Breyten Breytenbach: Kreuz des Südens, schwarzer Brand

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Breyten Breytenbach: Kreuz des Südens, schwarzer Brand

Breytenbach-Kreuz des Südens, schwarzer Brand

UNTERWEGS ZUM KREUZ DES SÜDENS

Nun gibt es keine Lichter mehr
keine komplexen Städte
oder Paläste mit Harems und Kraftwerken;
die letzten Ölfeuer der Sahara liegen hinter uns und
aaaaasieh
draußen fällt gerade noch ein blasser Schimmer von
aaaaaLicht
über Flügel und Rumpf
die Straßen leuchten unter suchenden Sternen

Eine helle Wolke steht niedrig am Horizont
an Backbord: der Gott der Träume
fast der Kern des Weißen
aber auch das Gebet um Regen

Denn so über Afrika zu fliegen
ist eine Abstraktion –
hier dröhne ich im Bauch des Blechvogels
in weichen Polstern
über den schwülen Kontinent der Eulenschreie, des Schweißes,
der Pygmäen, Pyramiden, Ruinen, Wälder
und zuweilen des klareren Wissens um Furcht und Ekstase
also auch die Heimat meines Sprechvogels

Unten ist es warm – ich weiß
was mir wie Silbermehl der Sterne und Romantik vorkommt
liegt da wie heiße graue Tiere und hechelt Staub in Bäume:
hier haben Baum und Gras ja doch kein Grün

Grün ist europäisch, ist Gepflegtheit und Überfluß –
in Amsterdam hatte jede Wasserpfütze
ihre Wolkenboote und ihr Unschuldsblau;
In Basel raschelte der Schnee wie eine Heuschreckenplage
des Friedens
über die Hügel, sachte und gefügig, eingepfercht
und festgelegt und vorbestimmt –
hin und wieder noch von der Stimme eines Bob Dylan aufgerissen
(und das ist schon wieder Amerika, Museum und Retorte
der Neurose: was auch das Wesen des Weißen ist
und das Gebet um Befruchtung?)

Aber in Bengasi hängt afrikanischer Staub in der Luft
dringt in die Nase, stehen andersartige Bäume und schöpfen Atem
und die kleinen weißen Früchte am Himmel werden
eine Vorspeise an der Tafel vom Kreuz des Südens:
unter dem ich Treu und Glauben nachmessen kann
um wieder ich zu sein: die Gewißheit bleibt doch bis in alle Ewigkeit
(oder stimmt das nicht?) 

Afrika mein Afrika
Land, das auch Gott ist –
Du traust dich nicht, eine Abstraktion zu sein
darfst nicht am Fleisch meines sternenbefruchteten Gedächtnisses riechen
Du bist mein Plasma und mein Mark
mein Samen, meine Hülse, meine Schutzfrau
unendliche Blume der Nacht o Riese der Sättigung
du Spinne der Tage tiefstes Herz des Schmerzes
und kannst Du als Begriff nicht bestehen so mußt Du es – ins Wasser geworfen
Afrika: mein Ich

 

 

 

Nachbemerkung 

Im afrikanischen Sommer 1972/73 machte der Maler und Schriftsteller Breyten Breytenbach nach dreizehnjährigem Pariser Exil zum erstenmal zusammen mit seiner Frau Yolande eine Reise in seine Heimat Südafrika, eingeladen von der Universität Kapstadt, die in der zweiten Februarwoche 1973 eine ,somerskool‘ (,Sommerschule‘) über Afrikaans-Literatur organisierte. Die Ermöglichung dieses Besuchs war für die Breytenbachs wie für die Presse eine Überraschung, da sich bis dahin die südafrikanische Regierung stets geweigert hatte, für Breytenbachs Frau ein Visum auszustellen: die Ehe ist in Herrenvolks-Augen ungültig und strafbar aufgrund des Gesetzes gegen Mischehen. Dies war auch der Grund dafür, warum Breytenbach seit langem in Paris lebte, obwohl in Südafrika regelmäßig Bücher von ihm veröffentlicht, öfters auch preisgekrönt wurden. Für die ,somerskool‘ hatte die südafrikanische Regierung offensichtlich dem Druck zahlreicher Afrikaans-Schriftsteller nachgegeben und Breytenbachs Frau zur ,ere-blankie‘ (,Ehren-Weiße‘) ernannt.
Das Eintreffen der Breytenbachs war den meisten südafrikanischen Zeitungen die Schlagzeile wert. Nachdem Breytenbach jahrelang wegen seiner Ansichten angegriffen, als Terrorist und Maoist bezeichnet worden war, wurde er plötzlich, nach bekannter schizophrener Landessitte, als verlorener, in den Schoß des Volkes zurückkehrender Sohn umarmt:

Der Besuch von Breyten und Yolande ist für die südafrikanische Literatur so wichtig wie eine Mondlandung.

Aber der verlorene Sohn zeigte keine Reue: Während des Symposions in Kapstadt hielt er seine berühmte Rede „Ein Blick von draußen“, die den größten Teil des anwesenden erlesenen Publikums tief verletzte:

Wie alle Bastarde, die sich ihrer Identität nicht sicher sind, sind wir Anhänger des Begriffs ,Reinheit‘ geworden.

Der eigentliche Adressat der Rede war die Avantgarde der afrikaans-sprachigen Schriftsteller, die sogenannten ,sestigers‘ (,Sechziger‘), eine Gruppe, deren Arbeiten zum größten Teil zuerst in den sechziger Jahren in der Zeitschrift Sestiger erschienen war. Auch Breytenbach gehörte ihr an. Diese Autoren begannen – zum Teil außerordentlich polemisch – die traditionellen (weiß) afrikanischen Werte infrage zu stellen, stark beeinflußt vom ,nouveau roman‘, was andererseits auch den Kontakt mit der südafrikanischen Realität vollends zu unterbrechen drohte. Dies war der Grund, weshalb sich die Gruppe 1968 spaltete; die neue Gruppe, um die Zeitschrift Kol (ihr gehörten Breytenbach, Andre Brink u.a. an), propagierte eine „engagierte Literatur und eine kompromißlose revolutionäre Kunst.“
Breytenbachs Poesie scheint, oberflächlich gesehen, diesen Prinzipien zu widersprechen – sie ist stark visuell, surrealistisch, assoziativ. Sie ist aber insofern engagiert, als sie der südafrikanischen Realität nicht ausweicht: Das Vorster gewidmete Gedicht heißt eben „Brief an den Schlächter“, die Weißen leben „auf den Schultern der Schwarzen, deren Leiber halb im Erdreich stecken: eine Granate!“ Und sie ist schließlich auch südafrikanisch als „Bastardliteratur“: das Fremde und das Lokale aufnehmend, Europäisches und Afrikanisches vermischend, Paradoxa assoziierend, stets auf der Suche nach der Grundlegung neuer Zusammenhänge mit der Wirklichkeit, nach dem „oomblik-van-ontwaking“, dem Moment des Aufwachens, dem vom Zen-Buddhismus als satori bezeichneten Erleuchtungserlebnis:

Wenn dieses Ich die Wahl hätte, möchte ich im Gedächtnis behalten werden als ein Dichter des Erwachens. Nicht der Nacht. Ich möchte ein Dichter der Grenze sein, auf der der Mensch die Augen aufschlägt… (,Arsch poetica‘) 

Nach dreizehn Jahren Exil konfrontierte Breytenbach in der Kapstädter Rede seine Landsleute mit dem alten Problem: sozialer Bezug oder literarische Isolation – eine Alternative, die nicht akzeptiert werden konnte. Die Erfahrungen dieser Reise in das ,Paradies‘ seiner Jugend protokollierte Breytenbach in einem Bericht mit dem Titel „n seisoen in die paradijs“ – das Buch sollte 1974 erscheinen, wurde aber bis heute von der Zensur unterdrückt.
Zurück in Paris verstärkte Breytenbach seine politischen Aktivitäten. Im August 1975 wurde er in Südafrika mit einem falschen Paß verhaftet und am 26. November 1975 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich „seit 1972“ illegaler Aktivitäten schuldig gemacht haben soll, deren Ziel eine „revolutionäre Reform der südafrikanischen Gesellschaft“ gewesen sei. Ermittlungen und Verfahren dieses ungewöhnlichen Prozesses wurden von allen neutralen Beobachtern erheblich kritisiert. Der Beobachter der International Commission of Jurists aus Genf, Charles-Albert Morand, schreibt in seinem Bericht:

Das Verhalten des Beschuldigten während des Prozesses kontrastierte außerordentlich mit seinem früheren Verhalten, sodaß der Prozeß für lange Zeit von einem gewissen Geheimnis umgeben sein wird.

Es ist ziemlich sicher, daß Breytenbach gefoltert wurde. Zwei Revisionsanträge wurde von den höheren Instanzen verworfen; im Gegenteil: im Juni 1977 wurde das Verfahren wieder aufgenommen unter der Beschuldigung, Breytenbach habe vom Gefängnis aus politische Aktivitäten entfaltet und habe auszubrechen versucht; Hauptbelastungszeuge war einer der Bewacher (Breytenbach wird in seiner Zelle von einer Art Kanzel aus Tag und Nacht beobachtet).
Dem Prozeß vorausgegangen war eine Denunziationskampagne der südafrikanischen Polizei, die öffentlich den Eindruck zu erwecken suchte, daß Breytenbach seinen Überzeugungen abgeschworen und seine Kritik revidiert habe. Im Prozeß gelang es, die meisten Anklagepunkte im Kreuzverhör zu widerlegen. Breytenbach blieb in seinen Überzeugungen unnachgiebig und mußte – auch unter dem Druck der internationalen Solidarität – freigesprochen werden.
In der südafrikanischen Presse werden allerdings die Versuche, das ,Widerstandssymbol‘ Breytenbach zu diskriminieren, fortgesetzt: Die Rassisten müssen unter allen Umständen den Schein aufrecht erhalten, daß die unterdrückte schwarze Bevölkerung mit keiner Solidarität von weißer Seite rechnen kann.
Genau diesen Schein durchbricht das Werk Breytenbachs. Im zweiten Prozeß hat Breytenbach in seiner Rede vor Gericht die Rolle des Künstlers in Südafrika so beschrieben:

Ein Schriftsteller kann sich nicht erlauben, etwas zu verbergen. Selbst wenn er versucht, sich von seinem Land zu lösen, gelingt ihm dies nicht – er erfährt es wie ein Geschwür an seinem Körper. So bleibe ich auch meiner Sprache verbunden – sie ist eine Fortsetzung meines Selbst. 

Pieter Zandee1

Afrikaans, die Sprache Breyten Breytenbachs 

Die Geschichte und die heutige Situation des Afrikaans ist die des Landes.
Von den ersten holländischen Kolonisten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ins Kapland gebracht, nahm das Niederländische zuerst einige französische Vokabeln auf, von den Hugenotten eingebracht, die am Ende des 17. Jahrhunderts nicht nur nach Berlin, sondern auch nach Kapstadt flohen. Daneben waren es überwiegend Worte und Wendungen der Hottentotten (der Ureinwohner) und der Malaien (als Arbeitskräfte importiert), die ins Afrikaans (oder Burisch, wie es damals genannt wurde) eindrangen. Im 18. Jahrhundert begann dann das, was man die ,Kreolisierung‘ des Afrikaans nannte: Vereinfachung der Verbformen, der Grammatik und der Aussprache. Die Buren ließen ihre Kinder von Sklaven unterrichten, die Sprache wurde immer mehr zu einer bloßen lingua franca des Handels im südlichen Afrika.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit der Besetzung des Kaplands durch englische Truppen, begannen die über das Land verstreuten Buren langsam, ihre Sprache als verbindendes Element, als kulturelle Identität gegenüber dem englischen way of life zu begreifen. Zu dieser englischen Lebensweise gehörten auch Vorstellungen von Internationalität und Liberalität, die die Buren nicht akzeptieren wollten. Es begann der Exodus aus dem Kapland, der „große Treck“, der zur Gründung der Burenrepubliken Transvaal und Oranje führte.
Endgültig etabliert als nationales Symbol wurde das Afrikaans in den blutigen Burenkriegen (1899–1902), dem vergeblichen Versuch der britischen Kolonialmacht, die Buren zu anglisieren und zu unterwerfen. In diesem Krieg kämpften die Buren nicht nur isoliert von Europa, sondern praktisch gegen Europa: nationalistisch, partikularistisch. Das Afrikaans wurde nach der Gründung der Südafrikanischen Union (1909) bald zur Verkehrssprache, in den zwanziger Jahren erschienen die ersten belletristischen Werke.
Nach dem Zweiten Weltkrieg betrat mit dem Begriff „Apartheid“ der nationalistische Südafrikaner die politische Bühne; die Südafrikanische Republik löste sich aus dem Commonwealth (1961): Die Widerstandslieder wurden plötzlich zu Gesängen bei Hof, aus dem nationalen Befreiungskampf wurde ein monströser Nationalismus, fanatisch reaktionär und isolationistisch.
Die sprachliche Basis blieb schmal: Von etwa 25 Millionen Bewohnern der Südafrikanischen Republik, sprechen 2,5 Millionen Weiße afrikaans und 1,5 Millionen Weiße englisch, die 2,5 Millionen Mestizen überwiegend afrikaans, knapp 1 Million Inder und Malaien überwiegend englisch, die 17,5 Millionen Schwarzen zulu, sesotho oder andere schwarzafrikanische Sprachen, meistens zugleich englisch, bis vor kurzem häufig auch afrikaans.
Seit einem Jahrzehnt ist aber das Afrikaans bei den Schwarzen zum verhaßten Sinnbild der ,Apartheid‘ geworden: Die blutigen Revolten der schwarzen Vorstädte im Juni 1976, mit über 150 Toten, waren Revolten gegen die Einführung des afrikaans in den Mittelschulen.
Afrikaans ist heute eine sterbende Sprache, weil es, so Breytenbach, zum ,apartaans‘ geworden ist. 

Breytenbachs Poesie versucht, diese sprachliche und politische Verkümmerung zu durchbrechen: Neben zahlreichen Neologismen bringt er den Argot und das Vulgärvokabular in die Literatursprache ein, Fremdsprachiges und vor allem die politische Argumentation, das heißt die afrikanische Realität.

 

 

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Breyten Breytenbach liest auf dem XV. International Poetry Festival von Medellín 2005.

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