Bertolt Brecht: Gedichte Band II 1913–1929

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Bertolt Brecht: Gedichte Band II 1913–1929

Brecht-Gedichte Band II 1913–1929

DAS EINVERSTÄNDNIS

Ihr aber, die ihr einverstanden seid mit dem Fluß der
aaaaaDinge
Sinkt nicht zurück in das Nichts.
Löst euch nicht auf wie Salz im Wasser, sondern
Erhebt euch
Sterbend euren Tod wie
Ihr gearbeitet habt eure Arbeit
Umwälzend eine Umwälzung.
Richtet euch also sterbend
Nicht nach dem Tod
Sondern übernehmt von uns den Auftrag
Wieder aufzubauen unser Flugzeug.
Beginnt!
Um für uns zu fliegen
An den Ort, wo wir euch brauchen
Und zu der Zeit, wo es nötig ist. Denn
Euch
Fordern wir auf, mit uns zu marschieren und mit uns
Zu verändern nicht nur
Ein Gesetz der Erde, sondern
Das Grundgesetz
Einverstanden, daß alles verändert wird
Die Welt und die Menschheit
Vor allem die Unordnung
Der Menschenklassen, weil es zweierlei Menschen gibt
Ausbeutung und Unkenntnis.

 

 

 

Zum zweiten Band

Während im ersten Band dieser Ausgabe nur von Brecht selbst veröffentlichte oder geplante Gedichtsammlungen enthalten sind, bringt der vorliegende zweite Band unveröffentlichte, nicht in Sammlungen befindliche oder aus ihnen ausgeschiedene Gedichte; die Gedichte dieses Bandes reichen zeitlich weiter zurück als die des ersten Bandes.
Brecht wollte, wie zu den ersten beiden Bänden der „Stücke“, auch zu den ersten Bänden der „Gedichte“ eine Vorbemerkung schreiben. Denn bei der Durchsicht eines Teils seiner frühen Lyrik befiel ihn, wie bei der Durchsicht seiner ersten dramatischen Arbeiten, eine solche Ungeduld und Unzufriedenheit, daß er schon erwog, ihn zu unterdrücken. Da es dazu nicht kam – aber auch nicht zu der Vorbemerkung –, sei hier noch einmal auf „Bei Durchsicht meiner ersten Stücke“ verwiesen.
Von den sehr frühen Gedichten Brechts, die in der Ernte – der kleinen hektographierten Schülerzeitung seines Augsburger Gymnasiums – erschienen, ist „Der brennende Baum“ (1913), von den Gedichten, die im „Erzähler” – der literarischen Beilage der Augsburger Neuesten Nachrichten – abgedruckt wurden, sind „Moderne Legende“ (1914) und „Das Lied der Eisenbahntruppe von Fort Donald“ (1916) hier aufgenommen worden.
Ein großer Teil der Gedichte aus den zwanziger Jahren erschien damals in Zeitungen und Zeitschriften. Dabei kam Brecht manchmal der Aufforderung einer Zeitung oder Zeitschrift nach, zu bestimmten Gelegenheiten einen Beitrag zu liefern: so entstanden zum Beispiel die drei Weihnachtsgedichte und die „Gedenktafel für 9 Weltmeister“, die anläßlich einer Sportfestveranstaltung geschrieben wurde.
Der „Sang der Maschinen“ und die „Kranlieder“ waren für eine Ruhrrevue gedacht, die nicht zustande kam.
Das Gedicht „Das war der Bürger Galgei“ gehört zum „Grünen Garraga“, einem sehr frühen Entwurf zu „Mann ist Mann“. – „Der Mann-ist-Mann-Song“ findet sich in der ersten Buchausgabe des Stückes (1926), wurde aber von Brecht in späteren Drucken (1938, 1953) weggelassen. – „Das Lied vom Fluß der Dinge“ schrieb Brecht 1931 für die zweite Berliner Inszenierung.
Die „Mahagonnygesänge“ Nr. 1 und 3 („Hauspostille“, siehe Band I) und Nr. 2 und 4 aus dem Anfang der zwanziger Jahre waren für ein „Mahagonny“-Stück bestimmt. Zusammen mit dem „Benares Song“ (Band I) und dem „Alabama Song“ – beide 1925 geschrieben – bilden die drei ersten Gesänge das Songspiel „Mahagonny“, auch das „Kleine Mahagonny“ genannt, das 1927 uraufgeführt wurde. Die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny wurde 1928/29 geschrieben.
Beim Abdruck der Dreigroschenoper im dritten Heft der Versuche (1931) wies Brecht in einer Anmerkung zur „Ballade vom angenehmen Leben“ darauf hin, daß diese Ballade, „wie auch andere Balladen der Dreigroschenoper, einige Zeilen François Villons in der Übertragung K.L. Ammers“ enthält. In dem Heftchen Songs der Dreigroschenoper, das kurz nach der Uraufführung des Stückes im Herbst 1928 im Gustav Kiepenheuer Verlag erschien, gab Brecht bei fünf Songs an: „Nach F. Villon“: von diesen fünf Songs ist der „Ruf aus der Gruft“ im vorliegenden Band nicht enthalten, weil er nur in den Zusammenhang des Stückes gehört. – „Der Kanonensong“ ist die „Dreigroschenoper“-Fassung des viel früheren „Liedes der drei Soldaten“. – „Die Schlußstrophen des Dreigroschenfilms“ wurden von Brecht für seinen Entwurf zum Dreigroschenfilm „Die Beule“ geschrieben, der wegen seiner scharfen politischen Aussage von der Filmfirma nicht benutzt wurde; man schrieb bereits das Jahr 1930. Wir drucken sie hier unmittelbar im Anschluß an die Songs des Stückes ab, weil sie heutzutage häufig, ganz oder teilweise, in Theateraufführungen der Dreigroschenoper verwendet werden.
„Das Lied vom Surabaya-Johnny“ für das Stück Happy End von Dorothy Lane geht auf die Übersetzung eines Gedichtes von Kipling zurück.
Der „Bericht vom Fliegen“ („Das Badener Lehrstück vom Einverständnis“) ist bis auf Titel und drei textliche Änderungen identisch mit dem „Bericht über das Unerreichbare“ aus dem „Ozeanflug“ (vgl. Neudruck „Versuche“ 1–4, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1959, p 21f.). Der „Bericht über das Unerreichbare“ bildet den Schluß des „Ozeanflugs“, der 1930 als I. Versuch im Heft I der Versuche abgedruckt wurde; Heft 2 der Versuche kam im selben Jahr heraus und enthielt als 7. Versuch „Das Badener Lehrstück vom Einverständnis“, das durch den „Bericht vom Fliegen“ eingeleitet wurde. Die wichtigste textliche Änderung findet sich in den Schlußzeilen, in denen Brecht in der Zwischenzeit einen grundsätzlichen Fehler festgestellt hatte. Dazu schrieb er in einer Fußnote (vgl. Neudruck Versuche 1–4, a.a.O., p 117):

Im ersten Versuch heißt es fälschlich: das Unerreichbare. Dies ist auszubessern in: das noch nicht Erreichte.

Elisabeth Hauptmann, Nachwort

 

Der unversöhnliche Widerspruch

zwischen dem absterbenden alten und dem heraufkommenden neuen Zeitalter ist es, der das gesamte Werk Brechts, ob Lyrik oder Drama, ob erzählende oder theoretische Prosa, in Spannung hält. Brecht trat hervor in den zwanziger Jahren, als sich in Deutschland gegen die in Bewegung geratene soziale Revolution immer massiver und brutaler jener soziale Terror formiert hatte, der hinter der bürgerlichen Restauration einer Weimarer Republik schon die faschistische Fratze zeigte. So stand Brechts Dichtung zunächst richtig, indem sie in Opposition stand zu jeder getarnten oder offenen bürgerlichen Lüge in Leben und Kunst. In den Gedichten kann man den Prozeß verfolgen, wie die Negation der unmenschlichen spätbürgerlichen Zivilisationswelt immer bewußter in einen positiven Inhalt umschlägt.

Paul Rilla, Aufbau Verlag, Klappentext, 1978

 

 

Erfahrungen mit Brecht. Therese Hörnigk im Gespräch mit Friedrich Dieckmann

 

Brecht – Die Kunst zu leben. Ein Fernsehporträt von Joachim Lang aus dem Jahre 2006

 

Hans Mayer: Gelegenheitsdichtung des jungen Brecht

Ernst Fischer: „Das Einfache, das schwer zu machen ist“

Günter Berg / Wolfgang Jeske: Bertolt Brecht. Der Lyriker

Albrecht Fabri: Notiz über Bertolt Brecht, Merkur, Heft 33, November 1950

Walter Jens: Protokoll über Brecht. Ein Nekrolog, Merkur, Heft 104, Oktober 1956

Günther Anders: Brecht-Porträt. Tagebuch-Aufzeichnungen Santa Monica 1942/43, Merkur Heft 115, September 1957

Martin Esslin: Bert Brecht Vernunft gegen Instinkt, Merkur, Heft 163, September 1961

Robert Minder: Die wiedergefundene Großmutter. Bert Brechts schwäbische Herkunft, Merkur, Heft 217, April 1966

Hannah Arendt: Quod Licet Jovi… Reflexionen über den Dichter Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur Politik (I), Merkur, Heft 254, Juni 1969

Hannah Arendt: Quod Licet Jovi… Reflexionen über den Dichter Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur Politik (II), Merkur, Heft 255, Juli 1969

Sidney Hook, Hannah Arendt: Was dachte Brecht von Stalin. Nochmals zu Hannah Arendts Brecht-Aufsatz, Merkur, Heft 259, November 1969

Wilhelm Girnus: Nationalbewusstsein in Brechts Lyrik, Sinn und Form, Heft 5, 1964

Iring Fetscher: Brecht und der Kommunismus, Merkur, Heft 304, September 1973

Bernd-Peter Lange: Walter Benjamin und Bertolt Brecht am Schachbrett, Merkur, Heft 791, April 2015

Bertolt Brecht und weitere Sprecher: Lesungen und O-Töne 1928–1956 in Washington und Berlin. Sammlung Suhrkamp Verlag: Tonkassette 116

Hans Magnus Enzensberger: Überlebenskünstler Bertolt Brecht

 

AM GRAB DER BRECHTS

I      Zwei Steine sind mir im Gedächtnis geblieben,
auf jedem ein Name,
der eines Mannes und der einer Frau,
ein Ehepaar – kein gemeinsamer Stein,
doch wie nach alter Sitte
sie zur Rechten, er zur Linken.
Ein männlicher und ein weiblicher Stein!
Kantig und schroff ragt der eine, weich
und gerundet der andere, als zöge die Frau,
nach vorn gebeugt, noch immer ihren Wagen.

II      Warum verweilen wir so lange bei den Toten,
als ob es mehr zu finden gäbe als das zu
nichts verpflichtende Gespräch mit ihnen,
und rascher kommen Fragen von den
Lippen als jener Satz: „Ich wäre auch gerne
weise…“ Wie leicht geraten wir ins
Stammeln vor dem bloßen Stein – was vom
Gesagten bleibt, da wächst
kein Gras darüber.

Charlotte Grasnick

 

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin

 

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Wolfgang Greisenegger: Von Wahrheit und Widerspruch
Die Furche, 12.2.1998

Zum 125. Geburtstag des Autors:

Nils Schniederjann: Das umkämpfte Erbe des kommunistischen Dramatikers
Deutschlandfunk Kultur, 10.2.2023

Karin Beck-Loibl: Genie und Polyamorie
zdf.de, 10.2.2023

Hubert Spiegel: Briefmarke zum 125. Geburtstag
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.2023

Christopher Beschnitt im Gespräch mit Jürgen Hillesheim: „Über die Political Correctness würde Brecht die Nase rümpfen“
Cicero, 10.2.2023

Ronald Pohl: Mit Bertolt Brecht die Kunst des Zweifelns erlernen
Der Standart, 10.2.2023

Theater und mehr: Zum 125. Geburtstag von Bertolt Brecht
ardmediathek.de

Jan Kuhlbrodt: Eine Intervention
signaturen-magazin.de

Otto A. Böhmer: Die gewissen Möglichkeiten
faustkultur.de, 10.2.2023

Brechtfestival Augsburg vom 10.–19.2.2023

Brecht125

 

 

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Bertolt Brecht: Lob des Lernens gesungen von Nina Hagen 2016 in Potsdam.

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