DAS LEBEN BORODINS
Das nächste Mal, wenn ihr Borodin hört,
denkt daran, daß er eigentlich Chemiker war,
der nur komponierte, um sich zu entspannen.
Sein Haus war voll von Leuten:
Studenten, Künstlern, Trinkern, Schnorrern,
und er konnte einfach nie ,nein‘ sagen.
Das nächste Mal, wenn ihr Borodin hört,
denkt daran, daß seine Frau
seine Notenblätter dazu benutzte
um Katzenkörbe auszulegen
oder Sauermilch-Schüsseln abzudecken.
Sie litt an Asthma und Schlaflosigkeit
und gab ihm weich gekochte Eier zu essen,
und wenn er unter die Bettdecke kriechen wollte
um dem Lärm im Haus zu entgehen,
durfte er sich nur mit dem Laken zudecken.
Außerdem lag meistens schon jemand
in seinem Bett.
Sie schliefen getrennt, wenn sie
überhaupt mal schliefen,
und da gewöhnlich alle Stühle besetzt waren,
schlief er oft auf der Treppe,
eingewickelt in einen alten Schal.
Sie sagte ihm, wann er sich die Nägel zu schneiden hatte,
er durfte nicht singen, nicht pfeifen,
sich nicht zu viele Zitronenscheiben in seinen Tee tun
oder mit dem Löffel auspressen.
Symphonie Nr. 2 in h-moll
Fürst Igor
Steppenskizzen aus Mittelasien
Er konnte nur schlafen, wenn er sich ein schwarzes Tuch
über die Augen legte.
1887 ging er zu einem Ball
der Medizinischen Akademie,
er trug eine farbenfrohe Nationaltracht,
endlich schien er mal so richtig froh zu sein,
und als er umfiel, dachten alle
er mache einen Scherz.
Das nächste Mal, wenn ihr Borodin hört,
denkt daran.
… An jenem ominösen Abend kostete es 10 Mark Eintritt in der Markthalle. Der Mann vorn an der Tür wollte auch von mir Geld haben. Ich machte ihm klar, daß ich es war, der die Lesung halten sollte. Später sagte man mir, daß sie 300 Leute wegschicken mußten. Ich brachte 1.200 in den Saal, und es gab nur für 800 Sitzplätze, Günter Grass hatte, wie man mir sagte, auch dort gelesen und nur 300 Leute angelockt. Was natürlich nicht heißt, daß ich ein besserer Schriftsteller bin. Es ist alles eine Sache dessen, was die Leute wollen: Billy Graham oder Bob Hope hätten ein Fußballstadion gefüllt.
Ich ging rein. Der Saal war rauchgeschwängert, man konnte die Rauchschwaden zur Decke hochziehen sehen. Das Publikum war betrunken und auf Trip und nüchtern und verrückt. Es waren alle Plätze besetzt, und die Leute saßen auch noch in den Gängen. Einige waren in den Dachstuhl geklettert. Es war heiß, die Luft war stickig. Wir waren an den äußeren Sitzreihen und versuchten uns nach vorn zu arbeiten. Der Tisch, an dem ich lesen sollte, war ganz weit vorn, grell beleuchtet, umgeben von Fernsehkameras und voll von Mikros.
Und da war dieses Publikum, all diese Leiber, die mich sehen wollten, die mich hören wollten. Sie warteten auf die Zaubervorstellung, auf das Wunder. Ich fühlte mich elend. Ich wäre lieber auf der Rennbahn gewesen oder zu Hause und hätte was getrunken und Radio gehört oder die Katze gefüttert oder sonstwas gemacht, geschlafen, das Auto vollgetankt, ja sogar einen Termin beim Zahnarzt hätte ich noch vorgezogen. Ich drückte Linda Lees Hand, fast erschrocken. Die Stunde der Wahrheit war gekommen.
„Carl“, sagte ich. Er stand dicht bei mir.
„Carl, ich brauche jetzt was zu trinken.“
Carl, die gute Seele, wußte Bescheid. Genau hinten oberhalb von uns war eine kleine Theke. Carl bestellte etwas durch das Geländer hindurch.
Die Menge stand geballt, wie ein Tier, wartete.
Der Alkohol tat gut. Schon das Glas halten half. Ich stand da und trank aus. Dann arbeiteten wir uns durch die Körpermassen durch und wollten nach vorn zur Bühne. Wir kamen nur mühsam vorwärts. Wir mußten uns einfach zwischen Körpern hindurch und über sie hinweg zwängen. Sie standen Schulter an Schulter, Arsch an Arsch. Normalerweise mußte ich vor jeder Lesung immer kotzen; das ging aber hier nicht… Ein paar erkannten mich, und eine Hand wurde ausgestreckt und sie hielt eine Flasche. Ich trank aus jeder Flasche, während ich mich nach unten zur Bühne durchboxte. Als ich näher an die Bühne rankam, nahm mich das Publikum zur Kenntnis.
„Bukowski! Bukowski!“ Ich fing selbst an zu glauben, daß ich Bukowski war. Ich mußte es ja auch. Als ich die Bühne betrat, gab es bei mir einen Ruck. Meine Angst verschwand. Ich setzte mich hin, griff in den Sektkühler und machte eine Flasche von diesem guten deutschen Weißwein auf. Ich steckte mir eine Bidi an. Ich probierte den Wein und holte meine Gedichte und Bücher aus der Mappe. Jetzt endlich war ich ruhig. Ich hatte das alles schon 80mal vorher erlebt. Es war in Ordnung. Ich fand das Mikro.
„Hallo“, sagte ich, „tut gut, wieder hier zu sein.“ Ich hatte dafür 54 Jahre gebraucht.
Ein junger, hagerer Deutscher rannte auf die Bühne und sagte:
„Bukowski, du fette Sau, du Schwein, du alter Drecksack, ich hasse dich!“
Das war immer gut, ich konnte mich entspannen. Es nahm auch die ganze Feierlichkeit raus aus den Gedichten. In Amerika gab es viele wie diesen jungen, hageren Deutschen.
Ich trank noch ein Glas Wein und schaute ihn an, wie er nicht aufhörte, mich anzuschreien. Ich hatte schon immer gesagt, wenn du es schaffst, daß sie dich hassen, dann hast du gute Arbeit geleistet. Ich schaute mich in der riesigen Menge um, und da ich auch an meine Haut denken muß, fragte ich sie:
„Kann mir jemand sagen, wo der nächste Notausgang ist, falls es mal brennen sollte?“
Ich widmete die Lesung Carl Weissner, ob zu seinem Schaden oder Nutzen würde sich ja rausstellen, Dann schrie jemand:
„Wo ist deine Freundin?“ Und ich antwortete: „Linda Lee, steh doch bitte mal auf.“ Und sie schnellte hoch, winkte mit den Armen, alberte rum, schön, mit ihrem rotblonden Haar. Danach fing ich mit dem ersten Gedicht an, der junge, hagere Deutsche stand dabei vor mir und schrie mich an. Etwas später zerrten ihn einige Leute weiter nach hinten, und er schrie von da. Ich mußte mit meinen Lastermäulern sanft umspringen. Einmal, in einer Nachtbar, hatte ich auf so eine Beleidigung mit einem: „Schmeißt den Kerl raus!“ reagiert. Ich habe es nur so zum Spaß gesagt, hatte dann mit dem nächsten Gedicht weitergemacht, aber später stellte ich fest, daß drei kräftige Herren, allesamt Angestellte des Klubs, den armen Kerl von seinem Sitz gezerrt und nach draußen geschleppt hatten, wo sie ihn in einen Mülleimer gestopft hatten.
Ich las weiter, wobei ich zwischen den Gedichten mit dem Publikum sprach. Und ich trank viel Wein, der war nämlich umsonst. Fürs Saufen bezahlt zu werden war ein größeres Wunder als fürs ficken. Ich las weiter, ich trank weiter.
Irgendwas war mit diesem deutschen Publikum anders. Ich hatte viele Lesungen gegeben, es hatte in den Buchhandlungen angefangen, danach kamen die Universitäten, dann die Nachtbars. Ich machte mein Geld und brauchte es dringend. Die Leute damals bevorzugten eine ganz bestimmte Art von Gedichten, besonders in den Nachtbars, wo ich gegen Rockgruppen anzutreten hatte. Sie wollten Gedichte, die sie zum Lachen brachten. Ein Besitzer von so einem Laden unten am Strand rief mich immer an: „Hör zu, du bist besser als diese Rockgruppen, die hier spielen. Ich will dich hier jeden Donnerstag, Freitag und Samstag Woche für Woche auftreten lassen.“
Er kam nicht dahinter, daß es bei einem Song durchaus die Chance gab, daß er beim wiederholten Hören besser gefiel, aber wenn man ein Gedicht öfter hört, wird es einfach schlechter.
Das Publikum in Hamburg war komisch. Wenn ich ihnen ein Gedicht zum Lachen vorlas, lachten sie, aber wenn ich ihnen ein ernstes vortrug, gab es starken Beifall. Eine wahrhaft andere Kultur. Vielleicht lag es daran, daß sie zwei bedeutende Kriege in Serie verloren hatten, vielleicht lag es daran, daß ihre Städte von Bomben total zerstört worden waren, die Städte ihrer Väter. Ich weiß es nicht. Meine Gedichte waren nicht intellektuell, aber einige von ihnen waren ernst und verrückt. Ich halte wirklich zum ersten Mal das Gefühl, daß die Leute die Gedichte verstanden. Das warf mich zurück, ich mußte also mehr trinken.
Ich brachte die Lesung hinter mich und bedankte mich bei den Leuten. Dann kamen wieder die Menschenmassen und das Signieren von meinen Büchern. Man kann sich nicht vorstellen, wie heiß es darin war. Aber wiederum war das deutsche Publikum ganz anders: die hatten meine Bücher.
In den Nachtbars kamen die meisten mit Papierservietten an und wollten darauf ein Autogramm. Es dauerte fünfzehn oder zwanzig Minuten, und ich bat sie um Gnade, ich sagte ihnen, daß ich kein einziges Buch mehr signieren könne. Endlich kamen wir ins Büro, und sie kamen und drückten sich die Nasen an den Scheiben platt und starrten rein, wie wir da saßen und Sekt tranken. Die waren einfach nicht wegzukriegen. All die hübschen jungen Mädchen, die sich die Nasen an der Scheibe plattdrückten und sie damit verunzierten…
Später, genau wie im Kino, wurden wir eine feuchte Hintertreppe runtergeführt, und dort stand dann ein langer, schwarzer, teurer Wagen, und man bugsierte uns rein und los ging’s, ohne Worte und schnell zu einer besonderen Party für die Auserwählten, viel zu trinken, viel zu rauchen, viel zu saufen, genau wie im Kino…
Charles Bukowski, Nachwort
… Hamburg. Hank ist in passabler Verfassung. Er hat sich an eine bewährte Lebensregel seiner ehemaligen Wirtsleute aus der DeLongpre Avenue in LA erinnert: 1 Tag Alkohol. 1 Tag Pause.
Lokaltermin in der „Markthalle“. Derschau, der ihn vor Ort in Los Angeles zu dieser Lesung überredet hat, muß sich nebenbei als Requisiteur betätigt haben, jetzt sieht auf der Bühne ein Kühlschrank. Er enthält etwa zwei Dutzend Flaschen. Ich räume die Flaschen aus und deponiere sie hinter der Bar.
„Wieviel müssen die Leute hier Eintritt bezahlen?“ erkundigt sich Hank. „Fünf Dollar?… Mhm. Da sollte ich vielleicht sehen, daß ich mit Anstand über die Runden komme. Zwei Flaschen. Nicht mehr. Unsere Sorte.“
Zwei von den mitgebrachten Müller-Thurgau kommen in den Kühlschrank.
Thomas Schmitt vom WDR ist mit seinen beiden Kamera-Teams am Aufbauen. „Mehr Licht“, sagt Montfort. (Berühmte letzte Worte…)
Inzwischen ist Hank vom Österreichischen Fernsehen abgeschleppt worden. Eine halbe Stunde später finden wir ihn wieder, zwei Stockwerke tiefer, in einem Antiquitätenladen mit Butzenscheiben und künstlichen Blumen. Er nippt an einem Weinpokal, dessen Inhalt die Farbe und Konsistenz von Ochsenblut aufweist.
„Oh shit“, sagt Linda.
Er beantwortet gerade die Frage, wie er es nun wirklich mit der Frauenbefreiung halte. „Einige meiner besten Freundinnen sind Emanzen“, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Ain’t that the cat’s pajamus“, fügt Linda trocken hinzu.
Weitere Interviews. Der Mann vom Hamburger Abendblatt. Der Mann von den Stuttgarter Nachrichten. „Ist der antikapitalistische Zug, der sich wie ein roter Faden durch Ihr Werk zieht…“, usw.
Abends gegen halb 9 steigt er die Stufen zur „Markthalle“ hinauf und blickt in die Kamera des NDR-Freizeitmagazins. Frage: „Charles Bukowski schreibt so viel vom freien Leben…“ (Nanu, seit wann denn das?) „Fühlt sich Charles Bukowski auch selbst frei?“
Seine Geduld ist strapazierfähiger als ich dachte: Er dementiert auch dieses Gerücht.
Die Halle ist überfüllt. 1.200, vielleicht auch ein paar mehr. Er bahnt sich einen Weg zur Bühne. Die Lautstärke, mit der ihn das Publikum begrüßt, übertrifft meine Erwartungen um einige Dezibel. „Hello“, sagt er, „it’s good to be back.“ Er läßt einige Beispiele für „standard bullshit“, wie er es nennt, vom Stapel, ehe er zu den ernsteren Sachen übergeht; die Leute gehen mit, reagieren größtenteils sogar an den richtigen Stellen, und ein Kontingent von Stänkerern sorgt für Ausgewogenheit. Zwischendurch stellt er Linda Lee vor, erkundigt sich nach einem Fluchtweg („Gibts hier eine Feuerleiter, über die ich abhauen kann?“), geht auch mal eine Viertelstunde auf Zwischenrufe aus verschiedenen Ecken des Saales ein und sagt am Ende: „Menschenskind, ihr redet hier mehr als ich… you Germans are too tough for me…“
Die Luft ist zum Schneiden, der Sauerstoffgehalt sinkt, die beiden Müller-Thurgau sind leer, letztes Gedicht, anhaltender Beifall, Trampeln, Johlen… „Dankeschön… and good night…“ Chinaski was here.
Carl Weissner, Nachwort
holte Zweitausendeins den „Schreibweltmeister im Schwergewicht“ nach Deutschland. Bukowskis Lesung in der Hamburger Markthalle ist legendär, aber stand wirklich ein Kühlschrank auf der Bühne, um den unbändigen Weindurst des Kultautors zu stillen? Die Dokumentation aus der Zweitausendeins Edition gibt Antworten und gewährt einen einzigartigen Blick auf das Bukowski-Beben. Als Begleitprogramm bieten wir die „Barfly“-Verfilmung mit Mickey Rourke und Faye Dunaway sowie die eingesprochenen Kaputtheiten aus Hollywood auf MP3-CD an. „It’s good to be back!“ – immer wieder schön, dass zu hören!
Zweitausendeins, Ankündigung
– Charles Bukowski war ein außergewöhnlicher Mann. Er, 1920 im deutschen Andernach geboren und am 9.3.1994 in Los Angeles an Leukämie verstorben, konnte seinen Lebenstraum verwirklichen, was nur wenigen Menschen mit einer ähnlichen Biographie gelingt. Er hat über reichlich lange Umwege das erkämpft, was er immer sein wollte: Schriftsteller. Und zwar nicht einer der Null-Acht-Fuffziger-Sorte, sondern ein Poet der besonderen Art. –
In ärmlichen Verhältnissen aufwachsend, seitens eines sadistischen, absolut verspießten, scheinmoralischen Vaters körperlich sowie geistig gequält und von einer schrecklichen Akne-Erkrankung gekennzeichnet, lernte Henry Charles Bukowski, kurz „Hank“ schon in jungen Jahren, die Dinge zu nehmen, wie sie halt sind. Bereits zu dieser Zeit entwickelte der später sogenannte „Outsider“ der US-Literatur zwei Dinge, die sein Dasein erheblich beeinflussten. Zum einen eine eigene Art der Philosophie, die, stark vereinfachend, das Leben als im Grunde irrsinnig-überflüssig erkennt. Zum anderen bildet sich der unüberwindliche Wunsch heraus, aus der für ihn erstickenden Tretmühle der Anderen – Job, Aufstieg, Frau, Haus, Kinder, besserer Job, neues Haus, neue Frau, neue Kinder usw. – zu entkommen. Sein Ehrgeiz hatte nicht die „goldenen Scheisshäuser der Kultur“ (C. Bukowski) im Blick, sondern nur einen einzigen Fokus: Vom Schreiben Leben zu können. Leben bedeutete für ihn Trinken (nicht zu knapp), Essen, Wohnen, Schlafen und in Ruhe gelassen zu werden. Illusionären Träumen, mit seinen lebendig-toten Mitmenschen möglicherweise die verkorkste Gesellschaft verändern zu können, gab er sich nie hin. Der Erfolg kam spät. Lange, viel zu lange, musste Hank verschiedenste Drecksarbeiten durchstehen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Nicht alleine die verrückt-versoffenen „Bitches“, mit denen er immer wieder eine Art Hass-Liebe-Beziehung einging, sondern vor allem die stupiden Jobs machten ihm das Leben zur Hölle. Ob als Leichenwäscher, Toilettenmann, Arbeiter in einer Hundekuchenfabrik, Nachtwächter, Erntehelfer oder später als Angestellter der Post der Vereinigten Staaten. Es dauerte sage und schreibe bis zu seinem 49. Lebensjahr, ehe Charles Bukowski es wagte, die „normale“ Arbeit an den Nagel zu hängen, es versuchte, alleine durch das Schreiben über die restlichen Runden irdischer Existenz zu kommen. Den ersten größeren Erfolg brachte ihm sozusagen sein letzter wirklicher Job, eben die Beschäftigung bei der Post. Unvergessen bis heute der Roman Post Office (in Deutschland: Der Mann mit der Ledertasche).
Bukowski schrieb, wie er das Leben erlebte, direkt, ohne Schminke, teilweise hart und vielen aufgetakelten Schöngeistern zu vulgär, in der Grundsubstanz aber immer weise, melancholisch, liebevoll, selbstironisch. Mit dem Image eines sexistischen Säufers und Randalieres, welches die Mainstream-Medien nur allzu gerne aufgegriffen haben und bis heute verbreiten, spielte der US-Schriftsteller gekonnt. Das Ergebnis: Selbst in unseren Tagen erkennen Journalisten oder selbsternannte Literaturpäpste nicht die „warmherzige, melancholische Grundierung“ seines Lebenswerkes (Jürgen Roth), sondern verbleiben bei schlichten Plattheiten. Dabei wird (fast) immer die tatsächliche Schüchternheit, ja Ängstlichkeit Bukowskis vor Menschen im Allgemeinen und Zuhörern seiner Lesungen im Besonderen schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Ferner übersieht man gerne, dass der Autor – im Gegensatz zu vielen seiner selbstverliebten Kollegen – Lesungen eigentlich hasste. Hank machte sie nur widerwillig, meist auf Druck seiner Verleger. Heute würde man sagen, um die Kundenbindung zu gewährleisten.
Die einzige Lesung des Charles Bukowski in Deutschland, die am 18.5.1978 in der ausverkauften Hamburger Markthalle vor etwa 1.200 Fans und Gegnern stattfand, hat nunmehr lobenswerterweise der Verlag Zweitausendeins, der sie damals schon als Schallplatte veröffentlichte, als CD auf den Markt gebracht. Es ist ein Genuss, wie die ruhige, klare Stimme des gerne so genannten „Dirty-Old-Man“ wunderbare Gedichte – selbstverständlich im US-English – vortrug. Um seine Nervosität zu beruhigen, mussten in seiner Nähe zwei Flaschen Weißwein stehen – immer in Reichweite. Es floss aber eben nicht, wie von selbsternannten Bukowskiexperten bis heute verbreitet wird, flaschenweise Hochprozentiges. Dem Vortragenden gelang es, äußerst cool mit den Anfeindungen mehrerer Krakeeler umzugehen, beispielsweise, indem er einen dieser Störer aufforderte, nach Hause zu gehen, wo doch Mama bereits mit Milch auf ihn warte. Wem die Umstände des Auftrittes von Bukowski in Hamburg als auch seine zuvor in der französischen Fernsehsendung Apostrophes durchgestandenen Provokationen des Moderators interessieren, kann das gesamte Geschehen übrigens in dem mehr als empfehlenswerten Bukowski-Buch Die Ochsentour nachlesen.
11,90 Euro für etwa 45 Minuten gesprochenen Literaturgenusses sind zwar etwas happig, der Inhalt dieser klasse CD entschädigt allerdings den Preis. Wer Charles Bukowski mag oder ihn noch gar nicht kennt, sollte zugreifen. Versteht man nicht alles im amerikanischen Original, so sind im Booklet die deutschen Texte von Carl Weissner, des Autors deutschem Freund und Übersetzer, sicherlich sehr hilfreich.
Frank Lukaszewski: Jenseits der goldenen Scheißhäuser
fixpoertry.de, 27.2.2010
Matthias Prenzel: Charles Bukowski: Hello, it’s good to be back!
rollingstone.de, 3.4.2008
„Ich habe ihn nie betrunken erlebt“: Jonathan Smith im Interview mit Charles Bukowskis Verleger John Martin
Felix Stephan: Er war der Dschungelkönig der Achtziger
Benno Käsmayr: „Wir haben abertausende Exemplare verkauft“
Stefan Troller: „Ich habe so hart gelebt“
Carl Weissner liest Bukowski beim Jetztmusikfestival Mannheim am 22.3.2010.
„I’m still here“. Bukowski ist siebzig. Ein Video von Thomas Schmitt.
Thomas Andre: Als der Gossenpoet nach Hamburg kam
Hamburger Abendblatt, 8.3.2014
Charles Bukowski: Porträt zum 20. Todestag
Frank Schäfer: Bukowski 100 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8
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Schreiben als Selbstbehauptung: 100 Jahre Bukowski mit Frank Schäfer, Sarah Käsmayr und Peter Merg
Lesung und Buchvorstellung am 15.10.2020 im Ladenlokal der jungen Welt
Sascha Seiler: Vorbemerkung zum Themenschwerpunkt der August-Ausgabe
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Frank Schäfer: Das Geklapper
literaturkritik.de, August 2020
Frank Schäfer: Der arme Mann aus L. A.
nd, 15.8.2020
Rafael Arto-Haumacher: FBI #140-35907 – Die Akte Charles Bukowski
literaturkritik.de, August 2020
Manfred Orlick: Ein Außenseiter und Chronist des gescheiterten American Dream
literaturkritik.de, August 2020
Christian Gaier: Dichter der Randexistenzen: Charles Bukowski zum 100. Geburtstag
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Florian Bissig: Skandalautor Charles Bukowski: Dieses Jahr wäre er Hundert Jahre geworden – und wäre verhasster denn je
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Thomas Hartmann: Charles Bukowski: Vom Tankwart zum Kult-Autor
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Markus Mayer: 100 Jahre Charles Bukowski: Der Dirty Old Man der Literatur
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Alexander Kluy: Mythen, Dreck und Schlacke – 100 Jahre Charles Bukowski
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Ralph Grosse-Bley: Hitler, Huren und die „Fuck Machine“
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Alexander Wasner: Charles Bukowski – Der etwas andere Andernacher
Andernach ehrt Schriftsteller Charles Bukowski
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Charles Bukowski – Born into this.
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