
…. Sterne ……… nah.

Pseudo-Volksliedstrophe, Oberflächenimpressionismus und Sentimentalität, das fand sich oft ………………………………… neue Inhalte in überkommenen Formen ………………… so lange, bis … Inhalt …… Formfessel sprengt. … klassisches Beispiel ………………… Holz im Phantasus.
………… zu „Vorstadt Gablenz“. Nach dem Versuch ….. literaturhistorischen Ortung ……… interessiert der Text selbst. ………….. zwei im Kreuz endgereimte Strophen zu fünf und vier Versen. Zeilen- und Versende fallen bis auf die Reihen vier und sechs zusammen. Zweimal ………Enjambement, einmal … Wie-Vergleich … Diktion … beschreibend. Am Eingang des ersten Verses Bildstruktur noch offen: „Elf Häuser stehn wie …“ …………………………………………………….. Der konventionelle Wie-Vergleich, ■■■ (bei) Rilke kunstfertig ausgearbeitet, … auf … ruhigen Versausgang schließen: „… wie Kommas am Gedankenstrich der Straße“. ….. auf Subjekt (Häuser) und Lokalbestimmung (Straße) bezogene Interpunktionszeichen (Kommas, Gedankenstrich) reduzieren … Raum auf (die) Fläch■■■■■■■ (e). … Standpunkt des lyrischen Ichs ….. über der Vorstadt; ……… Vogelperspektive ……………… Der zweite Vers, ……………… beschreibt ………näher: grätenschlank, rankend. … Bewegung des Verbs ……… Gefahr für … Gedicht …………… Ranken ……… regellos wachsen, sich ……… verzweigen ………… mit Gedankenstrich und grätenschlank gekoppelt, stört es … Bildlogik. … Verse drei bis fünf ……… betont burschikos: Der Wind ist Copilot, .. ,pfeift‘ nicht um die Nase, .. sägt sie. … zweite Strophe …………………………………………… Wandel von ■■■■■■■■■ (Erzählen) ■■■ (zu) Aufzählung.
….. Wortmaterial ………… entstammt unterschiedlichen Bereichen. Aus … nichttechnisierten Natur …………: das Grüne, … Wind, … Blumen, … Grashalm ……… Bezirk des Technischen ………: Gaslaternen, Copilot, Fenster, Antennenkämme, Himmel-Plexi, Folien, Funk- und Fernsehsieb, Radios ……… auch …………… Tanzmusik, Marsch, Dixie. ………■■■■■■■■■ (Kennzeichnungen) des technischen Zeitalters. …………… auf technischen Wegen Verbreitung.
Zwischen …… sprachlichen Bezugsgebieten pendelt … Fügung Wiesenvase. Zwei Linien kreuzen sich ….: Waagrechte der Wiese und … Senkrechte der Vase. Wieder ………… Vogelschau ……… Wiese ……… riesige von oben betrachtete Vase. ……… Substantive und … motorischen Verben bespringen, vorschießen, spalten, treiben bezeichnen … Stimmung, …………………… und sinnlicher Freude an den Dingen.
…….. Schlußzeile verblüfft … was von der Romantik blieb. ………. ironisiert ………, nichts …… von …………… Dämonisierung des Menschen durch … Technik. Technik ist hier ……… Chiffre für die sich historisch entwickelnden Arbeitsmittel, ……………………………………Verwirklichung des Menschen. … Verhältnis zu ihr ist …… freundlich. Im Gedicht organisiert sich … Miteinander von Baum und Stahlkonstruktion.
[Verderbter Text.]
…………………………………. Hinter … Lust am Formulieren lauert ………………… andere Gefahr, ………………: … Überdosierung mit technischem Vokabular (besonders …………… zweiten Strophe). Ein Dutzend Technik apostrophierende Wörter ……… Belastung für neun Zeilen ………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………
Die Gablenz-Landschaft entspricht nicht der des konkreten Ortes Gablenz …………… reale Vorstadtlandschaft. …… widerspricht ……………… Postulat, wie es ……… Anfang des Jahrhunderts Alfred Lichtenstein aufstellte: die als real denkbare Landschaft sei im Gedicht nicht mehr möglich.
…… Abtasten neuer poetischer Ebenen, …………………… folgt … Gedicht, in dem sich die dialektischen Wechselbeziehungen ………… Mensch und Technik spiegeln. ……………… kündigt sich an in ……………… Georg Maurers „Der Bahnwärter“:

Der Bahnwärter in der Steppe
hat ein Radio auf dem Tisch.
Aus der blechernen Büchse
holt er sich den geköpften Fisch.

Seine Schuh kamen aus einer Schuhfabrik.
Seine Hose nähte eine Näherin
am fließenden Band mit flinkem Blick.
An die Wand hing er einen Öldruck sich hin .

Wir fahren mit fremden Freunden in die Welt.
Über die Gleise donnern wir her.
Der Bahnwärter hat die Weiche gestellt.
Die Funken mischen sich mit dem Sternenheer.

1964

Bernd Jentzsch 17.4.1992, aus Bernd Jentzsch: Flöze, Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, 1993

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