AN DIESEM SCHÖNEN TODESTAG IM MAI
V
Man sagt daß den Toten ein Holunder blüht
aaaaa(ein Holunder der mit seinen Fingern die Uhren
aaaaaverstellt)
Daß aus schwarzen Tafeln Steine wachsen tausend
aaaaaJahre alt unter denen sich das Leben häuft
Leben auf Leben bis aus der Grube einer Passahnacht
aaaaader junge Rabbi steigt und die zerrissenen
aaaaaSeelen durch die Gassen führt
Wir wollen sein Eidam und Brandknecht sein
aaaaaden roten Hahn in der Faust dessen Schrei
Wie eine Fahne über uns weht und dessen Hieb
aaaaadie Sonne zerfetzt bis ihr der Tod
Scherben auf die Augen legt
Der Autor ist geboren wie jeder andere und wird morgen sterben, wenn er dann noch lebt. Vielleicht rennt er nur deswegen hinter den Wörtern her, weil ihm die Trockenheit in den Adern brennt. Er schöpft aus ihnen das Blut. Und doch versinkt ihm das Leben schneller unter den Füßen als die Tinte braucht, um dieses Blatt zu queren.
Ich vergaß zu sagen, daß hier die Rede ist von einer Stadt, die es nicht gibt. Die Termiten sind ein steiniges Volk, dessen Gift selbst die glühende Sonne zum Einsturz bringt. Ich hebe keinen Stein auf und sage nicht nein zu allem, was geschieht. Doch sollten wir die dort unten verständigen, die Toten, die vielleicht unsere einzige Hoffnung sind. Sie halten schon Ausschau, warten auf ein Wort von uns, beunruhigt durch die Feuerwerksgarben, die ringsum aus den Wäldern steigen. Sie fragen uns: Sollen wir eure Nächte zerkleinern und ins Feuer werfen? Worauf wartet ihr noch?
Ich sehe sie wieder: die Altstadt mit den blauen Hautfetzen am Himmel, die Kastanien, die an schönen Tagen so gern an der Moldau schlendern, auch die Sonne, die ich so oft mit beiden Händen packte und doch nicht bezwingen konnte. Ich hoffe, ihr hört wie ich das Geräusch klirrender Münzen, das sich auf die Straßen ergießt, wenn sich in den alten Häusern die Türen öffnen. Sie öffnen sich nur einen Augenblick. Lockert sich ihnen unter meinen Worten der Griff?
Streuen wir also die Buchstaben über die Tafeln: Grabmale, die sich neigen, ihrem Untergang entgegen, den Ruinen von Karthago gleich, die uns allen voran immer tiefer sinken und sich nach unten tasten, nach dem Grund der Erde, wo es heller wird, wenn alle Sonnen versiegt und alle Brunnen verblutet sind.
Christian Saalberg, Vorwort
Dietmar Scholz
Korrespondenz, 25.3.1989
Dietmar Scholz
Schlesien, 1/1989
Ivana Vizdalova
Prager Zeitung. 6.2.1992
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