TUPFEN DER ZUKUNFT
Als ich das Mönchsein wählte, mied ich
die Mauern der gedeuteten Welt. Ich bezog
Distanz zur Vollendung. Vor mir lagen siebzig Berge,
Hoffnung durch alle Ozeane. Von Nicht-Orten
durchartete ich die letzten Korallen
bis zum Hort der
Knochenfische. Auch sie lebten im Rückzug:
wasserscheu und unseren
Strömen zugeordnet.
Vor meiner Entsagung brauchte ich Licht
für tausend Jahre im Grab der Existenz.
Schon im Vermuscheln sah ich das
Seepferdchen, das Tupfen der Zukunft gebar.
Es schickte seine Kinder in die einst noch
schützende Finsternis.
Nur das Schimmern von Krill war eine
Sternstraße für Zeugen, scheu vor Sehnsucht
trieb mich der Lärm auf die unsichtbare Bahn
opalen weitete sich unterhalb der Landschaft der Klagen
ein Kosmos: Funken schlugen, wo
keine sein konnten, ich sah Spiegelungen
im Plankton zur Veränderung der Tiefe.
ein Ich kehrt noch einmal zu seinem Geburtshaus zurück, das sich inzwischen hinter Efeuranken verschließt, derweil kreisen Gefühle um eine längst zur Chimäre gewordene Liebe – die neuen Gedichte von Björn Hayer berichten von Momenten des Umschlagens und der Verfremdung. Zugleich zehren sie von dem unbeirrbaren Versuch, Verlorenes wieder zu vergegenwärtigen. Und während ein Regen die Sonnenanbeter in Wallung versetzt und die Toten ins Diesseits rufen, ringt ein Subjekt immer wieder mit Blättern. Sie fallen von den Bäumen oder begegnen ihm als das weiße Papier. Was bietet die Fläche? Das Nichts oder doch die noch ungenutzte Möglichkeit? Klar ist: „Dichten, frei über der Erde, / ist das fünfte Element“. Sie setzt die Welt neu zusammen und vermag aus der Ferne heraus zum Nächsten zu drängen: „Vom Rande deines Tals höre ich / das Echo: Schlaf ein und bette dich, / bevor der Morgen anbricht.“ Denn dann könnte alles schon vorbei und die Verschwörung von Natur, Traum und Bewusstsein vollends im Gange sein.
Quintus Verlag, Ankündigung
Stefan Hölscher: Die Erde befühlen
signaturen-magazin.de
Timo Brandt: Björn Hayer: Verschwörung einer Landschaft
instagram, 5.2.2022
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