DAS ZWÖLFTE SONETT
(ÜBER DIE GEDICHTE DES DANTE AUF DIE BEATRICE)
Noch immer über der verstaubten Gruft
In der sie liegt, die er nicht vögeln durfte
Sooft er auch um ihre Wege schlurfte
Erschüttert doch ihr Name uns die Luft.
Denn er befahl uns, ihrer zu gedenken
Indem er auf sie solche Verse schrieb
Daß uns fürwahr nichts andres übrigblieb
Als seinem schönen Lob Gehör zu schenken.
Ach, welche Unsitt bracht er da in Schwang
Als er mit so gewaltigem Lobe lobte
Was er nur angesehen, nicht erprobte!
Seit dieser schon beim bloßen Anblick sang
Gilt, was hübsch aussieht und die Straße quert
Und was nie naß wird, als begehrenswert.
– Lieder zur Klampfe von Bert Brecht und seinen Freunden. 1918
– Psalmen
– Bertolt Brechts Hauspostille
– Die Augsburger Sonette
– Die Songs der Dreigroschenoper
– Aus dem Lesebuch für Städtebewohner
– Geschichten aus der Revolution
– Sonette
– Englische Sonette
– Lieder Gedichte Chöre
– Chinesische Gedichte
– Studien
0. Vorbemerkung
Meine Lyrik hat mehr privaten Charakter. Sie ist mit Banjo und Klavierbegleitung gedacht und bedarf des mimischen Vortrags. Im Drama hingegen gebe ich nie eine private Stimmung, sondern gleichsam die Stimmung der Welt. Mit andern Worten: eine objektiv angeschaute Sache. (Schriften zum Theater 2, S. 267)
Diese Äußerung Brechts in einem Interview mit Bernard Guillemin ist ernstzunehmen: Die lyrischen Anfänge sind weitgehend Artikulationen einer Lebensform und eines Lebensgefühls im Augsburger Freundeskreis. Hier bildet sich der Sprachgestus, der die Gedichte der zwanziger Jahre bestimmt. Privat meint freilich nicht subjektiv und schon gar nicht unverbindlich: die Lyrik ist für den Vortrag gedacht, ist kommunikativ und will provozieren. Sie tut das so nachhaltig, daß Brecht erst vergleichsweise spät (1927) einen Verleger für die Hauspostille fand. Wenn dem Dramatiker das Individuum problematisch wurde (s. Arbeitsbereich III), so hält der Lyriker an ihm fest, allerdings in der Stilisierung zur ,dritten Person‘ („Vom armen B. B.“). Auch die Gedichte vermitteln eine Weltsicht. Damit entsprechen sie einer Forderung, die Brecht bei der Beurteilung der Einsendungen zu einem Lyrik-Wettbewerb 1927 mit Nachdruck erhoben hat:
Alle großen Gedichte haben den Wert von Dokumenten. (werkausgabe edition suhrkamp Band18, S. 55)
Ihre Qualität liegt in ihrem „Gebrauchswert“ (ebd.). Für das Verständnis der frühen Lyrik Brechts ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen ,privater‘ Äußerungsweise, zeitspezifischer Objektivierung (Dokument) und praktischer Intention (Gebrauchswert) zu begreifen. Dabei ist zu beachten, daß der Zusammenhang durch eine planvoll zyklische Anordnung in Gebrauchsformen (Postille, Lesebuch) gestiftet wird. Schon der zweite lyrische Zyklus, das Lesebuch für Städtebewohner ist allerdings von den als schmerzvoll erfahrenen Zwängen zur Einseitigkeit und Blickverengung bestimmt (vgl. Arbeitsbereich IX).
1. Bertolt Brechts Hauspostille
1.1. Grundlageninformationen
Neudrucke
– Bertolt Brechts Taschenpostille (L 258)
– Bertolt Brechts Hauspostille (L 259). [Im Beiheft zur Faksimileausgabe gibt Klaus Schuhmann einen Überblick über Entstehung, Komposition, Edition und Rezeption der Hauspostille.]
Forschungsliteratur
– Benjamin (L+ 324)
1 Albrecht Schöne: „Bertolt Brecht Erinnerung an die Marie A“. In: B. v. Wiese (Hrsg.): Die deutsche Lyrik. Form und Geschichte. Interpretationen. Düsseldorf 1957 21959, Bd. 2, S. 485–494
– Schuhmann (L+ 433)
2 Bernhard Blume: „Motive der frühen Lyrik bei Bertolt Brecht. 1. Der Tod im Wasser. 2. Der Himmel der Enttäuschten“. In: Monatshefte (Wisconsin) 57/1965, S. 97–112 und 273–281
3 Reinhard Weisbach: Das Paradigma des Gedichts in Bertolt Brechts Hauspostille. Ein Beitrag zum Verhältnis des jungen Brecht zur Tradition und zum Expressionismus. Diss. (Ms) Berlin 1966.
– Schwarz (L+ 439)
4 Michael Morley: „An Investigation and Interpretation of two Brecht Poems“. In: Germanic Review 46/1971, S. 5–25. [Untersucht am Beispiel von „Apfelböck oder Die Lilie auf dem Felde“ und „Sonett Nr. 1“ die poetische Bearbeitung authentischer Vorfälle.]
5 William H. Rey: „Hohe Lyrik im Bordell. Bertolt Brechts Gedicht ,Die Liebenden‘“. In: Monatshefte (Wisconsin) 63/1971, S. 1–18
– Steffensen (L 445)
6 Ulrich Weisstein: „,Apfelböck oder die Lilie auf dem Felde‘. Interpretation eines Gedichts aus Bertolt Brechts Hauspostille“. In: German Quarterly 45/1972, S. 295–310
7 Regine Wagenknecht: „Bertolt Brechts Hauspostille“. In: Text und Kritik. Sonderband Bertolt Brecht II. München 1973, S. 20–29. [Nachweis der strengen und überlegten Komposition des Zyklus als Auseinandersetzung mit dem weltanschaulichen Gegner.]
– Pietzcker (V 423)
– Marsch (L+ 296)
– J. Müller (L 418)
8 Rainer Grübel: „Bertolt Brecht ,Gegen Verführung‘. Versuch einer Interpretation“. In: Pinkerneil / Kimpel (Hrsg.): Methodische Praxis der Literaturwissenschaft: Modelle der Interpretation. Kronberg 1975, S. 284–318
9 Karl Riha: Moritat, Bänkelsang, Protestballade. Zur Geschichte des engagierten Liedes in Deutschland. Frankfurt/M. 1975
10 Hans-Thies Lehmann / Helmut Lethen (Hrsg.): Bertolt Brechts Hauspostille. Text und kollektives Lesen. Stuttgart 1978. [Das Buch, Ergebnis eines hochschuldidaktischen Experiments, plädiert am Beispiel der Hauspostille für eine neue Art der Entzifferung literarischer Texte als Koproduktion von Autor und Leser. Es setzt auf das Assoziationsfeld von Lesergruppen, das gemeinsam und in Verbindung mit herkömmlichen Deutungsverfahren geduldig an den Texten erprobt wird und zu neuartigen, freilich nicht durchweg überzeugenden Auslegungen führt.)
– Grimm (L+ 360)
11 Hans-Thies Lehmann: „Das Subjekt der Hauspostille. Eine neue Lektüre des Gedichts ,Vom armen B. B.‘“ In: Brecht-Jahrbuch 1980, S. 22–42. [Im Widerspruch zur üblichen autobiographischen Lesart des Gedichts „Vom armen B. B.“ schlägt L. vor, die Konzeption eines stilisierten literarischen Subjekts und einer durch Nietzsche (Zarathustra) vermittelten radikalen Sprachkritik als Formintention der Hauspostille zugrundezulegen.)
– Bohnert (L+ 329)
– Mennemeier (V 411)
1.2 Formmuster der Gebrauchskunst und Kontrafaktur im Gehalt
Die Hauspostille ist ein sorgfältig ausgewählter und nach kompositionellen Gesichtspunkten streng aufgebauter repräsentativer Querschnitt durch Brechts lyrisches Frühwerk. Die zyklische Anordnung war für die Publikation von Anfang an vorgesehen, veränderte sich in der unfreiwillig langen Vorbereitungsphase (vgl. Marsch, L+ 296, Schuhmann, L+ 433) nur im einzelnen. Mit der Postillenform orientiert Brecht sich – ironisch und kontrafaktisch – an einer verbreiteten und volkstümlichen Publikationsform religiöser Erbauungsliteratur. Damit beansprucht er programmatisch den Gebrauchscharakter dieser Lyrik, wie er sich auch im einzelnen den Formtypen der geistlichen Lyrik anschließt, die in den Überschriften der einzelnen Kapitel festgehalten sind: Bittgänge, Exerzitien, Chroniken, Psalmen, kleine Tagzeiten der Abgestorbenen. Mit Liturgie, (Kirchen-)Lied, Choral und Legende erscheinen im Zyklus weitere Gebrauchsformen geistlicher Dichtung, mit Ballade, Moritat, Chronik, Rede und Bericht zugleich bestimmende Formen volkstümlicher Lyrik, deren praktische Funktionen ebenfalls festgelegt sind. Die ,Anleitung zum Gebrauch der einzelnen Lektionen‘ nimmt zudem eine geläufige Praxis der Erbauungsbücher auf, die den Ablauf der Andachtsübungen für den Gläubigen verbindlich organisieren, die Wirkungsintention vorab bestimmen und sie überprüfbar machen. Schon in der bewußten Wahl seiner Traditionen verwirklicht Brecht also den Gebrauchswert seiner Lyrik. Zugleich grenzt er sich von den Typen des zeitgenössischen Gedichts ab: von der Formkunst ebenso wie von der Ausdruckskunst.
Der bewußte Rückgriff auf erprobte und praktikable lyrische Formen und das parodistische Moment einer weitgehenden Orientierung an der Erbauungsliteratur bedeuten freilich keineswegs, daß diese Lyrik unselbständig und abgeleitet wäre. Die Wahl der geistlichen Formen erklärt sich vielmehr aus der gehaltlichen Intention einer fröhlichen Widerlegung der Religion und der auf ihr begründeten Weltsicht. Die Normen und Verhaltensmuster, die sich aus dem christlichen Weltbild ergeben, werden in einer fast spielerischen Kritik, jedoch mit radikaler Konsequenz aufgehoben, und zugleich wird provozierend eine Lebensform sinnfällig, die das Ende der Glaubenszwänge als Befreiung erlebt. Brecht setzt sich so kritisch mit den Sozialisationsformen des Bürgertums und mit den Repressionsmechanismen gegen die kleinen Leute im Kaiserreich auseinander, und wenn er verbreitete und zugleich funktional bestimmte Gebrauchsformen der Lyrik aufgreift, so sichert er damit seiner provokanten Kritik eine intersubjektive Verbindlichkeit und eine suggestive Mitteilbarkeit (vgl. Pietzcker, L+ 423). Der Autor kann sich deshalb im Titel und in den Gedichten selbst präsentieren, ohne damit nur für sich zu sprechen. Er nutzt und benutzt die erprobte Rhetorik des Glaubens zur Kritik seiner Inhalte.
Die Grunderfahrung der Hauspostillen-Lyrik beruht auf einer vielfältigen Variation der Nietzscheschen Formel vom Tod Gottes. Wie für die meisten seiner Zeitgenossen ist die Nietzsche-Rezeption bestimmendes Moment für die Weitsicht des frühen Brecht. Der Einfluß des Philosophen ist inzwischen nachgewiesen (Grimm, L+ 360), zugleich wendet sich aber eine modische Tendenz der Forschung (besonders Hagen, in L+ 10) gegen die These, daß Brechts frühe Lyrik auf der Grundlage des Nihilismus entstanden sei (so Schwarz, L+ 439, Pietzcker, L+ 423). Der Streit ist insofern müßig, als er auf beiden Seiten ein philosophisch systematisches Nihilismus-Verständnis voraussetzt, während Brecht sich tatsächlich im Strom einer popularisierten Nietzsche-Rezeption befindet, die seine Poesie inspiriert.
Sein Atheismus und Nihilismus haben nichts Verzweifeltes, sondern vermitteln das Gefühl eines fröhlichen Befreitseins von den Zwängen des Glaubens:
Ob es Gott gibt oder keinen Gott
Kann, solang es Baal gibt, Baal gleich sein.
Aber das ist Baal zu ernst zum Spott:
Ob es Wein gibt oder keinen Wein. (Gedichte Band 1, 126)
Der Nihilismus bedeutet zunächst die Aufhebung von eingebildeten Zwängen. Das außerordentliche Freiheitspathos, das die frühe Lyrik bestimmt, ergibt sich aus dem Bewußtsein, die Welt denen aus den Händen genommen zu haben, die die Religion zur Verstümmelung der menschlichen Natur benutzt und mißbraucht haben. Die Leugnung Gottes hebt die Verbindlichkeit der repressiven Moral auf, befreit die Natur und das natürliche Verhalten vom Odium des Bösen, richtet das menschliche Glücksverlangen auf die Immanenz und bricht mit den Gewaltmechanismen einer Gesellschaft, die sich der Religion als Rechtfertigung bediente. Der Nihilismus ist also weniger ein privates und weltanschauliches Problem als eine frühe Form von Brechts gesellschaftlichem Verhalten.
Zugleich bedeutet der ,Tod Gottes‘ für Brecht eine sehr persönliche Säkularisierung: die religiösen und christlichen Motive werden poetisch verfügbar und zur fruchtbaren Quelle lyrischer Inspiration. Er gewinnt eine Möglichkeit des Gedichts jenseits der Esoterik der zeitgenössischen Lyrik (George, Rilke, Hofmannsthal) und zugleich jenseits des weltanschaulichen Pathos der Expressionisten: seine Vorbilder sind die Vaganten Villon, Verlaine und Rimbaud, Wedekinds erneuerter Bänkelsang, die Balladen Kiplings und die Abenteuererzählungen Bret Hartes und Charles Sealsfields.
In der „Anleitung zum Gebrauch der einzelnen Lektionen“ wird empfohlen, „jede Lektüre in der Hauspostille mit dem Schlußkapitel zu beschließen“ (8, 171). Das Schlußkapitel ,Gegen Verführung‘ (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 260) erhält dadurch eine programmatische Schlüsselstellung.
Im religiös-erbaulichen Sinne, auf den die Eingangszeilen der 1. und 4. Strophe zitierend anspielen, bedeutet Verführung die Verführung durch die Welt, die zur Gefahr für das Seelenheil wird. Hier hingegen wird die Warnung umgekehrt zu einer Warnung vor dem Glauben, der ein großer Schwindel ist, weil er den Gläubigen um seine diesseitige Existenz, um sein Leben betrügt. Das Gedicht lebt aus der formalen Spannung seines predigthaften Redegestus und seiner gehaltlichen Aus sage. Nur die trochäischen Eingangsverse jeder Strophe sind dabei scheinbar übernommen: die jambische Fortsetzung ist Reflexion, die die Übernahmen aufhebt und umkehrt. Die jeweils zweiten Verse der ersten drei Strophen wären mit ,denn‘ anzuschließen: an die Stelle der Auslegung tritt die analysierende Begründung, die die adhortatio in ihr Gegenteil umkehrt, in die beschwörende Hinführung zum Genuß eines Daseins, das seinen Wert aus der scheinbaren Entwertung zum reinen Naturvorgang erhält. Die 4. Strophe formuliert diese Aussage direkt: der Mensch steht auf einer Stufe mit den Tieren – seine Transzendenz ist das Vermodern:
Es kommt nichts nachher.
Das ist die Sachlichkeit, die Brecht in der Hauspostille predigt, so daß das Schlußkapitel tatsächlich die Summe der Einzelaussagen des Zyklus enthält.
Es sind insbesondere die Formen geistlicher Lyrik, in denen die Kritik am Glauben vorgetragen wird. So ist etwa der „Große Dankchoral“ (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 215f.) eine blasphemische Kontrafaktur des berühmten Neanderschen Kirchenliedes „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Der antichristliche Inhalt erscheint in der christlichen Form, schreibt sich der vertrauten Melodie ein. Das Lob gilt paradoxerweise der Kälte, der Finsternis und dem Verderben – Erscheinungen, die die Hauspostille durchgängig zur Charakterisierung des menschlichen Daseins verwendet, die aber dennoch positiv sind, weil sie die transzendente Bedrohung aufheben:
Schauet hinan:
Es kommet nicht auf euch an
Und ihr könnt unbesorgt sterben.
Das Lob gilt auch dem „schlechten Gedächtnis des Himmels“. Das ist eine weitere wiederkehrende Umschreibung der fehlenden Transzendenz. In dem Ophelia-Gedicht „Vom ertrunkenen Mädchen“, wo Brecht die in der zeitgenössischen Lyrik verbreitete Wasserleichen-Poesie verwendet, erweist sich der Tod als Rückkehr ins Nichts; der Naturvorgang hebt jede ideologische Sinngebung drastisch auf:
Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war
Geschah es (sehr langsam), daß Gott sie allmählich vergaß
Erst ihr Gesicht, dann die Hände und ganz zuletzt erst ihr Haar.
Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas. (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 252)
Gottes Gedächtnis ist mit den Phasen der Verwesung synchronisiert, wird in ihr aufgehoben.
Noch deutlicher wird das Nichts im „Ersten Psalm“:
Über der Welt sind die Wolken, sie gehören zur Welt. Über den Wolken ist nichts. […]
Ich komme sehr vereinzelt vor. Ich habe keine Geduld. Unser armer Bruder Vergeltsgott sagte von der Welt: sie macht nichts. (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 241)
Seine konsequente Formulierung zum Nihilismus findet diese Weltsicht in dem zur Hauspostillen-Lyrik gehörenden Gedicht „Der Nachgeborene“:
Ich gestehe es: ich
Habe keine Hoffnung.
Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich
Sehe.
Wenn die Irrtümer verbraucht sind
Sitzt als letzter Gesellschafter
Uns das Nichts gegenüber. (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 99)
Auf diesem Hintergrund werden die ,Verführer‘ angeklagt: diejenigen, die die Menschen um das mögliche Daseinsglück betrügen und mit Vertröstungen auf das Jenseits tatsächliches Unrecht und Elend verteidigen. Die Polemik artikuliert sich als Anklage gegen Gott und gegen den Theodizeegedanken (etwa in „Gottes Abendlied“ [werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 75f.] oder als eine Art negativer Gottesbeweis in der „Hymne an Gott“ [werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 54]).
1.3. Die Konsequenz der nihilistischen Weltsicht: Daseinsgenuß und Preis der Asozialen
Die positive Konsequenz dieser Weltsicht ist die Aufforderung zum Daseinsgenuß, der im intensiven und gesteigerten Naturerlebnis seine wichtigste Erfüllung erhält. Die Natur ist der dem menschlichen Glücksverlangen korrespondierende Erfahrungsraum: dem entsprechen die zentralen Bildbereiche Pflanze, Wasser, Wind, Wolke, Himmel und die symbolischen Farben blau, violett, braun, rot und schwarz. Genußfähigkeit ist allerdings an Stärke und Vitalität gebunden, deren Verkörperung Baal ist (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 249ff., vgl. Arbeitsbereich III). Baals Stärke ist aber die rücksichtslose Vernichtung alles dessen, was sich seinem Glücksverlangen in den Weg stellt. Sein Weltverhalten ist deshalb eine extreme und einzigartige Möglichkeit, die ihn zu einer zentralen Identifikationsfigur für den jungen Brecht macht. Von ähnlicher Unbedingtheit sind in der Hauspostille die Abenteurer und Seeräuber, die aus der Banalität des gewöhnlichen Lebens ausbrechen, um intensivere Erfahrungen zu machen, deren Lebensgier allerdings ein unerfüllbarer Traum bleibt. Das Abenteurerdasein ist in Brechts früher Lyrik eine widerlegte Utopie.
Eine wirkliche Identifikationsfigur ist hingegen der Asoziale. Mit dem Glauben ist ja auch die auf ihm begründete Gesellschaftsmoral fragwürdig geworden, und Brecht feiert folglich diejenigen, die sich frech und zynisch über die Wertordnung einer bigotten und verlogenen Gesellschaft hinwegsetzen. Das ist die früheste Form der kritischen Auseinandersetzung mit Problemen der Ethik. Inbegriff des Asozialen ist neben Baal der Dichter François Villon, den Brecht in einem ursprünglich in der Hauspostille enthaltenen Gedicht preist (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 38f.). Er ist „armer Leute Kind“, aufgewachsen unter Entbehrungen, verfolgt und ein Opfer der Gesellschaft. Er ist aber fähig, in jeder Situation Glück zu empfinden. Was immer er tut und wozu er gezwungen ist, es ,schmeckt‘ ihm. Er muß sich sein Glück allerdings nehmen:
Er lernte früh den Stein auf andre schmeißen
Und sich auf andrer Leute Häuten wälzen.
Aber seine Frechheit und ertrotzte Freiheit macht ihn in seinen Liedern unsterblich.
1.4. Sympathie für die Schwachen und für die Opfer der Gesellschaft
Die Freiheit der Galgenvögel ist aber nur eine Seite der Existenz am Rande der Gesellschaft. Brechts Interesse und seine Sympathie gelten auch den Schwachen und Opfern, den hilflosen Mördern, den Dirnen, Dieben, Landstreichern und Vagabunden, die sich nicht triumphal behaupten, sondern sich kümmerlich durchschlagen. Man muß dieses Moment nachdrücklich betonen, denn der anarchische Vitalismus eines Baal ist nicht allein bedingungslose Verherrlichung von Gewalt und Stärke im Daseinskampf. Der freche Zynismus schließt Mitleid nicht aus. Auch zeigt Brecht, daß die scheinbare Unmoral der Asozialen ethisch höher steht als die ,Tugend‘ der Philister. Die „Ballade von der Hanna Cash“ (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 229ff.) schildert etwa Liebe und Treue unter Lebensbedingungen, die nach der bürgerlichen Moral keine Bindung mehr verlangen. Die Armen praktizieren Tugenden ohne ideologische Programmatik, und ihr Verhaten wird zugleich zum Gradmesser ihres Elends. Die Verachtung der Gesellschaft wird in der Hochachtung des Balladensprechers aufgehben: selbst Gott stünde in der Schuld dieser Elenden.
Erhöht das Elend den Wert mitmenschlicher Beziehungen, so ist es andererseits auch der Horizont für die Verbrechen der Armen, die da durch verständlich und notwendig werden und umgekehrt die selbstgerecht richtende Gesellschaft anklagen. In zwei Moritaten hat Brecht den Elternmord des 13jährigen Jakob Apfelböck und den Kindesmord der 16jährigen Marie Farrar geschildert, und diese Berichte sind nicht von ungefähr in der „Anleitung zum Gebrauch“ besonders hervorgehoben. Der Apfelböck-Moritat liegt ein authentischer Fall zugrunde (s. Morley, L+ 4), für die ,Marie Farrar‘ ist das noch nicht nachgewiesen, aber wahrscheinlich. Moritat und Bänkelsang sind als literarische Formen vor allem von Frank Wedekind erneuert worden. Bekanntestes Beispiel ist der zynisch-makabre „Tantenmörder“. Brecht geht aber noch hinter diese parodistische Wiederbelebung zurück, indem er auch den naiven Ton des Bänkelsangs, der Zeitung des kleinen Mannes, zu treffen versucht. Das entspricht der gleichsam selbstverständlichen Übernahme der Formen geistlicher Lyrik. Wie diese ist auch die Moritat eine Form der Gebrauchsdichtung. Und auch hier wird das Zitat zur Kontrafaktur: der vertraute Sprachgestus dient der Aufhebung des Argumentationsmusters. Denn während die Moritat in der Verurteilung von Sünde und Vergehen einen betont affirmativen Standpunkt einnimmt, werden hier die Täter als Opfer legendenhaft erhöht. Marie Farrar „erregte das Gemüt des Gerichtshofes durch ihre Unschuld und menschliche Unempfindlichkeit“ (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 169), für Jakob Apfelböck ist schon im Gedichttitel das biblische Unschuldssymbol der Lilien auf dem Felde verwendet. Mord und Kindestötung sind unbegriffene Konsequenzen einer Lebensweise, für deren Beurteilung die richtende Instanz inkompetent ist Das Schicksal der Schmerzensmutter Marie Farrar (ausdrücklich wird auf Maria, die Mutter Gottes, angespielt) wird zur sozialen Anklage:
Ihr, die ihr gut gebärt in saubern Wochenbetten
Und nennt ,gesegnet‘ euren schwangeren Schoß
Wollt nicht verdammen die verworfnen Schwachen
Denn ihre Sünd war schwer, doch ihr Leid groß. (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 179)
Normen, die für alle gelten sollen, setzen die Gleichheit der sozialen Umstände voraus. Wenn deshalb der neugeborene Sohn allenfalls mit anderen Söhnen gleichzusetzen ist, so gilt das keinesfalls für die Mutter. Es ist ein abstrakter Pharisäismus, von Marie zu verlangen, sie solle sein wie andere Mütter, weil sie unter anderen Umständen empfängt und gebiert. Sie wird von einer Gesellschaft gerichtet, deren Opfer sie ist. Der Balladensprecher, der durch den Einbruch von Selbstgerechtigkeit (In Zorn-Verfallen) selbst schuldig geworden ist, wird dadurch sensibel für jene Fehleinschätzung, die sein falsches Urteil begründet hat. Er erkennt, daß die Strafe vorausliegt und die Bestrafung ihre Verdoppelung bedeutet. Sie ist ein Akt der Selbstgerechtigkeit einer ungerechten Gesellschaft.
In dieser Wendung zeigt sich die sozialethische Dimension der Hauspostille. Die nihilistische Aufhebung der auf dem Christentum begründeten Wertordnung führt nicht nur zu anarchischem Vitalismus und Natürlichkeitskult, sondern auch zu einer neuen Form der Mitmenschlichkeit in einer Welt, die durch die Zentralmetaphern der Kälte und des Windes gekennzeichnet ist.
1.5. Die Unmöglichkeit der Liebe: „Erinnerung an die Marie A.“
In dieser Welt wird die Vereinzelung zwangsläufig, die Liebe unmöglich. Das hat Brecht in einem seiner schönsten Liebesgedichte, „Erinnerung an die Marie A.“ (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 232), verdeutlicht. Das Gedicht handelt von der Erinnerungslosigkeit: die Liebe, die Person und selbst das Gesicht der Geliebten sind vergessen, nur der Moment der Liebe ist im Gedächtnis bewahrt, und zwar weil er sich an die ganz ephemäre Erscheinung einer weißen Wolke knüpft. Dieser Eindruck des Vergänglichsten wird aber im Erinnern zur Vergegenwärtigung im Gedicht. Die „Erinnerung an die Marie A.“ berichtet also eigentlich vom Vergessen der Marie A. und zugleich doch auf sehr mittelbare Weise von einem Nichtvergessen, denn das Gedicht trägt ja den Namen der vergessenen Geliebten (Marie A[mann], nicht wie Schöne [L 1] suggeriert, Maria). Es bewahrt ihn auf, indem es vom Nichterinnernkönnen berichtet und doch zugleich den präzisen Moment der Liebesbegegnung festhält: das Erscheinen und Verschwinden der weißen Wolke ist ja dieser Moment als Erlebnis der Vergänglichkeit. In der Welt der Kälte gibt es die Liebe nicht oder allenfalls als Augenblick, den selbst die Erinnerung nicht festzuhalten vermag.
1.6. Die zyklische Geschlossenheit der Hauspostille
Thematisch und formal ist die Hauspostille von einer bemerkenswerten Geschlossenheit: sie ist die lyrische Bestandsaufnahme einer Welt ohne Transzendenz, ganz persönlich und ganz objektiv zugleich. Der Dichter gibt im Anhang ein Selbstporträt als Zeitgenosse („Vom armen B. B.“). Gegen die Erwartung des Titels appelliert er nicht an das Mitleid des Lesers, sondern an seine Sachlichkeit. Zentrale Motive und Bilder des Zyklus sind hier aufgenommen und in der Beschreibung einer Haltung zitiert: Diesseitigkeit und Genußwille, tierische Natur des Menschen und Kälte der Welt. Illusionslosigkeit und Gelassenheit, Vergänglichkeit und Lieblosigkeit. Wie in der „Erinnerung an die Marie A.“ hat auch hier nur das Momentanste Dauer – der Wind:
Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind!
Fröhlich machet das Haus den Esser: er leert es.
Wir wissen, daß wir Vorläufige sind
Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes. (werkausgabe edition suhrkamp Band 8, S. 262)
Die Leugnung der Transzendenz, die in einer sehr dichten Bildlichkeit Gestalt gewinnt, bestimmt sich noch wesentlich als Negation und wird so zur Provokation, die zugleich die Gebrauchsformen der lyrischen Tradition erbaulicher Dichtung aufhebt und dadurch neu gewinnt. Die Verhöhnung der Frommen und Bigotten, die Freiheit der Abenteurer, Galgenvögel und asozialen Genießer, die Beschreibung der Welt der Kälte, Finsternis und Beziehungslosigkeit, an der die Menschen sinnlos leiden und in der sie zu Aas vergehen, alle diese strukturbestimmenden Momente sind Ausdruck eines Unglaubens, der auf den Glauben der anderen oder zumindest auf die auf ihm begründete Gesellschaftsmoral der wilhelminischen Zeit negativ bezogen bleibt. Ihre Poesie gewinnt die Hauspostille durch die Umwertung, durch die Befreiung zu einer neuen Gegenständlichkeit und nicht zuletzt durch den ganz persönlichen Zugriff. Die eigentliche Leistung Brechts ist aber die Entdeckung der Sachlichkeit für die Lyrik, der Verzicht auf Lyrismen und Pathos. Dabei spielt die im Zyklus aufgehobene volkstümliche Tradition eine wichtige Rolle: die Sprache der Predigt und der Erbauung, der Bänkelsang, der Balladenton. Der Freund Caspar Neher hat die Wirkung dieser Gedichte folgendermaßen beschrieben:
Bert singt seine Lieder, die einem immer wieder wohl tun. Kraft, Kraft, ganz ungeheure Kraft. Und ohne jede Romantik und mit einer großen Stimmung. (zit. Völker, L+ 284, 21)
Brecht hat hier nicht nur seinen eigenen lyrischen Ton gefunden, sondern zugleich der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts entscheidende Anregungen gegeben. Wenn er im nachhinein von Dekadenz sprechen konnte, so gilt das für die Wahl des Standpunkts, nicht für dessen lyrische Objektivierung, wie denn ja auch Nehers Eindruck von der großen Kraft dieser Gedichte von der Selbstkritik unberührt bleibt. Daß ihre Wirkung ungebrochen ist, hat nicht zuletzt das Lehmann/Lethensche Experiment des ,kollektiven Lesens‘ (L+ 10) bewiesen, das bewußt dem auch unhistorischen Assoziieren der Rezipienten freien Raum ließ.
Jörg-Wilhelm Joost, Klaus-Detlef Müller und Michael Voges: Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung, Verlag C.H Beck, 1985
Nach der Lektüre eines Gedichtbandes sagte Herr K.: „Die Kandidaten für öffentliche Ämter durften in Rom, wenn sie auf dem Forum auftraten, keine Gewänder mit Taschen tragen, damit sie keine Bestechungsgelder nehmen konnten. So sollten die Lyriker keine Ärmel tragen, damit sie keine Verse aus ihnen schütteln können.“
„Herr K. und die Lyrik“ (Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Band 12, S. 397)
Bertolt Brechts Hauspostille
Brecht begann früh, schon als Schüler, Gedichte zu schreiben. Ein Teil seiner Lyrik aus der Augsburger und Münchner Zeit ist in die Hauspostille, seine „erste lyrische publikation“ (Arbeitsjournal 28), eingegangen, sie ist ein „repräsentativer Querschnitt“ durch sein lyrisches Frühwerk (Klaus-Detlef Müller (Hrsg.): Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung, S. 74). Die Anordnung und Auswahl der Gedichte für diese Sammlung hat sich mehrmals geändert. Fünf Phasen der Entstehungsgeschichte zwischen den Jahren 1921 und 1956 arbeitet Jan Knopf (Brecht-Handbuch. Lyrik, Prosa, Schriften. Eine Ästhetik der Widersprüche, S. 28ff.) heraus, darunter zählt er auch die 1926 erschienene Taschenpostille, einen unverkäuflichen Privatdruck in fünfundzwanzig Exemplaren. Eine gewisse historische Verbindlichkeit (Edgar Marsch: Brecht-Kommentar zum lyrischen Werk, S. 115) kann die Auswahl der Gedichte beanspruchen, die Brecht für die erste Buchausgabe von 1927 im Berliner Propyläen-Verlag getroffen hat, wenn auch die Taschenpostille in Format und Aufmachung, einem „Sakralbuch“ ähnelnd (Regine Wagenknecht: „Bertolt Brechts Hauspostille“, In: Arnold Heinz Ludwig (Hrsg.): Bertolt Brecht II, S. 21), „näher an Brechts Vorstellungen“ (Jan Knopf: Brecht-Handbuch. Lyrik, Prosa, Schriften. Eine Ästhetik der Widersprüche, S. 30) vom angezielten Gebrauch herankommen mag. Diese Sammlung enthält auch „Gesangsnoten“ zu den Texten, weil Brecht die meisten seiner bis dahin geschriebenen Gedichte als Lieder verstanden hat; viele hat er nachweislich selbst zur Klampfe gesungen (vgl. Arbeitsjournal 18).
Der Inhalt der Hauspostille steht im gewollten Gegensatz zu ihrem Titel. Dieser schließt an eine Tradition von Predigt- und Andachtsbüchern an, die seit Martin Luthers Kirchen- und Hauspostille (1527) der religiösen Unterweisung und Erbauung ihrer Leser dienten. Das „Wort“ der Hauspostille kommt aber „nicht vom Sinai noch von den Evangelien“ (Walter Benjamin: Versuche über Brecht, S. 65). Brecht übernimmt von der christlichen Erbauungsliteratur nur die Formen – beispielsweise Bittgesang, Psalm, Choral, Legende –, füllt diese aber kontrafaktisch und parodistisch mit nihilistischen (vgl. Carl Pietzcker: Die Lyrik des jungen Brecht: Vom anarchischen Nihilismus zum Marxismus), betont antichristlichen (vgl. Klaus Schuhmann: Der Lyriker Bertolt Brecht. 1913–1933, S. 168) Inhalten und hebt damit „die vorgesteuerte Leseerwartung auf schockierende Weise auf“ (Edgar Marsch: Brecht-Kommentar zum lyrischen Werk, S. 114f.). Gefühlige Lyrik, die „sinnlos hineingefressen werden“ kann (Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Band 8, S. 169), ist hier nicht zu erwarten. Die fünf „Lektionen“ dieses Gedichtbuches, deren richtigen Gebrauch die vorangestellte „Anleitung“ zu sichern beabsichtigt, wollen nicht erbauen, sondern im Alltagshandeln des Lesers etwas bezwecken. „Laßt euch nicht verführen“, heißt es programmatisch im Gedicht „Gegen Verführung“ (Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Band 8, S. 260), das als Schlußkapitel fungiert. Es warnt vor dem christlichen Glauben, der ein großer Schwindel sei, weil er die Gläubigen um ihre diesseitige Existenz, um ihr Leben betrüge (vgl. Klaus-Detlef Müller (Hrsg.): Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung, S. 76), und beschwört an seiner Stelle den uneingeschränkten Daseinsgenuß. Es gibt keine Transzendenz, „es kommt nichts nachher“, heißt es in der Schlußzeile; das ist die Sachlichkeit, die Brecht in der Hauspostille predigt, so daß das Schlußkapitel tatsächlich die Summe der Einzelaussagen des Zyklus enthält“ (Klaus-Detlef Müller (Hrsg.): Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung, S. 76). Nicht von ungefähr gibt der Autor die Empfehlung, der Leser solle „jede Lektüre in der Hauspostille“ mit diesem Text „beschließen“ (Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Band 8, S. 171).
Franz-Josef Payrhuber: Bertolt Brecht, Philipp Reclam jun., 1995
– Die Lyrik Bertolt Brechts. –
Das Paket mit fünf Bänden Brecht Lyrik kommt ins Haus, ich reiße auf, schlage auf, zufällig, Band fünf, genau beim „Spottlied“, Ich lese Zeilen wie:
Hoch zu Bonn am Rheine, träumen zwei kleine,
Böse alte Männer einen Traum von Blut und Stahl
Zwei böse Greise listig und leise
Kochten gern ihr Süpplein auf dem Weltbrand noch einmal
Schuhmacher, Schuhmacher, dein Schuh ist zu klein
In den kommt ja Deutschland gar nicht hinein.
Adenauer, Adenauer, zeig deine Hand
Um dreißig Silberlinge verkaufst du unser Land.
Ich erbleiche: das kann doch nicht wahr sein, sollte ich das wirklich all die Jahre überlesen haben! Stürze zur grauen Pappbandausgabe, mit der ich seit 1968 lebe und atme auf: ich finde nur ein „Sportlied // Kommend aus den vollen Hinterhäusern…“, kein „Spottlied“. Ach, Brecht, daß du ein Parteigänger der Kommunisten warst und ein schwacher Mensch, wir hatten uns damit abgefunden, aber so etwas? Ja, so etwas. Nun konnte ich die Ausgabe nicht mehr aus der Hand legen. Was würde ich noch zu schlucken haben?
Etwa 2.500 Gedichte sind in diesen Bänden versammelt, davon etwa 150 neue, wobei auch Fragmente von zwei und vier Zeilen großzügig mitgezählt werden. Ursprünglich hatte man vor, die Fragmente gesondert zu drucken, nun sind sie, ebenso wie die Lieder und Gedichte aus Stücken und Prosa in die chronologische Reihenfolge eingegliedert. Die ersten beiden Bände umfassen die Gedichte, die Brecht selbst zu Zyklen zusammengefügt hat. Seine Gedichte „unter den Hut des Verfassers in meinem Fall die Mütze zu bringen“, das tat er gern und oft und aus Prinzip: „Jedes Gedicht“, so Brecht, „ist der Feind jedes anderen Gedichts und sollte also allein gelesen und herausgegeben werden. Gleichzeitig benötigen sie einander, ziehen Kraft auseinander und können also vereint werden.“ Die ersten beiden Bände enthalten 21 Zyklen, sieben davon stellte Brecht zwar zusammen, doch wurden sie zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt: die frühen „Lieder zur Klampfe von Bert Brecht und seinen Freunden. 1918.“ und die „Psalmen“, sowie die drei Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre entstandenen Sonettsammlungen, dazu die „Hollywoodelegien“ und die „Gedichte im Exil“. Der vorletzte Zyklus, die berühmten „Buckower Elegien“, umfaßt 22 Gedichte, von denen er allerdings nur sechs drucken ließ; das Gedicht „Die Lösung“, um dessen Pointe willen (die Regierung solle ihr Volk auflösen und ein anderes wählen) wir Besitzer der grauen Pappbände den listigen Verfasser doch so liebten, war nicht dabei. Dafür erfahren wir nun im Kommentar, daß sich Brecht diese freche Frage nicht aus Anlaß des 17. Juni 1953 aufdrängte, er sie vielmehr aus einem Turandot-Entwurf der frühen dreißiger Jahre übernahm. Macht nichts: Sie fällt ihm zur rechten Zeit wieder ein.
Während sich der Leser in Band eins und zwei auf von Brecht selbst autorisierte Druckfassungen verlassen kann, wird es in den folgenden Bänden unübersichtlicher, dafür aber reizvoller. Brecht legte an seine Texte allerstrengste Maßstäbe. Nur ein Fünftel des hier versammelten Materials erschien zu seinen Lebzeiten im Druck. Posthum ist er nun dem Ehrgeiz seines Herausgebers, des Literaturwissenschaftlers Jan Knopf, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und der muß, getreu dem editorischen Berufsethos, nach dem Prinzip alles oder nichts verfahren. Das mag manchem übertrieben vorkommen, doch hätten sich die vielen Herausgeber seit vierzig Jahren nicht so gewissenhaft des Nachlasses bemächtigt, wir hätten so gültige Gedichte wie „Das Lieblingstier des Herrn Keuner“ oder „Vergeblicher Anruf“ oder „Vergnügungen“ oder „Entdeckung an einer jungen Frau“ – gut das halbe Inhaltsverzeichnis ließe sich wiedergeben – nie zu Gesicht gekriegt. Allerdings auch nicht solche Schnipsel wie „Ich wurde im Frühling empfangen / so ward ich im Winter geboren“, oder die platte Polemik der „Bonner Bundeshymne“, die diese Ausgabe zutage gefördert hat. Manchen wird es hart ankommen, weil es so gar nicht in sein Brecht-Bild paßt, wenn der Siebzehnjährige in Lokalzeitungen den Kaiser anhimmelt und, fasziniert vom romantischen Soldatenleben, textet:
das ist so schön, schön über all Ermessen
daß Mütter klaglos ihre Söhne sterben sehen
Oder wenn er kindlich reimt:
Juni: raunt es und jubelt im Rauschen der Bäume
und in der Vögelein Liederträume: Heißa der Sommer ist da.
Und wenn der Fünfzehnjährige einem Gleichaltrigen den Rat gibt: er möge „im dumpfigen Arbeitsraum“ nicht „ganz deiner Jugend duft’ges Wesen von dir legen“, so ist das einfach komisch. Nein, ein Wunderknabe war Brecht nicht, aber ein begabter, nachdenklicher Youngster, der immer dann besonders gut schreibt, wenn er vergessen kann, daß er es nach Programm und für die Ewigkeit tut, so etwa als Jugendlicher in den Briefgedichten an eine Familie Reitter oder an den Bruder Walter, später in den leichthin notierten Botschaften an seine Geliebten.
Auch als genauer Beobachter und satirischer Berichterstatter gibt er sich bereits in „Die Leute“ und „Die Musik“ zu erkennen. Wie denn überhaupt schon in den frühesten Gedichten die meisten Themen und Motive enthalten sind: die Wolke, der Himmel, die See, der Baum, der unverstandene, gescheiterte Held, die Mutter als leidende, aufopferungswillige Frau, sogar die Havannah ist schon mit im Spiel. Der balladeske Tonfall ist schon da. Und der Befehlston: Im Gebrauch des Imperativs ist Brecht Weltmeister!
Während also die ersten beiden Bände Gedichtgruppen enthalten, die, ob nun zu dessen Lebzeiten gedruckt oder nicht, doch alle das ausdrückliche Plazet des Autors haben, mischen die Bände drei bis fünf Einzelgedichte, die schon zu Brechts Zeiten erschienen, mit Gedichten und Fragmenten aus dem Nachlaß, die bereits gedruckt sind; dazu kommen nun noch die Erstdrucke dieser Ausgabe. Im Druckbild erscheinen diese Unterschiede nicht, dort stehen die Texte gleichberechtigt nebenbeziehungsweise in chronologischer Reihenfolge nacheinander. Dies macht die fortlaufende Lektüre holprig und mühselig, betont aber auch den von Brecht stets hervorgehobenen „work in progress“-Charakter seines Werks.
Mithin sind die Bände nichts für Leser, die literarisches fast food gewöhnt sind, Editionen, mit Vorwort, Nachwort und Leseanleitung gepolstert. Sie verlangen einen aktiven, neugierigen, entdeckungsfreudigen Leser, der das Kleingedruckte nicht scheut. Denn dieses ist das eigentlich Große dieser Ausgabe: Sie bietet philologische Detektivarbeit par exellence. Hier erfährt man endlich genau, wie, warum und wie oft Brecht es tat; beim Vergleich der unterschiedlichen Fassungen, der Gedichte mit den Vorlagen, die Brecht bekanntlich häufig benutzte, vor allem aber an den Hinweisen auf biographische und historische Hintergründe und die Wirkungsgeschichte der Texte wird der Leser sein Vergnügen haben. In ihrer lakonischen Objektivität lassen die Kommentierungen mitunter den Atem stocken wie ein Brecht -Gedicht, wo auch die Tragödien zwischen den Zeilen spielen. So heißt es zu „Nacht auf der Nyborgschaluppe“, das Brecht für seine Geliebte Ruth Berlau schrieb:
Während des finnischen Exils wohnen die Brechts im Sommer 1940 (ab Juli) auf Hella Wuolijokis Gut Marlebäck; Ruth Berlau kommt später nach und wohnt in einem Zelt.
Aufschlußreich über den Einzelfall Brecht hinaus, da immer auch ein Stück deutsche Literaturgeschichte spiegelnd, sind vor allem die Anmerkungen zur Wirkungsgeschichte der Texte. So ist der, anläßlich der 3. Weltfestspiele der Jugend und Studenten für den Frieden geschriebene und der FDJ gewidmete strammpolitisch dürre „Herrnburger Bericht“, der das obenzitierte „Spottlied“ enthält, der FDJ-Leitung immer noch suspekt, weil als einziger Name Ernst Busch auftaucht, weder Walter Ulbricht noch „unser verehrter Präsident Wilhelm Pieck“. Da sich Paul Dessau, der seit seiner Musik zum Verhör des Lukullus ohnehin unter Beschuß steht, der Meinung der FDJ anschließt, gibt Brecht nach und streicht am Ende, nachdem man bei den Proben den Namen Ernst Busch durch Helene Weigel ersetzt hatte, das ganze Gedicht „Einladung“. Die Zürcher Zeitung Die Tat kürte Brecht ob dieser Texte zum „Hofpoeten Pankows“, und Wolfgang Weyrauch trauert in etwas verquältem Deutsch, daß „man den neben Gottfried Benn und Thomas Mann größten lebenden deutschen Dichter, Bertolt Brecht, zur Strecke des Verrats an der deutschen Dichtung gebracht“ habe. Man fragt sich, wieso der „Herrnburger Bericht“, eine Sammlung von zehn Gedichten, die neben versifiziertem ideologischem Schrott doch auch die innigen „Bitten der Kinder“ enthält, in den ersten beiden Bänden mit den Sammlungen fehlt. Hatte der Herausgeber Erbarmen mit dem Autor und versteckte die Mixtur deshalb in Band fünf?
Brechts Gedichte wurden von Anfang an immer auch mit ideologischer Elle gemessen, was Wunder, wo er sich nach besten Kräften „als sein eigener Vampir mit Doktrinen das Blut abzapft“, wie Karl Kraus es schon in den dreißiger Jahren formuliert; was Kraus, im Unterschied zu manch anderem Kritiker, nicht hindert hinzuzufügen, daß „alle zusammen (Erich Kästner, Kurt Tucholsky unter anderem) das Wasser, aus dem sie schöpfen, nicht dem eines Brecht reichen (können)“. Er hat dabei besonders das berühmte Gedicht „Die Liebenden“ im Auge, auch als „Gesang der Kraniche“ bekannt, mal 20, mal 23 Zeilen; jetzt heißt das Gedicht ein für allemal „Terzinen über die Liebe“, und so ist es in der Edition auch gedruckt.
Neue Titel gibt es zuhauf; doch macht der Herausgeber für die verwirrten Pappbandleser den Cicerone, indem er sie im Gesamtregister mittels Pfeilen von den alten zu den neuen Titeln lotst. „Überhaupt“, so Jan Knopf, „sehen fast achtzig Prozent der Texte jetzt anders aus als früher.“ Das geht von Kleinigkeiten wie „Bidi im Herbst“ statt „Biti im Herbst“ bis zu Verdoppelungen, etwa wenn „Vor Jahren in meiner verflossenen Arche“ jetzt acht statt vorher nur vier Strophen hat. Dafür scheiden manche Texte aus: „Als der Klassiker am Montag“ ist eindeutig von Margarete Steffin, jedoch keines Falls ein Fall Goethe / von Willemer, da posthum gedruckt; ein anderes Gedicht stammt aus Des Knaben Wunderhorn, wieder andere von einem Mitarbeiter Brechts. „Meine Mutter“, in einer Frankfurter Anthologie der Frankfurter Allgemeine Zeitung als Meisterwerk der frühen Lyrik gefeiert, das „die Gedichte des späten Brecht nicht mehr übertreffen“ kann, hat sich nun als Tagebuchnotiz in Prosa herausgestellt. Doch spricht das wirklich dem Interpreten Hohn? Er war halt ein Pappbandleser.
Als sie nun aus war, ließ man in Erde sie
Blumen wachsen, Falter gauklen darüber hin…
Sie, die leichte, drückte die Erde kaum
Wieviel Schmerz brauchte es, bis sie so leicht ward!
Und sprechen die Zeilen nicht zuletzt für die enorme poetische Substanz des Brechtsehen Œuvres, dessen Herzstück zweifellos die Lyrik ist?
Andere Texte wiederum erscheinen zwar bekannt, aber auf merkwürdige Weise verfremdet:
Im Gewitter der Rosen
ist die Nacht von Dornen erhellt und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen
Folgt uns jetzt auf dem Fuß.
Das klingt nach Bachmann, und sie ist es auch. Brecht bekam 1954 ihren ein Jahr zuvor erschienenen Gedichtband Die gestundete Zeit in die Hände und unterstrich darin die Verse, „die er als haltbar einschätzte“, so der Herausgeber; im Klartext, er stutzte die Bachmann so lange zusammen, bis Brecht daraus wurde. Hemmungslos nimmt sich der Verfasser, was er gebrauchen konnte, und macht sich auch nicht die geringste Mühe, einer anderen als der eigenen Vorstellung von Poesie zu folgen. Was wäre übriggeblieben von Brecht, wäre die Bachmann seinen Gedichten so hochfahrend begegnet wie er den ihren? Vor allem den politischen? Es macht doch auch diese Edition wieder klar, wie lächerlich es ist, politische Meinung zu versifizieren, wie ja jedes In-Dienst-Nehmen von Kunst ihre Vernichtung bedeutet.
Schließlich zeigen diese fünf Bände Bertolt Brecht noch einmal als gewaltigen Arbeiter und Verwerter. Kein neues Brecht-Bild also, aber wir können unser Bild von ihm bestätigen und ergänzen, indem wir von Gedicht zu Gedicht der Sache selbst auf den Grund gehen, jeder Leser ein Forscher. Die Edition macht Brecht nicht größer und nicht kleiner, aber lebendiger, indem sie ihn der widerstandslosen Konsumierbarkeit entzieht. Liebhaber seiner Gedichte dürfen sich getrost weiterhin an all dem Schönen freuen, das sie schon kennen, egal, ob es nun „Terzinen über die Liebe“ oder „Die Liebenden“ heißt; und es wird auch in Zukunft genügend Auswahlbände auf der Grundlage dieser Edition geben. Zum ganzen Künstler Brecht gehören jedoch auch seine immer neuen, überbordenden Anläufe, seine Trivialitäten, seine Irrtümer und Verranntheiten. Gehört seine List, die er nicht müde wurde, als eine zum Überleben notwendige Tugend zu rühmen. Bei seiner Rückkehr aus dem Exil wählte er den ostdeutsch-sozialistischen Teil Deutschlands; versehen mit einem österreichischen Paß, einem westdeutsch-kapitalistischen Verlag und einem Konto in der Schweiz.
Schreiben Sie, daß ich unbequem war und es auch nach meinem Tod noch zu bleiben gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten.
Diese Edition ist eine.
Allen, die gerade keine Brecht-Ausgabe zur Hand haben, möchte ich doch Lust auf das Lesen seiner Gedichte machen. Hier ist sein schönstes:
TERZINEN ÜBER DIE LIEBE
Sieh jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon, als sie entflogen
Aus einem Leben in ein andres Leben.
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß also keines länger hier verweile
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Und keines andres sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen.
So mag der Wind sie in das Nichts entführen;
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
So lange kann sie beide nichts berühren
So lange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds wenig verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin, ihr?
aaaaaaaaaNirgendhin.
Von wem entfernt?
aaaaaaaaaaaaaaaVon allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?
Seit kurzem.
aaaaaaaaaaUnd wann werden sie sich trennen?
Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.
Ulla Hahn, 1993, aus Ulla Hahn: Dichter in der Welt, Deutsche Verlags-Anstalt, 2006
Erfahrungen mit Brecht. Therese Hörnigk im Gespräch mit Friedrich Dieckmann
Brecht – Die Kunst zu leben. Ein Fernsehporträt von Joachim Lang aus dem Jahre 2006
Hans Mayer: Gelegenheitsdichtung des jungen Brecht
Ernst Fischer: „Das Einfache, das schwer zu machen ist“
Günter Berg / Wolfgang Jeske: Bertolt Brecht. Der Lyriker
Albrecht Fabri: Notiz über Bertolt Brecht, Merkur, Heft 33, November 1950
Walter Jens: Protokoll über Brecht. Ein Nekrolog, Merkur, Heft 104, Oktober 1956
Günther Anders: Brecht-Porträt. Tagebuch-Aufzeichnungen Santa Monica 1942/43, Merkur Heft 115, September 1957
Martin Esslin: Bert Brecht Vernunft gegen Instinkt, Merkur, Heft 163, September 1961
Robert Minder: Die wiedergefundene Großmutter. Bert Brechts schwäbische Herkunft, Merkur, Heft 217, April 1966
Hannah Arendt: Quod Licet Jovi… Reflexionen über den Dichter Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur Politik (I), Merkur, Heft 254, Juni 1969
Hannah Arendt: Quod Licet Jovi… Reflexionen über den Dichter Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur Politik (II), Merkur, Heft 255, Juli 1969
Sidney Hook, Hannah Arendt: Was dachte Brecht von Stalin. Nochmals zu Hannah Arendts Brecht-Aufsatz, Merkur, Heft 259, November 1969
Wilhelm Girnus: Nationalbewusstsein in Brechts Lyrik, Sinn und Form, Heft 5, 1964
Iring Fetscher: Brecht und der Kommunismus, Merkur, Heft 304, September 1973
Günter Berg und Wolfgang Jeske: Der Lyriker
Bernd-Peter Lange: Walter Benjamin und Bertolt Brecht am Schachbrett, Merkur, Heft 791, April 2015
Forschungsliteratur zur Lyrik Bertolt Brechts. Stand 1.7.2015
Bertolt Brecht und weitere Sprecher: Lesungen und O-Töne 1928–1956 in Washington und Berlin. Sammlung Suhrkamp Verlag: Tonkassette 116
Hans Magnus Enzensberger: Überlebenskünstler Bertolt Brecht
GEDICHT FÜR BRECHT UND DEN KOMMENDEN HERBST
Die Wirklichkeit Herr Kollege ist manchmal wirklich
etwas was einem vom Hörensagen her so vertraut ist
daß einem bei dem Gedanken daran Herr Kollege die Zeit
schneller vergeht als der Kalender es anzeigt sie ist
nichts als ein Symbol für den Mangel an allen besseren
Möglichkeiten sie zu verändern Herr Kollege wir stehen
mit einem Bein auf dem Boden der Tatsachen und mit dem
anderen auf dem Boden der Träume wir tanzen Tango
mit der Dialektik es kann nicht ausbleiben daß man
sich dabei auf die Füße tritt denn sogar die
Kaninchenzüchter werben in ihrem Mitteilungsblatt
für die Aufzucht von Hühnern seit sie erkannt haben
daß Veränderung not tut Herr Kollege die Wirklichkeit
ist in den Abgrund gefallen und begegnet uns dort
als Wortgeflimmer aus einer anderen Zeit als man noch
anders liebte als auf dem Bildschirm und anders starb
als in der Zeitung Herr Kollege wir wollen uns nicht
beklagen uns hält was zerfällt das ist die einzig
mögliche Hoffnung auf einen Anfang im kommenden Herbst
Herr Kollege wenn der Sommer vergangen sein wird und
der nächste Frühling und Winter bevorstehn bis dahin
aber kommen die Störche mit ihren schwarzweißen Federn
picken uns von der Straße auf und fliegen nach Afrika
Werner Söllner
PORTRÄT DES B. B.
Kennt viel,
zweifelt oft,
geniesst alles.
War kaum gut,
oft gerecht,
immer tätig.
Sein Trost
sind Naturgesetze.
Er ist belehrbar.
Heinz Kahlau
Wolfgang Greisenegger: Von Wahrheit und Widerspruch
Die Furche, 12.2.1998
Nils Schniederjann: Das umkämpfte Erbe des kommunistischen Dramatikers
Deutschlandfunk Kultur, 10.2.2023
Karin Beck-Loibl: Genie und Polyamorie
zdf.de, 10.2.2023
Hubert Spiegel: Briefmarke zum 125. Geburtstag
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.2023
Christopher Beschnitt im Gespräch mit Jürgen Hillesheim: „Über die Political Correctness würde Brecht die Nase rümpfen“
Cicero, 10.2.2023
Ronald Pohl: Mit Bertolt Brecht die Kunst des Zweifelns erlernen
Der Standart, 10.2.2023
Theater und mehr: Zum 125. Geburtstag von Bertolt Brecht
ardmediathek.de
Jan Kuhlbrodt: Eine Intervention
signaturen-magazin.de
Otto A. Böhmer: Die gewissen Möglichkeiten
faustkultur.de, 10.2.2023
Brechtfestival Augsburg vom 10.–19.2.2023
Bertolt Brecht: Lob des Lernens gesungen von Nina Hagen 2016 in Potsdam.
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