Bruno Hillebrand: Vom Wüstenrand

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Bruno Hillebrand: Vom Wüstenrand

Hillebrand-Vom Wüstenrand

KANTKRONE BIBLISCH

Vom Baum der Erkenntnis
hat er gepflückt
die sauren Früchte.

Bis er
das Fallobst sah
vergingen Jahre.

Spät erst
sieht er
in einem Gedicht
steht ein Baum
ein goldener Herbsttag
in einem anderen.

 

 

 

Bruno Hillebrand: Vom Wüstenrand

Bruno Hillebrand ist Professor für deutsche Literatur an der Mainzer Universität. Der Einundfünfzigjährige war in solchem Zusammenhange auch der Herausgeber einer neuen Gottfried Benn-Ausgabe der Gesammelten Werke in der Fassung des Erstdrucks. Daß Bruno Hillebrand daneben oder darüber, wie man wohl sagen muß, auch selber ein Verfasser von Gedichten ist, hat sich verhältnismäßig wenig in der Literatur herumgesprochen. Sein erster Gedichtband erschien schon vor zwanzig Jahren unter dem Titel Sehr reale Verse. Wenn man aber den Lyriker Hillebrand auf Gottfried Benn, sozusagen als Epigonen beziehen wollte, würde man sehr bald in die Irre gehen. Hillebrands Gedichte sind allenfalls Benn-Folgegedichte, wenn man den Bennschen Expressionismus von Dur in Moll verwandeln könnte. Bruno Hillebrand dichtet leise, dichtet monologisch, dichtet nicht mit dem mindesten Ehrgeiz in der Lyrik der Gegenwart seinen Namen zu befestigen.

Ich sammle meine Gedanken
dann werfe ich sie weit hinaus
ich sehe Kinder am anderen Ufer
mit Flußkieseln spielen
und sehe den Ringen nach.

Ich sitze unter der Weide
und warte auf andere Zeiten
die werden kommen
wenn der Fluß anschwillt
wenn ihr mich fragt Freunde
ich sage ja zu diesem Augenblick.

Das zitierte Gedicht ist „Ruhige Landschaft“ überschrieben und spiegelt etwas von dem leisen Ton, in dem viele der Hillebrandschen Gedichte gehalten sind.
Andrerseits würde man aber fehlgehen, in Hillebrand einen Dichter im Stile Mörikes oder Höltys zu vermuten. Die Zeitbeziehungen sind nicht nur in der rhythmisch freien Form und der Prosanähe gegeben, sondern auch darin daß diese sehr monologischen und aus verdeckten engen Beziehungen zu dem, was man das moderne Gedicht nennen würde, erzeugten Poeme ohne die geringsten Anlehnungen an Vorbilder und Einflüsse zu verstehen sind. Das klassische Gedicht hat ebenso wenig Bezug zu ihnen wie das Expressionistische oder dadaistische oder gar das politische und ideologische Gedicht. In allen diesen Richtungen bewahrt Hillebrand seine Zurückhaltung, die dann gerade die Eigenart seines eignen Gedichts bestätigt. Man kann diesen Band, wie auch schon die vier voraufgegangenen mit leisem Erstaunen zur Kenntnis nehmen, was denn an ihnen überhaupt Poesie in welchem Sinne auch immer sein soll. Solche Frage bleibt einem dann aber im Halse stecken, wenn man auf ein Gedicht im langsamen Durchlesen des Bandes stößt, das überschrieben ist: „Wurfsendung, die nicht ankam“: 

Was redet ihr
von Angst und atomarer Endzeit

War denn nicht immer schon
am Horizont der Riss
als sei nach der Explosion
das Kinn der Welt verrückt
und stehn geblieben.

Hillebrands Gedichte haben nicht, wie man hieraus vermuten könnte, zu Zeitfragen ein leidenschaftliches Bekenntnis, das sich in politische Ideologien auswirken könnte. Er steht diesseits wie jenseits davon, kaum daß er einmal so deutlich wird wie in diesem kleinen Gedicht. Er hat es mit dem „Wüstenrand“ zu tun unter dem er mehr etwas wie die Begrenzungen des individuellen Menschenlebens zwischen Geburt und Tod versteht. Nur die Liebe macht sich leise, aber auch sie nicht in eindeutigen Bekenntnissen, in seinen Gedichten als ein Erfahrnis und eine poetische Realität bemerkbar:

Oh gib mir du
was Liebe ist
das Wort
das sich selbst
bricht
die Lippe
zersplitternd
ohne Gnade
wenn die Zeit
vertan ist
entgegen allen Erwartungen.

Die konventionelle Kritik würde dergleichen schwerlich als Liebesgedicht anerkennen. Dennoch ist es ein solches, in der nur andeutenden Form des Verzichts auf das große Erlebnis. Überall ist eine solche innere Einstellung ein Untergrund, aus dem diese Gedichte im gegebenen zeitlichen Moment aufgestiegen sein müssen. Allemal steht ein Erleben hinter ihnen, nur ein solches, das sich auch im sprachlichen Ausdruck fast unmerklich macht. Hillebrand ist ein Weltkenner und unter vielem anderen auch einer des „Wüstenrandes“ im konkreten Sinne. Seine Reisen und wissenschaftlichen Aufträge haben ihn nach Japan und Amerika, nach Marokko und in andere überseeische Gebiete geführt. Der Wissenschaftler und Benn-Philologe hat aber daraus nur gelegentlich dichterische Motive bezogen, wenn in einigen Gedichten des Bandes über Afghanistan, Haiti oder, in der Geschichte zurück, zu Walter von der Vogelweide änigmatisch gesprochen wird. Am Wüstenrand ist keine leichte Lektüre, obwohl es zu solcher Illusion leicht verführen kann. „Bruno Hillebrand ist bisher einen eigenen Weg gegangen und dieses Buch zeigt erneut den Gewinn solcher Entschlossenheit“, wie es im Klappentext, der auch sonst meisterhaft formuliert ist, ausgesprochen wird. 

Rolf Wasung, Neue Deutsche Hefte, Heft 192, 4/1986 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Kalliope

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