DU UND DIE LANGE HAND
„Die Natur hat immer Recht.“
Der Mensch steht nicht im Mittelpunkt.
Zurechtgedrechselt, ausgeunkt, schwer getankt,
gilt Mordsdank dem sog. Vaterland von langer Hand.
Hier wird alles getan, und unterlassen,
was ich hasse. Sozialdemokratismus kostet
Blut, Blut von langer Hand; Blut heckt Mehrblut.
Grundverdrehung schleicht sich an; schlägt einen
aaaaaHaken;
100 Jahre imperialistischer Weltkrieg,
ein ständig steigendes und variantenreicheres
Arsenal an Massenvernichtungswaffen; Feldzüge
führen zu Konjunkturkorrektur – von langer Hand.
Invasionen demnächst vorzugsweise
durch die Möchtemächte und Streberarmeen
der Neu-Atlanter (Baltikummer und Westslawen,
„Fremde Heere Ost“). Was man initiiert, gehört isoliert.
Beherrschen, einschüchtern, angreifen.
Die Preßluft ist knapp, der heiße Brei ist gar.
Kampf gilt dem Detail der Glaubwürdigkeitslücke.
Wo Tenet die Fäden zieht, sind Sator und Arepo nicht weit,
macht sich Verschwörungstheorie breit,
verklärt die offen liegenden Zusammenhänge
zwischen Regieren, Regiertwerden, Regiertwerden-
lassen, Sichnichtwehren, Unterbutterung, Niederschlagung
und Ausbeutung. Grundverdrehung klopft an
mit „unsichtbarer“, eiserner und ausbeutender Hand:
Mach die Tür auf – und du kriegst die Tür nicht zu, im Nu
verlierst du Fuß- um Handbreit jeglicher Bewegungsfreiheit.
aaaaaRechts von mir, aufgepaßt!
aaaaaIhr werdet gleich vernascht.
aaaaaLinks von mir jiebtet nüscht.
aaaaaaaaaaJeh ma holen zwei Pistolen.
aaaaaaaaaaEine für mich, eine für dich.
aaaaaaaaaaDu bist dot und ick noch nich.
Anarchie in Germany – das ist ja eigentlich nicht vorgesehen. Aber Renitenz, Revolte, Rebellion gegen Deutschland gab es schon, ob es als Reich oder Republik firmierte. Im Lande selbst ist man aufsässig gegen Herrschaft(en) aller Art aber zumindest auf Papier. In Rumbalotte Continua spürt Bert Papenfuß dem einen nach und betreibt auch das andere ein bisschen. Der Autor, dem auch schon historischen Phänomen der Prenzlauer-Berg-Poeten zuzurechnen, geht bis zu den im 9. Jahrhundert einsetzenden Slawenaufständen „gegen deutsche Herrschaftsgelüste“ zurück. Lutizen verbünden sich mit Obotriten gegen ostfränkische Hoheit, „Hansestädte gegen Fürstengewalt“, „angermanisierte“ Kaschuben bekennen sich als Pommern, die Geheimorganisation Gryf Pomorski agiert gegen die Nazis und wird von der Roten Armee liquidiert. Aber Störtebeker lebt. Kreuz und quer durch die Epochen folgt der Autor „Spuren der Besiegten“. Als solche sieht er schon jetzt „Die Untergegangenen Staaten von Amerika“, wenn auch wohl nicht auf dem Ehrenfriedhof der Unbotmäßigen beigesetzt. „Das Kapital verröchelt gesetzmäßig. Das Geld ist alle. Der Zins ist tot. Das Licht ist aus.“ Immerhin: „In der Hölle brennt noch Licht.“ Papenfuß haut allenthalben auf die Pauke, thematisch wie formal. Rumbalotte Continua – da klingt leise die italienische „Lotta continua“ der 70er Jahre an – ist Teil einer Rockoper. Es sind Songs und daher oft mehr einhämmernde „lyrics“ denn einnehmende Lyrik. Was das auf Musik gestimmte Ohr als kräftigen Ausdruck, als Kraftausdruck (hin)nimmt, erscheint dem Auge noch nicht unbedingt als Ausdruckskraft. Doch fraglos war hier ein begabter Begriffsingenieur am Werk, einer, der Wörter dreht und wendet, neu erfindet, um sie effektvoll in Versen zu verwerten. Und auf Fleetwood Macs „Green Manalishi“ reimt sich ja wirklich fast nur „Mitsubishi“. Man müsste das Ganze mal hören.
Ähnliche Sprachmittel wie Thomas Kling benutzt Bert Papenfuß.1 Sein Idiolekt dient ihm vorwiegend zu politischen, das heißt in seinem Fall anarchistischen Zwecken und entbehrt ebenfalls nicht des Selbst-Bewusstseins, das vor jeglicher unfreiwilliger Naivität schützt. Das „kwehrdeutsch“ dieses Autors, dessen Dichtung auch heute noch unbedingt mit dem Stichwort ,Prenzlauer Berg‘ zusammenzudenken ist,2 erzielt Bedeutungsvervielfältigungen, indem es die Regeln der Wortbildung zugleich nutzt und missachtet. Im Gedicht „rasender schmerts weiterlachen“ schreibt Papenfuß:
ich such die kreuts & die kwehr
kreutsdeutsch treff ich einen
gruess ich ihn kwehrdeutsch3
Im Wörterbuch ist die substantivierte Form von ,kreuz und quer‘ zu finden und auch die Verbindung „kreutsdeutsch“ folgt einer Wortbildungsmöglichkeit des Deutschen:
Analog zu ,kreuzbrav‘ oder ,kreuzlangweilig‘ etwa wäre ,kreuzdeutsch‘ ein emotional verstärkender Ausdruck für die Eigenschaft ,deutsch‘.4 „kreutsdeutsch“ ist eher negativ konnotiert: Es steckt eine umgangssprachliche Wendung darin – ,es ist ein Kreuz mit dem Deutschen‘ – und die ungewöhnliche Verbindung von ,kreuz-‘ mit einer Volksbezeichnung erinnert an ,Kruzitürken‘, einen Ausruf der Verwünschung oder des Erstaunens. Dem allzu Deutschen begegnet das Ich mit Widerstand, mit Gegenwehr, aber eben auch ,-deutsch‘. „auf wiedersehen faterland / ich such das meuterland“ lauten die Verse, die sich an die drei zitierten Zeilen anschließen und die Position des Autors vor wie nach dem Ende der DDR artikulieren. Wie vor dem Mauerfall gegen die Sprache des Herrschaftsapparats stellt er sich danach gegen den Kapitalismus und gegen jeglichen Ausdruck von Vereinigungseuphorie „kwehr“ und auch seine Sprache soll eine verquere sein, die eines querulierenden und meuternden Querdenkers. So passt es, dass Papenfuß in seinen Band SoJa von 1990 neben vielen anderen älteren Gedichten auch „rasender schmerts weiterlachen“ wieder aufnimmt, das schon 1981 entstanden und bereits in dreizehntanz (1988 im Osten, 1989 im Westen) erschienen ist.5 Auch nach der Vereinigung gilt:
ich such das meuterland6
Ideologische Begriffe markiert Papenfuß ironisch, indem er zu seiner persönlichen Lautschreibung greift, die gewöhnliche Typografie verändert und Wörter miteinander verschmelzen lässt. Sein Wortschatz stammt aus der Alltagssprache, aus den Fach- und Sondersprachen der ,tieferen‘ Sprachschichten (Umgangssprache, Dialekt, Kauderwelsch, Gaunersprache, Vulgärsprache) und aus Fremdsprachen und anderen Epochen: aus dem Mittelhochdeutschen, dem Sanskrit, dem Keltischen, dem Jiddischen, dem Russischen und vielen mehr.7 Stilistisch schöpft Papenfuß aus dem Fundus der literarischen Tradition in sehr weitem Sinne. Kritiker haben eine ganze Reihe von Einflüssen ausgemacht, die von Walther von der Vogelweide über Fischart und Kuhlmann,8 über die Avantgarden des 20. Jahrhunderts bis zur amerikanischen Beatgeneration und zur gegenwärtigen Rockmusik reichen. Wichtig sind die Autoren und Bewegungen, die bereits im Zusammenhang mit den österreichischen Sprachartisten hervorgehoben wurden: der Expressionismus (August Stramm), der Dadaismus (für Papenfuß vor allem Kurt Schwitters und Hugo Ball) und aus der jüngeren Literatur Arno Schmidt, Helmut Heißenbüttel und Ernst Jandl. Erik Grimm setzt den Prenzlauer Berg in Parallele mit der Grazer Autorengruppe; er beobachtet eine ähnliche Verschmelzung von Literatur, Musik, bildender Kunst und Performance innerhalb einer alternativen Szene in den 80er Jahren und bemerkt, man könne „fast von einer Wahlverwandtschaft sprechen“.9 Hinzu kommt für den Prenzlauer Berg der Einfluss der osteuropäischen Avantgarde (u.a. Daniil Charms, Velimir Chlebnikov, Wladimir Majakowski), die in Ostdeutschland bekannter ist als im übrigen deutschsprachigen Raum.10
Von den vielfältigen Schreibweisen der Prenzlauer-Berg-Autoren ist Papenfuß’ Stil am stärksten als individuell typisch erkennbar. Die Mittel sind schon detailliert untersucht worden.11 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der syntaktische Aufbau wenig verfremdet ist. Die Struktur der Gedichte ist der von Songtexten vergleichbar; oft sind zwischen die Strophen mehrzeilige Refrains geschoben. Der eigene Ton ergibt sich aus den wortinternen Sprachspielen: aus der unkonventionellen Schreibung – „denn ix pappenztiel / hab aux nur an gelt / was meine unumwelt / mir nox gelten lesst“12 –, kombiniert mit Neubildungen, Verschmelzungen und Permutationen. So entstehen etwa der „gesellschaftsentwurf“, der „versangundklangloste“ und die „hohnlochländer“, die den Hochlohnländern höhnisch einen Mangel („loch“) zuschreiben.13
In den letzten Jahren ist aus der „gesellschaftskritischen Sprachkritik“ eine „sprachkritische Gesellschaftskritik“ geworden14 und das allgegenwärtige Thema Deutschland wird eher inhaltlich, aus einer antibürgerlichen und antikapitalistischen Haltung heraus bedichtet. Einfallsreiche Wortspiele sind noch vorhanden, im Vordergrund stehen allerdings wenig verfremdete Kraftausdrücke:
wir quälen tölen, erdrosseln rosse
scheißen ins geseiere, spielen keine geige
wir peinigen die qual & reiten pünktlich zur wahl15
Über die repetitive Vulgär- und Fäkalsprache schreibt Berendse, Papenfuß „verhunz[e]“ die Poesie, um den Tod der Literatur auf dem „Schlachtfeld“ Deutschland zu verkünden. Er wertet diese Wiederholungen als effektlos und überholt.16 Fraglich ist, ob Papenfuß damit eine solche Botschaft anstrebt. Die besondere Schreibung des „kwehrdeutsch“ benutzt er eine Zeitlang und dann sparsamer, so dass der Wiedererkennungseffekt die Überraschung nicht übersteigt. Die „verhunzt[e]“ Sprache dagegen erscheint bei aller Ironie viel zu häufig, als dass der Verdacht ausgeräumt werden könnte, der Autor gefiele sich im drastischen und aggressiven Drauflossprechen und vertraute dessen Wortgewalt. Trotz des thematischen Pessimismus scheint kein Tod der Literatur zu befürchten; in den Sprechweisen des Rap17 und der Rockmusik hat der Autor sein „meuterland“ gefunden, was auch seine jüngsten Projekte belegen.18
Indra Noël, in Indra Noël: Sprachreflexion in der deutschsprachigen Lyrik 1985–2005, Lit Verlag Dr. W. Hopf, 2007
– Eine Poetik der Renitenz. Zur Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek nach 1989. –
„mit mir ist kein Staat zu machen, höchstens ein saustall“.19 Aus dieser Versezeile spricht einer, der sich nicht unterordnen will. Und sie sagt viel über das Selbstverständnis desjenigen aus, der sie verfasst hat: Bert Papenfuß (-Gorek).20 In seiner provokanten Lyrik, die von großer Lust an der Subversion zeugt, stellt der ,Punk vom Prenzlauer Berg‘ autoritäre Strukturen in Frage – seien diese nun sprachlicher, gesellschaftlicher oder politischer Natur. Damit stößt er nicht nur auf Gegenliebe. Schon zu DDR-Zeiten war der Autor sowohl der Stasi als auch den Kulturfunktionären suspekt – bis heute polarisiert seine Dichtung.
Bert Papenfuß wurde 1956 im mecklenburgischen Stavenhagen geboren und wuchs in einer Greifswalder Intellektuellenfamilie auf. Obgleich „Sproß der militärischen Intelligenz“,21 der Vater war NVA-Offizier, verweigerte der Sohn den Waffendienst. Er absolvierte eine Lehre als Elektronikfacharbeiter, arbeitete anschließend als Beleuchter im Staatstheater Schwerin. 1976 zog er mit Frau und Tochter nach Ostberlin, fand dort Anschluss an die subkulturelle Kunst- und Literaturszene. Schon in seiner Schweriner Zeit hatte er zu schreiben begonnen; 1980 wurde er freischaffender Autor.
Die sprachspielerische Lyrik des Nachwuchstalents erregte in Berlin rasch Aufmerksamkeit. Durch die Fürsprache arrivierter Dichter wie Richard Pietraß und Karl Mickel konnten Ende der 1970er-Jahre einige seiner Gedichte in den offiziellen Literaturzeitschriften Neue deutsche Literatur, Temperamente und Sinn und Form erscheinen, auch in der Lyrik-Anthologie Auswahl ’78 war Papenfuß vertreten. Doch nach 1981 galt für ihn wie für viele andere Autoren der sogenannten Prenzlauer-Berg-Connection (Adolf Endler) faktisch Publikationsverbot.22 Ein Gedichtband, der bereits in Vorbereitung war, durfte erst 1988 in der DDR erscheinen.23
Der Mangel an offiziellen Publikationsmöglichkeiten beförderte die Entstehung eines inoffiziellen Kulturbetriebs. Literaten, bildende Künstler und Musiker trafen sich in Hinterhofwerkstätten, Wohnungen und kirchlichen Räumen, organisierten illegale Lesungen und Konzerte, gaben selbstverlegte Zeitschriften und Künstlerbücher heraus. Vieles entstand in genreübergreifender Zusammenarbeit, auch Papenfuß arbeitete mit wechselnden Künstlern zusammen, zeichnete, sang und spielte in mehreren Rock- und Punkbands.
Sein erster Lyrikband erschien 1985 im westdeutschen KULTuhr Verlag. Jenseits der Mauer wurde seine Dichtung begeistert aufgenommen, im Vorwort zu harm. arkdichtung 77 rühmte ihn Ernst Jandl einen „Dichter ersten Ranges“;24 Germanistik und Feuilletons feierten ihn als einen der begabtesten Vertreter einer anderen Literatur aus der DDR. Selbst aus der Stasi-Debatte um die Spitzeltätigkeit prominenter Figuren der Ostberliner Literaturszene, in deren Verlauf 1991/92 der zum Mythos stilisierte ,Prenzlauer Berg‘ gründlich demontiert wurde,25 ging Bert Papenfuß vergleichsweise unbeschadet hervor. Und das, obwohl er sich demonstrativ hinter seinen Freund, den enttarnten Stasi-Zuträger Sascha Anderson, stellte.26
Anders als sein Freund Stefan Döring zog sich Bert Papenfuß nach der ,Wende‘ nicht vom Schreiben zurück. Dass Wolf Biermann die Prenzlauer- Berg-Autoren allesamt als „spätdadaistische Gartenzwerge mit Bleistift und Pinsel“27 verhöhnte, schien ihn eher zu beflügeln. Allein in den 1990er-Jahren veröffentlichte er mehr als ein Dutzend Gedichtbände mit teils früheren, teils neuen Texten, wurde mit Preisen und Stipendien geehrt.28 Erst seit der Jahrtausendwende scheint es um Bert Papenfuß ruhiger geworden zu sein. Nicht im Hinblick auf seine literarische Produktivität, denn auch in der vergangenen Dekade publizierte er eine beeindruckende Fülle von Gedichten, Moritaten und literarischen Essays. Doch in der medialen Darstellung machte Papenfuß zuletzt mehr als Kulturveranstalter, Herausgeber und Kneipenwirt von sich reden.29
Womöglich liegt Jan Faktor nicht falsch, wenn er den Autoren vom Prenzlauer Berg, allen voran Bert Papenfuß, eine „fortgesetzte Verweigerung bis hin zur Selbstsabotage“30 unterstellt und ihnen damit eine Mitverantwortung für das Scheitern auf dem gesamtdeutschen Buchmarkt zuweist.
Als ob es anstößig sei, in dieser ,Geldgesellschaft‘ positiv anzukommen.31
Andererseits speist sich gerade aus dieser Verweigerung eine poetische Potenz, die im Fall von Papenfuß konstitutiv für sein literarisches Schaffen ist.
Der Versuch, „die dinge in anderer sprache neu zu denken“
Bert Papenfuß gehört einer Generation von Autoren aus der DDR an, die schon im „Verbesserten“32 aufgewachsen waren. Das Konzept der kritisch-engagierten Literatur ihrer Väter und Mütter, das auf einem stillschweigenden ideologischen Konsens fußte, hielten die meisten von ihnen für gescheitert. Denn anders als frühere Generationen erlebten sie den Sozialismus nicht mehr als Hoffnung, sondern nur noch als „deformierte Realität“ (Heiner Müller), was dazu führte, wie es bei Peter Böthig heißt, dass „ein Teil der jüngsten Autoren nicht mehr die Verklammerung mit der Utopie, sondern die Befreiung von ihr“33 suchte. In der Auseinandersetzung mit poststrukturalistischen Theorien und Schreibweisen der künstlerischen Avantgarden fanden sie Material für neue literarische Konzepte, deren Ausgangspunkt die Kritik an der Sprache war.34
Die offizielle Sprache nahmen sie als entfremdet und zugleich als Manifestation der bestehenden Machtverhältnisse wahr. Um der binären Logik des herrschenden Diskurses zu entrinnen, hielten sie den Bruch mit der Sprache für unumgänglich: „Ich wollte nicht dudenkonform sein, das wäre für mich gleichbedeutend mit der Akzeptanz des Strafgesetzbuches gewesen“,35 erinnert sich Papenfuß. Anstatt ihre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen als politische Gegenrede zu artikulieren, wählten sie den Weg der ästhetischen Verweigerung. Dennoch wurde ihre radikale Kritik an der formelhaften Verlautbarungssprache sowohl im Osten als auch im Westen stets als dissidentisch wahrgenommen. Mit Willi Huntemann ließe sich in Bezug auf die Literatur der Jungen auch von einem „Engagement zweiter Ordnung“ oder einem ,,unengagierte[n] Engagement“ sprechen, entstanden „im Bewusstsein dessen, daß das ursprüngliche Engagement sich normativ verfestigt hat“.36
Bert Papenfuß selbst hat immer wieder betont, dass er seine sprachkritische Haltung weder als Flucht in eine chiffrierte ,Sklavensprache‘ noch als Rückzug in einen hermetischen Kunstraum verstand. Das experimentelle Sprachspiel diente vielmehr der Eroberung individueller und ästhetischer Freiräume37 – und war mithin ein existentieller Akt:
ich sehe mich nicht als Experimentator an der Sprache, sondern das ist mein Leben.38
In ihrem anti-autoritären Impuls wies die Sprachkritik zugleich über das Individuum hinaus. Papenfuß selbst prägte für sein Schreiben den Begriff „Ation-Agenda“,39 eine Wortschöpfung, die ,Aktion‘ und ,Agitation‘ assoziieren lässt, und beschrieb damit sein, im emanzipatorischen Sinne, propagandistisches Programm.
Sein Engagement begriff er durchaus als politisch,40 wenngleich nicht in Form einer argumentativen Auseinandersetzung mit „irgendwelchen sozialpolitischen Sachen“,41 sondern als radikale Verweigerung gegenüber jeglichen autoritären Strukturen. Ein Gedanke, der sich als roter Faden durch das Selbstverständnis des Autors zieht. „Sache der Literatur“, notiert Papenfuß 2003, „ist radikales sozialrevolutionäres Engagement, in letzter Konsequenz anarchistisch“.42
Die ,Wende‘, behauptet Papenfuß heute, habe er nicht als den großen Bruch erlebt, vieles sei ähnlich geblieben.43 Das kapitalistische System und der marktwirtschaftlich organisierte Kulturbetrieb im vereinten Deutschland bieten ihm offenbar Reibung genug. Sprachlosigkeit und Rückzugstendenzen der älteren DDR-Autoren nach 1989 kritisiert er scharf:
Die Veteranen zogen sich nach dem Zusammenbruch lediglich aus der Affäre, begannen eine neue Karriere oder schmollen immer noch in Ungnade. Systemgegnerschaft ist doch wohl das mindeste, was man erwarten dürfte.44
Für Papenfuß steht außer Frage:
[D]er Kampf geht weiter, wie immer, weiter. Verschleiß ist der Preis.45
Doch wie sieht der ,Kampf‘ unter den veränderten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen aus? Ist Bert Papenfuß’ Poetik der Renitenz nicht nur als Haltung, sondern auch als Schreibstrategie bis heute unverändert tragfähig? Welche Kontinuitäten, vielleicht auch Brüche lassen sich in der Lyrik des Dichters nach 1989 ausmachen?
Die „ära des aktiven wortspiels“ ist vorbei
Prägend für die Rezeption der Lyrik von Bert Papenfuß auf dem westlichen Buchmarkt sind zunächst seine frühen experimentellen Gedichte, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in Samisdat-Zeitschriften wie schaden, ariadnefabrik oder Anschlag erschienen waren. Sie wurden 1989/1990 in schneller Folge in den Bänden dreizehntanz (1989), SoJa (1990) und vorwärts im zorn usw. (1990) sowie in den Sammlungen naif, harm und till (1993) publiziert. Charakteristisch für diese Texte ist die kraftvolle, assoziative, sprachspielerische Handschrift des Autors, erkennbar inspiriert von avantgardistischen Schreibweisen verschiedener Epochen, von der Barock-Dichtung über den russischen Futurismus, Dadaismus und Konkrete Poesie bis zu den Lautgedichten Ernst Jandls – Traditionen, die in der DDR lange verpönt waren.
Um die zur Phrasenhaftigkeit erstarrte Offizialsprache zu brechen, experimentiert er mit vielfältigen phonetischen, semantischen und grammatischen Verfahren. Er jongliert mit Buchstaben, Silben, Wörtern und Wortradikalen, zerlegt und kombiniert sie, lässt sich von Assoziation, Rhythmus, visuellen Effekten und Lautähnlichkeiten leiten.46 Mit Vorliebe arbeitet er in seiner Lyrik mit Versatzstücken aus marginalisierten Sprachen, montiert Dialekte, Archaismen, Seemanns-, Gauner- oder Gossensprache, und kreuzt sie mit der Sprache der Macht, mit Politphrasen, Jägerlatein oder Militärsprache. Ein Verfahren, das er „experimentelle Xenologie“47 nennt, „gegen ferfestigungen / ferfestigter zungen / und bekwehmlichkeiten / trott zu beschreiten“48 setzt er eine lebendige, vieldeutige Lyrik:
meine haupttracht der sinntracht trachtet.49
Radikal in Frage stellen will der Dichter, „an der funktion der sprache zweifeln, an ihrer produktiven kraft“, will „bedeutungen verzieren / bedeutungen entehren“, denn „wer das wort hat / hat die macht“.50
Gegen Ende der 1980er-Jahre, noch vor der ,Wende‘, formulierte Papenfuß erste Zweifel an der exzessiven ,Phonempoetik‘. Was anfangs als rebellischer Akt funktionierte, drohte sich im Laufe der Jahre zu einem neuen Code zu verfestigen; im März 1988 notierte er:
zögernd nur, arianrhod, habe ich mich an unser manifest gehalten
welches, nicht wahr, unklar genug war, es war nicht meine idee
unumstößlich klingt sie aus
die ära des aktiven wortspiels
es wurde zu ernst51
Nicht nur innerhalb der subkulturellen Milieus, auch jenseits der Szene erwiesen sich die sprachspielerischen Tabubrüche zunehmend als konsumierbar.52 Ab Mitte der 1980er-Jahre begann sich der offizielle DDR-Kulturbetrieb gegenüber der subkulturellen Kunst- und Kulturproduktion zu öffnen, im Westen avancierten die künstlerischen Samisdat-Produkte zu begehrten Sammlerobjekten.
Viele junge Autoren hatten die DDR bereits verlassen, nach dem Mauerfall brach die Prenzlauer-Berg-Szene vollends auseinander. Das unerwartet rasche Verschwinden des Staatsgebildes DDR, das die Auflösung sprachlicher und kultureller Kontrollmechanismen nach sich zog, ließ den Autoren wenig Zeit, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen. „Das Privileg, als erster gegen die Herrschaftssprache angetreten zu sein, zählt über Nacht nichts mehr“,53 konstatiert Wolfgang Emmerich 1990. Was also wird nach dem Zusammenbruch des Sozialismus aus den „sprachlichen Tabubrechern von gestern“?54
„was kümmert mich die banane“ – Rezeption der ,Wende‘
Mit tiské und Led Saudaus55 erscheinen 1990/1991 die ersten Gedichtbände, die während der ,Wendezeit‘ entstanden. Und es zeigt sich, dass Bert Papenfuß weiterhin mit „dem aufreizenden Ton der Verweigerung“56 spricht. Er montiert, collagiert, verfremdet und wirbelt Wortfragmente durcheinander. Allerdings tritt das experimentelle Spiel mit kleinsten sprachlichen Einheiten merklich in den Hintergrund. Weniger Buchstaben, Silben und Phoneme, sondern größere sprachliche Segmente wie Parolen, Wendungen, Reiz- und Schlagwörter sind der Stoff, aus dem die Papenfuß’sche Lyrik nun gewebt ist. Visuelle Formen weichen einem Gedichtaufbau in vergleichsweise schlichten Strophen mit drei oder vier Verszeilen, monolithischen Textblöcken oder Verspaaren.
Hauptthema besonders in tiské ist die ,Wende‘, und wo Papenfuß sich kritisch mit dem aktuellen Geschehen auseinandersetzt, tut er das ungewohnt ernst und unmissverständlich. Offenbar empfindet er die gesellschaftlichen Umbrüche als so fundamental, dass sich ein allzu spielerischer Umgang mit der Sprache verbietet. Die satirische Form, mit der er früher die offizielle Politsprache persifliert habe, so Papenfuß in einem Interview, sei für ihn 1989 nicht mehr möglich gewesen:
Ich war zu betroffen, ich mußte so drauf reagieren.57
Auch einer wie Bert Papenfuß, der sich stets außerhalb des DDR-Systems verortet hat, ist nun gezwungen, sich neu zu orientieren:
& ich dachte, ich sei der kwisatz haderach
doch dann wurden die grenzen aufgemacht58
Die Jahre des Sich-Einrichtens in der Subkultur sind vorbei:
aus des widerstandes geborgenheit
der ich so lang verlegen war
muß ich mich schön schreiben, mit der belangfülle des lebens
steigt sein wegwerfwert
in alle ewigkeit59
Papenfuß ist sich bewusst, dass die Prenzlauer-Berg-Autoren im Prinzip eine „marginale, häretische Literatur“ verfassten, die „als DDR- und Oppositionsliteratur gut und brauchbar war, besonders für die West-Medien“, die aber eigentlich nicht in den „Hochkultur-Zusammenhang“ passte.60 Nach dem Mauerfall muss sich diese Literatur nun als gesamtdeutsche Kultur behaupten.
Der Titel tiské, der rückwärts gelesen „Exit“ (Ausgang) ergibt, darf also nicht nur als Anspielung auf das Ende des sozialistischen Systems, sondern auch als Suche nach einem neuen Standort gedeutet werden. So heißt es zum Beispiel in „drom“:
wo bin ich, woher komme ich, mit wem,
kommuniziere ich warum61
Auch die literarische Produktion bedarf der Revision, wie das Gedicht „losung, lösung & löschung“ aus Led Saudaus nahelegt:
gedichte, so unterhaltsam
wie ich sie möchte müssen wollen können
harren der niederschrift & ihrer infragestellung62
Die Tonlage in beiden Gedichtbänden oszilliert zwischen Rückschau, Reflexion und rasendem Zorn. Ob der sensationsgetriebene Medienbetrieb, die Konsumgesellschaft oder aufkeimende deutsch-nationale Tendenzen, Anlässe für seinen Unmut findet der Dichter reichlich. Er misstraut „der verheißenheit des freien marktes“ und fürchtet die „soziale marktmonarchie“, die als Fortschritt gegenüber dem Sozialismus gefeiert wird:
fortschreiten möchte man
&; zwar möglichst fort63
Die Ereignisse der friedlichen Revolution kommentiert er bissig, verspottet den Einheitstaumel und warnt vor Großmachtgehabe und Deutschtümelei. Er will sich nicht einlullen lassen von der Wiedervereinigungseuphorie und macht keinen Hehl daraus, dass er den Einigungsprozess skeptisch sieht:
die heide wackelte, ihr wart das volk.64
Im Gedicht „strafe macht frei, disziplin steht in’s haus“ heißt es höhnisch:
die deutschen überschlagen sich, legen sie sich zusammen
oder hauen sie sich in die pfanne, bzw. den rest der welt
die untoten roten öffnen die arme, volksfest ohne erbarmen
jeder ausrutscher ein deutscher, sektgaben, freibier & gratis-sex
nichts bereuen & alles obendrein, dies ist der totale mumienschanz65
Besonders in tiské erweist sich das sprachkritische Konzept auch unter den veränderten gesellschaftlichen Vorzeichen als fruchtbar, allerdings hat sich der Akzent von der gesellschaftsbezogenen Sprachkritik hin zu einer sprachspielerischen Gesellschaftskritik verschoben. Dem ,lyrischen Chronisten‘ gelingt es, „jene Reibung im Vereinigungsprozess auszuleuchten, welche die Sieger der Geschichte am liebsten hätten ausblenden wollen“,66 meint auch Gerrit-Jan Berendse. Gegen die Idee des vereinten Deutschlands, die Papenfuß für rückwärtsgewandt, sogar für gefährlich hält, verteidigt er weiter alles Fragmentierte, Zersplitterte, Marginalisierte:
gründet ihr erstmal euer scheißvolk
& ich dann den untergrunduntergrund
[…]
dieser text ist ein gedicht
das für die vorantrift der bastardisierung
sprich polackisierung, sprich regionalisierung
sprich krautkrauterei spricht67
„mir gefällt nichts“ – Angekommen in der gesamtdeutschen Gegenwart
Wie der „untergrunduntergrund“ unter den Bedingungen des freien Marktes aussehen könnte, lotet Bert Papenfuß in seinem Gedichtband nunft aus, der 1992 im Göttinger steidl-Verlag erscheint. Einerseits knüpft er mit dem Buch an die frühere Kunstproduktion in der DDR an. Gedruckt auf kräftigem, braunem Papier, erinnert der Band an die illegalen Künstlerbücher, wie sie in den 1980er-Jahren produziert wurden. Außerdem belebt Papenfuß die Tradition des kollektiven künstlerischen Schaffens wieder,68 gewinnt für das Projekt Künstler des Kreuzberger Kollektivs endart, deren Zeichnungen und Grafiken die Gedichte illustrieren, und nimmt mit Musikern der Band Novemberclub, darunter Weggefährten wie Ronald Lippok und Sascha Anderson, eine Heavy-Metal-CD auf, die dem Buch beiliegt.69
Die Gedichte und Songtexte entziehen sich jedoch jedem Nostalgieverdacht. Papenfuß ist in der gesamtdeutschen Gegenwart angekommen, und was er vorfindet, gefällt ihm gar nicht. Er reagiert mit ätzendem Spott und lärmender Provokation, ganz nach der Devise „wenn nix jutet da is / so prüfe geflissentlich / wat dat schlechte bringt“.70 Das Gedicht „kakaoutopie“, das auf dem Klappentext zu lesen ist, gibt die programmatische Richtung vor:
mir gefällt nichts, ich kenne nichts, nichts
das sich im kakao nicht noch besser ausnähme
& mit mehr würde dastünde, wenn es durchgezogen
die last des lustigmachens ist eine schaffende list71
Von der Suchbewegung, die tiské kennzeichnet, geht Papenfuß in nunft zum frontalen Angriff über, um mit „aller wucht des wortpralls“ seine subversive „materialschlacht“ bis zum „konstruktkonkurs“ voranzutreiben.72 Mitunter ist die Dekonstruktion so grundlegend, dass man als Leser unmöglich folgen kann. Gedichte wie „mangler rod“ oder „hallstatt revisited“ verlieren sich weitgehend in klandestinen Assoziationsketten, Sprachcollagen und Lautteppichen. Ermüdend ist auch der inflationäre Gebrauch von Vulgärsprache und pornografischen Szenen, allenthalben ist von „scheiße“, „arschgelecke“, „hirnriss“, „duennschiss“, fickfrosch“, „piss fights“ oder „votzenfurz“ zu lesen. Manche Gedichte wirken so mutwillig schrill, als ginge es dem Autor lediglich darum, den lyrischen Lautstärkeregler bis zum Anschlag aufzureißen. Man muss nicht so weit gehen wie Berendse, der in dieser Haltung eine bewusste „Antireklame für eine ,AußerLiterarischeOpposition“‘ erkennt, die „in Ruhe gelassen bzw. marginalisiert werden will, um so ihren Ghetto-Habitus zu pflegen“.73 Doch in nunft droht der rebellische Impuls angesichts der angestrengten Überspitztheit der Texte zur Pose zu geraten. Und bei der Lektüre von Zeilen wie „ich fuhr ein in den stollen / &; ganz ohne es zu wollen / geriet ich zu den trollen“74 mag man Michael Braun recht geben, wenn er bemerkt, hier werde „oft grausam gekalauert und peinlich dilettiert“.75
In mors ex nihilo (1994) treibt Papenfuß sein anarchisches Anliegen weiter voran und experimentiert diesmal mit der lyrischen Langform. Sein Panorama-Gedicht umfasst knapp 500 Verse, gegliedert in Prolog, Hauptteil und Nachspiel. Kurze Zitate und Dialogschnipsel, die an Werbeblöcke oder Epitaphe erinnern, strukturieren den Text, doch insgesamt lässt die Anordnung in schnörkellosen Textblöcken das Poem fast streng wirken. Illustriert ist der Band mit Zeichnungen des Düsseldorfer Künstlers Jörg Immendorff, die er 1977 für seine Serie Café Deutschland76 angefertigt hat, ein Hinweis darauf, dass Papenfuß das deutsch-deutsche Thema weiter beschäftigt.
Doch statt eines utopischen Orts der Begegnung zeichnet Papenfuß in mors ex nihilo (Tod aus dem Nichts) eine düsteres Schlachtfeld: Völker, Staaten und Systeme siechen ebenso dahin wie Familien und Figuren. Sie alle fallen mysteriösen Attentaten zum Opfer, sterben durch Mord, Totschlag und unglückliche Unfälle, sei es auf den Kreuzzügen des Mittelalters oder in der psychiatrischen Klinik. In Hauptteil und Nachspiel werden obskure Sterbefälle wie bei einer Totenmesse aufgelistet, säuberlich mit Sterbedaten versehen:
13.12.: tod des präfekten & heerführers von
ausbau-west durch gift, dolch, aufschwung ost
auftakt nord; in liebe & dankbarkeit77
In mehrfachen historischen Volten spürt Papenfuß der Frage nach, „ob der tod die freiheit ist“ und scheint mit Blick auf den soeben untergegangenen Sozialismus pessimistisch. Die Ankunft im Kapitalismus habe mitnichten Befreiung gebracht, sondern neue Zwänge geschaffen:
wir hospitieren uns selbst
& sind unsere eigene polizei dabei
lackmeier, geldverdienen ist beschiß78
Solange Staaten und Gesetze existieren, so seine Überzeugung, ist mit Emanzipation nicht zu rechnen:
ein einziger blick in die struktur jeder gesetzgebung
entdeckt uns die erstarrung jeglicher kodizes:
eine verletzung der öffentlichen treu und glaubens,
beleidigung des ganzen menschenbilds79
Vor seiner Haustür erlebt er die ökonomischen Veränderungen hautnah. Im „prolog auf dem schirm“ verscherbelt eine Bestattungsfirrna aus der „Christburger“, gemeint ist die Christburger Straße im Prenzlauer Berg, Beerdigungen zu Discount-Preisen, selbst der Tod wird zur Ware. Kulturschaffende sieht Papenfuß vor die Wahl gestellt zwischen den ,,fleischtöpfe[n] / der senatskulturverwaltung“80 und dem Ausverkauf der Kunst:
kollegen
lassen wir uns nicht lumpen: alles wird teurer,
wir aber, im einklang mit unserer zielgruppe,
senken unsere preise: das kapital ist machbar,
herr nachbar81
Beides kommt für den Autor selbstredend nicht in Frage. Stattdessen propagiert er die „bewaffnete schrunst“, das „faxenmachen / possenreißen & votzenschneiden bis zur neige“ und lässt damit „die katze aus dem staat, / i’m a poet, you better know it“.82 Eine positive Utopie ist von Papenfuß nicht zu erwarten, Lösungen hat er keine parat. Darauf deuten auch die massenhaft verwendeten &-Zeichen und Doppelpunkte hin, die den Text offenhalten. Der Hauptteil des Gedichts endet abrupt mit einer Selbstbefragung:
warum machst’n dit allet?
Und das Autor-Ich antwortet:
dit jibt ma uffschluß, vastehste.83
Doch beim „nachspiel im stall“84 geht das Sterben weiter.
Wer von Bert Papenfuß Resignation erwartet, liegt falsch. Die Gedichte, die zwischen 1994 und 1998 zunächst in der Zeitschrift Sklaven,85 später in den Gedichtbänden SBZ. Land und Leute (1998) und hetze (1998) erscheinen, belegen vielmehr, dass sich der Dichter immer tiefer in Rage redet. Mit ungezügelter Wut schreibt er sich „frisch von der leber“ den „hass von der seele“:86 „jetzt reicht’s; wackelärsche, zappeltitten / schlabberkinne, klabüsterkimme, trantüten / schlafmützen, nachtsocken, furztrocken“,87 schleudert er seinen Lesern in berliner zapfenstreich entgegen.
Den ostdeutschen Aufbruch hält Papenfuß endgültig für gescheitert:
unsere toten starben dann doch
mit ihren neues-forum-t-shirts an88
Nach der „sanften revolution & der leichenstarre der genesung davon“89 herrsche in Deutschland wieder eine ges.sch.schl.ges, die von Langeweile und Stagnation geprägt sei wie einst das „kontemplationslager SBZ“.90 Immer deutlicher tritt in den Gedichten eine fundamentale Kapitalismuskritik91 hervor:
der kap’talismus ist
nicht die bohnenstange
nach der ich verlange
solange mark im bein ist
der anarchismus
keine fahnenstange
um die ich bange
was sein muß, muß92
Und wieder ist das Gegenmodell eine diffuse anarchistische Utopie
ich bin gegen jede sonstwie-kratie
ich weiß selber, was ich will; und wie93
Um die arbeits-, geist- und trostlose Nachwendegesellschaft wachzurütteln, ist ihm jedes Mittel recht, „hauptsache staats- & herrschaftsfeindlich“,94 denn:
wo ein widerstand ist, ist auch ein weg aus dem musealen sosein.95
Sich in der pluralistischen, reizüberfluteten Gesellschaft Gehör zu verschaffen, ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Deshalb fährt Papenfuß im wahrsten Sinne des Wortes ,schwere Geschütze‘ auf und führt einen verbalen Partisanenkampf. Wie Maschinengewehrsalven knattern seine Verse:
man nennt mich panzerfaust
ich presche schon mal vor
schluck, woran du kaust
& rotz aus vollem rohr96
Bemerkenswert ist, dass die Gedichte dieser Jahre trotz Revolutionsrhetorik, Kampfattitüde und militärischem Vokabular wieder melodischer, vielfach liedhaft klingen. Das liegt zum einen daran, dass Papenfuß meist einfache, drei- oder vierzeilige Strophen und Refrains verwendet, zum anderen an der Reim- und Rhythmusstruktur der Gedichte. Alliterationen, Assonanzen, Binnen- und Endreime erzeugen eine Musikalität, die in Kontrast zu den radikalen Aussagen steht. Daraus entsteht eine Spannung, die den besonderen Reiz der Lyrik dieser Jahre ausmacht.
Ein anderes Thema, das Papenfuß weiter beschäftigt, und das eng mit seiner Kapitalismuskritik verknüpft ist, betrifft die Veränderungen in seinem ,Basislager‘ Prenzlauer Berg, das zugleich Chiffre für die autonome Kunstproduktion ist. Mit dem Zusammenbruch der DDR droht der kreative Freiraum zu verschwinden. Schlecht gelaunt registriert er die Kolonialisierung und „selbst herbeiverschuldete Yuppiefizierung“97 seines Kiezes.
„irgendwas mit kunst“ geht hier nicht mehr
das prenzlauer boot ist ein zaungastschiff
& jede versiffte eckkneipe ein klassenriff
„hätten wir“ „man müßte“, wären wir pappesatt
prenzlauer berg gibt’s doch gar nicht98
Das einstige Künstlerbiotop ist beinahe trocken gelegt, was Papenfuß nicht daran hindert, trotzig die Stellung zu verteidigen – „auch ich bin prenzlauer berg / & ich bin der geschändete frontzwerg / auch ich bin, verdainmtnochmal, prenzlauer berg“99 – und seine ,Truppen‘ zum „kiezistischen jihad“100 zu trommeln. Dieser ,Kulturkampf im Kiezformat‘, den Papenfuß später „Lokalbolschewismus“101 nennt – zugleich eine Anspielung auf die Lokale, in denen sich die Künstler trafen schien schon damals wenig aussichtsreich. Denn von der Ostbohème war Mitte der 1990er-Jahre kaum mehr geblieben als ein loses Geflecht von Künstlern und Autoren, die sich in Kneipen wie Torpedokäfer und Kommandantur102 ihres Andersseins versicherten. Aus heutiger Sicht wirkt das Heraufbeschwören einer revolutionären Stadtguerilla, die antritt, um das „Gespenst des Globalismus“103 mit den Mitteln der Kunst zu vertreiben, fast weltfremd.
Das Ende des Aufbruchs – „Vorwärts im Zorn“
Dass die Entwicklung so nicht aufzuhalten ist, weiß auch Papenfuß. Das Jahr 1999 beschreibt er rückblickend als Zäsur:
Weil nach zehn Jahren Postwende jegliche Luft einer, wie auch immer gearteten, Aufbruchstimmung raus war, die Artikulation der Lebensfreude ging gegen null.104
Er zieht sich aus dein etablierten Literaturbetrieb zurück,105 publiziert nur noch in Kleinverlagen und Zeitschriften wie telegraph, Zonic, Sklaven Aufstand und Gegner, wird Mitinhaber des Kaffee Burger, einer Kneipe im Berliner Stadtbezirk Mitte, in der er das Kulturprogramm Brückenkopf organisiert.
Im Jahr 2001 erscheinen einige Texte im Band Haarbogensturz. Versuche über Staat und Welt, darunter erstmals längere essayistische Arbeiten. In ihnen beschäftigt sich Papenfuß mit dem Wandel der Prenzlauer-Berg-Szene seit den frühen 1980er-Jahren, dem deutsch-deutschen Literaturstreit oder mit revolutionären Tendenzen in Musik und Literatur. Vor allem „die Verrohung der Kunst- und Kulturszene“106 treibt ihn um. Im Langgedicht „ILLIT“ beklagt er die Vereinnahmung der autonomen Literatur:
die literarische opposition der realen existenz
fristet ihres weniger-werdens und sterbens
in szenereservaten mit kultstatus
die marktgerecht abgesteckt sind107
Einerseits erneuert er in „ILLIT“ sein poetisches Selbstverständnis als sozialrevolutionärer Dichter, will weiter auf die Sprengkraft seiner Lyrik vertrauen,108 zugleich deuten sich Zweifel an, ob das sprachspielerische Konzept noch trägt, wenn es gegen Ende des Gedichts heißt:
schluß mit der barocken wortverliebtheit
der schwellen- und entwicklungsliteratur109
Erst drei Jahre später meldet sich Papenfuß mit einem neuen Lyrikband zurück. Das schmale Heft Rumbalotte Continua110 (2004) ist Teil eines künstlerischen Mammutvorhabens, an dem der Autor über Jahre arbeitet. Bei seinem Projekt Rumbalotte, das ursprünglich als Rockoper geplant war, arbeitet Papenfuß mit Musikern und Dramaturgen zusammen. Das musikalische Kollektivkunstwerk wird nie realisiert, doch das Libretto erscheint 2005 – gekürzt und mit Grafiken von Ronald Lippok – unter dem Titel Rumbalotte. Gedichte 1998–2002; bis 2010 veröffentlicht Papenfuß sechs weitere Folgen von Rumbalotte Continua111 in wechselnden Kleinverlagen.
In Rumbalotte, ein Silbenwort, das auf einen derben Seemannswitz112 zurückgeht, schickt Papenfuß seine Leser auf eine Reise durch unsichere Gewässer. Die Serie ist eine heterogene Sammlung von Gedichten und essayistischen Textcollagen, die um sozialrevolutionäre Tendenzen vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit kreisen und eine gemeinsame Stoßrichtung haben:
Was oben thront, gehört runtergeholt.113
Papenfuß löst sich wieder stärker von Themen mit Gegenwartsbezug und folgt stattdessen den Spuren des Widerstands quer durch die Jahrhunderte, angefangen bei der althochdeutschen Stabreimdichtung Muspilli bis zum Terror der RAF.
Schon in seiner frühen Lyrik beruft sich Papenfuß auf viele verschiedene geistige Vorfahren und begründet diese Schreibtechnik so:
Der Aspekt der Attacke […] gegen Konventionen ist mir ebenso wichtig wie der Aspekt der Tiefe, des Verwurzeltseins.114
Seine Gedichte verweisen etwa auf den rebellischen Volksnarren Till Eulenspiegel, dem er sich im Geiste verbunden fühlt, auf anarcho-kommunistische Denker wie Max Stirner und Franz Jung oder auf Autoren der Avantgarden. Im Rumbalotte-Projekt werden die intertextuellen Bezüge, die Papenfuß in teils ausufernden Fußnoten erläutert, zum stilprägenden Element.
Leitmotiv des Gedichtbands Rumbalotte ist die Figur des Freibeuters Klaus Störtebeker, Symbol für Freiheit, Abenteuergeist und gewitzten Widerstand. In den Continua-Heften bezieht sich Papenfuß auf viele unterschiedliche Quellen, auf mythische Erzählungen, philosophische und politische Werke, Propaganda, eigene Texte und Literatur befreundeter Autoren. Darüber hinaus montiert er Songzeilen aus Rock- und Punkstücken. Betrachtet man die Rumbalotte-Bände als Gesamtwerk, wird ein rhizomatisches Geflecht antiautoritärer Denktraditionen erkennbar. Der Schluss liegt nahe, dass es Papenfuß in dieser Serie auch darum geht, die Kunst als autonome, emanzipatorische Erzählung gegen ihren gegenwärtigen Ausverkauf zu behaupten.
Nicht immer gelingt es ihm, die Leser auf seine Gedankenflüge mitzunehmen und in manchen Passagen treibt er seine ,Ation-Agenda‘ so weit, dass sich die Texte, darin ist Braun recht zu geben, in „seitenlange Gesinnungs-Sentenzen“ und „anarchische Evangelien von geringem Reiz“ verlieren.115 Am stärksten ist Papenfuß’ Lyrik immer noch dort, wo er sich an konkreten Missständen reibt, gegen das geistlose Fernsehen116 oder die Gentrifizierung wettert und seinen Kiez gegen die grassierende „Blech-, Balgen-, Köter- und Pedalentreterpest“117 verteidigt. Und zwar in einem nach wie vor virtuos assoziativen Sprachspiel, das inzwischen sogar ohne Verstöße gegen Interpunktion und Groß- und Kleinschreibung auskommt.
In ihrem rebellischen Gestus können auch die Rumbalotte-Bände als eine Variation jener Schreibstrategie gelten, die Bert Papenfuß seit seinen Anfängen als Autor verfolgt, nämlich das Ausloten immer neuer (sprachspielerischer) Möglichkeiten der Poesie als Waffe gegen „jede Regierung / und jedwede Regieführung“.118 Vergleicht man jedoch abschließend seine frühe Lyrik mit seinem Nachwende-Werk, so lässt sich resümieren, dass die Tonlage seiner Dichtung schärfer, teilweise sogar ausgesprochen wütend geworden ist. Folgt man der von Willi Huntemann und Kai Hendrik Patri skizzierten Typologie möglicher Reaktionen des literarischen Engagements auf die ,Wende‘, scheint die Lyrik von Bert Papenfuß geradezu exemplarisch für den Übergang von einer „littérature engagée“ zu einer „littérature enragée“.119 Auf welches Schlachtfeld sich der Autor als nächstes begeben wird, ist nicht vorhersehbar: „Mit mir ist nicht zu rechnen, ich bin unzurechnungsfällig“; obgleich für ihn ohne Zweifel gilt:
Ich sehe nicht zurück, ich seh’ nicht mal nach vorn, drum ja: Vorwärts im Zorn!120
Ilona Schäkel, aus Mirjam Meuser, Janine Ludwig (Hrsg.): Literatur ohne Land? Schreibstrategien einer DDR-Literatur im vereinten Deutschland Band II, fwpf, 2014
ANOTHER LAST GOODBYE121
siehstu den Bert, kannstu den Bert sehn
nein, der ist hier nicht mehr zu sehn
er ist auf und davon, er ist weg und dahin
wir müssens ohne Bert weiterdurchstehn
und die lichter, sie funkeln heut weniger hell
geben sich irgendwie passend bedeckt
der mond wird geblockt von regenwolken und dreck
wir müssen ohne Bert weitergehn
siehstu die hände wild um sich kralln
auf der suche nach haben und halt
ich seh mich um, doch ich seh Bert nichtmehr
ich bemerke, ich fühle mich alt
siehstu die nacht, wie sie masslos erwacht
und licht kommt nur von laternen
und eine bleibt aus, niemand zündet sie an
stell mir vor, mit Bert gut zu munkeln
sing and say another last goodbye
let’s sing hey hey another last goodbye
kannstu uns sehn, Bert, kannstu uns sehn
wie wir hier hocken in unseren mauern
uns am ohne dich laben, am leben uns laben
und heut hier sehr um dich trauern
kannstu uns sehn Bert, kannstu uns sehn
wie wir hier rumhängen, dein schönes fell versaufen
versuchen im scheitern zu widerstehn
und uns wieder aufs neu zu verlaufen
sing and say another last goodbye
let’s sing hey hey another last goodbye
sing and say another last goodbye
let’s sing hey hey another last goodbye
let’s get and pay another last goodbye
René Schwettge, Infamis
Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring
Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“
Mark Chaet & Tom Franke sprechen mit Bert Papenfuß im Sommer 2020 und ein Auftritt mit Herbst in Peking beim MEUTERLAND no 16 | 1.5.2019, im JAZ Rostock
Kismet Radio :: TJ White Rabbit presents Bertz68BirthdaySession_110124_part 2
Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016
Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016
Thomas Hartmann: Kalenderblatt
MDR, 11.1.2021
Nachruf auf Bert Papenfuß bei Kulturzeit auf 3sat am 28.8.2023 ab Minute 27:59
Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.
Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.
Bert Papenfuß, erzählt am 14.8.2022 in der Brotfabrik Berlin aus seinem Leben und liest Halluzinogenes aus TrakTat zum Aber.
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