UNSTERBLICHE GEGNER
vom eise befreit sind die straßencaféhaustische
das menschliche antlitz ist völlig verschrammt
die unsichtbare hand hat tüchtig zugelangt
die kehrseite allen spaßes ist schmerz
jetzt aber auf die schenkel geklatscht
vielleicht hintenrum sex abgeknapst
wogegen spiegelt sich das entsetzen
der spaßmacher in den zuschauern
die ihren ängsten nachtrauern
was man vergißt
tut man öfter
was man im guten tut
dauert ewig –
unsterbliche gegner
prostituierte gaukeln sich was vor
bäumendes brüllen geziemt der kreatur
leise sohlen kommen auf die krumme tour
arm sind die würstchen dran
verdienen nicht schlecht auf die kappe
anderswo ausgebeuteter mit solcher flappe
mondialismus japst nach spaß
zieht die flunsch durch den flansch
ergötzt sich am unterhaltungsgemantsch
was man vergißt
tut man öfter
was man im guten tut
dauert ewig –
unsterbliche gegner
die werte von heute
sind aufstände von gestern
greinen konsternierte schwestern
ich bin praktisch tot
theoretisch lebe ich im www.
aber der gegner macht wieder wett
so unorthodox wie möglich
ist orthodox; Magnanimus, Ingenuus
Largifluus, Egregius, Strenuus – & schluß
was man vergißt
tut man öfter
was man im guten tut
dauert ewig –
unsterbliche gegner
Rumbalotte oder die (fast) maritimen Gedichte des Bert Papenfuß
nach einigen Jahren Abstinenz vom Literaturbetrieb, die er gewinnbringend in die Veranstaltungsreihen des Berliner Kaffee Burgers und in diverse Zeitschriftenprojekte investierte, legt er einen neuen Gedichtband vor, in dem der ausgestreckte Mittelfinger die Musik macht: „wo andere gut kirschen essen / fahre ich am liebsten schlitten“. Die einen an-, die andern aufzuregen ist die Mission dieser Räuberpistolen und Seeräubersongs, Anarchie ihre Botschaft, Stabreim und Knittelvers sind ihre Mittel, aber auch das dunkle und trunkne Wort, Rotwelsch und Platt, Kalauer und KO-Schläge, Slam und Slang, der Freibeuterei zur Freude und dem Kapital zum Trotz.
Urs Engeler Editor, Verlagstext, 2005
– Laudatio von Florian Höllerer auf Bert Papenfuß zur Eugen Viehof-Ehrengabe. –
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Das Blau sei im Verlag ja schon vergeben, das Papenfuß-Blau, sagte neulich der Dichter Ulf Stolterfoht. Auf meine Frage, welche Farbe sein neuer Fachsprachen-Band bei Urs Engeler Editor denn haben würde. Dieses Papenfuß-Blau, das den Band Rumbalotte (erschienen 2005) umschließt und seit langem bereits die von Bert Papenfuß mitherausgegebene Zeitschrift Gegner, dieses Papenfuß-Blau ist an dem Ort, wo wir uns befinden, vielleicht am leichtesten so zu beschreiben: Man nehme das Blau Bayerns, „die Farben seines Himmels, weiß und blau“ – und stelle sich das genaue Gegenblau vor. Ein maritimes Blau, dunkel, sehr dunkel: viel Seeräuberschwarz darin, viel Abgrund, Revolution und Anarchie:
dreckwasser, schwarzes
wasser, tiefes blut
hüftschwung, hirngespinst
unstaat oder kein staat
he ho sabberlatz
hier kommt frisches schwarz
prompt auf die kniescheibe
bei lebendigem leibe […]
so der Beginn des Gedichts „Schwarzes Blut“. Es ist das Schwarz, es ist das Blau von Klaus Störtebeker, dessen Kampf gegen die Hanse, die gestrige und die heutige, den Band Rumbalotte durchzieht, an seiner Seite ein sozialrevolutionärer Eulenspiegel. Rumbalotte war ursprünglich als Rockoper geplant, es sind Gedichte aus den Jahren 1998-2002, mit Zeichnungen von Ronald Lippok.
„Rumbalotte“ – was soll das? Was soll das heißen? In einer Rezension des Bandes las ich, „Rumba, dieser herausfordernde lateinamerikanische Tanz, gehe mit dem Vornamen Lotte eine Verbindung ein, der durch Goethes Werther und Thomas Manns Lotte in Weimar Eingang in die Literatur fand“. Nicht schlecht. Aufgeklärt wurde ich dann allerdings vom Stuttgarter Übersetzer, Autor (und Kuratoriumsmitglied) Joachim Kalka, dem ich von „Rumbalotte“ erzählte: Ah – der alte Witz, schallte es gleich in mein verständnisloses Gesicht. Und auch wenn hier womöglich nicht der Ort für antiquierte, vulgäre Witze ist, sei er kurz erzählt, in der Kalkaschen Version (es gibt derer viele, wie ich inzwischen weiß): Tagschwester trifft Nachtschwester – Schichtübergabe – und berichtet von jenem bewegungsunfähigen Patienten, der sich das Wort
Rumbalotte auf den Penis habe tätowieren lassen. Rumbalotte? – fragt die Nachtschwester ungläubig und besieht sich das Ganze selber – in voller Länge, wie sich herausstellt. Da stünde nicht Rumbalotte, weiß sie am Folgemorgen der Tagschwester zu berichten, nicht Rumbalotte – sondern „Ruhm und Ehre der baltischen Flotte“! oder in einer Variante. „Ruhm und Ehre der baltischen Rotbanner-Flotte“.
Rumbalotte erweist sich als Galionsfigur eines poetischen Verfahrens, in dem Militärjargon und explizite Sexualität, Pathos und Jux, politischer und lexikalischer Furor ein explosives Gemisch bilden: das Gedicht – vermintes Gelände.
Das war schon 1990 so, als ich für die Zeitschrift PO&SIE zwei Gedichte von Bert Papenfuß-Gorek – „Tantris in Tyrannos“ und „Routine in die Romantik des Alltags“ – ins Französische übersetzte – Zeilen wie:
[…] die strebung
zur wölbung gemahnt, allen plattheiten zum trotz,
zu bankraub, zahnarztattacken, politischem kampf,
klar-schiff-machen, segel setzen, irrevolution, anker lichten, rache nehmen, genüsse nutznießen,
u.v.a.m.
1990, das war aus meiner West-Berliner Perspektive eine Zeit, in der man zu Lesungen mehr aus Pflichtgefühl, Edelmut oder Masochismus ging. Autoren vermieden es, sich Blößen zu geben: etwa Augenkontakt mit den Zuhörern aufzunehmen oder beim Lesen die Zähne zu zeigen.
Literatur-Abende am Prenzlauer Berg, der vollmundige Papenfuß-Gestus von Angriffslust und Anarchie, von Risikofreude und Piraterie, waren da etwas anderes. Die Übergänge zwischen Lesungen, Rockkonzerten, Ausstellungen oder Installationen waren fließend. Die Künstler des Prenzlauer Bergs – je nach Sichtweise „renitenter Avantgarde-Klüngel“ oder „feindlich dekadente Kraft“ – arbeiteten zusammen und waren auch nicht eindeutig einzelnen Kunstformen zuzuordnen. Papenfuß selbst war Rockmusiker, zunächst Bassgitarrist, Sänger, dann Texter. Mit Stefan Döring gründete er die Gruppe Der schwarze Kanal, später Rosa Extra. Erst Hardrock, dann Punkrock. Er schrieb Texte für Ornament & Verbrechen und arbeitete überhaupt viel mit dem Künstler und Bandgründer Ronald Lippok zusammen, dessen Zeichnungen ja – wie gesagt – auch den Band Rumbalotte durchziehen.
Mit Gedichten begann Bert Papenfuß schon sehr früh in den Siebziger Jahren. 1977/78, als Zwanzigjähriger, dann erste Publikationen in Zeitschriften, 1985 mit harm. arkdichtung 77 die erste eigenständige Publikation. Große Aufmerksamkeit wurde dem Band dreizehntanz zuteil, den gleichzeitig der Aufbau-Verlag (1988, in Gerhard Wolfs legendärer Serie außer der reihe) und der Luchterhand-Verlag(1989) veröffentlichten. Im Jahr 1990, als ich Bert Papenfuß-Gorek zum ersten Mal im Café Kiryl hörte, erschienen die Gedichtbände SoJa, mit Zeichnungen von Wolfram Adalbert Scheffler (Druckhaus Galrev), tiské, mit Zeichnungen von A.R. Penck (Steidl Verlag) und Vorwärts im Zorn, mit Grafiken von Strawalde (Aufbau Verlag). Zugleich lagen schon zahlreiche originalgraphische Editionen vor, Texte im Zusammenspiel mit Zeichnungen, Siebdrucken, Radierungen, Lithografien. Überdies eine Vielzahl von Musikkassetten mit gesprochener und gesungener Literatur, 1990 auch die Ornament & Verbrechen-LP On Eyes, mit Bert Papenfuß als Gast (Hidden Records). Die symbiotische Durchdringung von Poesie, bildender Kunst und Musik wird besonders anschaulich in dem gerade (wiederum bei Urs Engeler) erschienenen Papenfuß-Band Ation-Aganda, der fünf Gedichtzyklen aus den Jahren 1983-1990 enthält. Und zwar so, wie sie seinerzeit als Schreibmaschinen-Durchschläge kursierten, Typoskripte durchsetzt mit (zum Teil eigenen) Grafiken und Zeichnungen, dazu eine Audio-CD, auf der sich die Papenfuß-Texte mit DDR-Punk der Jahre 84 und 85 vereinigen.
Der Schwung der Prenzlauer Berg-Dichtung als Gesamtbewegung wurde durch die bekannten Stasi-Verwicklungen zentraler Figuren der Szene jäh gebremst. Und überhaupt hat sich viel verändert: Heute verbindet man Prenzlauer Berg mit Casting-Allee und Familienparadies, mit latte macchiato, serviert in Strandkörben (bald sicher Milchfläschchen pur, serviert in Buddelkästen). Ganz Prenzlauer Berg? Nein. Widerstand leistet etwas abseits die Torstraße, um die sich eine politisch und künstlerisch aufsässige Szene gebildet hat, in der das ehemalige Geflecht von Literatur, Musik, Malerei, Aktion und Revolution weiter gärt. Mittendrin Bert Papenfuß – und die Tanzwirtschaft Kaffee Burger, die er seit 1999 mitbetreibt und für die er das Kulturprogramm Salon Brückenkopf koordiniert. Und das, was das Kaffee Burger noch zu Ostzeiten genoss, als Thomas Brasch oder Klaus Schlesinger ein- und ausgingen, hat es sich schon lange wieder erobert: einen legendären Ruf.
Dabei war Bert Papenfuß schon die Neunziger Jahre hindurch weiter als Veranstalter aktiv: Unter dem Obertitel Sklaven Markt organisierte er Literaturabende, im – Sie ahnen es – weitesten Sinne, mal hier mal dort, abgestimmt auf die Inhalte der Zeitschrift Sklaven, die er seit 1994 mitherausgab. Aus Sklaven wurde – nach Spaltung der Redaktion 1998 – Sklaven Aufstand, seit 1999 der bereits erwähnte Gegner.
Vor allem aber entstanden viele Bücher: Unter anderem Led Saudaus, mit eigenen Zeichnungen (Janus Press 1991), nunft, mit Zeichnungen und Grafiken von Endart (Steidl Verlag 1992), die drei Bände naif, till, und harm (alle 1993 bei Gerhard Wolf Janus Press), mors ex nihilo, mit Zeichnungen von Jörg Immendorff (Druckhaus Galrev 1994), routine in die romantik des alltags, mit Zeichnungen von Helge Leiberg (Gerhard Wolf Janus Press 1995), TrakTat zum ABER (Gerhard Wolf Janus Press 1996), Berliner Zapfenstreich, mit Zeichnungen von A.R. Penck (BasisDruck Verlag 1996), SBZ – Land und Leute, mit Zeichnungen von Silka Teichert (Druckhaus Galrev 1998), hetze (Gerhard Wolf Janus Press 1998) und Haarbogensturz. Versuche über Staat und Welt, mit Zeichnungen von Tom Platt (BasisDruck Verlag 2001).
Übersichtlicher wird es auch in der näheren Gegenwart nicht: Noch vor Rumbalotte (wie gesagt 2005 bei Urs Engeler) erschien 2004 Rumbalotte Continua, in einem anderen Verlag, nämlich bei Peter Engstler. Rumbalotte Continua. 2. Folge wurde 2005 in einem nochmals anderen Verlag (Karin Kramer) veröffentlicht. Rumbalotte Continua. 3. Folge erschien 2006 dann wieder bei Peter Engstler, die 4. Folge erneut bei Karin Kramer und die bislang letzte 5. Folge wiederum bei Peter Engstler. Ähnlich vielstimmig auch die Situation der Literaturzeitschriften, die Bert Papenfuß heute mitverantwortet: Neben dem Gegner noch Tor Tour, Floppy Myriapod und Zonic. – Der Beitrag, den Sie heute noch hören werden, erschien wiederum für eine andere Zeitschrift, den Zweifel.
Womit das Werk von Bert Papenfuß die Welt von früh an in den Bann schlug, waren nur einerseits die beschriebene Extrovertiertheit und seine Durchlässigkeit zu Rockmusik und Malerei. Es war andererseits der konzentrierte, unbestechliche, begeisterte Ernst im Umgang mit fremder Literatur, vergangener und gegenwärtiger. Bert Papenfuß war zu Hause in der verbesserung von mitteleuropa, im Futurismus, im Dadaismus, in der Wiener Schule, im Werk von Oskar Pastior, in dem Chlebnikows, in osteuropäischen Science Fiction-Romanen, in der an DDR-Schulen verpönten Barock-Dichtung. Thomas Kling sah ich zum ersten Mal im Café Kiryl.
Besonders gravierend war die Begegnung mit dem Werk Franz Jungs. 1980 erschien, bei Reclam Leipzig, der Band Der tolle Nikolaus, herausgegeben u.a. von Fritz Mierau. Der tolle Nikolaus vereinte in sich drei Dinge, die Bert Papenfuß sich auf seine Fahne zu schreiben plante: literarische Avantgarde, politischer Aktivismus und – eigener Aussage gemäß – eine gute Portion Altersskepsis. Franz Jung ist als Bezugspunkt und Kunstfigur im Papenfuß-Werk eine ubiquitäre Erscheinung. Auf dem besten Wege dazu ist auch ein Geistesverwandter Franz Jungs: der Autor Ernst Fuhrmann, an dessen penibel recherchierter Bio-Bibliographie Bert Papenfuß gerade (gemeinsam mit Alexander Hansen) arbeitet. Einblicke gab letztes Jahr bereits eine Sonderausgabe von TorTour, Zeitschrift für antiautoritäre Wissenskraft.
Noch ein aktuelles Beispiel: Seit 1990, als Kontakt zu einer norwegischen Theatergruppe bestand, interessiert Bert Papenfuß sich für norwegische Literatur – ein Interesse, das nun in der Übersetzung des Dichters und Rocksängers Terje Dragseth kulminiert. Übersetzt wird allerdings nicht einfach ins Deutsche, sondern in Berliner Dialekt im Wechsel mit Plattdeutsch. In beiden ist Bert Papenfuß, der 1956 in Reuterstadt Stavenhagen geboren wurde, ganz und gar zu Hause. Gleiches gilt für das lyrische Werk. Von Beginn an gehört der Dialekt zu seinen fundamentalen Strategien auf dem Weg zu einer Entsemantisierung, zu einer Dynamisierung, zu einer Revolution der Sprache.
Lesen und Schreiben, Rezeption und Produktion liegen im Werk von Bert Papenfuß virtuos dicht beieinander, sind verwoben auf rabiate und gleichzeitig zarte Weise. Karl Mickel sah das – und schrieb:
Berts Väter sind ehrwürdig. Von den Lebenden Jandl und Heissenbüttel. Der alte Arendt. Arno Schmidt. Kurt Schwitters. Welemir Chlebnikow. August Stramm, Hugo Ball. Lorenz Oken. Hölderlin. Klopstock als 60er. Die Sturm- und Drang-Twens. Die Zweite Schlesische Schule. Quirinus Kuhlmann.
Dabei liegt Mickels Ausgangspunkt eigentlich woanders. Er versucht, den jungen Bert Papenfuß, der damals noch Ton- und Beleuchtungstechniker am Theater war, in eine Tradition proletarischen Schreibens zu stellen, gemeinsam mit Wilhelm Tkaczyk und Bernd-Dieter Hüge. Was er dabei aber vor allem – anhand der Analyse eines frühen Gedichts – herausarbeitet, ist, wie gerade der Zugriff auf das Fremde, auf das literarische Erbe das ganz Eigene entstehen lässt. Das ganz Eigene – Karl Mickel sieht es im Papenfuß-Gedicht auf der Ebene der Wörter (eine „Emanzipation der Wörter“, die dem Duden Widerstand leistet), auf der Ebene der Grammatik („Papenfuß ist ein Meister nicht-syntaktischer Grammatik.“) und auf der Ebene des Scherzes, des Rätsels:
Das Rätseln gehört zu den ältesten Vergnügungen der Menschheit; Rätsel sind, neben den Zaubersprüchen, poetische Ursubstanz. Die Scherze der Werktätigen, schriftlich aufgehoben von Archilochos und Aisop bis Tkaczyk und Papenfuß, begegnen forschend dem bösen, rufend dem guten Geschick.
Dieser letzte Punkt ist besonders originell und treffend, da Mickel im Begriff „poetische Ursubstanz“ das Archaische (also Rätsel, Zaubersprüche) mit dem Ureigensten zusammenschweißt.
Von dieser „poetischen Ursubstanz“ ist das Papenfußsche Werk getränkt, bis in die verborgensten Seiten. Sie hält die Werke zusammen, die Großschiffe, die Beiboote, die Unterseeboote, Rumbalotte, Rumbalotte Continua, Rumbalotte Continua II, III, IV und V, Ation Aganda, Gegner, Tor Tour, Floppy Myriapod oder Zonic. Die „poetische Ursubstanz“ hält die Flotte auf Kurs – und macht der Dichtung der Gegenwart, der Gegenwart überhaupt, der Dichtung überhaupt
Ruhm und Ehre.
Lieber Bert Papenfuß, herzlichen Glückwunsch zur Eugen Viehoff-Ehrengabe der Schillerstiftung von 1895!
− Käpt’n Papenfuß wirft neue Flaschenpost in die Untiefen des Lyrikbetriebs. −
Bert Papenfuß, Verfasser „schwieriger Lyrik“ (Papenfuß über Papenfuß), Mitherausgeber einer Zeitschrift „gegen Politik“ und einziger bekennender Anarchist in der deutschen Literaturlandschaft, feuert eine neue poetische Breitseite ab. Liegt der letzte umfangreichere Gedichtband „SBZ“ (den der Rezensent für Papenfuß’ bestes Buch hält) immerhin schon sieben Jahre zurück, erschien in den letzten Monaten gewissermaßen ein Doppelband in zwei verschiedenen Verlagen: Neben der umfangreichen Sammlung „Rumbalotte“ (Urs Engeler Editor 2005) legte der Verlag Peter Engstler bereits Ende 2004 „Rumbalotte continua. 1. Folge“ vor – ein „Prequel“, das vermuten lässt, Papenfuß habe sich mit dieser Piratenlosung („hoch die schotte, zu die schotte, rumbalotte / fickt die fotte, gott zum spotte, rumbalotte / kommt zu potte, her die grotte, rumbalotte“) ein neues poetisches Schibboleth geschaffen, ein Ein-Mann-Einheitsfrontlied, einen postkommunistischen Rotfrontgruß, der ihm als Folie auch für künftige Attacken gegen den Zeitgeist dienen wird: Im Karin Kramer Verlag ist pünktlich zur Buchmesse bereits eine weitere Folge erschienen.
Der charakteristische Papenfuß-Sound, der sich aus Witz und Wut, Edda und Punkrock, Mundart-Slang und Merseburger Zaubersprüchen speist, gibt sich in „Rumbalotte“ häufig die Form revolutionärer Sea-Shantys: Aus der Geschichte der legendären „Gleichteiler“ um Klaus Störtebeker bastelt sich Papenfuß die Vision einer anarchokommunistischen Guerillamarine, die statt der mittelalterlichen Ostsee doch bitte auch das unter kapitalistischen Vorzeichen osterweiterte Europa aufmischen solle. (Das erstmals in der Anthologie Lyrik.Log auf satt.org veröffentlichte Gedicht „der kampfbund der feinde der hansestädte“ ist programmatisch für diese Textgruppe.) Das bietet Raum für viele kernige, klar auf unsere Gegenwart bezogene Kampfslogans, die sich innerhalb des zeitenthobenen Piratengarns aber elegant vor dem Abrutschen in plumpe Agitprop-Lyrik retten lassen.
Der schön komponierte (und dank EU-Osterweiterung in der Tschechischen Republik, auch für einen Nischenverlag erschwinglich, als gediegenes Hardcover gedruckte) „Rumbalotte„-Band besticht nicht zuletzt durch die beiden als „Zwischenspiele“ eingeschalteten lyrischen Prosatexte. Sie bringen in einer neuen stilistischen Variante zum Vorschein, was Papenfuß’ Lyrik auszeichnet und sie zu einer einzigartigen Erscheinung in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur macht: Eine radikal gegen die bestehende Gesellschaftsordnung gerichtete Haltung, die sich nicht in realpolitischen Petitessen verliert, sondern sich, genuin poetisch, in einem lustvoll-aggressiven Umgang mit Sprache ausspricht: „Protest, Revolte, Revolution. Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Grundeigentum und Geld. Abschaffung der Prostitution und des Trauergottesdienstunwesens. Zinsverbot. Reklameverbot. Hundeverbot in den Städten. Relevanz- und Tiefenschärfekontrolle der Massenmedien. Wirtschaftsprüfung der sogenannten Hochtechnologie. Das sollte für den Anfang reichen. Los geht’s!“
Vielen Dichtern geriet die verbalradikale Ausfälligkeit gegen die Zumutungen der Moderne zu apolitischem Hader mit der zeitlosen condition humaine oder zu faschistoid grundiertem Kulturpessimismus – oft auch beides zugleich. Papenfuß, der sich nicht umsonst mit seiner Zeitschrift Gegner um eine Gegengeschichtsschreibung revolutionärer Strömungen außerhalb des (prä-)stalinistischen Kaderkommunismus bemüht, lässt in seinen neuen Büchern jedoch keinen Zweifel daran, im Namen welcher Utopien er das Bestehende kritisiert: Das Gedicht „fäulnis & verwesung“ ist eine über weite Strecken hochtheoretisch klingende marxistische Kapitalismuskritik, und „KAPD“ ist ein nicht minder wissenschaftlich daherkommender Abriss der Geschichte der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands („arbeiterkomischen / schlandpardeuts / teimunist / streng“).
Wer überrascht ist, Papenfuß’ „explicit lyrics“ neuerdings (unter anderem) im Programm von Urs Engeler zu finden, dem vermögen gerade diese Texte auf die Sprünge zu helfen. Deutlicher noch als in vielen anderen Texten zitiert, montiert, reflektiert Papenfuß hier Textvorlagen, wobei er die Grenze zwischen Hommage und Persiflage oft bewusst verwischt. (Das Langgedicht „Gryf Pomorski dreht am Rad der Geschichte“ aus „Rumbalotte continua“ listet hingegen mit großer Akribie die Quellen auf, mittels deren es die nationalen Identitäten von Polen und Deutschen als Ideologie entlarvt.) Das Sprachmaterial der linksextremen Tradition ist für den Dichter Papenfuß also eine „Fachsprache“ unter mehreren (im Sinne seines Labelmates Ulf Stolterfoht, dessen dritter „fachsprachen“-Band auf satt.org jüngst von Tobias Lehmkuhl gewürdigt wurde), deren sich seine Sprachkunst bedient. Diese Verfahrensweise, zusammen mit dem ihr eigenen selbstkritischen Sprachwitz, passt ausgezeichnet zum sprachreflexiven Profil von Engeler-Autoren wie Pastior, Waterhouse und Stolterfoht. Oder, mit großer Geste formuliert: Bert Papenfuß weiß, dass die politische Sprengkraft der modernen Lyrik auch in ihren späten Ausläufern nicht ohne deren sprachreflexive Haltung zu haben ist.
Sollten Autoren über eine Art Basislager verfügen, dann dürfte das von Bert Papenfuß seine Themen und Motiven aus dem Prenzlauer Berg beziehen. Die einstige literarische Szene des Berliner Stadtbezirkes, zu der auch Papenfuß gehörte, hat sich trotz sehr individueller Tonlagen in einer Sprache artikuliert, die sich von der offiziellen, wie sie in der DDR gesprochen wurde, unterschied. Die Bücher von Papenfuß, die bis Mitte der achtziger Jahre in Selbstverlagen erschienen, waren subversiv, weil sie im Gebrauch der sprachlichen Mittel den Herrschaftsdiskurs unterliefen. Wer die Texte des Autors liest – weitere Bedeutungsebenen eröffnen sich, wenn er sie vorträgt –, der wird mit Wortrudimenten, Dialekten, Wortmontagen und einer Syntax konfrontiert, die den Regeln der Grammatik widerspricht. Papenfuß nimmt sich die verschliffene, missbrauchte und vergewaltigte Sprache vor und zerlegt sie so weit, bis durch Weglassungen und Neuschöpfungen unter den verkrusteten Sprachschichten Bedeutungen auftauchen, die er festhalten will.
Der jetzt bei Urs Engeler erschienene neue Lyrikband von Papenfuß vereint Gedichte der letzten vier Jahre. Der Titel Rumbalotte klingt seltsam, denn er bringt zwei Worte miteinander in Beziehung, die sich auszuschließen scheinen: Rumba, dieser herausfordernde lateinamerikanische Tanz, geht mit dem Vornamen Lotte eine Verbindung ein, der durch Goethes Werther und Thomas Manns Lotte in Weimar Eingang in die Literatur fand. Wie in dem Gedicht „Sturmgesang der Baltischen Horden“, in dem davon die Rede ist, dass die schwarze Fahne – Symbol der Anarchie – gehisst wird, wenn der „Norden den Osten küsst“, plädiert Papenfuß für den Zusammenschluss von scheinbar Unvereinbarem. Wenn ‚Rumba‘ und ‚Lotte‘ eine Symbiose eingehen oder der Norden den Osten küsst, dann ist das ein Zeichen, dass mit der herrschenden Ordnung ins Gericht gegangen wird, dann ist die Zeit für jegliche Form von Piraterie gekommen, werden Ordnungsregeln außer Kraft gesetzt.
Papenfuß bringt in den neuen Gedichten nicht nur auffällig häufig den Namen von Störtebeker ins Gespräch, sondern es klabautert förmlich in seinen Texten, weil häufig Bezüge zum Maritimen hergestellt werden. Aber er greift auch auf Anleihen der Slam-Poesie zurück, nutzt Rotwelsch und friesische Dialekte, so dass an Seeräuberei grenzt, was er mit diesen Gedichten betreibt. Da werden Begriffe geentert, Bedeutungen wie Segel eingeholt und Wortverbindungen wie Taue gekappt. Manchmal zieht Papenfuß’ Sprachschiff ruhig seine Bahn, sind die Bedeutungen relativ eindeutig auszumachen, bis es einen jähen Wechsel gibt, Sturm aufkommt und im Auf und Ab zwischen Wellenbergen und -tälern die Gefahr des Untergehens besteht. Diese Gedichte behaupten sich trotzig. Und der Rebell Papenfuß ist noch nicht gestorben, wie es in dem Gedicht „Das lachende Auge“ heißt, einem der stärksten des Bandes.
− Bert Papenfuß zündet sprachliche Sprengsätze. −
Zwischen Baiz und Burger paßt, auch wenn „die Zeit der Worte vorbei ist“, immer noch ein Wort, high oder low, sowieso, vormodern auch sehr gern und Kommunikation direkt: „one, two, anarchy – hottentottenremmidemmi. Hinaus ins Freie“, nicht ins falsche „Neue Leben“ der Schulzes, in dem die Literatur eine des Geschäftemachens, des Geldes ist, im Casino schnell „mit hundertmal größeren Beträgen“ kalkuliert wird, zur höchstmöglichen Erregung der dem Fukuyama-Bad entstiegenen Betriebsnudelns au den Executive Lounges des Mainstream-Feuilletons, denen Egregius Papenfuß mit „Rumbalotte“ im Doppelpack wieder einmal den schwarzen Lappen zeigt, ihnen ins Scheckbuch schreibt, „wat phase is aufm acker. Sowas kommt von so was … Schächtet die Medien, blutet sie aus … vor gülle jauchzt das senkloch.“
Nein, die sprachlichen Sprengsätze von „Käpt’n Papenfuß“, wie Gerald Fiebig den Wortwerker nennt, der – wie er einmal bekannt – „dem Gebetskreis zur Rettung des angewandten Altruismus mit Gedichtevorlesen und allem Pipapo“ angehörte, der Prenzlauer Berg Connection also, können die Feingeister zwischen Borchardt und Heidenreich nicht goutieren. „Und überhaupt: Besserwisser und Klugscheißer, / naseweis, altklug und vorlaut – / das führt in die Talkshow und geht auf die Vorhaut“.
Die Meister der Verblendung können ihm erzählen, was sie wollen, Papenfuß weiß genau, was er will – „ich und ein paar Gegenwillige“, so tönt es in „Mutwille“, „werden die Sprache schon schaukeln“. Papenfuß ist sprachlich nicht auf der Höhe der Zeit, sondern ihr voraus, die Ismen sind ihm ein Graus, nur mit einem Ismus hält er es, dem, der mit Anarch beginnt. Mit dem „Alten vom Berge mit seine sieben Zwerge“ hat er es, mit Rudolf Rocker, Ernst Fuhrmann und Franz Jung sowieso. Die Bukanier, Störtebeker, baltische Horden und der „Kampfhund der Feinde der Hansestädte“ treiben ihn um. „Und viel zu spät krakeelt verschlafen der Muezzin / vom Kirchturm den Tagesbefehl für die Fedayyin“: „Feuer, Wort, Widerstand, Würde – und 17 und 4!“ Poesie, so führt uns Papenfuß vor Augen, kommt eben doch vom griechischen poiein – wirken. Des Poeten Schritt ist schwer, doch er kommt mit dem Bluesgewehr, damit die bis an die Zähne bewaffneten Fundamentalisten und Reformisten auf Geheiß ihres Fitzliputzlis nicht noch mehr Unheil anrichten können, denn: „der blues muss bewaffnet sein, sonst glaubt dir kein schwein. es ist punkt haß“, und es mußte so kommen, denn: „es gibt keine Wahrheit auf friedlichem Wege“ und: „die Freiheit wird sich rausgenommen. MY NAME IST BAZOOKA / I DON’T NEED YOU / TO OPEN THE DOOR.“
Wer Agitprop-Verse der schlichten Art vermutet, wird enttäuscht, es wird immer schön variiert, drauflos experimentiert, nach Ausdruck gerungen, frei von der Leber gesungen. Und Nikki Sudden gegen die Hamburger Schule von Blumfeld & Co. in Stellung gebracht. Sagt ein x-beliebiger Love Song von Nikki Sudden, einfach, wie es ist – so Papenfuß – kompliziert nämlich, „führt die subtile Artikulation einer widerständigen Haltung aus Hamburg in die Unterhose“. Und weil „Rumbalotte“ eigentlich eine groß angelegt Rockoper ist, liefert Papenfuß die Anleitung gleich mit, wie eine Rockmusiker angezogen sein soll: „Camouflage ist sein Zuhause … Er erreicht keine Massen, steckt nicht in den Nassen. Kleinvieh macht auch Mist – und kommt gut an statt groß raus“. Oder, wie es Gerhard Falkner in seinem Gedicht „Gegensprachstadt – ground zero“ (kookbooks, 2005) auf den Punkt bringt: „ … große Poesie / auch wo sie glücklich verwirrt / ist Marken und Moden abhold.“
In einem Zwischenspiel in Prosa, mit der Papenfuß problemlos eine ganze Horde von Prosaschriftstellern in Schach halten kann, entwickelt er en passant ein Programm für die nächsten Tage: „Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Grundeigentum und Geld. Abschaffung der Prostitution und des Trauergottesdienstunwesens. Zinsverbot. Reklameverbot. Hundeverbot in den Städten. Relevanz- und Tiefenschärfekontrolle der Massenmedien. Das sollte für den Anfang reichen.
Los geht’s!“
− Ein anarchistisch poetisches Evangelium von Bert Papenfuss. −
Als anarchistischer Abrissarbeiter im staatssozialistischen Überbau der DDR hatte sich der Dichter Bert Papenfuss einst einen Namen gemacht. Lange vor dem Untergang des SED-Staats setzte er gegen die „ferfestigungen / ferfestigter zungen“ seine poetische Dekonstruktion der etablierten Sprachordnung. In der Agonie des SED- Staats führte der damals Dreissigjährige einen virtuosen dreizehntanz (1988) auf, um mit der „sinnfielteilung“ der Poesie alle politisch korrekten Semantiken zum Einsturz zu bringen. Mit seiner Ästhetik der Dissidenz erregte er damals nicht nur den Argwohn der DDR-Literaturpolitiker, sondern provozierte auch den Widerspruch seines Kollegen Volker Braun, der die „Neutönerei“ der lyrischen Rebellen um Papenfuss als Wiederholung der historischen Avantgarde auf „niedriger Verarbeitungsstufe“ verspottete.
Bert Papenfuss galt dabei lange als die inspirierteste Gestalt unter den Autoren der sogenannten „Prenzlauer Berg-Connection“ in Berlin-Ost, bis ihn die Enthüllungen um das Stasi-Agententum einiger seiner Dichterfreunde um jeden literarischen Kredit brachten. Was vor der Wende eine aufregende literarische Debatte war, schrumpfte nach 1991 zur kriminalistischen Spurensicherung. Der Herold einer Poetik der Dissidenz wurde fortan als „spätdadaistischer Gartenzwerg“ (Wolf Biermann) belächelt. Papenfuss liess sich jedoch nicht einschüchtern und propagierte weiterhin die Parolen des Widerstands – diesmal allerdings gegen den „totalen mumienschanz“ des Turbokapitalismus. So darf man auch seine jüngsten Gedichtbände als lyrische Demonstrationen für die „Aktualität des Partisanen“ verstehen. Während sich seine Dichterkollegen mehr und mehr aus dem politischen Nahbereich zurückziehen, gibt sich der Poet des „kulturbolschewistischen Nomadentums“ weiter kampfeslustig.
In dem schmalen Bändchen Rumbalotte continua, das 2004 im Kleinverlag Peter Engstler erschien, hatte Papenfuss in seinem Langgedicht „Graf Pymorski dreht am Rad der Geschichte“ eine skurrile Kulturgeschichte der nordostdeutschen und slawischen Renitenz entfaltet. Dieses Langgedicht, das eine verwegene Traditionslinie zieht von den Slawenaufständen der Ubaba und Lutizen um 800 bis zum „antinazistischen Diversantennetz“ der polnischen Widerstandsgruppe „Gryf Pomorski“, überzeugt durch seine skurrile Sprachkombinatorik. Die bizarren Namen der zahllosen slawischen Volksgruppen fügt Papenfuss mittels lose eingestreuter Reime und kalkuliert eingesetzter Schnoddrigkeiten zu einem dynamischen Sprachgebilde.
Was auf der kulturgeschichtlich gründlich durchpflügten Langstrecke dieses Poems gelingt, wirkt bei den Seeräubersongs, Moritaten und anarcho-kommunistischen Balladen des neuen „Rumbalotte“- Buches oft nur flach und gequält witzig. Die giftige antikapitalistische Rhetorik bleibt in Phraseologie stecken, ohne jeden sprachspielerischen Schwung. Man hat Papenfuss in der Vergangenheit mit Recht für seine virtuose Handhabung der unterschiedlichsten Gauner-Idiome gelobt: Rotwelsch, Argot und Seeräuber-Shantys bildeten die subversiven Verstärker des Papenfuss-Sounds.
In „Rumbalotte“ ist die Kraft der „sinnfielteilung“ fast vollständig erloschen. Stattdessen ergeht sich der Autor in seitenlangen Gesinnungs-Sentenzen, die auf die Neugründung der legendären KAPD (Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands) zielen, die 1920 von Franz Jung, dem von Papenfuss abgöttisch verehrten Anarcho-Kommunisten, gegründet worden war. Viel zu selten lässt Papenfuss seine Freibeuter-Helden einmal „die gegen-lust / des von-innen-heraus-sprengens“ selbstironisch aushebeln:
one, two, anarchy –
hottentottenremmidemmi
So pflanzt er die schwarze Fahne der Anarchie auf und verkündet den Theoriekrampf des postkommunistischen Sektierertums:
die kapitalausfuhr als wesentliche
ökonomische grundlage des imperialismus
verstärkt die völlige isolierung
der rentnerschicht von der produktion
& drückt dem sogenannten kernland
das von der ausbeutung der arbeit überseeischer länder & kolonien lebt
den stempel des parasitismus auf…
Selbst wenn dieser Dichter politisch Recht behalten sollte; als Sprachkunstwerk ist sein anarchistisches Evangelium von geringem Reiz.
− Aus Bert Papenfuß wird Bert Papenfuß und Rock’n Roll bleibt Rock’n Roll. −
Zum Herbst hin werden die Worte gelber, sagte mir einst ein befreundeter Dichter.
Zu einer Tasse Tee ein paar heilsame Verse, ein wenig melancholisches Überschwappen.
Blätterrauschen, kahler werden. Geschwärzte Zeilen aus der gefühlten Prohibition. Mordgedanken am Spätverkauf, selbst das limonenfarbene Ich schluckt Antidepressiva. Schmallippigkeit, als Vorbild George, wie er den Pilgerpfad entlanghalluzinierte. Bitte keine Drogen, auch der Rammstein-Sänger ist ein großer dichterer deutscher… Das große Gähnen streckt sich im Raum. Eine Sprachmitteilung nach der anderen, die niemanden angeht, schwappt aus den Befindlichkeitsbüros des literarischen Marginalismus. Die Dichter, Innenweltkrämer und Landschaftslamentierer! Wenn es novembert, beginnt sie alljährlich, die Suche nach den Rilkekrampfadern im Gegenwartsgedicht. Man schnarcht sich zu Tode bei den allhiero präsenten Rumpelkammermetrikern, man möchte am liebsten nie wieder aufwachen!
Gäbe es da nicht einen Papenfuß, der weder lahmt noch hinkt. Nordostdeutscher Stierbierkämpfer, ein Stück Legende auf dem sonst so flachen Prenzlauer Berg! Bei Papenfuß gibt es kein Erbarmen und Entrinnen.
Es gibt keine Freiheit
für die Feinde der Freiheit. Es gibt keine Freiheit
für die Freunde der Freiheit. Die Freiheit ist eine Schimäre,
schwelgt stets in einer Affäre. Die Freiheit wird nicht kommen,
Freiheit wird sich rausgenommen.
Und damit nicht genug:
Es gibt keine Freiheit
in der Diktatur der Bourgeoisie,
Demokratie genannt, Sklaverei ist gemeint. Es gibt keine Freiheit
in der Diktatur des Proletariats,
Sozialismus genannt, bestenfalls Toleranz.
So deutlich und unmißverständlich grob politisch prononciert, ist längere Zeit kein Gedicht in Deutschland geschrieben worden, das der bürgerlichen Geschichtsklitterung die Karnevalsmaske (Guter Onkel) vom Gesicht reißt. Papenfuß’ Gedichte sind ein Moment politischer Durchdringung, sie geben ihren Spott, d.h. ihre Weisheit in die Runde: Friede den Zechern, Krieg den Wirten!
Seine Dichtung ist ein stärkeres Geräusch, ist noise, nicht das zaghafte Singen in den Volièren des Literaturbetriebs. Seine radikale Ansage gegen den marodierenden Zeitgeist: ein Hohnlachen; sein anarchistisches Sichaufblähen und Dampfablassen: ein gewaltiger Dröhnschiß. Papenfuß bleibt Papenfuß und Rock’n Roll sowieso. Die papenfüßigen Kalauer jedenfalls kommen nicht aus Luckau, ihr Witz ist derber, von Meerwind getränkt, Windstärke sieben bis acht.
Und auf alle Unkenrufe („Die Zeit der Worte ist vorbei.“) folgt ein Dschunken-versenken, folgt die Revolte ohne Witwe Bolte, folgt der grause Grimm und Schnaps im Bier:
Schlamm-schalamm,
die Reihen sind gelichtet
schlamm-schalamm,
jetzt wird abgedichtet
… die Zeit der Worte ist vorbei-eiei.
Der Witze nämlich sei niemals genug, denn zuviel Ernst schadet dem Wurm im Apfel. Man bleibe in seinem Text, soweit die Papenfüße tragen; z.B. den Verfasser in seinen ehemaligen Arbeiterbezirk Friedrichshain (s. oben stehendes Gedicht).
Es gibt nur ein’ Bert Papenfuß! Es gibt nicht den Papenfuß. Es gibt immer nur den Papenfuß, den du gerade liest.
CD: Papenfuß mit Parkinson, Scheuermann & Korsakow, Take 2: Schwarzes Blut (ca. 1 Min.):
„dreckwasser, schwarzes / wasser, tiefes blut / hüftschwung, hirngespinst / unstaat oder kein staat // he ho sabberlatz / hier kommt frisches schwarz / prompt auf die kniescheibe / bei lebendigem leibe // gefallene söhne, schlechte töchter / allesamt in schauprozessen gesessen / liquidiert, dehydriert, kaustifiziert / die reihen aufgefüllt & rehabilitiert // he ho sabberlatz / hier kommt frisches schwarz / prompt auf die kniescheibe / bei lebendigem leibe“
Spr.: So geht es zu in Bert Papenfuß’ neuem Gedichtband, mit frischem Schwarz ist jederzeit zu rechnen, zu Wasser und zu Lande. Rumbalotte, die titelgebende Figur, deren wahre Herkunft hier verschwiegen werden soll, wird man wohl zu den Seeräuberbräuten zählen können. Der Geist der Freibeuterei weht durch dieses Buch, er kann auch elektrisch verstärkt werden, und wie sich die Freibeuter nehmen, was sie brauchen und finden, so wildert Papenfuß im großen Gelände der Sprache.
Vorzugsweise bringt er die Unkräuter in Anschlag gegen die gepflegten Gärten. Die Störtebeker von heute bewegen sich an Land und bleiben doch den Vorfahren verpflichtet.
O-Ton: Die Störtebecker-Thematik hat mich eigentlich schon immer interessiert, natürlich jetzt in den neunziger Jahren. Auf der einen Seite steht Störtebecker für das revolutionäre Aufbegehren und natürlich für das Freibeutertum. Widerpart war natürlich die Hanse. Und die Hanse war, in diesem Zusammenhang von Rumbalotte, das erste kapitalistische Konstrukt, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. So entstand dieser Zusammenhang. Der Hauptakteur in der damals angedachten Rockoper Rumbalotte ist aber eigentlich eher Eulenspiegel. Zumindest in de Costers Version von Uhlenspiegel hat mich der sozialrevolutionäre Impetus von Eulenspiegel interessiert. Und der kommt in dem Rumbalotte-Konstrukt sehr deutlich raus. Teilweise tritt Eulenspiegel auf oder sein Avatar Arschwisch. Uhlenspiegel, oder Uhlenspägel, ist ja Plattdeutsch, wurde dann fälschlich ins Hochdeutsche übertragen als Eulenspiegel. Aber eigentlich heißt uhlen so etwas wie säubern, sauber machen, wischen. Und Spägel ist eigentlich der Arsch, wie man beim Wild auch sagt, Spiegel für das Hinterteil.
Spr.: In diesem Sinn liefert Papenfuß das, was man von kritischer Literatur gern erwartet: Sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Daran hat sich nichts geändert. Noch immer wird die abgenutzte, verbrauchte Sprache geöffnet und aufgeraut durch Witz und Vulgarität, durch Slang und Plattdeutsch und weitere Zutaten und Zeitensprünge, die sich, befeuert von Stabreim und Knittelvers, zum unverwechselbaren Papenfuß-Sound vermählen und zur Zeugung der Rumbalotte, währenddessen der Sturmgesang der baltischen Horden aufbraust.
CD: wie zuvor: Take 3, letzte Passage: „wenn der norden den osten küsst / werden die weißen laken gehisst / «niebiskoczarni» spielen wie sau / im glanz der finsteren frontfrau / es jault der gassenhauer der bettenbauer / durch den schauer, unter dem ich kauer’ / erneuert punk rock & erheitert den mitjok / tief sitzt der schock im ganzen westblock / denn die pruzzen obsiegten den borussen / & raubten den luschen sämtliche tussen wenn der norden den osten küsst / werden die schwarzen fahnen gehisst / frischfrankfröhlichfrei der totenkopp / flattert höllenwärts vom gekaperten topp“
Spr.: Dass diese Gedichte häufiger als in andern Bänden von Bert Papenfuß einen Refrain haben, ist nicht nur der Sangeslust der Seeleute geschuldet. Wie schon angedeutet, war Rumbalotte ursprünglich als Rockoper geplant, ein Projekt, das mehr als nur dichterische Energien erforderte. Bert Papenfuß hat von Beginn an mit Musikern kooperiert, ein Zusammenhang, der sich auch aus der naturwüchsigen subkulturellen Multimedialität der Prenzlauer Berg – Szene ergeben hat. Inzwischen hat sich die Szene ausdifferenziert. Insofern war und ist dieses Projekt ein Blick zurück nach vorn.
O-Ton: Mein Ansatzpunkt für die Rockoper Rumbalotte war, die Energien zu bündeln, die literarischen, musikalischen und performerischen Energien zu bündeln, und das richtige Medium schien mir damals eine Rockoper zu sein. Aber ich habe nicht bedacht, dass sich die Geschmäcker und Persönlichkeiten schon auseinanderdifferenziert hatten. Und das es gar nicht mehr möglich war, diesen Zusammenhang herzustellen, diesen großen, urkommunistisch gedachten Zusammenhang. Die Musiker haben von mir erwartet, dass ich Verträge abschließe mit irgendwelchen Theatern und dann bekommen sie den Kompositionsauftrag und dann machen sie sich an die Arbeit. Das ist natürlich gar nicht eingetreten. Das habe ich mir viel organischer vorgestellt. Ich dachte, o.k., die produzieren erst mal was, und dann haben wir ein paar Demo-Tapes und mit denen kann man dann zum Theater gehen und sich bewerben. So organisch ist das nicht gelaufen.
Spr.: So sind aus diesem Projekt bisher drei Bücher entstanden, zwei mit mehr essayistischen Texten in den Verlagen Peter Engstler und Karin Kramer und dieser Gedichtband, kongenial illustriert vom, auch musikalischen, Mitstreiter Ronald Lippok. Eine CD, ebenfalls bei Urs Engeler, ist noch in Planung.
Zunächst müssen die Texte ihre Musikalität zwischen Buchdeckeln behaupten, und das gelingt ihnen mühelos. Bert Papenfuß bleibt ein Solitär, dessen Kunstfertigkeit in der Verbindung der rebellischen, und heute weitgehend vergessenen, Impulse der Rockmusik mit experimentellen, und ebenso vergessenen Ansätzen nur mit Rolf Dieter Brinkmann vergleichbar ist. Obwohl oder gerade weil sie aus völlig unterschiedlichen Quellen schöpfen. Bei Papenfuß geht es weit zurück in die Geschichte der deutschen Literatur, bis ins 9. Jahrhundert. Seine Version des muspilli, des verzweifeltsten Stückes der althochdeutschen Literatur, beschließt diesen Band. Muspilli ist der Weltenbrand, das Ende der Welt im Feuersturm. Ironischerweise ist die Papenfußsche Aktualisierung zugleich sein bis dato meistübersetzter und meistvertonter Text. Und weil es nach dem Weltende immer weiter geht und uns Bert Papenfuß noch lange erhalten bleiben möge, kann ein Ausschnitt aus seinem muspilli spezia l auch diesen Beitrag beschließen, hier in einer Variante mit den Musikern Ronald Lippok und Bernd Jestram.
CD: wie zuvor (Take 13), Papenfuß mit Tarwater: „so listig ist kein mann, dass er hier lügen kann / dass er verbergen kann eins seiner verbrechen / vorwitz wird der kripo vorauseilend gehorsam kund / billig der sünder, der bereits gebüßt / bevor er zitiert, bricht sein blick dann wird vorangetragen der angetrunkene odin / den der heilige christ im voraus gekupfert / er zeigt die wunden, die er um geschlechtes willen empfing / die er um der liebe willen in den wirren des untergangs / zum geschlechte erduldete, und bediente sich des ausschanks muspilli, jah war, jihad, siemens-martin doom dab / der grund geht unter, die gruft wird munter / muspilli, jah war, jihad, siemens-martin doom dub / die kalte hand winkt ab, und sinkt zurück ins grab pix, nix, nox – pax!
− Auszug aus: „Der Geruch Schwervermittelbarer. Lyrik-Melange 2006“. −
Der Stavenhagener Wahlprenzlauerberger Bert Papenfuß lässt Störtebecker aus dem Grab, und der jagt über unser Land als rächende, richtende Furie. Den ganzen Nordosten, grenzübergreifend, vereint Papenbecker und führt ihn gegen den Rest, und Störtefuß besingt die Vorteile seiner weißbüscheligen Weiber. Die Natur? Der wird nicht lang gesungen, die geht in Fetzen beim Angriff gegen alle „Fäulnis & Verwesung“: „moder, moos, moor, mors / erlen, machandel, ginster / göring, ulbricht, honecker“
(Darss). Ein vor Energie zitternder Gerechtigkeitstempel wird da errichtet. Dem Restbürger wird die Röte ins Gesicht getrieben:
aber nur luschen
der tod auf latschen
& muschis in puschen
Die schwarzen Fahnen der Anarchie wehen über dem dampfenden Blut der Kapitalistenknechte, vom rumpelnd Volksliedhaften geht’s direkt zur Kapitalismusschulung, vom Darss über die angrenzenden Länder zum Kopf der Hydra, vom urkommunistischen Schliem zu Revisionismus-Debatte, zur KAPD und weiter das Rasen bis zur lyrischen Prosa des Parteiprogramms:
Protest, Revolte, Revolution. Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Grundeigentum und Geld. Abschaffung der Prostitution und des Trauergottesdienstundwesens. Zinsverbot. Reklameverbot. Hundeverbot in den Städten. Relevanz- und Tiefenschärfekontrolle der Massenmedien. Wirtschaftsprüfung der sogenannten Hochtechnologie. Das sollte für den Anfang reichen. Los geht’s!
Papenfuß hat unter dem revolutionären Lederjäckchen schon immer gern ein Matrosen-Shirt getragen. Papenfuß ist kein Nostalgiker. Neben der Wärmestube Westberlin gab’s auch in Ostberlin kleine Wärmestuben. Gewiss. Da musste man sich aber selbst wärmen. Das schuf Bindungen. Und auch wenn ein Heizer sich später als IM entpuppte: Die schöne Jugendzeit, sie kommt nicht mehr! Aber hinter Papenfuß’ Ausbrüchen steckt mehr: Die Auffassung, das Wissen, möchte ich sagen, dass der Kapitalismus unreformierbar ist, möglicherweise aber der Sozialismus. Darüber muss doch gestritten werden. Natürlich haben die Sieger dieser Frage gleich zu beerdigen, zu tabuisieren versucht, und erstaunlich viele vom einst kapitalismuskritischen Humankapital haben sich im Handumdrehen vor ihnen auf den Rücken gewälzt. Papenfuß hat jedenfalls den Schaum vor dem Mund, der den Zustand der Zähne verdeckt. Wie aber sollte sonst Rettung sein? Ohne den Mut zur Selbstüberhebung wird es nicht gehen.
Papenfuß ficht heute vom kleinen, mittelständischen Tanzboden des Kaffee Burger aus, Hort unter anderem der beliebten „Russendiskos“. Ein altes Problem: der deutsche Mittelstand muss sich entscheiden. Er muss seine relative Freiheit nützen. Mit wem will er (unter)gehen? Mit Störtebecker oder Steinbrück? Papenfuß gibt die Antwort. Rumbalotte ist ein wunderbares Heimat- und Wutkraftwerk. Solche Schrift muss der Kommune-Leserschaft nicht extra ans Herz gelegt werden. Da wird einfach gekauft.
− Kesse Lippe riskiert, aber viel dahinter: Bert Papenfuß’ derbe Piratenlieder über die Kaperfahrt gegen. die drögen Kähne neoliberaler Provenienz und über die Freuden des Freibeuterdaseins. −
So rabiat hat schon lange niemand mehr den Latte-Macchiato-seligen Bewahrern kultureller Jämmerlichkeiten den Stuhl unterm eingesessenen Hintern weggezogen: „Die verwässtlichten Untertanen laufen in den albernsten Klamotten seit Primatengedenken herum, und plappern das dümmste Zeug seit Ausbrezelung der Artikulation kurz nachdem es Gold und Platin prasselte.“ Gut gebrüllt, Löwe. Aber warum so viel Aufhebens in Stylingfragen? Doch schnell kommt Bert Papenfuß in den beiden Prosastücken seines neuen Gedichtbands Rumbalotte auf den Punkt: „Billige Ratten und feile Schweine an langer Leine spielen zwar mal wieder NÖP, aber gemach – das geht in die Konservenhose. Auf Einschiß prompt Schuß zurück. Die freie Marktwirtschaft, in der Freien Welt nach wie vor konsequent Kapitalismus genannt, ist eine Gürtelrose. Nur im westlichen Zipfel Eurasiens grassiert die Beschönigungsneurose.“ Wo hat man in letzter Zeit so viel Saures für unter 20,- € zu lesen bekommen? Und in den Gedichten geht es dann noch deftiger zur Sache: „schwätzer umschwirrn mich, mach mal das licht aus / is ja nich mit anzusehen, die kann man nur niedermähn“ oder: „fickt die fotte, gott zum spotte, rumbalotte“.
Anarchie statt Harmonie
Starker Tobak, sicher nicht jedermanns Sache. Aber so wie schwarzer Humor und Hämoglobinströme zu einer guten Moritat einfach dazugehören, dürfen sie auch in diesen anarchistisch-zeitdiagnostischen Gedichten nicht fehlen. Solche kapitalismuskritischen Moritaten, wie Bert Papenfuß sie hier anstimmt, sind zwangsläufig subjektiv und tendenziell: Literatur bietet glücklicherweise ein offenes Meinungsforum, bevor die Ordnung des Diskurses harmonisierend eingreift. Sie öffnet einen Raum für Eigenwilliges, das zuweilen auch sehr eindeutig daherkommen kann. Wer Mehrdeutigkeit zum alleinigen poetischen Wertmaßstab erhebt, verliert aus den Augen, dass (etwa bei den klassischen Avantgarden) standpunktbezogene Gesellschaftskritik und literarische Qualität einander nicht ausschließen, sondern häufig miteinander einhergehen. In dieser Traditionslinie steht auch Bert Papenfuß. Er lässt in Rumbalotte seine heftigen anarchistischen Stürme auf die Kalme der gegenwärtigen Lyrik los und begibt sich literarisch auf Kaperfahrt: Piratenromantik allerorten, mit Klaus Störtebeker als Vorbild desjenigen, der den Pfeffersäcken kräftig einheizt. Und es tut ja wirklich gut, nach all den Sandalenfilmen der letzten Jahre mal wieder einen Seeräuberstreifen zu sehen.
Gossenhauer der Apokalypse
Aber auch sonst herrscht wohltuende Abweichung von dem, was zur Zeit poetisch en vogue ist: vom Straßburger Blutsegen und nordischer Mythologie über Nietzsche bis hin zu Chlebnikow und Stammtischsprüchen (oder -witzen; siehe Buchtitel) greift Papenfuß auf zahlreiche Quellen zurück, deren literarische Energien bislang ungenutzt versickerten. Norddeutsch und Seemannssprache, Archaismen und Jugendslang prägen den Klang seiner Texte: „einen tort werde ich dir / wichsgriffel weg von ymir / ägir & ran heeren einander / ich komm gleich selbander“. Papenfuß’ Gossenhauer sind keine sprachlichen Preziosen, auf jeden Fall aber eine Bereicherung für die oft allzu glatte deutsche Lyrik. Das Sprachmaterial stammt eben nicht aus dem Szenecafé, eher schon aus der Bahnhofskneipe. Was Papenfuß aber aus dieser verlumpten Sprache macht, ist allererste Sahne. Wer die Nase voll hat von poppig aufpolierten Coverversionen älterer Texte, wird beim „muspilli spezial“ erleichtert aufatmen: stabgereimt und mit einem eingängigen Refrain versehen, wird diese althochdeutsche Apokalypsenvision stil- und treffsicher ins 21. Jahrhundert verlegt. Andere der meist locker gereimten Gedichte schreien geradezu nach einer Vertonung, nicht zuletzt aufgrund der häufig verwendeten Liedform. So findet man in Rumbalotteden „bewaffneten blues“, den „sturmgesang der baltischen horden“, die „gleichteilerhymne“ oder den „staatsbankrock“. Zwischendurch gibt es zwar auch mal ein bisschen Füllmaterial, aber an den meisten Liedern kann man sich nicht satt hören (bzw. lesen), so anspielungsreich und vielstimmig kommen sie daher. Eben keine simplen Shantys, sondern gut gemachte nonkonforme Moritaten.
aber weniger griffig, wehrt sich der Lyriker Bert Papenfuß gegen den „TERROR“ der Weltkonzern-Ära. Vollgestopft mit Huldigungen an das Einst von allem, was links von den Kommunisten gestanden war, läßt „Rumbalotte“ den Piraten Klaus Störtebecker wiederauferstehen. Die Legende des norddeutschen Robin Hood mutiert zur Vision einer Freibeuter-Truppe, die, statt nur die mittelalterliche Ostsee, gleich das ganzen osterweiterte Europa von kapitalistischen Objekten säubert. Wer nicht weiß, dass Papenfuß seit den Zeiten als DDR-Opponent seine Unkorrumpierbarkeit als Anarchismus deklariert, liest sich schnell in die Irre. Anarchismus wird in „Rumbalotte“ erneut als einziges zur Verfügung stehendes Gegenmittel zu allem empfohlen, das schon wieder Fortschritt verspricht. „der staat ist das schwarze unterm nagel / den putzen wir weg“. Botschaft? Konkret: Das Bewahren einer Denkart, die Stalin fast nicht überlebt hätte und die nun droht, im Müll der Geschichte entsorgt zu werden. Codiert: Der „aufbau unserer partei“.
Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring
Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“
Mark Chaet & Tom Franke sprechen mit Bert Papenfuß im Sommer 2020 und ein Auftritt mit Herbst in Peking beim MEUTERLAND no 16 | 1.5.2019, im JAZ Rostock
Kismet Radio :: TJ White Rabbit presents Bertz68BirthdaySession_110124_part 2
Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016
Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016
Thomas Hartmann: Kalenderblatt
MDR, 11.1.2021
Nachruf auf Bert Papenfuß bei Kulturzeit auf 3sat am 28.8.2023 ab Minute 27:59
Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.
Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.
Bert Papenfuß, erzählt am 14.8.2022 in der Brotfabrik Berlin aus seinem Leben und liest Halluzinogenes aus TrakTat zum Aber.
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