STURM
es redet luft mit holz & holz mit luft
& luft mit stein & glas metall
dreht schraubenköpfe aus dem staub
in augenhöhe tanzt gewinde, sturm
(steckt hier & da ein knochenstück im haar)
es redet luft mit holz & holz mit luft
sind stirn & staub & hölzer auch
metall & glas im zwiegespräch
schweigt sich nichts aus wie anderntags
wo alles still im garten steht – wie abgetrennt
im ganzen steht – wie unerwähnt
ist Carl-Christian Elze zu Fuß und in der Luft unterwegs, durch lachsbelegte abendwolkenbrötchen und dunkelblaues veilchenfleisch, per Flugzeug und im Leichenwagen, auf verstörend bunten Spaziergängen zu Rohrverlegungen und Kühen am Elektrozaun. Sanft streicht er an Knorpelkanten entlang, besucht Benn in der Bozener Straße, rast über die zärtliche deutsche autobahn und lässt im Hochgebirge Echos widerhallen. Elzes Zugriff aufs Kreatürliche und Traumhafte ist beunruhigend und komisch zugleich. Vom Klang geführt und mit drängendem Puls treiben seine Gedichte mit Wucht voran in Gefilde, in denen man sich umschauen sollte.
Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke, Klappentext, 2009
Harald Hartung: Wenn Kühe küssen
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. 5. 2009
– Dichterleben. Ob Plagwitz oder Zentrum-Nord: Leipzigs junge Lyriker bilden keine Szene oder Schule, sondern dichten an vielen Orten. Fünf Porträts und 21 Gedichte. –
Eines der größten Probleme Leipzigs liegt knapp 200 Kilometer entfernt: Berlin. Dabei hat die Stadt der bundesdeutschen Hauptstadt durchaus etwas entgegenzusetzen und zwar ausgerechnet auf deren Hoheitsgebiet der Schönen Künste. Zum einen erblüht in Leipzig die klassische Musik in einer Üppigkeit, die dem Protestantismus ansonsten eher fremd ist. Zum anderen hat die zeitgenössische Malerei nicht zufällig hier Schule und dann auf der Welt das große Geld gemacht. Auch in Sachen Literatur besteht kein Anlass zur Bescheidenheit: In jedem Frühjahr verzeichnet das als Buchmesse getarnte Literaturfestival neue Rekorde. Zudem zeugen mehrere kleine Verlage und feine Zeitschriften von publizistischem Wagemut. Auch das Deutsche Literaturinstitut wäre nirgends besser aufgehoben als im Leipziger Musikerviertel zwischen Kunsthochschule und US-Konsulat.
Doch da ist noch etwas anderes, wodurch diese Stadt auf der literarischen Landkarte hervorsticht: Hier leben erstaunlich viele Dichter. Ja, ausgerechnet die Lyrik, diese vielleicht heikelste Gattung, hat sich in dem Biotop aus literarischer Infrastruktur, geringen Lebenskosten und städtebaulicher Unfertigkeit bestens eingerichtet. Was auch andernorts nicht unbemerkt bleibt: Gerade sorgt eine Leipziger Poetengeneration von Anfang- bis Mitte-Dreißig-Jährigen bei einschlägigen Gelegenheiten für Aufsehen und -hören. Und das, ohne eine eigene Szene darzustellen; es gibt keine festen Orte oder regelmäßigen Treffen, obwohl die meisten mit dem Deutschen Literaturinstitut ein gemeinsames Nadelöhr haben. Am besten also, man besucht die Dichter da, wo sie arbeiten: zu Hause.
Ein gefühlvoller Autist
Carl-Christian Elze ist erst vor vier Tagen eingezogen, was man der Wohnung nicht mehr ansieht. Die Einrichtung hat etwas Koloniales, sie geht zum Großteil auf Elzes Vater zurück, der im Zoo arbeitete: ein Löwenfell unter dem Sofa, ein Nilpferdfuß, Perserteppiche, massive Möbel aus dunklem Holz. Einen Hund hat er auch, aus dem Tierheim. Vermutlich ein Straßenhund: spielt nicht, baut sich abends beim Spazierengehen Schlafplätze und gibt die ganze Zeit nicht den geringsten Laut von sich. „Ich schreibe jetzt erst die Gedichte, die ich immer schreiben wollte“, sagt Elze mit einer leicht brüchigen Stimme, die an Hörbücher erinnert.
Sie sind sehr viel persönlicher. Ich habe keine Angst mehr ungeschützt zu sein, ich habe keine Angst mehr ,Ich‘ zu sagen.
Elze steht mehrfach mitten im Satz auf, einmal geht er kurz Zigaretten kaufen und nimmt danach den Faden mühelos wieder auf: „Es ist schade, dass viele, die selbst keine Gedichte schreiben, sich von Gedichten einschüchtern lassen, bei denen sie nichts empfinden. Sie suchen den Fehler bei sich“, sagt er nachdenklich. Seine Sätze wirken an manchen Stellen fast einstudiert:
Angst vor Kitsch, Angst vor Pathos, Angst vor zuwenig Intellektualität – und schon wird es krumm oder lau oder viel zu gelehrt.
Im übernächsten Frühjahr erscheinen 101 Gedichte von Carl-Christian Elze unter dem Titel 101, sein dritter Lyrikband. Er findet, man müsse als Dichter zu seinem Verständigungswunsch stehen. Am besten Menschen gegenüber, die glauben „gegen Gedichtkörper immun zu sein.“ Doch beim Schreiben ist das etwas anderes:
Beim Schreiben darf man nicht ans Publikum denken. Da muss man Autist sein, aber voller Gefühl. Ein gefühlvoller Autist.
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